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Kognitiv-analytische Zugänge

Intertextuelles Wissen

Literaturunterricht Zugänge zu literarischen Texten

 
FAChbereich Deutsch
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Als intertextuelles Wissen lässt sich, pointiert gesagt, Wissen darüber verstehen, dass alle Texte miteinander vernetzt sind (vgl. Adamzik 2004, S.95) und "dass sich in literarischen Texten die Spuren anderer literarischer Texte befinden." (Kammler 2010/22013, S.307).

Dieses grundlegende deklarative Wissen über Intertextualität verdeutlicht vor allem, dass auch die Bedeutungskonstruktion im Umgang mit literarischen Texten mehr ist als das Ergebnis eines individuellen Rezeptionsprozesses und Resultat unterschiedlichster Einflüsse in einem großen und weiten "Text- und Diskursuniversum" (Adamzik 2004, S.95) ist, das von unterschiedlichen kulturellen Praktiken gestaltet wird.

Wissen über den Begriff und die wichtigsten Konzepte von Intertextualität

Zum intertextuellen Wissen im Rahmen eines • kognitiv-analytischen Zugangs gehört auch die Kenntnis, dass es keinen einheitlichen Begriff von Intertextualität gibt und das Wort zu einer Art Modebegriff geworden ist, mit dem jede Art von Bezug zwischen verschiedenen Texten bezeichnet wird.

Dass Texte stets in Beziehung zu anderen Texten stehen, also immer einen "Text-Text-Bezug" (Lachmann/Schahadat 1992/82004, S.678) haben, wird im Grunde von allen Ansätzen, die sich mit dem Thema Intertextualität befassen, akzeptiert. Doch jenseits dieses kleinsten gemeinsamen Nenners haben sich etliche verschiedene Ansätze entwickelt, die Intertextualität auf ihre jeweils sehr eigene Weise verstehen.

Intertextualität als offenes Konzept (Postrukturalismus)

Dabei gehen die einen davon aus, dass jeder Text in einem "offenen Raum" bzw. "Textuniversum" (ebd., S.679) an einem dynamischen Prozess der Sinnerzeugung teilhat und dabei die jeweils anderen Texte weiter-, um- oder neu schreibt. Dabei  tut er dies ganz unabhängig davon, was ein Autor oder eine Autorin mit ihm aussagen wollte. Natürlich haben diese Annahmen handfeste Auswirkungen auf die Interpretation. Erstens gibt es dann keine "richtige" Interpretation, sondern nur "eine jeweils intertextuell fundierte Bedeutung" mit einer "unbegrenzten Auslegungsvielfalt" (Steinmetz 1995, S.478). Zudem verliert das Autor-Subjekt angesichts der  eigenständigen "bedeutungsproduzierende(n) Selbständigkeit" (Martinez 1996/82008, S.442) des Textes seine zentrale Bedeutung, das es in anderen Ansätzen besitzt. Für den intertextuell gedachten Text hat das, was der Autor mit seinem Text "sagen" wollte, wenig Bedeutung. Diese • anti- oder nicht-hermeneutische literaturwissenschaftliche Position will von den traditionell • texthermeneutisch ausgerichteten Methoden, wie sie bis heute in der Schule dominieren, wenig wissen.

Intertextualität als Texteigenschaft (Strukturalismus, Hermeneutik)

Andere begreifen Intertextualität in einer gänzlich unterschiedlichen Art und Weise. Sie halten an der hermeneutisch-strukturalistischen Ausrichtung des Textverstehens fest und den entsprechenden Ansätzen und Methoden zur Erschließung und zur Interpretation eines Werkes im Rahmen der mehr oder weniger herkömmlichen • Werkinterpretation (textimmanente Interpretation) fest. Für diesen hermeneutisch-strukturalistischen Ansatz stellt Intertextualität eine "spezifische Eigenschaft von Texten" (Holthuis 1993, S.16) dar, die sich auf der jeweils lokalen Textebene identifizieren lässt. Die Rollen von Autor, Werk und Leser als den zentralen Polen des hermeneutischen Ansatzes werden damit nicht in Frage gestellt. Hier geht es um die Analyse und Beschreibung von Intertextualität in einem konkreten Text auf der Basis einer Art von "Intertextualtitätsgrammatik" (Lachmann/Schahadat 1995, S.678), die verschiedene Markierungen von Intertextualität auf Textebene identifizieren kann (vgl. Holthuis 1993, S.16) Dies hat insbesondere für die Literaturdidaktik die wichtige Konsequenz, dass auch sie sich nicht grundsätzlich vom Werkbegriff verabschieden muss, sondern an Methoden festhalten kann, die sich im Rahmen der gewohnten Textarbeit im Literaturunterricht bewegen.

Wissen um den konkreten Text-Text-Bezug (Einzeltextreferenz)

Neben dem deklarativen Wissen über die sehr unterschiedlichen Intertextualitätskonzepte des Poststrukturalismus und der deskriptiv angelegten Hermeneutik gehören aber noch weitere Aspekte zum intertextuellen Wissen. Hierbei geht es zunächst einmal um das Wissen, in welchem konkreten Text-Text-Bezug ein bestimmter Sekundärtext (Folgetext) zu einem Primärtext (Ausgangtext, Prätext, Referenztext) steht. Dieser als Einzeltextreferenz bezeichnete Bezug zeigt sich oft, allerdings nicht immer, mit bestimmten • Markierungen und Referenzsignalen im Sekundärtext, die auf den Primärtext mehr oder weniger explizit verweisen. Die Einzeltextreferenz kann, sofern daraus wichtige Erkenntnisse zu gewinnen sind, • auf der lokalen Textebene systematisch analysiert und beschrieben (prozedurales Wissen) werden.

Wissen um den Gattungs- bzw. Textsortenbezug (Systemreferenz)

Das intertextuelle Wissen darüber, in welchem Bezug ein bestimmter Text zu einer bestimmten • Gattung steht, gehört im Bereich der Literaturdidaktik zu den klassischen Zugängen zum Verständnis eines literarischen Textes. Der • Zugang über das Gattungs- bzw. Textsorten-/Textmusterwissen sollte dabei im Literaturunterricht vor allem der Verständigung über Literatur dienen und nie zum Selbstzweck werden. Der Systembezug (typologische Intertextualität), indem ein Text steht, muss dabei auch stets die (historische) • Konstruiertheit der System- bzw. Gattungsbegriffe reflektieren.

Wie auch immer von Gattungsbegriffen im Literaturunterricht Gebrauch gemacht wird, Gattungsfragen und -zuordnungen sind nie Selbstzweck, sondern sollten vor allem der Verständigung über Literatur dienen. In der Kommunikation über Literatur müssen sie ihre Brauchbarkeit und ihren Nutzen für das Erschließen und Verstehen von Texten immer wieder am konkreten Beispieltext unter Beweis stellen.

Unstrittig ist, dass Kenntnisse über • literarische Gattungen ihrem Besitzer gewöhnlich • Vorteile bei der Sinnkonstruktion und bei der mentalen Repräsentation verschaffen. Allerdings ist die Art und Weise, wie Gattungswissen, Gattungs- und/oder Textsortenmerkmale im Literaturunterricht erworben werden sollen, in der Literaturdidaktik strittig (• "Literaturwissenschaftsdidaktik"  vs. "Literaturdidaktik").

Im Übrigen lässt sich die Unterscheidung von System- und Einzeltextreferenz im Unterricht heutzutage ohnehin nicht immer überzeugend anwenden, zumal "Gattungsnormen und Schreibweisen im literarischen Bewußtsein oft durch paradigmatische Einzeltextwerke repräsentiert sind" (Martinez 1996/82008, S.443)

Im Zuge von Konzepten zur Kategorisierung von Texten über Ähnlichkeiten, statt über vorgegebene, der Fachwissenschaft entlehnte • Merkmalkataloge hat sich das Konzept der • Prototypikalität auch in der so genannten Prototypendidaktik (vgl. u. a. Spinner 2006, Köster 2015) etabliert, das selbst generierte Ähnlichkeiten mit all ihren dabei auftretenden Unschärfen in den Mittelpunkt rückt.

Wissen um den Bezug zu den persönlichen Texten des Leser

Als Teil des intertextuellen Wissens, über den jedes einzelne Individuum verfügt, können nach Ansicht »Harold Bloom (1930-2019), der eine Zwischenstellung zwischen dem postrukturalistischen und dem deskriptiven hermeneutisch-strukturalistischen Verständnis von Intertextualität einnimmt (vgl. Martinez 1996/82008, S.443), auch die "persönlichen Texte des Lesers" (Kepser/Abraham 42016,S. 265) angesehen werden.

So sind Vergleiche, die mit schon vorhandenen mentalen Repräsentationen unterschiedlichster Art bei der Rezeption vorgenommen werden, für die ▪ Sinnkonstruktion, den Aufbau eines ▪ Situationsmodells, grundlegend: "Diese Figur erinnert mich an meinen Vater ..." oder "Dieser Schauplatz erinnert mich an den Ort, wo ich aufgewachsen bin ..." oder "Diese Geschichte erinnert mich an einen Film, den ich vor kurzem gesehen habe ..." und viele ähnliche "persönliche Texte" nehmen also großen Einfluss darauf, wie wir Texte verstehen.

Gemeint sind damit alle jene auf einem Vergleich beruhenden Erinnerungen und Assoziationen, die als Analogien oder Kontraste zu dem, was einem in einem "Text" begegnet, aus dem individuellen Gedächtnis abgerufen wird. Das betrifft also nicht nur intertextuelle Bezüge zwischen Texten i. e. S., sondern die Gesamtheit von aus dem • individuellen (biologischen) Gedächtnis abrufbaren Erfahrungen, einschließlich gemachter Leseerfahrungen. Das Einbeziehen der "persönlichen Texte" macht dabei auch deutlich, dass Vergleichen einer der fundamentalen Prozesse bei der Literaturrezeption darstellt, wie es auch ▪ kognitionspsychologische Konzepte des Textverstehens immer wieder betonen. Außerdem ergeben sich von hier aus Schnittstellen zur Reflexion über das • soziale und das kulturelle Gedächtnis.

Intertextualität als Random Access und Arbeit mit Erinnerungsschneisen (Literaturgeschichte)

In der • Didaktik der Literaturgeschichte haben sich mit den Konzepten des Random Access und der • "Erinnerungsarbeit" mit Schneisen und Erkundungsrouten Ansätze entwickelt, die intertextuelles Wissen für ein "subjektiv bedeutsame(s) Text- und Geschichtsverständnis" nutzen (Kepser/Abraham 42016, S.58).

So soll mit dem Ansatz des so genannten Random Access eine Spurensuche in der Art eines »wahlfreien Zugriff (random acess) ermöglicht werden, bei dem sich das Augenmerk nicht mehr darauf richtet, wie man einen "individuellen Fall als typisch für etwas anderes" (Eine neue Geschichte der deutschen Literatur" 2007, S.15) betrachten könne. Stattdessen komme es  im Umgang mit Literatur darauf an, "die »datierbare« Einzigartigkeit und Zufälligkeit von Literatur" in einer erregenden Leseerfahrung zu ermöglichen, die den Charakter einer wirklichen »Begegnung« habe. Dazu soll Literaturgeschichte über exemplarische Begegnungen mit Autorinnen* und ihren ausgewählten Werken, die im Einzelfall wie ein Zusehen beim jeweiligen Schaffensprozess ausfallen,

Eine solche Literaturgeschichte, die sich auf die Chronologie statt auf Epochenkonstrukte bei ihrer Darstellung stützt, will damit auch "viele Geschichten" in - einen intertextuellen - Bezug zueinander setzen und damit unterschiedlichen Typen von Neugierde, voneinander abweichenden Mustern Raum" geben sowie "unterschiedliche – und oft dissonante – Resonanzen vernehmbar (...) machen. (ebd., S.21)

Auch die Arbeit mit den so genanten • Erinnerungsschneisen bzw. Erkundungsrouten soll der Entstehung des oben erwähnten subjektiv bedeutsamen Text- und Geschichtsverständnis dienen. Dabei sollen diese Erinnerungsschneisen exemplarisch bewusst machen, "wie sich das kulturelle Gedächtnis durch Erinnerungsarbeit in verschiedenen Diskursen konstituiert." (Nutz 2002, S.9)


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So könnten, nach Ansicht von Nutz (1997/2012, S.279), auch der an der Idee eines Orientierungswissens festhaltende Epochenüberblick durch ein "Netz von Erkundungsrouten und Entdeckungsreisen" ersetzt werden und damit – so • wie von den Vertretern des New Historicism gefordert (vgl. Kaes 1995, S.263) – "nicht mehr »eine«, sondern mehrere mögliche »Geschichten« der literarisch-kulturellen Vergangenheit"  (Nutz 1997/2012, S.279) rekonstruiert werden.

Literaturdidaktisch gesehen könnte der Ansatz - wie immer in solchen Fällen grob vereinfacht - vor allem dazu ermutigen, ohne wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge leisten zu wollen, quasi "anekdotisch" allerlei Texte zusammenzustellen und damit zu Wort kommen zu lassen, die entweder in der Zeit der Textentstehung oder aber in der aktuellen Zeit der Textrezeption intertextuelle Ähnlichkeitsbeziehungen aufweisen und damit auf ihre Weise dem zu analysierenden Text Bedeutung geben, den Text also semantisieren.

Ein solcher methodischer Zugriff auf Kontexte hat jedenfalls, "so leicht und anekdotisch er wirkt, (...) gegenüber einer traditionellen Auffassung, die den Einzeltext in Relation zu einem allgemeinen »historischen Hintergrund« setzt den Vorteil der Konkretheit und Partikularität." (Baßler 2007, S.228)

Statt einfach zu übernehmen, was andere Fachwissenschaften wie z. B. die Geschichtswissenschaft, die Soziologie oder die Psychologie herausgefunden haben, erlaubt dieser nie vollständig und abgeschlossene Zugriff auf eine Reihe von Einzeltexten (Prinzip unendlicher Intertextualtität) den Blick auf "die ungeheure Komplexität historisch-kultureller Bedeutungsbezüge", die kaum ins Blickfeld geraten.

Ob bei der Anwendung des Ansatzes im schulischen Literaturunterricht dabei (intertextuelle) Text-Text-Bezüge herauskommen, die paradigmatisch "als kulturelle Vergleichsgrößen (...) den jeweils manifesten Text [Sekundärtext,  d. Verf.] mit Bedeutung ausstatten" (ebd.) ist dabei, wenn man allein die großen Motivationseffekte betrachtet, die die für den Literaturunterricht adaptierte "Findekunst" hat, natürlich zweitrangig. Wer als Schüler oder Schülerin Texte und Bilder findet, die für ihn daran beteiligt sind, einem Text Bedeutung zuzuschreiben, ist jedenfalls bei seiner Spurensuche nach dem Sinn fremd daherkommender Geschichten ein gutes Stück weitergekommen.

Intertextuelles Schreiben

Spinner (2022b, S.65, Kindle-Version) verortet den Zugang über das intertextuelle Wissen im Bereich des • kreativen Schreibens im • Literaturunterricht. Als • Intertextuelles Schreiben ist es Teil der literarästhetischen Produktionskompetenz, da der Begriff der Intertextualität beinhalte, dass jedes literarische Schreiben ein Um- und Fortschreiben des je schon Geschriebenen sei.

Intertextuelles Schreiben ist allgemein ein Schreiben auf der Grundlage von Bezugstexten. Im Gegensatz zum kognitionstransformierenden Schreiben gibt das intertextuelle Schreiben einen anderen oder mehrere Primärtext(e) (Ausgangstexte, Prätexte. Referenztexte), in einem Sekundärtext wieder, indem es diesen abschreibt, wiedergibt, zusammenfasst, paraphrasiert, zitiert, kommentiert oder kritisiert oder diese(n) übersetzt. Die Primärtexte ("Quellen") müssen dazu für das intertextuelle Schreiben analysiert, aufbreitet und so weiterverarbeitet werden, dass ein eigener Text entsteht. Beim intertextuellen Schreiben "müssen Bezüge verschiedener Art zwischen den Inhalten und Aussagen der Ausgangstexte her - und dargestellt werden." (Lehnen/Schüler o. J.)

Intertextuelles Schreiben dient auf der Grundlage dieser Überlegungen im Gegensatz zu einem bloß musterorientierten Schreiben nicht einfach dazu, die Vorgaben und Regeln eines Prätexts, der als Muster dient, in einem Sekundärtext einzuhalten. Stattdessen lässt es dem Schreiber bzw. der Schreiberin des Sekundärtextes eine Menge Freiheit bei der • textproduktiven Aneignung und Veränderung des Primärtextes.

Er/sie kann z. B. bei erzählenden Texten vom Plot/der Fabel des Ausgangstextes in einem Rahmen, der den ursprünglichen Textbezug noch durchscheinen lässt, abweichen, das Personal der Erzählung verändern, Sprache und Stil ändern etc.

Intertextuelles Schreiben kann dabei allen Strategien folgen, die sich auf das jeweilige • Textgedächtnis auswirken:

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 07.01.2025

 
 

 
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