▪
Feedback
▪
Quickie: Was Feedback-Geber und
Feedbacknehmer beachten sollten - Die zehn wichtigsten Regeln
▪
Feedback geben» ▪
Was ein Feedback-Geber
beachten sollte ▪
Feedback nehmen» ▪
Was ein Feedback-Nehmer
beachten sollte
▪
Praxis der
Lernberatung (Scaffolding)
▪
Offene Lernprozesse coachen
▪
Zuhören
▪
Nichtpartnerschaftliches Argumentieren: Sieg-Niederlage-Modell
▪ Realistische Anforderungen an
Alltagsargumentationen
▪
10 Regeln vernunftorientierter Argumentation
▪ Was man beim partnerschaftlichen
Argumentieren unterlassen sollte
(Standards
der Argumentationsintegrität)
Das
literarische Gespräch zählt zu den mündlichen ▪
Methoden des Literaturunterrichts
(Spinner
2010, S.202f.) Neben dem Textverstehen zielt es vor allem auch auf
"kooperative Formen der Verständigung über das Verstehen" (Ehlers
2016, 8.1.4. Das literarische Unterrichtsgespräch, Kindle-Version)
Als besondere Form des Unterrichtsgesprächs wurde es unter dem Eindruck der
vorherrschenden Handlungs- und Produktionsorientierung des
Literaturunterrichts bis in die 1990er Jahre erst im Zuge
gesprächsdidaktischer und gesprächsanalytischer Untersuchungen als
Verfahren, das eine neue Gesprächskultur im Literaturunterricht dadurch
fördern sollte, in der das Verstehen Ergebnis eines dialogischen Prozess ist
und damit in besonderer Weise die Vieldeutigkeit (Polysemie) literarischer
Texte berücksichtigt und die davon bestimmte Existenz unterschiedlicher
Lesarten akzeptiert.
Es ist eine prozess- und partnerorientierte, offene Form, in der sich die Schülerinnen
und Schüler ohne Leistungsorientierung über ihre Lese- bzw.
Lektüreerfahrungen und ihre dabei vorgenommenen Deutungen austauschen können.
Insofern unterscheidet es sich auch von dem durch die Lehrperson stark
gelenkten ▪ fragend-entwickelnden
Interpretieren in Anwendung der klassischen »fragend-entwickelnden
Methode im »Frontalunterricht.
Funktionen des literarischen Gesprächs
Ein literarisches
Gespräch kann als Interpretationshandeln nach
Zabka (2003,
vgl.. Ehlers
2016, 8.1.4. Das literarische Unterrichtsgespräch,
Kindle-Version) sechs verschiedene Funktionen erfüllen. Dabei kann
es helfen, ein zentrales Motivationsproblem im Umgang mit Literatur
im Unterricht zu überwinden. Dieses besteht darin, "dass es für die
Schüler keinen erkennbaren Grund gibt, Sinnzusammenhänge zu
analysieren und interpretierend zu erklären, nachdem sie ihr
Verstehen zum Ausdruck gebracht, ein Werturteil formuliert oder den
Gegenstand durch eigene Gestaltungen künstlerisch gedeutet haben." (Zabka 2003,
S.31)
Funktion |
Verhaltensaspekte |
subjektiv-expressive Funktion |
Leser*innen und/oder Interpret*innen artikulieren im
Zuge ihres "expressiven Interpretierens" (Zabka
2003, S.23), ihre
subjektiven Sichtweisen und Meinungen zum Text. Das kann
die "äußere Beschaffenheit von Menschen, Gegenständen
und Orten, die Gefühle und Motive der handelnden
Figuren, Anmutungen sprachlicher Formulierungen wie z.
B. einer ungewohnten Metapher – und anderes mehr" (ebd.)
betreffen. Dabei ist besonders wichtig zu verstehen,
dass derartige expressive Interpretationshandlungen (expressives
Interpretieren) eben "nicht nur das zum Ausdruck
(bringen), was bereits zuvor verstanden wurde, sondern
auch manches, das aufgrund des expressiven Handelns
selbst überhaupt erst verstanden wird." (ebd.)
Im literarischen Gespräch kann das expressive
Interpretieren, das sich in der Artikulation von
vielfältigen
Erstleseeindrücken in einer Öffentlichkeit äußert,
damit auch Anlässe dafür schaffen, etwas zu behaupten (behauptendes
Interpretieren), etwas zu erklären (erklärendes
Interpretieren) oder etwas zu erörtern (erörterndes
Interpretieren) |
hermeneutische
Funktion |
Im
Gespräch wird das erste intuitive Textverständnis
modifiziert und differenziert. |
argumentative, behauptende Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in macht als Leser*in Behauptungen über einen
Text oder Teilaspekte eines Textes. Die
Behauptungsstruktur entsteht beim Übergang des eigenen
Verstehens ("ich verstehe den Text so") zu einer
Feststellung über den Text, die mit dem
Geltungsanspruch verbunden ist, dass der Text (aber auch
ein anderer Gegenstand), so wie man ihn versteht, auch
gemeint oder wenigstens verstehbar ist
("der Text/die Textstelle bedeutet"); solche
Interpretationsbehauptungen können a) zur Präzisierung
der zunächst gewonnenen eigenen Vorstellungen (expressives
Interpretieren) führen und damit das ästhetische
Urteil differenzieren; b) ästhetische Erfahrungen
mit Begriffen konzeptualisieren und kognitiv
repräsentieren und c) die Kommunikation und
Verständigung über ästhetische Wahrnehmungen und
Erfahrungen mit anderen ermöglichen, da sie von den
anderen Teilnehmer*innen in Frage gestellt werden können
und plausibel begründet werden. |
erklärende Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in (einschl. der Lehrperson) kann bei
Nicht-Verstehen, Missverstehen oder Verstehensproblemen
des anderen mit seinen interpretatorischen Erklärungen (erklärendes
Interpretieren) Hilfen anbieten. Dabei müssen sich
die erklärenden Interpretationen auf nachprüfbare
Eigenschaften des Textes bzw. Gegenstandes mit einem
ebenso nachprüfbaren Wissen argumentativ beziehen. (vgl.
Zabka 2003, S.25) |
erörternde Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in kann im Gespräch "über verschiedene
Verstehensmöglichkeiten, die gleichermaßen plausibel
erscheinen" (vgl.
Zabka 2003, S.25) nachdenken, andere und seine Interpretation reflektieren und
abwägen. Strukturell erzeugte Mehrdeutigkeit des Textes
bzw. Gegenstandes erlaubt bei der Sinnkonstruktion auch die Heranziehung
unterschiedlicher Kontexte und ermöglicht damit auch die
Erfahrung, "dass eine einheitliche Sinnerklärung im
Widerspruch steht zu eben jener Mehrdeutigkeit des
Gegenstandes, die solche Erklärungen provoziert." (ebd.,
S.30) Die mehrfache Kontextualisierung verdeutlicht z.
B. die Interpretation von ▪
Franz Kafkas (1883-1924)
Parabel "Der
Aufbruch", die unter Heranziehung ganz
unterschiedlicher Kontexte zu ganz verschiedenen ▪
allegorischen
Interpretationen führt. Erörterndes Interpretieren
kann also zu Bewusstsein bringen, dass es auch einen
"besonderen, nicht restlos rationalisierbaren Charakter
ästhetischer Erfahrung" (ebd.) |
kommunikativ-kooperative Funktion |
Jede/r Teilnehmer*in ist
gehalten, sich wechselseitig ▪zuhören, auf den anderen
eingehen, die unterschiedlichen Lesarten miteinander zu
vergleichen und damit auch die eigene subjektive Lesart
zu relativieren. |
Eine Form des Literaturumgangs in Kleingruppen
Am besten wird das literarische Gespräch in ▪
Kleingruppen
durchgeführt. Das bedeutet aber auch, dass sein Erfolg oder Misserfolg auch
von der Art der
▪
Gruppenbildung und
von weiteren ▪
gruppendynamischen Prozessen abhängig ist, die mit der Beziehung
der
Gruppenmitglieder u. v. a. mehr zusammenhängen. Diese didaktisch zu
reflektieren und ggf. auf diese einzuwirken gehört zu den Voraussetzungen,
die eine Lehrperson bedenken muss, ehe sie diese vergleichweise offene Form
des Literaturumgangs im Unterricht anbietet.
In der Regel findet das Gespräch im Rahmen einer einzelnen Unterrichtsstunde
statt, in der ein vergleichsweise kurzer literarischer Text oder Textauszug,
der den Schülerinnen und Schülern bis dahin unbekannt ist, mit dieser Form
des unterrichtlichen Umgangs mit Literatur "abschließend" behandelt wird.
Eine vertiefte textanalytische Betrachtung des Textes. z. B. im Anschluss
mit anderen Unterrichtsmethoden, wird nicht angestrebt, um die "Ergebnisse"
des Dialogs über den Text nicht im Nachhinein zu "korrigieren" oder
autoritativ zu bestätigen.
Dementsprechend fällt auch die Ergebnissicherung des Gesprächs anders aus.
Sie kann Teil eines Feedbackprozesses sein, könnte aber auch in einer
Selbstbeurteilung der Teilnehmer*innen münden, die aufgefordert werden, am
Ende des literarischen Gesprächs - jede/r für sich - zu notieren, wie er das
Gespräch erlebt hat und welche Erkenntnisse er/ sie gewonnen hat
Dabei strebt es eine symmetrische Kommunikation an, die nach
Watzlawick
u. a. 1972 "durch Streben nach Gleichheit und Verminderung von
Unterschieden zwischen den Partnern" charakterisiert ist, bei der sich
die Partner bemühen, wissensmäßige oder anderswie
bedingte Asymmetrien auszugleichen.
Das literarische Gespräch im Kontext eigenverantwortlichen Lernens
und der Lernberatung
Da das literarische Gespräch im Literaturunterricht im Allgemeinen nicht als
Streitgespräch nach dem Muster entsprechender Fernsehformate mehr oder
weniger berufener Literaturkritiker*innen inszeniert wird, sondern das
kooperative Von-Einander-Lernen im Vordergrund stehen sollte, fließen
natürlich auch ▪
Feedbackhandlungen in das
literarische Gespräch ein. Gut also, wenn die Schülerinnen und Schüler auch
in anderen Unterrichtssituationen und das natürlich über die Fächer hinweg
gelernt und geübt haben, wie man ein ▪
förderliches Feedback
gestaltet.
Um die Schülerinnen und Schüler darin zu stärken, könnte ähnlich wie beim ▪
Kontrollierten Dialog ein
Bebachter oder eine Beobachterin oder eine Beobachtergruppe eingerichtet
werden, die den Teilnehmer*innen des literarische Gesprächs unmittelbar
danach ihre Eindrücke über den Verlauf des Ganzen und ihr verbales und
nonverbales Verhalten rückmeldet.
Wenngleich der Akzent beim literarischen Gespräch auf eigenverantwortlichem
Lernen in einer symmetrisch gestalteten Kommunikationssituation liegt, die
von
Peer-Feedback geprägt ist, sollte sich die Lehrperson nicht
grundsätzlich heraushalten, sondern ▪
als Coach in
einem offenen Lernprozess agieren und verschiedene Angebote der ▪
Lernberatung
(Scaffolding) machen.
Ob die Lernberatung auch zumindest zeitweise die unmittelbare Leitung des
literarischen Gesprächs umfasst oder diese an Schülerinnen und
Schülern, die sich das zutrauen, übergeben werden kann, wird dagegen von Mal
zu Mal zu entscheiden sein.
Oft wird dabei sicher auf leitende Eingriffe der Lehrperson in das Gespräch
nicht verzichtet werden können. Erfahrungen, dass die Schülerinnen und
Schüler in einem eigenverantwortlich ablaufenden literarischen Gespräch vor
sich hinplaudern und "unter dem Strich" auch nach Ansicht der Beteiligten
"nichts herauskommt", scheint der Lehrperson die Leitungsrolle geradezu
aufzudrängen, will sie nicht nachhaltige Motivationsverluste und eine
Verringerung der volitionalen
Bereitschaft, sich auf diese und auch andere Weise auf literarische
Texte und einen dialogischen Prozess des Verstehens in der Öffentlichkeit
einer Gruppe riskieren.
So betrachtet können nicht autoritativ vorgenommene, lenkende Eingriffe der
Lehrperson, als ▪
Lernberatung
(Scaffolding) verstanden, durchaus konstruktiv wirken, "wenn sie
Prozesse initiieren, die die Differenz zwischen den Textanforderungen und
vorhandenen Potenzialen von Schülern verringern, Ideen und Vorstellungen von
Schülern aktivieren und die Kommunikation untereinander anregen. Kompetenzen
des Lehrers bestehen darin, die Schüleräußerungen im Hinblick auf das
Textverstehen und Verstehenskompetenzen einzuordnen, den literarischen
Kenntnisstand einzuschätzen, Verstehensschwierigkeiten zu identifizieren,
Inhalte zusammenzufassen, Beiträge von Schülern wieder aufzugreifen und mit
einer Fragestellung zu verbinden, die neue Impulse für die Texterschließung
anregt." (Ehlers 2016,
8.1.4. Das literarische Unterrichtsgespräch, Kindle-Version)
Wichtig ist es, dass der Leiter bzw. die Leiterin eines literarischen
Gesprächs sich auf die Rolle als Moderator beschränkt, also außer zur
Impulssetzung keine eigenen
Erfahrungen und Wertungen einbringt, sondern sich bemüht, den Austausch
durch andere Impulse aufrechtzuerhalten und bei Stockungen die Teilnehmer*innen
wieder ins Gespräch zu bringen versucht. Seine inhaltliche Zurückhaltung und
der Verzicht auch in non-verbaler Weise zu kommentieren, was die
Gesprächsteilnehmer*innen äußern, muss hingegen nicht zum Verzicht auf
jegliche emotionale Beteiligung geschehen. So kann es auch Aufgabe der
Gesprächsleitung sein, allzu dominierenden Sprecher*innen quasi ins Wort zu
fallen und denen zum Wort zu verhelfen, die sich nicht so ohne Weiteres in
der Gesprächsrunde durchsetzen können.
Es kann auch sein, dass die Anregung von Lernprozessen auf der einen Seite
und Impulssetzung für den weiteren Gesprächsverlauf auch das
Bereitstellen
von Kontextinformationen durch die Gesprächsleitung umfasst. In
Fernsehformaten von Gesprächsrunden aller Art kennt man dies auch als
"Einspielungen", in denen kurze und knappe Informationen über einen
bestimmten Sachverhalt in einem kurzen Filmbeitrag den Gesprächsverlauf
unterbrechen und als Informationsimpuls den Fokus der Teilnehmer*innen auf
bestimmte Fragen richten soll. Die Bereitstellung derartiger
Kontextinformationen verlangt natürlich, ob die Gesprächsleitung von einer
Lehrperson oder einer Schülerin oder einem Schüler übernommen wird,
entsprechende Vorbereitung. Aber auch die Vorbereitung eines Schülers oder
einer Schülerin auf diese Rolle sollte in dem insgesamt offen angelegten
Verfahren weitgehend eigenverantwortlich erfolgen und die dazu nötigen
Lernhandlungen von der Lehrperson lediglich ▪
gecoacht
werden.
Die Bedeutung der Textauswahl
Literarische Gespräche sind textbezogene Sprechhandlungen, die in hohem Maße
von der volitionalen Bereitschaft
und der Motivation abhängen, sich über einen Text in der Gruppe
auszutauschen.
Die
Bereitschaft, sich aktiv in ein solches Gespräch einzubringen, hängt dabei
nur bis zu einem gewissen Grad vom Text selbst ab. Förderlich ist wohl
immer, wenn ein Text gut verständlich, vielfältige Zugänge und Lesarten
ermöglicht, vielleicht auch »kognitive
Dissonanz evoziert, die mit einer sehr offen angelegten,
▪ gemeinsamen
Spurensuche nach ihren Ursachen in der Gruppe überwunden werden kann.
Dabei kann ein literarisches Gespräch, wenn es symmetrisch verläuft, auch
verschiedene ▪ Erfahrungen von Fremdheit
thematisieren, die ein Text auslösen kann.
Nimmt die Lehrperson die Auswahl vor, dann kann sie Texte auswählen, die
textseitig Anreize wie
Leerstellen und
Unbestimmtheiten ausweisen, erfolgt die Auswahl durch die Schülerinnen
und Schüler selbst spielen wohl stärker intuitive und emotionale Aspekte
eine Rolle.
Das literarische Gespräch kann nur dann seine Zwecke erfüllen, wenn der Text
bzw. der Textauszug aus einem größeren Text nicht zu
lang ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich das literarische
Gespräch, wie dies im Allgemeinen der Fall ist, mehr oder weniger direkt an
die Primärrezeption des Textes anschließt,
Zudem gilt natürlich immer bis zu einem gewissen Grad: Je mehr die
Schülerinnen und Schüler in den Gesamtprozess der Vorbereitung eines
literarischen Gesprächs einbezogen sind und eigenverantwortliche
Entscheidungen über den Verlauf des Gesprächs sowie über die Auswahl der
Texte (z. B. aus einer von ihnen selbst erstellten Auswahlliste) treffen
können, um so stärker dürfte ihre
volitionale Bereitschaft zur aktiven Beteiligung und ihr emotionales Involvement in einem solchen Verfahren
ausfallen.
Aber natürlich lassen sich literarische Gespräche auch zu Texten
inszenieren, die eben auf dem "Lehrplan" stehen.
Herstellen eines förderlichen Gesprächssettings
Zu den
Voraussetzungen für ein gutes literarisches Gespräch gehören auch
die Rahmenbedingungen als Ganzes. Das Herstellen eines
vertrauensvollen, partnerorientierten Gesprächklimas bzw. Gesprächssettings ist dabei die zentrale Herausforderung.
Dabei ist der
Begriff des Settings gut geeignet, den Blick auf die Gesamtheit der
vielfältig aufeinander bezogenen Verbindungen der im literarischen
Gespräch ablaufenden Handlungen, mit den besonderen räumlichen
Bedingungen und den darin wirkenden psychosozialen Beziehungen zu
richten.
So müssen die
Schülerinnen und Schüler als handelnde Akteure dieses Settings,
wissen, was und auf welche Art und Weise sie sich in dem Gespräch
über einen Text artikulieren sollen (z. B. auch Gefühle ausdrücken,
keine Äußerungen anderer verbal oder non-verbal herabsetzen, etc..),
und die Lehrperson je nach Rolle, die sie darin übernehmen will,
transparentes und konsistenes Rollenhandeln bei der Lernberatung
zeigen (Settingprogramm). Das Setting verlangt die Festlegung eines
zeitlichen Rahmens, der in der Regel eine Unterrichtsstunde umfassen
dürfte und auch eine besondere räumliche Struktur durch Aufbrechen
starrer Sitzordnungen, Beseitigen von Beziehungssperren (wie z. B.
Tische vor jedem/r Teilnehmer*in durch eine lockere Sitzordnung, am
besten einen Kreis. Im Übrigen spricht auch nichts dagegen, wenn
dazu ein Ortwechsel im Schulgebäude in einen Raum vorgenommen wird,
der das Setting wirksam unterstützt u. ä. m.
Das Programm des
Settings erfordert die grundsätzliche Orientierung an dem ▪
Idealmodell
kritischer Argumentation von
»Jürgen Habermas (geb. 1929), das einen
herrschaftsfreien Diskurs voraussetzt, in dem sich "Kommunikation als
ein wechselseitiges Kooperieren von (idealen!) Akteuren in einer
(idealen!) Sprechsituation der alltäglichen Lebenswelt mit dem
Ergebnis einer vernünftigen Einigung" (Heinemann/Heinemann
2002, S. 44) vollzieht.
Wem dieser
Theoriebezug an dieser Stelle zu weit hergeholt erscheint, zu
abgehoben erscheint, der kann sich in diesem Zusammenhang an den auf
diesen beruhenden ▪
10
Regeln vernunftorientierter Argumentation orientieren und dabei die
berücksichtigen,
welche Anforderungen bei Alltagsargumentationen realistisch sind
und ▪ was, man beim
partnerschaftlichen Argumentieren unterlassen sollte.
Kennzeichen eines unterrichtlichen literarischen Gesprächs
Auch wenn ein prozessorientiertes, offenes Verfahren des Literaturumgangs in
der Schule wie das literarische Gespräch sich schematischen Vorgaben
keineswegs beugen muss. gibt es doch ein idealtypisches Verlaufsschema, das
aber nicht als Phasen des literarischen Gespräch, die nacheinander zu
inszenieren sind, verstanden werden darf.
Nach
Steinbrenner/Wiprächtiger-Geppert (2006, S.14 f., zit. n.
Kepser/Abraham
42016, S.257) lässt sich der
idealtypische
Verlauf eines literarischen Gesprächs, das unter Leitung der
Lehrperson stattfindet, in sechs Phasen gliedern, das aber nur eine sehr
grobe Richtschnur vorgibt und insbesondere am Ende nicht sonderlich
überzeugen kann.
-
Die Lehrperson wählt
einen Text aus, der eine mehr oder weniger offenkundige Mehrdeutigkeit
besitzt und sich durch eine gewisse Rätselhaftigkeit auszeichnet.
-
Durch das Herstellen
eines Sitzkreis, in dem auch die Lehrperson
Platz nimmt, wird ein förderliches Setting geschaffen, das über die
symmetrische Sitzanordnung auch dazu beitragen kann, dass die für das
Gespräch erforderliche Ruhe und Konzentration geschaffen wird, die
Voraussetzung für die partnerorientierte Teilhabe am Gespräch und das
Zuhören, das dabei als eine aktive Tätigkeit zu verstehen ist (vgl. auch ▪
Hörerrolle und Höreraktivitäten).
-
Dann wird der Text
vorgelesenund in der Regel auf einem Arbeitsblatt ausgeteilt. In einem
zweiten Lektüredurchgang soll er danach von den Schülerinnen jede/r für
sich ein weiteres Mal still gelesen werden.
-
Ein anregender
Gesprächsimpuls der leitenden Lehrperson gibt allen Teilnehmer*innen
Gelegenheit sich zu äußern.
-
Nach dieser
Gesprächseröffnung können die Schülerinnen und Schüler sich zu ihren
Erstleseeindrücken äußern, diese ggf. auf den Text oder auf ihr
Weltwissen beziehen und sich von den Äußerungen der anderen anregen
lassen.
-
Am Ende werden wichtige
Erkenntnisse und Aspekte, die zum Verstehen des Texte aus dem Verlauf
des Gesprächs gewonnen werden konnten, sowie Gesprächserfahrungen
zusammengefasst.
Statt eines solchen
Phasenmodells, das im Grunde oberflächliche Organisationsstrukturen in einem
sehr vom Leitungsverhalten abhängigen Prozess darstellt, ist eine allgemeine
Beschreibung der Kennzeichen eines literarischen Gesprächs, in die auch
Organisationsaspekte einfließen, dem offenen Konzept des literarischen
Gesprächs eher angemessen.
Zu Beginn des literarischen
Gesprächs geben die Teilnehmer*innen gewöhnlich wieder, was ihnen spontan
zum Text einfällt. Diese ▪
Erstleseeindrücke sollten reihum geäußert werden, selbst dann, wenn es
dabei zu Wiederholungen kommt. Auch wenn das Hören anderer
Rezeptionserfahrungen im Zuge des Gesprächs eine eigene Dynamik entwickeln
und damit einzelnen Schülerinnen und Schülern helfen kann, im Laufe des
Gesprächs auch ihren eigenen ▪
Erstleseeindrücken auf die Spur zu kommen, ist dies keineswegs sicher.
So kann es durchaus hilfreich sein, in einer dem literarischen Gespräch
vorausgehenden Einzelarbeit mit einem ▪
Fragenkatalog
dazu vor allem die Schülerinnen und Schüler zu stützen, die sich
Fragenkatalog damit schwertun und damit von vornherein in eine Nebenrolle im
literarischen Gespräch gedrängt werden.
Sehr wichtig ist dabei,
dass die Schülerinnen und Schüler ihre Rezeptionserfahrungen in einem
vertrauensvollen und förderlichen Gesprächsklima äußern können, das
sämtliche Teilnehmer*innen ermuntert, ihre kognitiven als auch affektiv
geprägten Eindrücke in der Gruppe ohne jede Scheu offen zu artikulieren. So
lernen die Teilnehmer*innen auch, die subjektive Legitimation anderer,
vielleicht auch gegensätzlicher Leseeindrücke zu akzeptieren und ihre
Gleichwertigkeit anzuerkennen. "Ein Zwang zur Einigung (besteht)", wie auch
Spinner (2010,
S.202) betont, "dabei nicht."
Ein weiteres Kennzeichen des literarischen Gesprächs sollte es im Idealfall
sein, dass die Äußerungen der Teilnehmer*innen mit einem mehr oder weniger
klaren Bezug auf den Text erfolgen. Aber auch hier kommt es nicht
prinzipiell darauf an, ob sich derartige Bezüge unmittelbar auf die
Textebene beziehen. Es kann auch sein, dass textexterne Faktoren, die auf
das jeweils vorhandene Wissen (Weltwissen,
Textmusterwissen,
Sprachwissen etc.)
zurückzuführen ist, Grundlage einer mehr oder weniger gelungenen
Kohärenzbildung ist, die im Austausch mit den anderen im literarischen
Gespräch erhellt werden kann.
Wenn man den Textbezug im engeren Sinne von Anfang an stärken will, kann man
die Schülerinnen und Schüler auch auffordern, ihre Erstleseeindrücke von der
Präsentation eines bestimmten Satzes oder einer etwas längeren Textstelle
ausgehend zu äußern.
Für größere Ansicht bitte an*klicken*tippen!
Auch in diesem eher kognitionspsychologischen Sinne gilt also, was
Spinner (2010,
S.202), wohl im Anschluss an
Härle/Steinbrenner (2004) betont und den Prozesscharakter dieses
literaturdidaktischen Verfahrens unterstreicht, nämlich dass der Textbezug
"nicht ein argumentatives Belegen mit Textstellen sein muss, sondern auch
eine eher kreisende, sich annähernde Suchbewegung sein darf", die das
Nicht-Verstehen als Teil des literarischen Verstehens zulässt und damit
akzeptiert, wenn manches rätselhaft oder eben fremd bleibt.
In jedem Fall schließt das literarische Gespräch in besonderer Weise an
gesellige Formen des
Literaturumgangs in der Gesellschaft an und verwirklicht daher auch in besonderer Weise die eigentliche
Zieldimension des Literaturunterrichts, nämlich Teilhabe im kulturellen
▪ Handlungsfeld Literatur. (vgl.
Spinner 2010., vgl.
Kepser/Abraham
42016, S.26)
▪
Feedback
▪
Quickie: Was Feedback-Geber und
Feedbacknehmer beachten sollten - Die zehn wichtigsten Regeln
▪
Feedback geben» ▪
Was ein Feedback-Geber
beachten sollte ▪
Feedback nehmen» ▪
Was ein Feedback-Nehmer
beachten sollte
▪
Praxis der
Lernberatung (Scaffolding)
▪
Offene Lernprozesse coachen
▪
Zuhören
▪
Nichtpartnerschaftliches Argumentieren: Sieg-Niederlage-Modell
▪ Realistische Anforderungen an
Alltagsargumentationen
▪
10
Regeln vernunftorientierter Argumentation
▪ Was man beim partnerschaftlichen
Argumentieren unterlassen sollte
(Standards
der Argumentationsintegrität)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.12.2023
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