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Simplicissimus Teutsch (1668)

Titelkupfer der Erstausgabe

Jakob Christoph (Christoffel) von Grimmelshausen (1622-1676)


FAChbereich Deutsch
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Der »Frontispiz (Bildertitel), den man, weil es sich um die Printform eines Kupferstiches handelt, auch Titelkupfer nennt, kann im Falle des Simplicissimus Teutsch in der Ausgabe von 1669 von »Jakob Christoph (Christoffel) von Grimmelshausen (1622-1676) unter vielen Aspekten betrachtet werden und ist immer wieder interpretiert worden.

In einem Schriftband über der Figur steht der Romantitel der "Abenteuerlicher Simplicissimus" Teutsch. Die Bildunterschrift in Versen, die hinzugefügt ist, lautet:

"Ich ward gleich wie Phoenix durchs Feuer geboren.
Ich flog durch die Lüffte, ward doch nicht verloren.
Ich wandert im Wasser, ich streiffte zu Land,
in solchem Umschwermen macht ich mir bekant
was oft mich betrübet und selten ergetzet;
was war das? Ich habs in dies Buch hier gesetzet
damit sich der Leser gleich wie ich itzt thu,
entferne der Torheit, und lebe in Ruh.“

Das Bild zeigt ein scheusalartiges Fabelwesen mit menschlichen und animalischern Zügen, bei denen sich heutigen Betrachtern der Vergleich zu den »Orks und anderen menschenähnlichen "Ungeheuern" in den Fantasy-Welten aufdrängt, mit denen die Film- und Medienindustrie an alte Mythen und keltische Sagenfiguren etc. anschließt, um diese in aller denkbar scheußlichen, meistens abgrundtief bösen Gestalt über die Leinwand flimmern zu lassen.

Auch wenn sich gewisse Ähnlichkeiten nicht leugnen lassen, wenn man das Eigene im Fremden auch hier zulässt, sind die Unterschiede natürlich beträchtlich und lassen sich nur dann produktiv nutzen, wenn es einem gelingt, durch die Dekonstruktion solcher Bilder die historische Distanz zu überwinden.

Zielen die Orks und die anderen grauenvollen Kreaturen der »Herr-der-Ringe-Filmwelten vor allem darauf, Emotionen eines Millionenpublikums auf der ganzen Welt zu wecken, stehen die Mischwesen, die wie das, welches auf dem Titelkupfer des Simplicissimus dargestellt sind, nicht nur in einem ganz anderen historischen Kontext, sondern zielen mit ihrer emblematischen Struktur auch auf einen mit der Bildsprache der Zeit vertrauten gebildeten Leser seiner Zeit.

Bei den barocken Darstellungen handelt es sich oft um »Mischwesen mit dem gehörnten Kopf eines »Satyrs, eines »Dämon im Gefolge des Gottes »Dionysos. Sie sind Wesen der »griechischen Mythologie, die immer wieder mit Ohren und Schweif von Pferden oder Eseln, häufig auch mit tierischen Extremitäten ausgestattet, abgebildet sind. Ihre Bocksmerkmale, wie z. B. die Hörner in diesem Titelkupfer, kommen aber erst in »hellenistischer Zeit, beginnend mit der Herrschaft »Alexanders des Großen (356-323 v. Chr.), hinzu.

Wahrscheinlich bezieht sich die Figur im Simplicissimus auf eine Fabelgestalt des antiken römischen Dichters »Horaz (65-8 v. Chr.), die von diesem in seiner »Ars Poetica beschrieben wird.

Solche satyrhafte Mischwesen sind Grimmelshausen wahrscheinlich auch als »Druckermarken begegnet, mit denen die ersten Drucker der Neuzeit in Ermangelung eines verbindlichen Urheberrechts ihre Urheberschaft, wenn auch nicht schützen, so aber doch anzeigen wollten. Darüber hinaus waren sie natürlich auch wichtige Elemente, um die Bücher zu dekorieren, und dienten mehr und mehr nur solchen Zwecken. (vgl. auch Michel 2013)

Das Titelkupfer zum Simplicissimus hat neben dem satyrhaft gehörnten Kopf einen weiblichen Körper, besitzt einen Enten- und einen Rinderfuß, fledermausartige Flügel und einen Fischschwanz. In seiner menschlich gestalteten Hand hält Mischwesen ein aufgeschlagenes Bilderbuch mit verschiedenen Abbildungen aus unterschiedlichen Bereichen, vor allem allerlei Dingen wie z. B. einer Krone und Barett als Insignien von Herrschaft, eine Kanone, ein Schwert stehen für Macht und Krieg, der Wehrturm für Wehrhaftigkeit. Mit dem Glas oder Zinnbecher, aber auch mit Würfeln als Spiel kann auf Geselligkeit hingewiesen werden, aber, im Falle eines Glases, auch auf die Zerbrechlich- bzw. Vergänglichkeit der Dinge; die hohle Narrenkappe ohne Gesicht auf der rechten Buchseite symbolisiert wohl die Torheit und Eitelkeit der Welt. Das große Segelschiff thematisiert wohl das Reisen im Sinne von Welterfahrenheit, kann aber auch auf die Endlichkeit des menschlichen Lebens, der Lebensreise jedes Einzelnen, hinweisen. Die Biene könnte für die Tugend des Fleißes stehen und die Kröte stellvertretend auf alles Kreatürliche der Welt verweisen.

Eine besondere Rolle nimmt wohl das dargestellte Wickelkind ein, das den Beginn des Lebens symbolisiert. Damit wird wohl der Lauf des Lebens angesprochen, der trotz aller Dinge, die man ihm Leben ansammelt, im Verständnis dieser Zeit immer nur auf ein Ziel hin sinnvoll gelebt werden kann, nämlich das ewige Leben im Paradies.

Mit einer Finger- und Armgeste, die man auch als "Spott- und Verhöhnungsgeste" (Beutin 1989, S.119) verstehen kann, zeigt die Figur des Titelkupfers auf das aufgeschlagene Buch. Zugleich hat sie einen Degen umgehängt. Am Boden liegen auf dem Sockel, auf dem das Wesen steht, einige Masken herum, auf die es achtlos die Füße gestellt hat.

Nimmt man die heruntergefallenen oder herumliegenden Masken auf dem Boden als Symbole für die "Vielgesichtkeit" des Menschen, der, um es mit modernen Begriffen zu fassen, in der Welt wechselnde Identitäten anzunehmen oder vorzugeben weiß, um jeweils ein anderes "Gesicht" zu zeigen, runden sich die zahlreichen Bilder als Symbole zu einer insgesamt allegorischen Sicht auf die Welt.

Als Ganzes hat das Titelkupfer die Struktur eines Emblems (Überschrift – Bild – Text). In dieser Form ist es eine typische barocke Buchgestaltung, wie sie in diesem Arbeitsbereich am ▪ Beispiel der "Geharnschten Venus" (1660) von »Kaspar Stieler (1632-1707) im Hinblick auf den Buchtitel und die Emblematik des Titelkupfers beispielhaft analysiert und dargestellt wird.

Die sonderbare Erscheinung des Titelkupfers in dem Roman von Grimmelshausen dient dabei im Kontext der Bildunterschrift auch  dazu, das Interesse des Lesers an der epischen Entfaltung einer  fiktiven Welt mit grotesken, abstrusen oder zumindest wunderlichen Erscheinungen zu wecken, die ihm aber stets auch vor Augen führen soll, was um ihn herum in dem vom ▪ Dreißigjährigen Krieg gezeichneten Leben passiert.

Wenn man, wie dies Michel (2013) tut, das "Ich" der Verse als Ich des Protagonisten auf(fasst)" lassen sich im Romantext emblemtypische Bezüge finden, welche die umfassende Welterfahrung des Helden, dargestellt auch auf den Buchseiten, die das Mischwesen aufgeschlagen hat, unter Beweis stellen.

Denn Simplicissimus "reist ja in allen vier Elementen – unter Wasser im Mummelsee (V,12), in der Luft durch Hexerei (vgl. II,17/18) –, und einmal sagt ein Pfarrer zu ihm ›bilde dir ein/ als ob du gleich dem Phoenix vom Unverstand zum Verstand durchs Feuer/ und also zu einem neuen menschlichen Leben auch neu geboren worden seyest.‹ (II,8)."

Insofern verdeutlicht die Emblematik den Aufbau des Romans selbst als "Deutbild zeitgenössischer Satire-Theorie" (Gersch 1973, S.77).

Das Mischwesen könnte auch, so fährt Michel (2013) fort, "als ein inneres Portrait des Helden gedeutet werden kann", bei dem sich der Held selbst am Ende "als Abbild einer »scheußlichen Seele«" selbst erkennt.

Die Mischwesengestalt lässt sich aber auch als satirische Antwort auf "die Ästhetisierung der Wirklichkeit durch den hohen Roman" (Beutin 1989, S.119) (▪ höfisch-historischer Roman) verstehen.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 03.09.2023

 
 

 
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