Das von »Julia
Kristeva (geb. 1941), »Roland
Barthes (1915-1980) oder »Harold
Bloom (1930-2019) begründete •
postrukturalistische
Intertextualitätskonzept spielt im Rahmen des schulischen
• Literaturunterrichts
aus verschiedenen Gründen nur eine untergeordnete Rolle. (vgl.
Kammler 2000,
S.VIIIf.;
Paefgen 2006, S.280;
Kammler 2010/22013,
S.309) Einer der Gründe dürfte sein, dass es sich nicht so ohne
Weiteres in Kompetenzen "übersetzen" lässt.
Aber auch der •
deskriptiv
hermeneutisch-strukturalistische Ansatz kommt im
Literaturunterricht wohl nur wenig zum Tragen, weil er wohl
allzu leicht zur "Erbsenzählerei" von
Intertextualitätsmarkierungen tendiert, ohne wirklich
Substantielles für die Bedeutungskonstruktion und die
Interpretation eines Textes zu leisten. Hier muss schon eine
ziemlich • detaillierte
systematische Analyse und Beschreibung versucht werden, die
allerdings im Unterricht wohl nur bei Texten sinnvoll sein kann,
die einen besonders intensiven Text-Text-Bezug im Sinne von
Einzeltextreferenzen aufweisen.
Ein Ansatz aber,
wie der von »Harold
Bloom (1930-2019), der "gar nicht den Text als das wesentliche
Phänomen, sondern die Beziehung zwischen den Texten, und zwar auch zu
den persönlichen Texten
des Lesers" (Kepser/Abraham
42016,S. 265) für relevant hält, sind auch für die
Literaturdidaktik mehr als interessant. Blooms Ansatz nimmt eine
"Zwischenstellung" zwischen den "idealtypisch akzentuierten
Richtungen" der poststrukturalistischen und der
hermeneutisch-strukturalistischen Intertextualitätskonzepten ein.
(vgl.
Martinez 1996/82008, S.443) Er rekonstruiere die
Literaturgeschichte als einen intertextuellen, aber
innerliterarischen Kampf von Autoren gegen ihre kanonischen
Vorbilder. Daher sei auch jeder bedeutende Autor auf literarische
Vorbilder bezogen und arbeite stets daran, diese Vorbilder zu
verdrängen. Um zu einem eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden,
müsse er die Werke seiner Vorbilder notwendiger Weise missverstehen
(misreading).
Blooms Ansatz macht das
Vergleichen als einen der fundamentalen Prozesse bei der
Literaturrezeption sichtbar, wie es auch ▪
kognitionspsychologische Konzepte des Textverstehens immer wieder
betonen.
So sind Vergleiche, die mit schon vorhandenen mentalen
Repräsentationen unterschiedlichster Art bei der Rezeption vorgenommen
werden, für die ▪
Sinnkonstruktion, den Aufbau eines ▪
Situationsmodells, grundlegend: "Diese Figur erinnert mich an meinen
Vater ..." oder "Dieser Schauplatz erinnert mich an den Ort, wo ich
aufgewachsen bin ..." oder "Diese Geschichte erinnert mich an einen
Film, den ich vor kurzem gesehen habe ..." und viele ähnliche
"persönliche Texte" nehmen also großen Einfluss darauf, wie wir Texte
verstehen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.02.2025