Renate Lachmann (1990, S. 35ff.) hat den
Intertextualitätsbegriff erstmals in den Zusammenhang mit dem
Gedächtnis gestellt und in die so genannte memoria-Diskussion
eingebracht.
"Die Intertextualität der Texte zeigt das
Immer-Wieder-Sich-Neu und Umschreiben einer Kultur, einer
Kultur als Buchkultur und als Zeichenkultur, die sich über ihre
Zeichen immer wieder neu definiert. Das Schreiben ist
Gedächtnishandlung und Neuinterpretation der (Buch-)Kultur
ineins.
Jeder konkrete Text als entworfener Gedächtnisraum
konnotiert den
Makro-Gedächtnisraum, der die Kultur repräsentiert oder als
der die Kultur in Erscheinung tritt." (ebd.
S.36)
Dabei stand das Textgedächtnis letzten Endes für seine
Intertextualität und die Literatur als eine Instanz, die das
Gedächtnis einer Kultur repräsentiert. Dieses Gedächtnis
manifestiert sich in Zeichen und schriftlichen Texten. Schreiben
als "Gedächtnishandlung" konstituiert dabei einen eigenen
Gedächtnisraum, der aber über Konnotationen mit dem
Gedächtnisraum der gesamten Kultur verbunden ist, an dessen
Entwicklung es durch seine Strategien des Weiter-, Um- und
Widerschreibens" (Lachmann/Schahadat
1992/82004, S. 679) partizipiert.
In diesem Konzept, das Intertextualität eng mit einem
Gedächtniskonzept verschränkt, kann das intertextuelle
Gedächtnis des Textes drei verschiedene Strategien anwenden:
Eine Partizipationsstrategie
als dialogische Teilhabe an der Kultur, eine
Transformationsstrategie
als "Usurpation des fremden Wortes" (ebd.,
S.681) und eine tropische
Strategie zur Abwendung des Vorläufertextes. Stets geht es
dabei um "Verbergen, Verstellen, Verschieben und Bewahren von
Sinn" (Vögel
1998)
-
Die
Partizipationsstrategie zielt
dabei auf den "intertextuellen Dialog" und damit die "sich im
Schreiben vollziehende Teilhabe an den Texten der Kultur", bei der
sich ein Text "in die Tradition (einschreibt)", die als "offener
Raum, als Textuniversum" zu verstehen ist. (Lachmann/Schahadat
1992/82004, S.679)
-
Mit der
Transformationsstrategie
tendiert der "Gedächtnisakt dazu, den früheren Text zu verbergen,
ihn unkenntlich zu machen und den fremden Text als den eigenen Text
zu präsentieren." (ebd.)
Es kann als "Überschreiben" verstanden werden, bei dem der fremde
Text dem eigenen gleichgemacht wird. (ebd.)
-
Die
tropische Strategie zielt auf die
"Überbietung", die "Abwehr und Löschung des Vorgängertexts" und
damit auf "ein Wegwenden des Vorgängers" (ebd.,
S.683)
Ähnlich
wie »Michail Michailowitsch Bachtins (1895-1975)
Theorie der
Dialogizität und »Julia
Kristevas (geb. 1941) poststrukturalistisches Konzept der •
Intertextualität ist die
Gedächtnistheorie, die die deutschen Kulturwissenschaftler »Jan
Assmann (1938-2024) und »Aleida
Assmann (geb. 1947) im Anschluss an den
französischen Historiker
Maurice Halbwachs (1877-1945, ermordet im »KZ
Buchenwald) entwickelt haben, ein Modell, das literarische Texte in
den übergreifenden Rahmen kultureller Sinnproduktion stellt (vgl.
Martinez 1996/82008, S. 445)
Die intertextuelle Dimension des Konzepts, die einen sehr weiten
Textbegriff einschließt, rückt es hier in die Nähe poststrukturalistisch
orientierter Intertextualitätskonzepte, zumal es wie diese das Phänomen
nicht nur auf Texte i. e. S. beschränkt.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.02.2025