Foucault hat
der Macht in seinem Denken und Werk nicht von Anfang an diese
herausragende Bedeutung verliehen. In seinen großen historischen
Untersuchungen der 1960er Jahre sind ihm •
Episteme, •
Wissen und der •
Diskurs wohl wichtiger als Fragen, die mit den komplizierten
Beziehungen zwischen Wissen, Macht und •
Subjekt zusammenhängen,
die ihn den 1970er Jahren beschäftigen. Dabei verändert er auch
seine Perspektive auf die Gegenstände seiner Analyse.
Auch wenn er seine bis
dahin verfolgte •
archäologische Perspektive nie ganz aufgibt, entwickelt er nun
eine neue, die
•
genealogische
Perspektive, die die archäologische ergänzt und überlagert.
(vgl.
Kammler 2014, S.303)
Wie die
Archäologie verfolgt auch die Genealogie der Macht, mit der sich
Foucault in 1970er Jahren stärker befasst, das Ziel, die
Kontingenz
unserer gesellschaftlichen Ordnung sichtbar zu machen.
Dazu soll
sie nicht unbedingt als Machttheorie (vgl.
Foucault
1983/192012, S.84) verstanden werden, sondern auf dem Weg der Machtanalyse die Machtpraktiken freilegen, "auf denen das
beruht, was in einer Gesellschaft für wahr gehalten, als richtig
erachtet und als erstrebenswert angesehen wird." (Rosa/Strecker/Kottmann 32018,
S. 295)
Wer die Macht,
die Machtverhältnisse und -beziehungen
verstehen und analysieren will, muss nach Ansicht Foucaults vor
allem von der Vorstellung
lassen, dass die Macht "auf der allgemeinen Matrix einer
globalen Zweiteilung, die Beherrscher und Beherrschte einander
entgegensetzt und von oben nach unten auf immer beschränktere
Gruppen und bis in die Tiefen des Gesellschaftskörpers
ausstrahlt." (Foucault
1983/192012,
S.95) Statt den Blick auf den "Fürsten" zu richten – Foucault bezieht sich
in seiner Genealogie der Macht immer wieder auf den absolutistischen
Fürstenstaat – und damit Macht quasi von oben verstehen zu wollen,
müsse Macht als etwas begriffen werden, das "von unten (kommt)"
(ebd.,
S.95, Hervorh. d. Verf.).
Machtanalyse
muss "unter Verzicht auf die Figur des Fürsten die
Machtmechanismen von einer den
Kräfteverhältnissen immanenten Strategie
entschlüsseln." (ebd.,
S.97). Daher kann man Macht bzw. die "Machtbeziehungen" auch nur von ihren Wirkungen, den
»Funktionsweisen der Macht« her analysieren, rekonstruieren und
beschreiben.
Eine so konzipierte Machtanalyse sieht von dem im
Fürsten verkörperten Prinzip der Souveränität (•
Souveränitätsmacht) ab und richtet den
Blick auf "die Analyse eines vielfältigen und beweglichen Feldes
von Kräfteverhältnissen, in denen sich globale, aber niemals
völlig stabile Herrschaftswirkungen durchsetzen." (ebd.,
S. 103)
So gelte es zu
verstehen,
dass
Macht zwar nie alles umfassen kann, aber "von überall
kommt" (ebd.,
S. 94), und deshalb "überall (ist)" (ebd.,
S. 94, Hervorh. d. Verf.), weil sie sich in allen Bereichen und Kräfteverhältnissen
immer wieder reproduziert.
Daher kann man in den Machtbeziehungen auch
kein Netz sehen, das sich "als etwas Äußeres" über "andere
Typen von Verhältnissen" (ebd.)
wie z. B. soziale oder ökonomische Prozesse oder auch
"Erkenntnisrelationen" oder "sexuelle Beziehungen" wie eine Art
Spinnennetz darüber legt (vgl.
Sich
2018, S.70). Macht ist, so Foucault, dagegen als etwas zu begreifen, dass diesen
"immanent" (Foucault
1983/192012, S.94) bzw. eingeschrieben ist.
Die besondere
Wirkung der Macht beruht darauf eine • "zirkulierende Kraft"
zu sein, die
"mikrophysisch" sämtliche Körper und Subjekte genauso
durchzieht wie die
Institutionen und "Produktionsapparate" (Bublitz 2014,
S.274). Infolgedessen muß sie "analysiert werden als etwas, was zirkuliert und nur
als Verkettung funktioniert." (Foucault
2001, S. 38f., Hervorh. d. Verf.)
Macht hat, wie
Foucault sie versteht, auch nicht per se etwas mit Unterdrückung zu
tun, wie er am Beispiel des Diskurses über die Sexualität und an
dem • Sexualitätsdispositiv in
verschiedenen Zeiten zeigt.
Die allseits beliebte, weil
angeblich so evidente Repressionshypothese, die davon ausgeht, dass seit dem 17.
Jahrhundert ein "System der Unterdrückung des Sexes" (Foucault
1983/192012, S.17) stattgefunden habe, das bis in
die Gegenwart anhalte, wird als "das Regime von Macht – Wissen –
Lust" (ebd.,
S.18) aufgefasst, "das unserem Diskurs über die menschliche
Sexualität unterliegt." (ebd.)
Statt der Repressionshypothese zu folgen, interessiert ihn, die
"»Diskursivisierung des Sexes"« und damit die Frage, "in
welchen Formen, durch welche Kanäle und entlang welcher Diskurse
die Macht es schafft, bis in die winzigsten und individuellsten
Verhaltensweisen vorzudringen, welche Wege es ihr erlauben, die
seltenen und unscheinbaren Formen des Lust zu erreichen, und auf
welche Weise sie die alltägliche Lust durchdringt und
kontrolliert". (ebd.)
Dazu müsse man die "»polymorphen Techniken der Macht«" (ebd.)
erforschen.
Macht ist für
Foucault nicht von vornherein böse und hinterhältig und nur dazu
da, als Instanz Gebote und Verbote auszusprechen, sondern wirkt
auch als • produktive Kraft auf alles ein, "was bildet und formt,
wovon Individuen abhängig sind." (Bublitz 2014,
S.274)