Der auf die Sprachphilosophie »Jacques Derridas
(1930-2004) zurückgehende
»Dekonstruktivismus hat
seit den 1970er Jahren auch in der Literaturwissenschaft eine große Bedeutung gewonnen.
Nichtzuletzt ihr und der »historischen
Diskursanalyse »Michel
Foucaults (1926-1984) ist es zu danken, dass die über
Jahrzehnte herrschende Dominanz hermeneutischer Ansätze in der
Literaturwissenschaft ins Wanken geriet und ihren Anspruch, der
"»Königsweg«" (Bogdal
1996, S.137) zum Verstehen von Texten zu sein, eingebüßt hat.
In der Folge kam es zu Anpassungen und Differenzierungen auch bei
hermeneutischen Ansätzen, die über diesen Weg auch die
Literaturdidaktik erreicht haben.
Die Entwicklung wird von
etlichen Wissenschaftlern als ein grundlegender
Paradigmenwechsel verstanden, der im Kontrast zu der als "hermeneutische Wende" (Frank1986,
S.120) bezeichneten ▪
Entwicklung Anfang des 18. Jahrhunderts "antihermeneutische
Wende" (Bogdal
1996, S.137) genannt wird.
Diese
Entwicklung und ihre komplexen und komplizierten
• sprachphilosophischen sowie zeichentheoretischen Grundlagen
nachzuzeichnen, kann hier selbstredend nicht geleistet werden,
zumal etliche wissenschaftlichen Texte über die Dekonstruktion –
mit wenigen Ausnahmen wie z. B. der Darstellung von
Köppe/Winko (2008) – oft nicht minder kompliziert und wohl
nur ausgesprochenen Expertinnen und Experten zugänglich sind (z.
B.
Pross/Wildgruber 1996/82008)
»Dekonstruktion nennt sich dieses
"Interpretationsmodell“, weil es darum geht, "jede angenommene bedeutungsmäßige Einheit des Textes eben zu dekonstruieren.“ (Steinmetz
1996, S.478) Der Begriff kann dabei auch als "Ausdruck der Entscheidung"
verstanden werden, "Offenheit und Zusammenhanglosigkeit
zuzulassen und freizulegen oder, anders formuliert, die
scheinbar festen und festgefügten Konstruktionen von Texten auf
ihre Offenheit hin zu überprüfen, sie ›auseinanderzunehmen‹, um
ihre Konstruiertheit herauszuarbeiten." (Becker/Hummel/Sander
22018, S.221)
Damit wird, wie
Bogdal (2000, S.14) darlegt, ein "anti-autoritäres" Konzept
verfolgt, dem es darum geht, "etablierte Lesarten von Texten zu
attackieren" und "scheinbar Marginales, das von früheren
Interpreten oder im Text selbst an den Rand gedrängt wurde, in
den Vordergrund zu rücken, um die »logozentrische«
Unterscheidung zwischen Zentralem und Marginalem, Wesentlichen
und Unwesentlichen in einem zweiten Schritt grundsätzlich in
Frage zu stellen." (ebd.)
Die beiden
Bedeutungskomponenten des Begriffs der Dekonstruktion, das
Zerlegen auf der einen und das erneute Zusammenfügen soll
verdeutlichen, dass Texte konstruiert sind und keine, sagen wir
mal überspitzt, göttliche Eingebung darstellen. Wenn Texte
"zerlegt" werden, ergibt sich auch die Möglichkeiten seine
Elemente auf eine neue Art wieder zusammenzusetzen, sie "anders
zu kombinieren, die einzelnen Versatzstücke aus ihrer vertrauten
Umgebung herauszunehmen und in ein anderes Gedankengefüge zu
integrieren." (Becker/Hummel/Sander
22018, S.221)
Gefordert wird
statt einer Lektüre, die vorgibt, den einheitlichen Sinn eines
Textes ermitteln zu können, ein Lesen, das den Texten
"möglichst wenig Gewalt antut. Möglichst wenig Gewalt im Sinne
einer Zurichtung und Reduktion auf die eigenen Begriffe, die man
für die Lektüre mitbringt und an den Text heranträgt. Aber auch
möglichst wenig Gewalt im Sinne der Ausrichtung der Lektüre auf
ein Ziel." (Engelmann
1990, S.30f., zit. n.
Bogdal 2000, S.14) Dennoch "zielt" diese Lektüre auf
"eine Schicht des Textes, von der der Autor nichts weiß oder die
er zumindest nicht beherrscht und die den Zusammenhang des
Textes und damit eine Auffassung in Frage stellt, für die ein
Text nur eine ›transparente Folie‹ über Bedeutung und Sinn ist."
(Wegmann
2007, S.334)
Weil die die
Dekonstruktion "das im Text Ungesagte aufspüren will" (Becker/Hummel/Sander
22018, S.222), betont sie auch Aspekte wie
"Spiel, Vieldeutigkeit, Übertretung und die Verschiebung von
Bedeutungen im Umgang mit Zeichen." (ebd.)
Statt weiter
die klassische hermeneutische "Sinnzentrierungspolitik mit
[..] Heteronomiebeseitigungsverfahren" (Müller 1994, S.138,
Bogdal 1996, S.118) zu betreiben, die darauf aus ist,
"Irritationspunkte, Widersprüchlichkeiten, Doppeldeutigen" (Fingerhut
1995, S.52) mit einer auf die vermeintlich sinnhafte Einheit
und die Sinnhaftigkeit des Ganzen betonenden Verstehenspraxis
einzuebnen oder einfach zu ignorieren, will die Dekonstruktion
genau diese nachweisen und aufzeigen, "wie – ein Text seine
Bedeutung selbst hinterfragt, durchkreuzt und gerade mit solchen
Paradoxien Sinn schafft, z. B. durch Widersprüche zwischen
inhaltlicher Aussage und sprachlicher Form. Die Methode der
Dekonstruktion ist ein kritisches Hinterfragen und Auflösen
eines Textes im weiteren Sinn." (
Wikipedia)
Die
Dekonstruktion will "die Konstruktion der Texte in ihrer
grundsätzlich widersprüchlichen Anlage zeigen" (Jeßing/Köhnen
2007, S.314) und tut dies, indem sie ihre zeichenhafte
Konstruktion herausarbeitet. Um die Textwidersprüche aufzudecken
bedient sie sich einer "Lektürestrategie, mit der versucht wird,
die linguistische Konstruktion eines Textes bloßzulegen und
zugleich in Widersprüche zu verstricken, um sie dadurch
aufzulösen." Dabei sollen Widersprechende, einander störende
Bedeutungslinien sollen bis auf Wort - und Buchstabenebene
zerlegt werden (ebd.),
um grundsätzlich ›die Geltungsansprüche einer auf Ermittlung von
Sinn ausgerichteten Interpretation zu unterlaufen‹ (Wegmann
1997, S.334)" (ebd.).
Gut nachvollziehbare Beispiele dafür liefern
Martyn (1992/82008) und
Köppe/
Winko (2008) im Anschluss an
Hiebel (2006), der •
Franz Kafkas Erzählung •"Ein
Landarzt" dekonstruiert.
Und: "Der
Unterschied zwischen hermeneutischen und dekonstruktiven
(antihermeneutischen) ›Textbefragungen‹ besteht darin, dass die
Hermeneutik von einem quasi
dialogischen Verhältnis zwischen
Text und Interpret ausgeht, das auf ein zunehmend besseres
Verständnis einer im Text enthaltenen Botschaft abzielt. Dabei
wird eine rekonstruierbare Sinneinheit, ein Sinnzusammenhang,
unterstellt." (Wikipedia)
Die zentrale
Prämisse der Dekonstruktion,
dass ein Text "weder seinen Sinn in sich selber hat noch eine Bedeutung, die
im vorausgeht" und "daher auch nicht auf einen authentischen oder
ursprünglichen Sinn hin entziffert werden" kann (Bogdal
1996, S.152) macht diese Unterschiede zu
▪
hermeneutischen Ansätzen,
insbesondere auch dem
▪
werkimmanenten Ansatz, besonders deutlich.