Der nachfolgende
Überblick thematisiert die wichtigsten Fragen, die sich im Zusammenhang
mit der Didaktik der Parabel im Literaturunterricht der Sekundarstufe II
stellen. Dabei führen weitere Links zu entsprechenden Unterseiten, die
sich genauer mit dem einzelnen Aspekt befassen.
Der Umgang mit ▪ Parabeln im Literaturunterricht wirft eine ganze
Reihe von Fragen auf, von denen hier einige aufgegriffen werden.
-
Ab welcher
Klassenstufe gehört die Analyse und Interpretation von Parabeln
zum Gegenstand des Unterrichts?
-
Welche Kompetenzen
werden bei der Interpretation von Parabeln erworben oder
vorausgesetzt?
-
Welche Bedeutung hat die
Textsorten- bzw. Gattungsproblematik für die schulische Interpretation
von Parabeln?
-
Wie können Schülerinnen und
Schüler für das "uneigentliche Sprechen", das der Parabel und ähnlichen
Formen zugrunde liegt, sensibilisiert werden?
-
Wie können bei der Rezeption
auftretende Fremdheitserfahrungen im Umgang mit den Texten überwunden
werden?
-
Wie lassen sich die
verschiedenen Kontexte als Orientierungshilfe zur Interpretation
einbeziehen?
-
Welche Bedeutung hat die
Unterscheidung von Parabeltypen für die Interpretation durch die Schülerinnen
und Schüler?
-
Welche Bedeutung hat in diesem
Zusammenhang die Behandlung von Prototypen im Unterricht?
-
Wie sollten geeignete
Schreibaufgaben zur Interpretation von Parabeln aussehen?
Hier können und sollen nicht alle
diese Fragen eingehend beantwortet werden. Dessen ungeachtet können Hinweise und
Anregungen gegeben werden, die den Umgang mit Parabeln im Unterricht betreffen.
Parabeln als Gegenstand des
Literaturunterrichts ab Klasse 9 und 10
Ab welchem Alter und in
welcher Klassenstufe Parabeln zum Gegenstand des Unterrichts werden sollten,
lässt sich natürlich hier nur sehr vage angeben. Dazu spielen zu viele
textseitige Faktoren (z. B. seine
Dichte oder auch
seine Komplexität) Parabeln eignen sich wohl - soweit sich diese Aussage
angesichts ihrer Formenvielfalt überhaupt so treffen lässt - angesichts
ihrer besonderen Gestaltung von "Uneigentlichkeit" im Allgemeinen erst für
Klassenstufen ab Klasse 9. Moderne Parabeln, deren Rezeption aus
verschiedenen Gründen auch durchaus verstörend wirken kann, sind dagegen
wohl der Sekundarstufe II (ab Klasse 11) zuzuordnen.
Parabeln, vor allem
die ▪ modernen, sind für Schülerinnen und
Schüler oft sehr sperrige Texte, die ihnen, zumindest bei der ersten
Lektüre, gänzlich unverständlich, oft verstörend, aber ziemlich
häufig fremd und erscheinen. Hinter diesen Fremdheitserfahrungen
steht
oft die von solchen Texten ausgelöste »kognitive
Dissonanz, d. h. die Erfahrung, dass das, was man gelesen hat,
einfach nicht so kognitiv zu verarbeiten ist, wie man das gewohnt ist.
Vereinfacht ausgedrückt: Die Muster, mit denen sie dem Gelesenem
Bedeutung bzw. Sinn zuschreiben wollen, funktionieren einfach nicht.
Wenn
wundert's, dass eine solche Erfahrung emotionale Auswirkungen hat,
die "schlechte" Gefühle macht über eigenes Unvermögen bis hin zur
Abwertung des Gelesenen und seines Autors bzw. seiner Autorin in
Bausch und Bogen. Wer die Spannung nur vordergründig aushalten kann, den
dieser unangenehme motivationale Zustand hervorruft, lässt sich von
allem, was einem einen solchen Text unverständlich, fremd, unsinnig
oder sinnlos erscheinen lässt, aber nicht nicht beirren, sondern
biegt sich das Ganze so hin, dass es eben zur eigenen Sicht der
Dinge passt, was sich dieser nicht fügt, wird kurzerhand ignoriert.
Auf der anderen Seite ist kognitive Dissonanz aber
auch eine Chance, wenn die mit ihr verbundenen Unlustgefühle
überwunden werden können (▪
volitionale und
▪
metakognitive Aspekt des Lesens). Dann kann sie Ausgangspunkt
einer Spurensuche werden, die nach den Ursachen ihrer Entstehung bei
einem selbst und in Bezug auf den Text fragt.
Diese Spurensuche kann "von einer erwarteten oder
logischen, geradlinigen Stimmigkeit wegführen und damit
sowohl
Denkrichtungen auslösen als auch dazu anregen, das Denken selbst zu
hinterfragen." (Andringa
2008, S.330). Sich selbstbewusst auf die Reflexion des eigenen
Textverstehens und den Text, der seinen Sinn so gar nicht preisgeben
will, einzulassen, das ist ein spannendes wie auch äußerst
lohnenswertes "Abenteuer", das einem am Ende viel über sich selbst
und über den Text, an dem man sich "gerieben" hat, sagen kann.
Voraussetzung dafür, dass Fremdheitserfahrungen, vor allem, die mit
der Rezeption moderner Parabel oft verbundene
strukturelle Fremdheit überwunden werden kann, sind vielfältige
Erfahrungen im Umgang mit literarischen Texten, die
uneigentliches Sprechen praktizieren und die Möglichkeit diese
Erfahrungen auch im Unterricht zu thematisieren.
Gerade
weil viele Parabeln zu unterschiedlichen Formen von
Fremdheitserfahrungen führen können,
aber keineswegs natürlich nur deshalb, gehören Angebote und
Möglichkeiten, wie Schülerinnen und Schüler über
vielfältige
und vergleichsweise offen gestaltete (Re-)Kontextualisierungsbemühungen
ein vertieftes Textverständnis erlangen können, zu den wichtigsten
Aufgaben bei der Arbeit mit Parabeln im Unterricht.
Dabei
muss auch berücksichtigt werden, dass die Bildung von ▪
Makropropositionen sowie die ▪
Konstruktion eines Situationsmodells zur Sinnkonstruktion von
vielen text- und leserseitigen Bedingungen der
Text-Leser-Interaktion abhängig sind wie z. B. Art und subjektive
Schwierigkeit des Textes, Erwartungen und Ziele des Lesers und sein
Wissen
unterschiedlichster Art (z. B.
Weltwissen, aktives Wissen,
Erfahrungswissen,
Fachwissen,
Sprachwissen,
Textsorten- bzw. Gattungswissen,
Textmusterwissen,
thematisches Wissen etc.) abhängig ist.
Hier also auch Wissensvoraussetzungen zu schaffen oder Möglichkeiten
zum Erwerb solchen Wissens anzubieten, gehört zu den wichtigen
Aufgaben, die ein entsprechendes Lernsetting anbieten soll.
▪
Inferenzbildung beim Lesen kürzerer erzählender Texte
Wenn
es zu den Merkmalen moderner Parabeln gehört, dass sie die Lage des
"modernen" Menschen ins Licht rücken und seine "kosmologische
Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22) zeigen, dann setzt diese Betrachtung nicht
nur umfangreiches Wissen voraus, sondern auch tiefgehende
Reflexionsprozesse über den Sinn des Lebens voraus. Allerdings ist
auch durchaus denkbar, dass die Rezeption von Parabeln und ihre
Behandlung im Unterricht auch solche Reflexionsprozesse anstößt.
Über vorgegebene
Merkmallisten oder Prototypen zum Gattungswissen über Parabeln?
Während die Frage
nach der Bedeutung von ▪
Gattungswissen für ein vertiefteres Verständnis von Parabeln
wohl weitgehend unstrittig ist, kann die Frage, wie dies erworben
werden soll, ▪ sehr
kontrovers beantwortet werden.
Im Schnittpunkt
solcher Überlegungen steht dabei die Entscheidung, dem eher ▪
wissenschaftsorientierten
Ansatz der klassischen Gattungsdidaktik oder dem eher an der
ästhetischen Erfahrung des Leser ansetzenden ▪ "Prototypendidaktik"
zu folgen. Für beide Konzepte gibt es im ▪
Handlungsfeld Literatur schulischen Lernens gute Gründe und beide
Konzepte können in ihrer Anwendung zum Erwerb ▪
literarischer Kompetenz,
insbesondere zur ▪
literarästhetischen
Rezeptionskompetenz.
Aus diesem Grund
empfiehlt sich im schulischen Unterricht ▪
ein flexibler und pragmatischer Umgang jenseits der "reinen"
Lehre, der sich an den Prinzipien der
didaktischen Reduktion zu orientieren versucht.
Da Parabeln aus
verschiedenen Gründen erst in der späten Sekundarstufe I und in der
Sekundarstufe II Gegenstand des Literaturunterricht werden,
haben die Schülerinnen und Schüler gewöhnlich schon vielseitiges
Leseerfahrungen in und außerhalb unterrichtlicher Lernprozesse
gemacht. Dementsprechend fließen deren Ergebnisse und mentalen
Repräsentationen auch in ihre Rezeption und die Arbeit mit Parabeln
im Unterricht ein.
Dabei ist es
zunächst einmal unwichtig, ob das dabei erworbene (Gattungs-)Wissen
an mehr oder weniger ▪
abstrakte Merkmalkataloge gebunden ist und/oder ein Wissen
darstellt, das in einem System
gut begründeter Lernprogression mit ▪
vielfältigen
Leseerfahrungen verknüpft ist. Solche Leseerfahrungen können in
einem ganzheitlichen Ansatz, der
Begriffliches,
Exemplarisches und Imaginatives im Umgang mit literarischen
Formen uneigentlichen Sprechens gleichzeitig mental repräsentieren
will, z. B. im Umgang mit ▪ Fabeln
oder ▪ Gleichnissen gemacht
worden sein. An sie können die im Anschluss folgenden
unterrichtlichen Lehr- und Lernprozesse anknüpfen und sie dabei ggf.
modifizieren.
▪ Prototypen als Orientierungshilfe
anbieten
Ob dabei auch die
Arbeit mit
Definitionen
der
▪ Parabel
Sinn macht, ist in der didaktischen Reflexion zu klären, die eine
Lehrkraft leisten muss, um die Lernprozesse in positiven Lernklima
zu fördern (▪
Scaffolding). Sie sollten aber stets als ▪
Arbeitsdefinitionen verstanden
werden. Dies gilt auch für die beiden nachfolgenden Definitionen,
die zu ihrem Verständnis ganz Unterschiedliches voraussetzen.
-
Die Parabel ist "ein zu einer eigenständigen, lehrhaften Erzählung erweitertes
Gleichnis, das für den Hörer oder Leser eine sittliche, religiöse
oder philosophische Wahrheit bzw. eine Erkenntnis veranschaulicht
und dabei in der Aussage allgemein bleibt. Wichtig ist dabei, dass
jeder Handlungsteil der Erzählung eine Analogie zur Realität
(Lebensverhältnisse der Menschen) bilden kann, jedoch erst aus dem
Gesamten der Parabel erfasst wird." (Studienbuch
neuere deutsche Literaturwissenschaft, 1999, S.166)
-
"Eine P(arabel) ist ein episch-fiktionaler Text mit mindestens
einem
Expliziten
oder
Impliziten
Transfersignal
zur Richtungsänderung des Bedeutens. Dabei kann die Richtungsänderung
ausdrücklich gelenkt werden, kann aber auch offen bleiben im Rahmen
des Bedeutungspotentials des Textes. In keinem Fall enthält der Text
global
anthropomorphisiertes Figural aus der bekannten Realität. -
Ein typisches, aber nicht trennscharfes Merkmal der P. sind Kürze
und skizzenhafte Verknappung. Typologisch unterscheidend ist neben
der Art des Transfersignals (explizit oder implizit) die Vers- bzw.
Prosaform sowie die Funktion als (religiöse)
Erbauungs-P. oder als
Entdeckungs-P." (Zymner 2006a,
S. 306)
Was diese
Definition oder andere Definitionen enthalten, kann, jedenfalls auf
der Basis ▪ klassischer
gattungsdidaktischer Konzepte, zu ihrer Analyse und Interpretation den Fokus auch auf
bestimmte Textsorten- oder Gattungsmerkmale richten und analysieren,
ob, inwieweit und mit welcher Wirkung sie in einem konkreten
Textbeispiel vorhanden sind.
Und selbst wenn durch diesen Merkmalsabgleich "im Hinblick auf die
Interpretation wenig gewonnen ist" (Baßler
2010, S.54), kann dieser klassifikatorischen Ansatz Schülern doch
helfen, notwendiges Gattungs- bzw. Textsortenwissen zu erwerben.
▪
Baustein: Parabel - verschiedene Definitionen
Unterschiede zwischen den
Parabeltypen herausarbeiten
Für
die Arbeit mit Parabeln im Unterricht empfiehlt es sich Parabeln
nach den Typen ▪ traditionellle
(didaktische) Parabel und ▪ moderne Parabel
zu unterscheiden.
Beide Typen sind
bei aller strukturellen Ähnlichkeit so verschieden, dass es sich vor
allem im Literaturunterricht, aber auch bei der schriftlichen
Textinterpretation anbietet, die ▪
Unterschiede zwischen beiden Typen an geeigneten Exemplaren oder
Prototypen herauszuarbeiten.
Die vier wichtigsten
Unterschiede sind
-
Traditionelle und moderne Parabeln haben ganz
unterschiedliche Themen.
-
Die Intentionen, die mit den Texten verfolgt werden, sind
grundlegend andere.
-
Ihre Strukturen sind bei aller Ähnlichkeit sehr verschieden.
-
Die Kommunikation zwischen Erzähler und Leser gestaltet sich
anders.
Die genannten Textsortenmerkmale haben dazu den heuristischen
Zweck, die Parabel von Textsorten wie der ▪
Fabel, dem ▪
Gleichnis, der
▪ Allegorie und der
▪ Kurzgeschichte
abzugrenzen.
Dabei muss man sehen, dass die
Textsortenverwandtschaft, soweit man diesen
Begriff dafür überhaupt verwenden kann, der Parabel größer geworden
ist und größer wird. Die Grenzen zu anderen Textsorten, die nicht
zur engeren Verwandtschaft von Gattungen gehören, die zum Teil wie die
Parabel auch das uneigentliche
Sprechen praktizieren, ist nämlich durchlässiger und fließender
geworden.
Zudem bewegen sich z. B. die Kurzgeschichte oder die
Novelle
und die Parabel in der modernen Literatur aufeinander zu, dass die
Gattungsgrenzen
im Einzelfall verschwinden, was am Ende aber auch
normative Gattungsbegriffe mit festgeschriebenen Textsortenmerkmalen
in Frage stellt.
Woran erkennt man eine Parabel?
Die Frage, wie ein Leser mit Sicherheit erkennen kann, dass der
Wortlaut des Textes "eigentlich" nicht das ist, was seinen Sinn
ausmacht und "dass mit dem Gesagten etwas anderes gemeint ist"
(van
Rinsum 1986b, S.15), können
Definitionen
und Merkmallisten nicht wirklich
beantworten. Sie kann auch an dieser Stelle nicht wirklich
befriedigend beantwortet werden, weil sie als kognitiver
Verarbeitungsprozess im Kontext komplexer ▪
Konstruktionsprozesse steht, die von zahlreichen textseitigen
und leserseitigen Faktoren abhängt.
Es gibt zwar Ansätze, die die Frage, was in der Parabel eigentlich enthalten sein
muss,
das ihren Rezipienten "darauf aufmerksam macht, dass er es auf eine gedankliche Ebene übertragen
muss", (ebd.)
auf Textebene und im Zusammenhang mit dem Kontext auf ihre Weise
beantworten. Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass man, wenn man
implizite
und
explizite Transfersignale (Zymner
1991) auf Textebene oder aus dem Kontext identifizieren kann,
meistens recht wenig in der Hand hat, um - sofern vorhanden -
Analogien zwischen einem Bild- und Sachbereich herzustellen. Sie
stellen schließlich oft nur eine Art Suchaufforderung zur ▪
Sinnkonstruktion dar.
-
Dennoch:
"Stolpersteine" in einem Text, die sich einer einfachen
Sinnkonstruktion in den Weg stellen, bleiben Signale, die auf
"das uneigentliche, gleichnishafte Sagen" (Brettschneider 1971,
S.9) oder die "Uneigentlichkeit" des Textes verweisen.
Vorausgesetzt man "stolpert" tatsächlich, denn die Wahrnehmung
solcher "Stolpersteine" (Kohärenzlücken) ist schließlich ein intrapsychischer, mentaler Vorgang und nicht etwas, was sich auf
Textebene "ereignet". Für die "Uneigentlichkeit" bestimmter
Textsorten zu sensibilisieren oder entsprechende Hinweise darauf
zu geben, gehört zu den Aufgaben des
Literaturunterrichts auch bei anderen Formen wie z. B. der
▪
Allegorie, dem ▪ Gleichnis oder auch
der ▪ Fabel.
-
Das Feststellen
von "Uneigentlichkeit" auf Textebene oder über Kontexte kann
die Frage nach der Bedeutung nicht lösen, zumal viele
Parabeln, insbesondere die modernen, ohnehin kein
Sinnversprechen geben und statt zu Eindeutigkeit eher zu einer
grundsätzlichen Mehrdeutigkeit tendieren (vgl.
Yun
Mi Kim 2012, S.29) Auf einen einzigen Sinn kann eine
konkrete Parabel aber ohnehin nie festgelegt werden.
Für den schulischen Umgang mit der
▪ Parabel
sind prinzipielle Überlegungen, woran man eine Parabel, mithin
Uneigentlichkeit als Strukturprinzip, erkennen kann, wohl eher von
untergeordneter Bedeutung und kann bestenfalls auf dem höchsten
Kompetenzniveau eine Rolle spielen.
Und so tut man in der Schule sicherlich
auch gut daran, die Untiefen der Gattungstheorie und Gattungspoetik
zu
meiden und sich nicht im laufenden Diskurs der Fachwissenschaft über
die Parabel zu
verheddern, ohne sich davon abzukoppeln.
Abkehr von der idealistischen Überhöhung der Parabel
Der Literaturunterricht hat die ▪
idealistische Überhöhung der Parabel, die
"im Anfang des 19. Jahrhunderts etwa von Goethe und Hegel geprägt
wurde" (Yun
Mi Kim 2012, S.19) und lange Zeit die Parabelinterpretation
nicht nur in der Schule geleitet hat, heute hinter sich gelassen.
Die Orientierung der Parabel an Höherem, Allgemeinerem, Universellem
oder Absolutem und ihr dem kompetenten Leser gegebenes
Sinnversprechen hat sich als globale Einstellung gegenüber der Gattung
verflüchtigt und dem Konzept der Vieldeutigkeit literarischer Texte,
insbesondere auch von Parabeln, Platz gemacht.
Ausgangspunkt: Zweigleisige Struktur von Bild- und Sachbereich
Auch wenn die Bedeutung der Doppelstruktur von Bild- und Sachbereich
bei den modernen Vertretern der Parabel im Vergleich zu ihren
traditionellen Verwandten deutlich abgenommen hat, ist die
▪ analoge
Übertragung des Bild- auf einen Sachbereich weiterhin der wichtigste
strukturelle Ansatz für die Interpretation ▪ traditioneller und
▪ moderner
Parabeln in der Schule.
Er lässt sich, das zeigen auch die entsprechenden Beispiele
von ▪ Kafkas Parabeln,
gut verwenden, ohne dass dies für alle, insbesondere die Mischtypen
gelten kann, die "''Real- und Modellsituation zugleich'*" sein können (Yun
Mi Kim 2012, S.22)(*Hillmann
(1973), S. 165 - **Brettschneider
(1971/1980), S.71,
Wäsche 1976, S.16
In der Konsequenz hat auch der
▪ enge Verweisungszusammenhang von
Bild- und Sachbereich, wie er traditionelle Parabeln mit ihrer
didaktischen Funktion auszeichnet, bei modernen Parabeln ausgedient.
Er hat zusehends an Bedeutung verloren
und wird ▪ bei etlichen ihrer Vertreter gänzlich aufgehoben.
Wenn bei der modernen Parabel die Bezugsrahmen von Bild- und
Sachbereich nicht mehr auf einem von Erzähler und Leser im Wesentlichen
geteilten, geschlossenen und konsistenten Menschen- und Weltbild beruht
und sich dieses Faktum auch in beiden Bereichen zeigt, muss auch die
▪
schulische Interpretation von Parabeln sehr "offen" gestaltet werden.
Das schließt auch ein, dass vor allem bei modernen Parabeln sich
nicht
alle Elemente des Bildbereichs einer widerspruchsfreien Übertragung
einem globalen (Gesamt-)Sinn des
Sachbereichs fügen müssen, wenn der Text selbst auch keinerlei
Sinnversprechen geben kann und will.
Die größeren Spielräume bei der Konkretisierung moderner Parabeln
bedeutet indessen nicht, dass es auch moderne Parabeln gibt, die
eindeutiger oder mehrdeutiger sind und das Strukturschema der analogen
Übertragung vom Bild- in einen Sachbereich ein prinzipiell untaugliches
Mittel der Interpretation in der Schule geworden ist. Im Gegenteil:
Gerade ▪
Kafkas Parabeln, wie
z.B.▪
Der Schlag ans Hoftor,
▪
Gibs auf
oder ▪
Heimkehr
zeigen, wie die Grundstruktur von Bild- und
Sachbereich selbst derartig "sperriger" Vertreter der Gattung steuern
und zu einem vertiefteren Verständnis des Textes führen kann, ohne den
Text auf eine einzige Bedeutung festlegen zu wollen oder zu können.
Und selbst im Falle, dass die Übertragung "holpert" oder sogar
scheitert, kann die zweigleisige Struktur der Parabel als heuristische
Hilfe in einem
hermeneutischen Verfahren bei einer
werkimmanenten Interpretation gute Dienste leisten.
Typenbildung nur als grobe Orientierung
Typologische Überlegungen zur systematischen Ordnung von
Parabeln bringen im Allgemeinen nicht viel weiter und die
Fachwissenschaft hat eine Vielzahl von inhaltlich, formal oder
funktional fundierten Begriffe dafür gefunden. Hier ist es
sicherlich sinnvoll, sich auf das Wesentliche zu beschränken und den
jeweiligen Unterrichtszusammenhang zu sehen. Hierbei könnte die
folgende, sicherlich grobe und letztlich nicht zufrieden stellende
Unterscheidung genügen.
Parabel und parabolische Literatur
Auf die begriffliche Unterscheidung von Parabel und parabolischer
Dichtung, wie sie von
Brettschneider
(1971) gefordert wird, kann man, sofern über die Kurzprosa hinaus
keine umfangreicheren Formen der Parabel (z. B. die Dramen
Bertolt Brechts oder die Romane von Franz Kafka
(u. a.
Der Prozess) Unterrichtsgegenstand geworden sind
bzw. werden, in der Schule getrost verzichten.
Für Brettschneider sind dies allerdings keine Parabeln i. e. S.,
sondern Vertreter der parabolischen Dichtung, "welche das karge Gerüst der Parabel durch Erweiterung
der Handlung, theatralische Vergegenwärtigung, psychologische Vertiefung
usf. anreichern, doch das Grundelement der Parabel insofern enthalten, als
auch hier das dichterisch Realisierte nicht das Gemeinte selbst ist,
sondern nur darauf hindeutet."
Es macht auch nicht viel Sinn, bei schulischen Aufgaben zur ▪
Interpretation von Parabeln,
ein Mysterium um die Textsorte aufzubauen, zumal
Interpretationsaufgaben sowie so in einem entsprechenden Kontext des
Literaturunterrichts stehen. Es macht bei
Leistungsaufgaben ohnehin keinen Sinn, Schülerinnen mit Schülern
eben einfach mal so mit einer Parabel von Franz Kafka oder anderen
Autoren zu konfrontieren.
Grundsätzlich
dürften also
Schreibaufgaben zur ▪
Interpretation von Parabeln
die
Schülerinnen und Schüler nicht unvorbereitet treffen. Sie sind Gegenstand
verschiedener unterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse. Ohne Lern-
und Übungsaufgaben, mit denen die Schülerinnen und Schüler die
erforderliche
literarästhetische Rezeptionskompetenz und die erforderlichen
Schreibkompetenzen erwerben und festigen können, werden also
Leistungsaufgaben zur Interpretation von Parabeln sicher nicht in Frage kommen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.10.2024
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