"Jeder Rhetoriker und jeder Redner oder Dichter der neueren Zeit
versteht unter Parabel, Fabel und Allegorie etwas andres. (50)
Ich
definiere das Gleichnis als diejenige Redefigur,
in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert
werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem andern Gebiet
angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes. Ausgeschossen ist
damit jede Verwechslung und Vermengung mit der
Allegorie als
derjenigen Redefigur, in welcher eine zusammenhängenden Reihe von
Begriffen (ein Satz oder Satzkomplex) dargestellt wird
vermittelst einer zusammenhängenden Reihe von ähnlichen Begriffen
aus einem andern Gebiete. [...]
Jesu Gleichnisse sind klar und unmissverständlich gewesen: aber wir
besitzen sie eben nur in verstümmelter Form. Namentlich
das
abgekürzte Gleichnis, bei dem die Sachhälfte entweder ganz
fortgelassen worden oder nur in einem Ansatz vorhanden ist,
erlangt
die Klarheit durch den Zusammenhang, in den der Redner es stellt,
die meisten Reden Jesu aber, auch die parabolischen, sind uns leider
zusammenhangslos oder in falscher Verbindung aufbewahrt worden.
Kurzen Denksprüchen, präzis formulierten Geboten schadet das wenig;
die Bildrede verliert durch Loslösung von ihrem Mutterboden, es sei
denn, dass sie von Hause aus in Vereinzelung, wie das Rätsel wohl
stets, vorgetragen wird. Jesu Gleichnisse sind, wie auch die
Evangelisten noch fühlen, größtenteils innerhalb größerer Reden, bei
bestimmten Veranlassungen zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken
gesprochen werden: sobald wir das den ersten Hörern immer bekannte
Thema nicht kennen oder von unsern Berichterstattern auf falsche
Bahnen gewiesen werden, muss Unsicherheit in der Exegese Platz
greifen. Aber das ist nicht die Schuld der Redeform, so wenig wie
des Redners, sondern lediglich der Überlieferung. Das edler
Rhetorische lässt sich nicht ohne Schaden von seinem Platz reißen
und in Magazinen für spätere Borger aufspeichern;
was fein und
lieblich ist, in der Sprache wie im Gedanken, muss man in seiner
Heimat studieren! (91)
Indess der Kreis der
Parabeln Jesu reicht weiter. Gerade die berühmtesten synoptischen
παραβολαί
sind bisher von uns noch nicht erwähnt worden. Wir unterscheiden sie
von den eigentlichen Gleichnissen als eine besondere Klasse, und der
Bibelleser hat von jeher solch einen Unterschied empfunden, die
hermeneutische Kunst sich wenigstens bemüht ihn begrifflich
festzulegen. (92)
Die volle Gleichartigkeit zwischen »Bild« und »Sache« ist hier
verschwunden. Das Bild liegt immer in der Vergangenheit, die Sache
nicht- Beim Gleichnis verstand sich die Identität der Zeitform auf
beiden Seiten von selbst. Und das scheint nicht der einzige
Unterschied zu sein. Das Bild im Gleichnis ist der jedermann
zugänglichen Wirklichkeit entnommen, weist hin auf Dinge, die jeden
Tage geschehen, auf Verhältnisse, deren Dasein der schlechteste
Wille anerkennen muss (...) Hier dagegen werden uns Geschichten
erzählt, frei von Jesus erfundene, zum Teil mit einer selbst in
kleineren Nebenzügen verschwenderischen Ausführlichkeit; nicht, was
jeder tut, was gar nicht anders sein kann, wird uns vorgehalten,
sondern was einmal jemand getan hat, ohne zu fragen, ob andre Leute
es auch so machen würden. (93)
Wir finden zunächst dieselbe Redeform wieder wie bisher, nur in
einer höheren Potenz. Die
παραβολαί
der zweiten Klasse unterscheiden sich von den reinen Gleichnissen
nicht mehr als die allegorische Erzählung von dem allegorischen Satz
(...), so dass wir mit dem Namen Gleichniserzählung auskämen. Aber
längst ist uns ein besonderer Name für diese Redeformen geläufig:
die Fabel. (94)
Die Mehrzahl der
παραβολαί
Jesu, die erzählende Form tragen, sind Fabeln, wie die des
Stesichoros und des Aesop.
Ich kann
die
Fabel
nur definieren als
Redefigur,
in welcher die Wirkung eines Satzes
(Gedankens)
gesichert werden soll durch Nebenstellung einer auf einem anderen
Gebiet ablaufenden, ihrer Wirkung wegen erdichteten Geschichte,
deren Gedankengerippe den jenes ähnlich ist.
Die Zweigliedrigkeit ist hiermit der Fabel wie dem Gleichnis
zugesprochen. Den hierhergezogenen »Parabeln« kann man sie wohl
nicht abstreiten, denn ihre fast konstante Einleitung: das
Himmelreich ist ähnlich ... hat bloß Sinn, wenn von zwei
verschiedenen Objekten die Rede ist. (...) es bedeutet etwa: Im
Himmelreich geht es so her wie in der folgenden Geschichte; oder: Im
Himmelreich wird nach dem Gesetz verfahren, das in folgender
Erzählung herrscht. (...) Selbst einem
Lessing gegenüber, den
auch hier
HERDER in Feinfühligkeit übertraf, werden wir als das
Fundament den Satz festhalten, (...) dass die Fabel nicht dem
Dichter ihren Ursprung verdankt, sondern dem Redner. Nicht gesungen
oder geschrieben worden sind die ältesten Fabeln, sondern
gesprochen, erfunden im Augenblick und für den Augenblick und nicht
um eine Weisheitsregel oder einen ethischen Lehrsatz anschaulich
vorzutragen, sondern um eine schwierige Situation, in der sich der
Redner befand, zu klären, um
ihre Auffassung und Beurteilung, die er
wünschte, zu sichern.
So
lange die Fabel Fabel bleibt, will sie nicht zur Unterhaltung,
sondern zur Belehrung dienen, und das nicht nur durch Einprägung der
langweiligen abstrakten Morallehren oder Klugheitsregeln, die z. B.
Phaedrus schon seinen Fabeln anhängte, sondern durch
Herausbildung eines gereiften Urteils für die unzähligen
Schwierigkeiten des eignen Lebens. Die Bildhälften guter
Fabeln mochte sich der gelehrige Hörer aufheben, um bei ähnlichen
Gelegenheiten sein Tun oder Lassen wiederum daneben zu stellen: sie
verlangen die Ergänzung eben nicht einen allgemeinen Satz, der in
ihnen steckt oder über ihnen liegt, sondern einen gerade so
besonderen Fall aus der Gegenwart wie der, den sie aus grauer
Vorzeit berichten. Herder hat wahrlich recht mit seinem Satz, eine
richtige Fabel sei eigentlich nur die »zusammengesetzte«!
Wer diese Ausführungen über die Fabel anerkennt, wird sich der
Gleichsetzung der erzählenden
παραβολαί
Jesu mit den Fabeln nicht mehr widersetzen.
Lessing zwar und viele Neuere behaupten, die Parabel begnüge
sich mit der Möglichkeit (...). (100)
Die »Parabeln« Jesu stehen künstlerisch, rhetorisch durchschnittlich
höher als die des Nathan, der wir die in Jes 5 an die Seite
stellen könnten. Jesus erzählt da wie die Fabulisten Aesop,
Stesichoros, »Bidpai« eine Begebenheit aus dem täglichen
Leben, doch nicht um den Hörern die Zeit zur vertreiben, sondern
nach dem Leben, mit strengster Beobachtung der
Wahrscheinlichkeit. Nun tritt in jedem richtig aufgefassten Vorgang
des Lebens ein Gesetz, ein festes Verhältnis zu Tage, und dies
Gesetz, diese Ordnung soll der Hörer bemerken, um sie dann auch auf
höherem Gebiet, dem des religiösen, des inneren Lebens zu erkennen
und sich nach ihr zu richten.
Von Deutung kann in den Parabeln keine
Rede sein. (...) Mehrfach zeigt noch die Tradition, wie sie
ein gewisses Gefühl dafür bewahrt hat, dass die Ähnlichkeit zwischen
Bild und Sache in der Parabel auf auf der Gleichheit des Gesetzes
beruht, das in beiden erscheinen; daher solche Zufügsel hinter den
Parabeln, wie sie bei den Fabeln unter dem Namen
Epimythien begegnen (...).
Christus hat mindestens einen Teil seiner Parabeln so erzählt, wie
ursprünglich jede Fabel erzählt worden;
bei einem bestimmten Anlasse, wo seine Himmelreichsgenossen
Unkenntnis ihrer Pflichten zeigten, hat er ihr Urteil und
dadurch ihr Verhalten zunächst bezüglich des vorliegenden Falles
zurechtrückenwollen, indem er ihnen eine erdichtete Geschichte
vorführte, einem ihnen durchaus zugänglichen Gebiet des niederen
Lebens entnommen (...), wo ihr Urteil nicht schwanken konnte, wo sie
alles in Ordnung fanden, um ihnen dann zu sagen: Nun, in dem uns
jetzt beschäftigenden Falle gilt dieselbe Ordnung, denn da findet
ihr dieselben Verhältnisse. Leider hat man nicht aufbewahrt, wann
und zu welchem Vorfall der Herr seine Parabeln erfunden habe;
(103f.)
Die
Parabel deutet, sie kann nicht gedeutet werden. Dass
einmal zufällig ein Begriff der Bildseite auch noch eine besondere
Ähnlichkeit mit einem entsprechenden der andern Seite aufweist,
kommt selbstverständlich vor, braucht aber nicht vom Fabulisten
beabsichtigt, nicht einmal bemerkt zu sein;
nie haben wir ein Recht,
in seinem Namen über solche Ähnlichkeiten zu philosophieren, wenn er
nicht ausdrücklich darauf hinzeigt. (106)
Eine richtig und vollständig überlieferte
παραβολή bedarf
keines deutenden Wortes, verträgt nicht einmal eins, denn alles in
ihr ist deutlich. Namentlich in dem bildlichen Teil, d. h. dem, der
von der Phantasie des Sprechenden geschaffen oder doch herbeigezogen
wird, ist jedes Wort eigentlich zu verstehen.
Die
παραβολαί
sind rhetorische, nicht poetische Formen.
Drei Klassen sind unter den synoptischen »Parabeln« zu
unterscheiden, von denen zwei eine frei erfundene Erzählung,
eine
eine allgemein anerkannte Erfahrung aus dem Gebiet des täglichen
Lebens bieten.
Letztere ist das Gleichnis, die andern sie die Parabel im engeren
Sinn, d. h. die Fabel im Dienst religiöser Ideen und die
Beispielerzählung. Die Grundform von allen ist die ebenfalls bei
Jesus nicht seltene Vergleichung. Wie jede
παραβολή ein
einheitlich geschlossenes Ganzes ausmacht, will jede auch nur einen
Satz, einen Gedanken, sei es durch eine von fremdem Boden hergeholte
Stütze befestigen, sei es durch Individualisierung veranschaulichen
und einprägen. Eine absonderliche Lehrweise oder Redeweise hat Jesus
in diesen
παραβολαί
nicht für sich ersonnen; (...)
Seine Bilder bewegen sich auf den Gebieten des täglichen Lebens,
scheuen sich auch nicht, das Niedrige, das Sündige zu benutzen:
»alles ist Eurer« lautet ihr Grundsatz; um Klarheit auszugießen über
das Hohe und Göttliche, über Angelegenheiten des Gottesreichs,
um das Himmlische seinen sinnbefangenen Hörern zugänglich zu machen,
hat er freundlich von dem Allbekannten sie aufwärts geleitet zu dem
Unbekannten, hat er an den Bändern der Ähnlichkeit ihre Seelen
von dem Gemeinen hinausgezogen zum Ewigen. Die ganze Welt, auch das
Weltliche in ihr, hat er in sein seinen Dienst genommen mit
königlicher Großherzigkeit, um die Welt zu überwinden, mit ihren
Waffen hat er sie geschlagen. Kein Mittel hat er unversucht
gelassen, kein Mittel des Worts, um das Wort Gottes an und in die
Herzen seiner Hörer zu bringen,
nur die Allegorie, die nicht verkündigt, sondern verhüllt, die
nicht offenbart, sondern verschließt, die nicht verbindet, sondern
trennt, die nicht überredet, sondern zurückweist, diese Redeform
konnte der klarste, der gewaltigste, der schlichteste aller Redner
für seine Zwecke nicht gebrauchen. (117f.)
(aus: Adolf Jülicher (1976), Die
Gleichnisreden Jesu, zit. n.
Dithmar 1982, S.197-202)
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Definition
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
21.12.2023