Ein Bauer hatte einen Esel und eine Ziege.
Weil nun der Esel sehr viel arbeiten und große Lasten tragen musste,
erhielt er ein reichlicheres und besseres Futter als die Ziege.
Diese beneidete den Esel, und um ihn um die bessere Kost zu bringen,
oder doch wenigstens ihm Schläge einzutragen, sprach sie eines Tages zu
ihm:
»Höre, lieber Freund! Oft schon habe ich dich von Herzen bedauert, dass
du Tag für Tag die schwersten Lasten tragen und vom Morgen bis Abend
arbeiten musst; ich möchte dir wohl einen guten Rat geben.«
»Warum nicht?« sagte der Esel, »ich bitte dich sogar darum!«
»Nun, so höre: Wenn du an eine Grube kommst, so stürze dich hinein,
stelle dich verletzt, und dann wirst du längere Zeit Ruhe haben und
nichts arbeiten dürfen.«
Dem Esel schien dies ein ganz guter Vorschlag, und kaum war er
anderntags mit einer Last bei einer Grube angekommen, als er auch schon
den Rat befolgte. Wie aus Zufall trat er fehl und stürzte hinein. Aber
das hatte er sich nicht gedacht! Halb tot lag er da und dass er sich
nicht ein Bein gebrochen, war ein Glück. Ganz geschunden wurde er
herausgeholt und konnte sich kaum nach Hause schleppen.
Sein Herr hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Vieharzt zu
schicken, der dann verordnete: der Kranke solle eine frische,
pulverisierte Ziegenlunge einnehmen.
Da dem Herrn der Esel mehr wert war als die Ziege, so ließ er diese
sofort schlachten, um den Esel zu retten.
So büßte die Ziege für ihren bösen Rat mit dem Leben.
Die Folgen des Neides gereichen nicht selten dem Neider selbst zum
Verderben.
(Quelle:
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