▪ Leitfragen zur Analyse der
Zeitgestaltung in einer Erzählung
Zeitdimensionen des Erzähltextes
Neben dem ▪ Ausschnitt, der ▪
Ordnung (Reihenfolge) und der
▪ Frequenz ist die Dauer
eine der grundlegenden Kategorien für die Analyse der ▪
Zeitgestaltung in epischen (narrativen) Texten.
Hinter dem Konzept der Dauer eines Erzähltextes steht die Vorstellung
von zwei verschiedenen Zeitebenen bzw. Zeitdimensionen eines solchen
Textes, denn im Unterschied zu den "Tatsachen der Ordnung oder der
Frequenz" lässt sich die Dauer einer Erzählung eben nicht
"problemlos von der zeitlichen Ebene der Geschichte auf die räumliche
Ebene übertragen" (Genette,
Die Erzählung, 2. Aufl. 1998, S.61)
Während man also bei der Ordnung
die Reihenfolge der Ereignisse vergleichsweise einfach und klar nach dem
Muster "Das Ereignis X folgt dem Ereignis Y und danach kommt dann
das Ereignis Z." ausdrücken kann, ist dies bei der Angabe der Dauer
einer Erzählung nicht möglich.
Dabei
muss man sich erst einmal klarmachen, was eigentlich unter der Dauer
eines Erzähltextes verstanden wird.
Grundsätzlich kann sich
der Begriff auf zwei Dimensionen der Dauer eines epischen Textes
beziehen:
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auf die Dauer als die
Länge der
Erzählung in Zeilen und Seiten (ersatzweise für die eher vage
Vorstellung, wie lange man brauchen würde, die Geschichte zu
erzählen bzw. zu lesen) (= ▪
Erzählzeit)
-
auf die Dauer als den
Zeitrahmen, den die
erzählte
Geschichte umfasst (= ▪ erzählter Zeit)
Zeitliche Brüche sind beim Erzählen ganz normal
Die meisten Erzählungen weisen zeitliche Brüche auf, weil Erzählungen,
die eine "Geschichte mit gleichmäßiger Geschwindigkeit, ohne
Beschleunigungen oder Verzögerungen, in der das Verhältnis Dauer der
Geschichte/Länger der Erzählung immer konstant bliebe" (Genette,
Die Erzählung, 2. Aufl. 1998, S.62), schlechterdings wohl kaum zu
erzählen ist. Solche
isochronen
Erzählungen haben im Vergleich zu
den
anisochronen
Erzählungen mit eben diesen Merkmalen wohl eher hypothetischen
Charakter.
Ellipsen (Aussparungen) erhöhen die Erzählgeschwindigkeit
Die Dauer einer Erzählung und mithin die
Erzählgeschwindigkeit eines epischen (narrativen) Textes hängt u. a.
auch davon ab, ob und wie auf der Ebene der Darstellung bestimmte Ereignisse
ausgespart werden.
Diese "chronologischen Lücken" (ebd.,
S.77) können natürlich unterschiedlich groß sein, d. h. einen kürzeren
oder längeren Zeitraum umfassen.
Oft handelt es sich auch um "ein Geschehen, das für die eigentliche
Geschichte nicht" (Martínez/Scheffel
1998, 10. Aufl. 2016, S.46) oder zumindest (vorläufig) von
untergeordneter Bedeutung ist.
Aussparungen im Zeitablauf des Geschehens werden als (zeitliche)
Ellipsen bezeichnet. Wenn etwas ausgelassen wird, kommt es zu einer
Zeitraffung beim Erzählen (zeitraffendes Erzählen), d. h. die
Erzählgeschwindigkeit des Zeitablaufs wird dadurch beschleunigt.
Dabei lassen sich verschiedene Formen der Ellipsen unterscheiden.
Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist, ob die Aussparung markiert, also
angegeben wird, oder nicht.
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Explizite
Ellipsen zeigen an, dass eine Aussparung vorgenommen wird.
Dabei können sie dazu genaue Angaben machen (z. B. "zwei Stunden
später", "in der nächsten Woche") oder die ausgesparte
Zeitspanne nur vage angeben ("viele Jahre später", "es verging
Woche um Woche").
Manchmal wird die Zeitangabe aber auch erst nachgereicht, wenn
die "eigentliche" Erzählung wieder aufgenommen wird.
Ferner kann die Zeitangabe auch narrativ dadurch erweitert
werden, dass sie Informationen (z. B. Wertungen des Erzählers)
einschließt ("es waren zehn glückliche Jahre, bis der Tag kam,
als ...; "ein durch und durch verregneter Sommer ging zu Ende,
als ...") (= gekennzeichnete Ellipse)
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Implizite
Ellipsen sind stumm, d. h. der Leser erfährt nicht, dass
eine Aussparung vorgenommen wird und über welchen Zeitraum sie
sich erstreckt. In diesem Fall muss der Leser die chronologische
Lücke selbst erkennen oder auf die Aussparung durch die damit
verbundene Unterbrechung des Erzählablaufs selbständig
schließen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
02.06.2024
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