"Die
Tatsachen, die man vielleicht zunächst einmal darbieten sollte, sind
brutal: am Mittwoch, dem 20.2.1974, am Vorabend von Weiberfastnacht,
verlässt in einer Stadt eine junge Frau von siebenundzwanzig Jahren
abends gegen 18.45 Uhr ihre Wohnung, um an einem privaten Tanzvergnügen
teilzunehmen.
Vier Tage später, nach einer man muss es wirklich so ausdrücken (es wird
hiermit auf die notwendigen Niveauunterschiede verwiesen, die den Fluss
ermöglichen) dramatischen Entwicklung, am Sonntagabend um fast die
gleiche Zeit genauer gesagt gegen 19.04 , klingelt sie an der
Wohnungstür des Kriminaloberkommissars Walter Moeding, der eben dabei
ist, sich aus dienstlichen, nicht privaten Gründen als Scheich zu
verkleiden, und gibt dem erschrockenen Moeding zu Protokoll, sie habe
mittags gegen 12.15 in ihrer Wohnung den Journalisten Werner Tötges
erschossen, er möge veranlassen, dass ihre Wohnungstür aufgebrochen und
er dort »abgeholt« werde; sie selbst habe sich zwischen 12.15 und 19.00
Uhr in der Stadt umhergetrieben, um Reue zu finden, habe aber keine Reue
gefunden; sie bitte außerdem um ihre Verhaftung, sie möchte gern dort
sein, wo auch ihr »lieber Ludwig« sei.
Moeding, der die junge Person von verschiedenen Vernehmungen her kennt
und eine gewisse Sympathie für sie empfindet, zweifelt nicht einen
Augenblick lang an ihren Angaben, er bringt sie in seinem Privatwagen
zum Polizeipräsidium, verständigt seinen Vorgesetzten
Kriminalhauptkommissar Beizmenne, lässt die junge Frau in eine Zelle
verbringen, trifft sich eine Viertelstunde später mit Beizmenne vor
ihrer Wohnungstür, wo ein entsprechend ausgebildetes Kommando die Tür
aufbricht und die Angaben der jungen Frau bestätigt findet.
Es soll hier nicht so viel von Blut gesprochen werden, denn nur
notwendige Niveauunterschiede sollen als unvermeidlich gelten, und
deshalb wird hiermit aufs Fernsehen und aufs Kino verwiesen, auf Grusi
und Musicals einschlägiger Art; wenn hier etwas fließen soll, dann nicht
Blut. Vielleicht sollte man lediglich auf gewisse Farbeffekte hinweisen:
der erschossene Tötges trug ein improvisiertes Scheichkostüm, das aus
einem schon recht verschlissenen Bettuch zurechtgeschneidert war, und
jedermann weiß doch, was viel rotes Blut auf viel Weiß anrichten kann;
da wird eine Pistole notwendigerweise fast zur Spritzpistole, und da es
sich im Falle des Kostüms ja um Leinwand handelt, liegen hier moderne
Malerei und Bühnenbild näher als Dränage. Gut. Das sind also die Fakten."
(aus: Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Köln
Kiepenheuer&Witsch 1992, S.11-13)