Wie und auch was Figuren in einem ▪
dramatischen Text sprechen, verweist stets auch auf den
jeweiligen Sprecher selbst zurück. Das hat,
kommunikationstheoretisch betrachtet, seinen Ursprung in der
Polyfunktionalität der dramatischen Rede, die stets
mehrere kommunikative Funktionen, allerdings meisten mit einer
dominierenden Funktion, erfüllt. (vgl. Pfister
1977, S.151)
Die Polyfunktionalität der dramatischen Rede wird deutlich, wenn
man sie z. B. mit den Sprachfunktionen betrachtet, die
»Roman
Jakobson (1896-1982) in seinem ▪
Kommunikationsmodell entwickelt
hat.
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Wie schon eingangs erwähnt, dominiert in der Regel eine der
dargestellten Sprachfunktionen in einer bestimmten
Kommunikationssituation. Dies gilt dementsprechend auch für eine
im Drama gestaltete Kommunikation.
Die dominante Funktion kann dabei in einem dramatischen Text schon im Zuge einer ▪
explizit-auktorialen Charakterisierung im Nebentext, den ▪
Bühnenanweisungen bzw. Regiebemerkungen, festgelegt sein,
muss aber in der Regel aus der von der dramatischen Rede selbst
geschaffenen Sprechsituation in der Analyse des jeweiligen
Sprechakts bei der Rezeption erschlossen werden. Bei der ▪
Inszenierung auf der Bühne
kommen
natürlich weitere paralinguistische Aspekte der dramatischen
Rede (prosodische
Merkmale der Sprache wie Lautstärke, Stimmhöhe etc.) hinzu
sowie das
mimisch-gestische Verhalten der Figuren, welche die jeweils
dominierende Funktion der dramatischen Rede festlegen können.
Dominiert die Ausdrucksfunktion,
auch expressive Funktion
genannt, der dramatischen Rede im
binnenfiktionalen, inneren Kommunikationssystem, dann lassen
sich oftmals aus dem Sprachverhalten und den vorgebrachten
Redeinhalten ▪
Rückschlüsse auf den Charakter einer Figur ziehen.
Expressiv
dominant sind z. B. knappe Ausrufe ("Gift! Gift! Von Eurem
Weibe! – Ich! Ich!" Franz von Weislingen im 5. Akt von Goethes
Drama Götz von Berlichingen), tendenziell wohl alles
monologische Sprechen, insbesondere jedoch ein sogenannter
Reflexionsmonolog. (vgl. Pfister
1977, S.157) Expressiv, ob dominant oder nur
unterschwellig, wirkt auch der ▪
gesellschaftlichen Gestus des Sprechens, wie »Bertolt
Brecht (1898-1956) ihn versteht, mit dem die
gesellschaftliche Bedingtheit des (Sprach-)Handelns sichtbar
gemacht werden soll.
So kann der
Sprachstil, den eine Figur pflegt, unter dem Blickwinkel seiner
Ausdrucksfunktion als
▪
Implizit-figurale Charakterisierungstechnik
also sehr aufschlussreich für die
Interpretation ihres Charakters sein, wenn sich z. B. eine Figur
stets "gepflegt" in einer gehobenen Standardsprache ausdrückt
oder eben umgangssprachlichen "Slang" mit derben Formulierungen
benutzt.
Allerdings ist dieser Korrespondenzbezug zwischen Sprache und
Figur in zahlreichen ▪ Dramen der
geschlossenen Form nicht so einfach möglich. So sprechen
beispielsweise in der Regel alle Figuren in einem ▪
Versdrama einen "rhetorisch
hohen und metrisch gebundenen Stil" (Pfister
1977, S.172). Ähnliches gilt für die ▪
Tragödie.
Die Dramensprache wird auf diese Weise für alle Figuren
gleichermaßen einheitlich gestaltet bzw. ästhetisch
homogenisiert und statt der expressiven dominiert in einem
solchen Fall die
poetische
Funktion der dramatischen Rede. Dass die Figuren in solchen Fällen von der
Normalsprache abweichen und deren Normen durchbrechen, hat
also in der Regel nichts mit dem Charakter der Figuren zu
tun, sondern zielt auf die Reflexion des Lesers bzw.
Zuschauer über die Sprache selbst. Für die Kommunikation der
Figuren untereinander spielt "diese 'unnatürliche'
Redeweise" (vgl.
ebd., S.167), solange sie nicht selbst im Drama in
Dialogen oder Monologen thematisiert wird, keine Rolle.
Im Gegensatz zu
der dominanten poetischen Funktion der Sprache gegenüber ihrer
expressiven in den oben genannten Fällen gestalten sich die
Korrespondenzbezüge zwischen Sprache und Figur hingegen im ▪
naturalistischen Drama ganz anders. Hier sollen
nämlich bestimmte sprachliche ▪
Varietäten
eine Figur
charakterisieren und z. B. ihre Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe von Menschen signalisieren. Dies ist z. B. der
Fall, wenn eine Figur oder sämtliche Figuren ▪
Dialekt
sprechen, der neben dem Merkmal der sozialen Schicht auch eine
Bindung an einen bestimmten Sprachraum aufweist. Daher kommen im
naturalistischen Drama auch die bis dahin auf der Bühne
ausgegrenzten Kleinbürger und Proletarier, die unteren soziale
Schichten, Randgruppen wie Dirnen, Alkoholiker, Geisteskranke zu
Wort und werden Handlungsträger (vgl.
Hofacker
1989/1992, S. 311).
Die
Darstellungsfunktion (referentielle
Funktion) der dramatischen Rede dominiert vor allem dann
gegenüber den anderen Funktionen, wenn ein bestimmtes Geschehen
nur berichtet wird, weil es auf der Bühne aus verschiedenen
Gründen nicht dargeboten wird bzw. dargeboten werden kann.
Solche Berichte stellen z. B. der
Botenbericht,
die
Teichoskopie oder die
Expositionserzählung dar. Sie richten sich als Technik zur
Informationsvergabe primär an den Zuschauer, gehen aber wie beim
Botenbericht nicht unbedingt in ihrer Darstellungsfunktion auf,
sondern können, da dieser ja auch die Aufmerksamkeit der anderen
Figuren und der Zuschauer gleichermaßen erregen und
aufrechterhalten will, auch eine
phatische Funktion, die dazu dient, den Partnerbezug im
Dialog herzustellen und zu intensivieren. (vgl. Pfister
1977, S.155, S. 161)
Die
Appellfunktion (appellative
Funktion) der dramatischen Rede hängt natürlich von der
jeweiligen Kommunikationssituation und dabei insbesondere der
Beziehung zwischen den Dialogpartnern ab, die u. a. darüber
entscheiden kann, ob jemand z. B. eine Empfehlung ausspricht,
einen gut gemeinten Rat oder einen Befehl erteilt, ob und wie
der Sprecher sein Gegenüber beeinflussen oder umstimmen willen.