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(Anonym erschienene
Selbstbesprechung seines eigenen
Dramas "Die
Räuber" (1782), die in der von
Friedrich
Schiller, seinem Freund
Johann Wilhelm Petersen, seinem Lehrer an der
Karlsschule
Jakob Friedrich Abel und Johann Jakob Atzel,
1782 herausgegebenen Zeitschrift .»Wirtenbergisches
Repertorium der Litteratur« erschienen ist. Textgrundlage der
Rezension ist die so genannte
Trauerspielfassung
des Dramas, die Schiller nach der
Uraufführung in Mannheim am
13.1.1782 (→Mannheimer
Soufflierbuch 1781/82) als quasi autorisierte Bühnenfassung seines
Stücks bearbeitet hat. Am Ende findet sich ein erfundener
Vorstellungsbericht über die Uraufführung des Stückes in Mannheim,
der angeblich zwei Tage nach der Uraufführung von einem Korrespondenten
verfasst worden ist.)
Die
Räuber. Ein Schauspiel, von Friedrich Schiller 1782
(Ich nehme es nach der neuesten Theaterausgabe, wie es bisher auf der
Nationalbühne zu Mannheim ist vorgestellt worden.)
Das einzige Schauspiel auf Wirtembergischen Boden gewachsen. Die Fabel
des Stücks ist ohngefähr diese: Ein fränkischer Graf, Maximilian von
Moor, ist Vater von zween Söhnen, Karl und Franz, die sich an Charakter
sehr unähnlich sind. Karl, der ältere, ein Jüngling voll Talenten und
Edelmut, gerät zu Leipzig in einen Zirkel lüderlicher Brüder, stürzt in
Exzesse und Schulden, muß zuletzt mit einem Trupp seiner Spießgesellen
aus Leipzig entfliehen. Unterdes lebte Franz, der jüngere, zu Hause beim
Vater, und da er heimtückischer schadenfroher Gemütsart war, wußte er
die Zeitungen von den Lüderlichkeiten seines Bruders zu seinem eigenen
Vorteil zu verschlimmern, seine reuvollen und rührenden Briefe zu
unterdrücken, andere nachteiligen Inhalts unterzuschieben, und den Vater
dergestalt gegen den Sohn zu erbittern, daß er ihm den Fluch gab und ihn
enterbte.
Karl, durch diesen Schritt zur Verzweiflung gebracht, verwickelt sich
mit seinen Gefährten in ein Räuberkomplott, wird ihr Anführer und führt
sie in Böhmische Wälder. Der alte Graf hatte eine Nichte im Hause, die
den jungen Grafen Karl schwärmerisch liebte. Dieses Mädchen kämpfte mit
allen Waffen der Liebe gegen den Zorn des Vaters, und hätte auch durch
zudringliches Bitten zuletzt ihren Zweck erreicht, wenn nicht Franz, der
von diesem Schritt alles zu besorgen hatte, der nebendem noch Absichten
auf Amalien hegte, durch eine ersonnene List alles vereitelt hätte.
Nämlich er unterrichtete einen seiner Vertrauten, der noch einen
Privatgroll auf den alten und jungen Grafen gefaßt hatte, unter dem
vorgeblichen Namen eines Freunds von Karln, die erdichtete Zeitung vom
Tod dieses letztern zu bringen, und versah ihn hiezu mit den tüchtigsten
Dokumenten. Der Streich gelang, die Trauerpost überraschte den Vater auf
dem Krankenbett, und wirkte so stark auf seinen geschwächten Körper, daß
er in einen Zustand verfiel, den jedermann für den Tod erklärte - Aber
es war nur eine tiefe Ohnmacht. - Franz, der sich durch boshafte
Streiche zu den abscheulichsten Verbrechen erhärtet hatte, benutzte
diesen allgemeinen Wahn, vollzog das Leichenbegängnis, und brachte den
Vater mit Hülfe seines gedungenen Handlangers in einen abgelegenen Turm,
ihn alldort, ferne von Menschen, Hungers sterben zu lassen, und trat
sodenn in den vollkommensten Besitz seiner Güter und Rechte.
Unterdessen hatte sich Karl Moor an der Spitze seiner Rotte durch
außerordentliche Streiche weit und breit ruchtbar und furchtbar gemacht.
Sein Anhang wuchs, seine Güter stiegen, sein Dolch schröckte die
kleinere Tyrannen und autorisierten Beutelschneider, aber sein Beutel
war der Notdurft geöffnet, und sein Arm zu ihrem Schutze bereit. Niemals
erlaubte er sich spitzbübische Dieberei, sein Weg ging gerade, er hätte
sich bälder zehen Mordtaten als einen einzigen Diebstahl vergeben. Das
Gerücht seiner Taten forderte die Gerechtigkeit auf; er wurde in einem
Walde, wo hinein er sich nach einem Hauptstreich mit seiner ganzen Bande
geworfen hatte, umringt, aber der zur Verzweiflung gehetzte Abenteurer
schlug sich mit wenigem Verlust herzhaft durch, und entrann glücklich
aus Böhmen. Itzt verband sich ein flüchtiger edler Böhme mit ihm, den
sein widriges Geschick mit der bürgerlichen Gesellschaft entzweit hatte,
dessen unglückliche Liebesgeschichte die schlafende Erinnerung der
seinigen wieder aufweckte, und ihn zu dem Entschluß bewog, Vaterland und
Geliebte wiederzusehen, welchen er auch schleunig ins Werk setzte.
Hier eröffnet sich die zweite Epoche der Geschichte. Franz Moor genoß
indes in aller wollüstigen Ruhe die Frucht seiner Büberei; nur Amalia
stemmte sich standhaft gegen seine wollüstige Bestürmungen. Karl
erscheint unter einem vorgeblichen Namen -
Wilde Lebensart, Leidenschaft
und lange Trennung hatten ihn unkenntlich gemacht, nur die Liebe, die
sich niemals verleugnet, verweilt über dem sonderbaren Fremdling.
Sinnliches Anschauen überwältigt die Erinnerung, Amalia fängt an, ihren
Karl in dem Unbekannten zu lieben - und zu vergessen, und liebt ihn
doppelt, eben da sie ihm untreu zu werden fürchtet. Ihr Herz verrät sich
dem seinigen, das seinige dem ihrigen, und der scharfsichtigen Furcht
entrinnt keines von beiden. Franz wird aufmerksam, vergleicht, errät,
überzeugt sich und beschließt das Verderben des Bruders. Zum zweitenmal
will er den Arm seines Handlangers dingen, der aber, durch seinen
Undank beleidigt, mit angedrohter Entdeckung der Geheimnisse von ihm
abspringt. Franz, selbst zu feig, einen Mord auszuführen, verschiebt die
unmenschliche Tat. Unterdes war schon der Eindruck von Karl so tief in
das Herz des Mädchens gegangen, daß ein Heldenentschluß auf Seiten des
ersten vonnöten war, ihn zu vertilgen. Er mußte die verlassen, von der
er geliebt war, die er liebte und doch nicht mehr besitzen konnte; er
floh, nachdem sie ihn erkannt, zu seiner Bande zurück. Er traf diese im
nächstgelegenen Wald. Es war der nämliche, worin sein Vater im Turme
verzweifelte, von dem reuigen und rachsüchtigen Hermann (so hieß
Franzens Vertrauter) kümmerlich genährt. Er findet seinen Vater, den er
mit Hülfe seiner Raubwerkzeuge befreit. Ein
Detachement1 von Räubern muß
den abscheulichen Sohn herbeiholen, der aus dem Brand seines Schlosses,
worein er sich aus Verzweiflung gestürzt hatte, mühsam errettet wird.
Karl läßt ihn durch seine Bande richten, die ihn verurteilt, in dem
nämlichen Turme zu verhungern. Nun entdeckt sich Karl seinem Vater, doch
seine Lebensart nicht. Amalia war dem fliehenden Geliebten in den Wald
nachgeflohen, und wird hier von den streifenden Banditen aufgefangen und
vor den Hauptmann gebracht. Karl ist gezwungen, sein Handwerk zu
verraten, wobei der Vater für Entsetzen stirbt. Auch itzt ist ihm seine
Amalia noch treu. Er ist im Begriff, der Glücklichste zu werden, aber
die
schwürige2 Bande steht wider ihn auf, und erinnert ihn an den
feierlich geschwornen Eid. Karl, auch im größesten Bedrängnis noch Mann,
ermordet Amalien, die er nicht mehr besitzen kann; verläßt die Bande,
die er durch dieses unmenschliche Opfer befriedigt hat, und geht hin,
sich selbst in die Hände der Justiz zu überliefern.
Man findet aus diesem
Generabriß3
des Stücks, daß es an wahren
dramatischen Situationen ungemein fruchtbar ist; daß es selbst aus der
Feder eines mittelmäßigen Schriftstellers nicht ganz uninteressant
fließen; daß es in den Händen eines bessern Kopfs ein Originalstück
werden müsse: frage sich nun, wie hat es der Dichter bearbeitet?
Zuerst denn von der Wahl der
Fabel4.
Rousseau4 rühmte es an dem
Plutarch6, daß er erhabene Verbrecher zum Vorwurf seiner Schilderung
wählte.* Wenigstens dünkt es mich, solche bedürfen notwendig einer
ebenso großen Dosis von Geisteskraft als die erhabene Tugendhafte, und
die Empfindung des Abscheus vertrage sich nicht selten mit Anteil und
Bewunderung. Außerdem, daß im Schicksal des großen Rechtschaffenen, nach
der reinsten Moral, durchaus kein Knoten, kein Labyrinth stattfindet,
daß sich seine Werke und Schicksale notwendigerweise zu voraus bekannten
Zielen lenken, welche beim ersten zu ungewissen Zielen durch krumme
Mäander7 sich schlängeln (ein Umstand, der in der dramatischen Kunst
alles ausmacht), außer dem daß die hitzigsten Angriffe und
Kabalen8 des
Lasters nur Binsengefechte gegen die siegende Tugend sind, und wir uns
so gern auf die Partie der Verlierer schlagen, ein Kunstgriff, wodurch Milton9, der
Panegyrikus10 der Hölle, auch den zartfühlendesten Leser
einige Augenblicke zum gefallenen Engel macht, außer dem, sage ich, kann
ich die Tugend selbst in keinem triumphierenden Glanze zeigen, als wenn
ich sie in die Intrigen des Lasters verwickle, und ihre Strahlen durch
diesen Schatten erhebe, denn es findet sich nichts Interessanteres in
der moralisch ästhetischen Natur,
als wenn Tugend und Laster aneinander
sich reiben.
Räuber aber sind die Helden des Stücks, Räuber, und einer, der
auch Räuber niederwägt, ein schleichender Teufel.
Ich weiß nicht,
wie ich es erklären soll, daß wir um so wärmer sympathisieren, je
weniger wir Gehilfen darin haben; daß wir dem, den die Welt ausstößt,
unsere Tränen in die Wüste nachtragen; daß wir lieber mit
Crusoe11 auf der menschenverlassenen Insel uns einnisten, als im drängenden Gewühle der
Welt mitschwimmen. Dies wenigstens ist es, was uns in vorliegendem Stück
an die so äußerst unmoralische Jaunerhorden festbindet. Eben dieses
eigentümliche
Korpus12, das sie der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber
formieren, seine Beschränkungen, seine Gebrechen, seine Gefahren, alles
lockt uns näher zu ihnen, aus einer unmerkbaren Grundneigung der Seele
zum Gleichgewicht meinen wir durch unsern Beitritt, welches zugleich
auch unserm Stolze schmeichelt, ihre leichte unmoralische Schale so lang
beschweren zu müssen, bis sie waagrecht mit der Gerechtigkeit steht.
Je entferntern Zusammenhang sie mit der Welt haben, desto nähern hat unser
Herz mit ihnen. - Ein Mensch, an den sich die ganze Welt knüpft, der
sich wiederum an die ganze Welt klammert, ist ein Fremdling für unser
Herz. - Wir lieben das Ausschließende in der Liebe und überall.
Der Dichter führte uns also in eine
Republik13 hinein, auf welcher, als
auf etwas Außergewöhnlichem, unsere Aufmerksamkeit weilet. Wir haben
eine so
ziemlich vollständige
Ökonomie14
der ungeheuersten
Menschenverirrung, selbst ihre Quellen sind aufgedeckt, ihre Ressorts
angegeben, ihre Katastrophe ist entfaltet. Allerdings würden wir vor dem
kühnen Gemälde der sittlichen Häßlichkeit zurücktreten, wofern nicht der
Dichter durch etliche Pinselstriche Menschlichkeit und Erhabenheit
hineingebracht hätte. Wir sind geneigter, den Stempel der Gottheit aus
den Grimassen des Lasters herauszulesen, als ebendenselben in einem
regelmäßigen Gemälde zu bewundern; eine Rose in der sandigten Wüste
entzückt uns mehr, als deren ein ganzer Hain in den
Hesperischen Gärten15.
Bei Verbrechern, denen das Gesetz als Idealen moralischer Häßlichkeit
die Menschheit abgerissen hat, erheben wir auch schon einen geringern
Grad von Bosheit zur Tugend, so wie wir im Gegenteil all unsern Witz
aufbieten, im Glanz eines Heiligen Flecken zu entdecken. Kraft eines
ewigen Hangs, alles in dem Kreis unserer Sympathie zu versammeln, ziehen
wir Teufel zu uns empor und Engel herunter. Noch einen zweiten
Kunstgriff benutzte der Dichter, indem er dem weltverworfenen Sünder
einen schleichenden entgegengesetzte, der seine scheußlichern Verbrechen
mit günstigerem Erfolge und weniger Schande und Verfolgung vollbringt.
Auf diese Art legen wir nach unserer strengen Gerechtigkeitsliebe mehr
Schuld in die Schale des Begünstigten, und vermindern sie in der Schale
des Bestraften. Der erste ist um so viel schwärtzer, als er glücklicher,
der zweite um so viel besser, als er unglücklicher ist. Endlich hat der
Verfasser vermittelst einer einzigen Erfindung den fürchterlichen
Verbrecher mit tausend Fäden an unser Herz geknüpft. - Der Mordbrenner
liebt und wird wieder geliebt.
Karl Moor
Räuber Moor
ist nicht Dieb, aber Mörder. Nicht Schurke, aber
Ungeheuer. Wofern ich mich nicht irre, dankt dieser seltene Mensch seine
Grundzüge dem
Plutarch16 und
Cervantes**17, die durch den eigenen Geist des
Dichters nach
Shakespearischer18 Manier in einem neuen, wahren und
harmonischen Charakter unter sich
amalgamiert19 sind. In der
Vorrede zum
ersten Plan20 ist der
Hauptriß21 von diesem Charakter entworfen. Die
gräßlichsten seiner Verbrechen sind weniger die Wirkung bösartiger
Leidenschaften als des zerrütteten Systems der guten. Indem er eine
Stadt dem Verderben preisgibt, umfaßt er seinen
Roller mit ungeheuerm
Enthusiasmus; weil er sein Mädchen zu feurig liebt, als sie verlassen zu
können, ermordet er sie; weil er zu edel denkt, als ein Sklave der Leute
zu sein, wird er ihr Verderber; jede niedrige Leidenschaft ist ihm
fremde; die Privaterbitterung gegen den unzärtlichen Vater wütet in
einen Universalhaß gegen das ganze Menschengeschlecht aus.
"Reue und
kein Erbarmen! - ich möchte das Meer vergiften, daß sie den Tod aus
allen Quellen saufen." Zu groß für die kleine Neigung niederer Seelen,
Gefährten im Laster und Elend zu haben, sagt er zu einem Freiwilligen: "Verlaß
diesen schrecklichen Bund! - Lern erst die Tiefe des Abgrunds kennen, eh
du hineinspringst. - Folge mir! mir! und mach dich eilig hinweg." Eben
diese Hoheit der Empfindungen begleitet ein unüberwindlicher Heldenmut
und eine erstaunenswerte Gegenwart des Geistes. Man erblicke ihn,
umzingelt in den Böhmischen Wäldern, wie er sich aus der Verzweiflung
seiner Wenigen eine Armee wirbt - den großen Mann vollendet ein
unersättlicher Durst nach Verbesserung, und eine rastlose Tätigkeit des
Geists. Welches drängende Chaos von Ideen mag in dem Kopfe wohnen, der
eine Wüste fodert, sich zu sammeln, und eine Ewigkeit, sie zu
entwickeln! - Das Aug wurzelt in dem erhabenen armen Sünder, wenn schon
lange der Vorhang gefallen ist, er ging auf wie ein Meteor und schwindet
wie eine sinkende Sonne.
Einen überlegenden Schurken, dergleichen Franz, der jüngere Moor,
ist, auf die Bühne zu bringen - oder besser (der Verfasser gesteht, daß
er nie an die Bühne dachte) ihn zum Gegenstand der bildenden Kunst zu
machen, heißt mehr gewagt, als das Ansehen
Shakespeares22, des größten
Menschenmalers, der einen
Jago23 und
Richard24 erschuf, entschuldigen; mehr
gewagt, als die unglückseligste Plastik der Natur verantworten kann.
Wahr ist es - so gewiß diese letztere an lächerlichen Originalen
auch die luxurierendste Phantasie des Karikaturisten hinter sich läßt;
so gewiß sie zu den bunten Träumen des Narrenmalers Fratzen genug
liefert, daß ihre getreuesten Kopisten nicht selten in den Vorwurf der
Übertreibung verfallen: so wenig wird sie jedennoch diese Idee
unsers Dichters mit einem einzigen Beispiel zu rechtfertigen wissen.
Dazu kommt, wenn auch die Natur, nach einer hundert- und tausendjährigen
Vorbereitung, so unbändig über ihre Ufer träte, wenn ich dies auch
zugeben könnte, sündigt nicht der Dichter unverzeihlich gegen ihre
ersten Gesetze, der dieses Monstrum der sich selbst befleckenden
Natur in eine Jünglings-Seele verlegt? Noch einmal zugegeben,
es sei so möglich - wird nicht ein solcher Mensch erst tausend krumme
Labyrinthe der Selbstverschlimmerung durchkriechen, tausend Pflichten
verletzen müssen, um sie gering schätzen zu lernen - tausend Rührungen
der zum Vollkommenen strebenden Natur verfälschen müssen, um sie
belachen zu können? -. Mit einem Wort, wird er nicht erst alle Auswege
versuchen, alle Verirrungen erschöpfen müssen, um dieses abscheuliche
non plus ultra mühsam zu erklettern? Die moralischen
Veränderungen kennen ebenso wenig einen Sprung als die physischen; auch
liebe ich die Natur meiner Gattung zu sehr, als daß ich nicht lieber
zehenmal den Dichter verdamme, eh ich ihr eine solche krebsartige
Verderbnis zumute. Mögen noch so viel Eiferer und ungedungene Prediger
der Wahrheit von ihren Wolken herunterrufen: Der Mensch neigt sich
ursprünglich zum Verderblichen: ich glaub es nicht, ich denke vielmehr
überzeugt zu sein, daß der Zustand des moralischen Übels im Gemüt eines
Menschen ein schlechterdings gewaltsamer Zustand sei, welchen zu
erreichen zuvörderst das Gleichgewicht der ganzen geistigen Organisation
(wenn ich so sagen darf) aufgehoben sein muß, so wie das ganze System
der tierischen Haushaltung, Kochung und Scheidung, Puls und Nervenkraft
durcheinander geworfen sein müssen, eh die Natur einem Fieber oder
Konvulsionen Raum gibt. Unserm Jüngling, aufgewachsen im Kreis einer
friedlichen, schuldlosen Familie, - woher kam ihm eine so
herzverderbliche Philosophie? Der Dichter läßt uns diese Frage ganz
unbeantwortet; wir finden zu all denen abscheulichen Grundsätzen und
Werken keinen hinreichenden Grund als das armselige Bedürfnis des
Künstlers, der, um sein Gemälde auszustaffieren, die ganze menschliche
Natur in der Person eines Teufels, der ihre Bildung usurpiert, an den
Pranger gestellt hat.
Es sind nicht sowohl gerade die Werke, die uns an diesem grundbösen
Menschen empören - es ist auch nicht die abscheuliche Philosophie - Es
ist vielmehr die Leichtigkeit, womit ihn diese zu jenen bestimmt. Wir
hören vielleicht in einem Kreis Vagabunden dergleichen ausschweifende
Bonmots25
über Moralität und Religion - unser inneres Gefühl empört sich
dabei, aber wir glauben noch immer unter Menschen zu sein, solang wir
uns überreden können, daß das Herz niemals so grundverderbt werden kann,
als die Zunge es auf sich nimmt. Wiederum liefert uns die Geschichte
Subjekte, die unsern Franz an unmenschlichen Taten weit
hinter sich lassen***; und doch schüttelt uns dieser Charakter so
sehr. Man kann sagen: dort wissen wir nur die Fakta, unsre Phantasie hat
Raum, solche Triebfedern darzu zu träumen, als nur immer dergleichen
Teufeleien wohl nicht entschuldigen, doch begreiflich machen können.
Hier zeichnet uns der Dichter selbst die Schranken vor, indem er uns das
Triebwerk enthüllt, unsre Phantasie wird durch historische Fakta
gefesselt; wir entsetzen uns über den gräßlichen
Sophismen26, aber noch
scheinen sie uns zu leicht und luftig zu sein, als daß sie zu wirklichen
Verbrechen - darf ich sagen? - erwärmen könnten. Vielleicht gewinnt das
Herz des Dichters auf Unkosten seiner dramatischen Schilderei; tausend
Mordtaten zu geloben, tausend Menschen in Gedanken zu vernichten ist
leicht, aber es ist eine
herkulische27
Arbeit, einen einzigen Totschlag
wirklich zu begehen. Franz sagt uns in einem Monologen einen wichtigen
Grund: "Verflucht sei die Torheit unsrer Ammen und Wärterinnen, die
unsre Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und gräßliche Bilder
von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß
unwillkürliche Schauer die Glieder des Mannes noch in frostige Angst
rütteln, unsre kühnste Entschlossenheit sperren" u. s. f. Aber wer weißt
es nicht, daß eben diese Spuren der ersten Erziehung in uns unvertilgbar
sind? In der neuen Auflage des Stücks hat sich der Dichter gebessert.
Der Bösewicht hat seinen
Helfershelfer28 verloren und ist gezwungen, seine
eigenen Hände zu brauchen - "Wie? wenn ich selbst hinginge und ihm den
Degen in den Leib bohrte hinterrücks? - Ein verwundeter Mann ist ein
Knabe - frisch! ich wills wagen! (Er geht mit starken Schritten fort,
bleibt aber plötzlich in schreckhafter Erschlaffung stehen.) Wer
schleicht hinter mir? - Gesichter wie ich noch keine sah! - Schneidende
Triller! (Er läßt den Dolch aus dem Kleide fallen.) durch meine Knochen
Zermalmung! - Nein! ich wills nicht tun" u. s. f. Der größeste Weichling
kann Tyrann und Mörder sein, aber er wird seinen
Bravo29 an der
Seite haben, und durch den Arm eines im Handwerk erhärteten Buben
freveln. Oft ist dies Feigheit, aber laufen nicht auch
Schaueranwandlungen der wiederkehrenden Menschheit mit unter?
Dann sind auch die
Räsonnements30, mit denen er sein Lastersystem
aufzustutzen versteht, das Resultat eines aufgeklärten Denkens und
liberalen Studiums. Die Begriffe, die sie voraussetzen, hätten ihn
notwendig veredeln sollen, und bald verleitet uns der Dichter, die
Musen31
allgemein zu verdammen, die zu dergleichen Schelmereien jemals die Hände
führen konnten.
Doch Klag und kein Ende! Sonst ist dieser Charakter, so sehr er mit der
menschlichen Natur mißstimmt, ganz übereinstimmend mit sich selbst; der
Dichter hat alles getan, was er tun konnte, nachdem er einmal den
Menschen überhüpft hatte; dieser Charakter ist ein eigenes
Universum, das ich gern jenseits der
sublunarischen32 Welt, vielleicht in
einen
Trabanten33
der Hölle, einquartiert wissen möchte; seine untreue
Seele schlüpft geschmeidig in alle Masken, und schmiegt sich in alle
Formen: beim Vater hört man ihn beten, schwärmen neben dem Mädchen, und
neben dem Handlanger lästern. Kriechend, wo er zu bitten hat,
Tyrann, wo er befehlen kann. Verständig genug, die Bosheit
eines andern zu verachten, nie so gerecht, sie bei sich
selbst zu verdammen. An Klugheit dem Räuber überlegen, aber
hölzern und feig neben dem empfindsamen Helden. Vollgepfropft
von schweren, entsetzlichen Geheimnissen, daß er selbst seinen Wahnwitz
für einen Verräter hält. "(Nachdem er aus einer Raserei, die sich in
Ohnmacht verlor, zu sich selbst gebracht ward.) Was hab ich gesagt?
Merke nicht drauf, ich hab eine Lüge gesagt, es sei was es wolle."
Endlich in der unglücklichen Katastrophe seiner Intrige, wo er
menschlich leidet? - Wie sehr bestätigt dies die allgemeine
Erfahrung wieder! - wir rücken ihm näher, sobald er sich uns nähert;
seine Verzweiflung fängt an, uns mit seiner Abscheulichkeit zu
versöhnen: Ein Teufel, erblickt auf den Foltern der ewigen Verdammnis,
würde Menschen weinen machen; wir zittern für ihn und über eben das, was
wir so heißgrimmig auf ihn herabwünschten. Selbst der Dichter scheint
sich am Schluß seiner Rolle für ihn erwärmt zu haben: er versuchte durch
einen Pinselstrich ihn auch bei uns zu veredeln: "Hier! nimm diesen
Degen. Hurtig! Stoß mir ihn rücklings in den Leib, daß nicht diese Buben
kommen, und treiben ihren Spott aus mir." Stirbt er nicht bald wie ein
großer Mann, die kleine kriechende Seele!
Es findet sich in der ganzen Tragödie nur ein Frauenzimmer, man
erwartet also billig im Charakter dieser einzigen gewissermaßen die
Repräsentantin ihres ganzen Geschlechts. Wenigstens wird die
Aufmerksamkeit des Zuschauers und Lesers um so unverwandter auf ihr
haften, je einsamer als sie im Kreise der Männer und Abenteurer steht,
wenigstens wird man von den wilden, stürmischen Empfindungen, worin uns
die Räuberszenen herumwerfen, in ihrer sanften weiblichen Seele
auszuruhen gedenken. Aber zum Unglück wollte uns der Dichter hier etwas
Außerordentliches zukommen lassen, und hat uns um das Natürliche
gebracht. Räuber war einmal die Parole des Stücks, der lärmende
Waffenton hat den leisern Flötengesang überstimmt. Der Geist des
Dichters scheint sich überhaupt mehr zum Heroischen und Starken zu
neigen, als zum Weichen und Niedlichen. Er ist glücklich in vollen,
saturierten Empfindungen, gut in jedem höchsten Grade der Leidenschaft,
und in keinem Mittelweg zu gebrauchen. Daher schuf er uns hier ein
weibliches Geschöpf, wobei wir, unbeschadet all der schönen
Empfindungen, all der liebenswürdigen Schwärmerei doch immer das
vermissen, was wir zuerst suchen: das sanfte leidende, schmachtende Ding
- das Mädchen. Auch handelt sie im ganzen Stück durchaus zu wenig, ihr
Roman34 bleibt durch die drei ersten Akte immer auf eben derselben Stelle
stehen (so wie, beiläufig zu sagen, das ganze Schauspiel in der Mitte
erlahmt). Sie kann sehr artig über ihren Ritter weinen, um den man
sie geprellt hat, sie kann auch den Betrüger aus vollem Halse
heruntermachen, der ihn weggebissen hat, und doch auf ihrer Seite kein
angelegter Plan, den Herzeinzigen entweder zu haben, oder zu
vergessen, oder durch einen andern zu ersetzen; ich habe mehr
als die Hälfte des Stücks gelesen und weiß nicht, was das Mädchen will,
oder was der Dichter mit dem Mädchen gewollt hat, ahnde auch nicht, was
etwa mit ihr geschehen könnte, kein zukünftiges Schicksal ist angekündet
oder vorbereitet, und zudem läßt ihr Geliebter bis zur letzten Zeile des
- dritten Akts kein halbes Wörtchen von ihr fallen. Dieses ist
schlechterdings die tödliche Seite des ganzen Stücks, wobei der
Dichter ganz unter dem Mittelmäßigen geblieben ist. Aber vom vierten Akt
an wird er ganz wieder er selbst. Mit der Gegenwart ihres Geliebten
fängt die interessante Epoche des Mädchens an. Sie glänzt in seinem
Strahle, erwärmt sich an seinem Feuer, schmachtet neben dem
Starken, und ist ein Weib neben dem Mann. Die
Szene im
Garten, welche der Verfasser in der neuen Auflage verändert liefert, ist
ein wahres Gemälde der weiblichen Natur, und ungemein treffend für die
drangvolle Situation. Nach einem Selbstgespräch, worin sie gegen die
Liebe zu Karln (der unter einem fremden Namen ihr Gast ist) als gegen
einen Meineid kämpft, erscheint er selbst.
"RÄUBER MOOR. Ich kam, um Abschied zu nehmen. Doch Himmel! Auf welcher
Wallung muß ich Ihnen begegnen?
AMALIA. Gehen Sie, Graf - Bleiben Sie - Glücklich! Glücklich! wären Sie
nur jetzt nicht gekommen! Wären Sie nie gekommen!
RÄUBER MOOR. Glücklich wären Sie dann gewesen? - Leben Sie wohl.
AMALIA. Um Gottes willen! bleiben Sie - Das war nicht meine Meinung! (Die
Hände ringend) Gott! und warum war sie es nicht? - Graf! was tat
Ihnen das Mädchen, das Sie zur Verbrecherin machen? Was tat Ihnen die
Liebe, die Sie zerstören?
RÄUBER MOOR. Sie ermorden mich, Fräulein!
AMALIA. Mein Herz so rein, eh meine Augen Sie sahen! - daß sie
verblindeten, diese Augen, die mein Herz verkehrt haben!
RÄUBER MOOR. Mir! Mir diesen Fluch, mein Engel! Diese Augen sind
unschuldig wie dies Herz.
AMALIA. Ganz seine Blicke! - Graf! ich beschwöre Sie, kehren Sie diese
Blicke von mir, die mein Innerstes durchwüten! - Ihn - Ihn selbst
heuchelt sie mir in diesen Blicken vor, Phantasie die Verräterin - Gehen
Sie! Kommen Sie in Krokodilgestalt wieder, und mir ist besser.
RÄUBER MOOR (mit dem vollen Blick der Liebe). Du lügst, Mädchen.
AMALIA (zärtlicher). Und solltest du falsch sein, Graf? Solltest
du kurzweilen mit meinem schwachen weiblichen Herzen? - Doch wie kann
Falschheit in einem Auge wohnen, das seinen Augen aus dem Spiegel
gleicht! - Ach! und erwünscht! wenn es auch wäre! Glücklich! wenn ich
dich hassen müßte! - Weh mir! wenn ich dich nicht lieben könnte!
RÄUBER MOOR (drückt ihre Hand wütend an den Mund).
AMALIA. Deine Küsse brennen wie Feuer.
RÄUBER MOOR. Meine Seele brennt in ihnen.
AMALIA. Geh - noch ist es Zeit! Noch! - Stark ist die Seele des Manns! -
Feure auch mich an mit deinem Mut, Mann mit der starken Seele!
RÄUBER MOOR. Dein Zittern entnervt den Starken. Ich wurzle hier -
(das Haupt an ihre Brust gedrückt) und hier will ich
sterben.
AMALIA. Weg! laß mich! - Was hast du gemacht, Mann? - Weg mit deinen
Lippen! - Gottloses Feuer schleicht in meinen Adern. (Sie sträubt
sich ohnmächtig gegen seine Bestürmungen) Und mußtest du kommen aus
fernen Landen, eine Liebe zu zerstören, die dem Tode trotzte (Sie
drückt ihn fester an die Brust) Gott vergebe dirs, Jüngling!" u.s.f.
Der Ausgang dieser Szene ist höchst tragisch, so wie sie überhaupt
zugleich die rührendste und entsetzlichste ist. Der Graf hat ihr den
Trauring, den sie ihm vor vielen Jahren gegeben, an den Finger gespielt,
ohne daß sie ihn erkannt hätte. Nun ist er mit ihr am Ziele - wo er sie
verlassen, und sich ihr zu erkennen geben soll. Eine Erzählung ihrer
eigenen Geschichte, die sie für eine andere auslegt, war sehr
interessant. Sie verteidigt das unglückliche Mädchen. Die Szene endet
also:
"RÄUBER MOOR. Meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA. Unglücklich! daß sie dich von sich stieß!
RÄUBER MOOR. Unglücklicher, weil sie mich zwiefach umwindet.
AMALIA. O dann gewiß unglücklich! - Das liebe Mädchen. Sie sei meine
Schwester, und dann noch eine bessere Welt -
RÄUBER MOOR. Wo die Schleier fallen, und die Liebe mit Entsetzen
zurückprallt - Ewigkeit heißt ihr Name - Meine Amalia ist ein
unglückliches Mädchen.
AMALIA (etwas bitter). Sind es alle, die dich lieben und
Amalia heißen?
RÄUBER MOOR. Alle - wenn sie wähnen, einen Engel zu umhalsen, und ein
Totschläger in ihren Armen liegt. - Wehe meiner Amalia! Sie ist ein
unglückliches Mädchen.
AMALIA (im Ausdruck der heftigsten Rührung). Ich beweine sie!
RÄUBER MOOR (nimmt stillschweigend ihre Hand und hält ihr den Ring
vor die Augen). Weine über dich selber - (und stürzt hinaus)
AMALIA (niedergesunken.) Karl! Himmel und Erde!"
Noch wär ein Wort über die
zweideutige Katastrophe der ganzen
Liebesgeschichte zu sagen. Man fragt, war es tragisch, daß der
Liebhaber sein Mädchen ermordet? War es in dem gegebenen Falle
natürlich? War es notwendig? War kein minder
schrecklicher Ausweg mehr übrig? - Ich will auf das letzte zuerst
antworten: Nein! - Möglich war keine Vereinigung mehr,
unnatürlich und höchst undramatisch wär eine Resignation
gewesen. Zwar vielleicht diese letzte möglich und schön auf Seiten des
männlichen Räubers - aber wie äußerst widrig auf Seiten des Mädchens!
Soll sie heimgehen und sich trösten über das, was sie nicht ändern kann?
Dann hätte sie nie geliebt.
Soll sie sich selbst erstechen? Mir
ekelt vor diesem alltäglichen Behulf der schlechten Dramatiker, die ihre
Helden über Hals über Kopf abschlachten, damit dem hungrigen Zuschauer
die Suppe nicht kalt werde. Nein, man höre vielmehr den Dichter selbst,
und beantworte sich dann gelegenheitlich auch die übrige Fragen. Räuber
Moor hat Amalien auf einen Stein gesetzt und entblößt ihr den Busen.
"RÄUBER MOOR. Schaut diese Schönheit, Banditen! - Schmelzt sie euch
nicht? - Schaut mich an, Banditen. Jung bin ich und liebe. Hier
werd ich geliebt. Angebetet. Bis ans Tor des Paradieses bin ich
gekommen. - Sollten mich meine Brüder zurückschleudern? (Räuber
stimmen ein Gelächter an)
RÄUBER MOOR (entschlossen). Genug. Bis hieher Natur! Itzt fängt
der Mann an. Auch ich bin der Mordbrenner einer - und (ihnen entgegen
gegen mit Majestät) euer Hauptmann! Mit dem Schwert wollt ihr mit
euerm Herrn rechten, Banditen? (Mit gebietender Stimme) Streckt
die Gewehre! Euer Herr spricht mit euch! (Räuber lassen zitternd ihre
Waffen fallen)
RÄUBER MOOR. Seht! Nun seid ihr nichts mehr als Knaben, und ich - bin
frei. Frei muß Moor sein, wenn er groß sein will. Um ein Elysium voll
Liebe ist mir dieser Triumph nicht feil. - Nennt es nicht Wahnwitz,
Banditen, was ihr das Herz nicht habt Größe zu nennen; der Witz des
Unglücks überflügelt den Schneckengang der ruhigen Weisheit - Taten wie
diese überlegt man, wenn sie getan sind. Ich will hernach davon reden. (Er
ermordet das Mädchen)"
Die Räuber preisen den Sieg ihres Fürsten. Aber nun seine Empfindungen
nach der Tat.
"RÄUBER MOOR. Nun ist sie mein (indem er sie mit dem Schwert bewacht)
Mein - oder die Ewigkeit ist die Grille eines Dummkopfs gewesen.
Eingesegnet mit dem Schwert hab ich heimgeführt meine Braut, vorüber an
all den Zauberhunden meines Feindes Verhängnis! - Und er muß süß gewesen
sein, der Tod von Bräutigams Händen? Nicht wahr, Amalia?
AMALIA (sterbend im Blut). Süße. (Streckt die Hand aus und
stirbt)
RÄUBER MOOR (zu der Bande). Nun, ihr erbärmlichen Gesellen! Habt
ihr noch was zu fordern? Ihr opfertet mir ein Leben auf, ein Leben, das
schon nicht mehr euer war, ein Leben voll Abscheulichkeit und Schande. -
Ich hab euch einen Engel geschlachtet, Banditen! Wir sind quitt. Auf
dieser Leiche liegt meine Handschrift zerrissen - Euch schenk ich die
eurige" u. s. f.
Offenbar krönt diese Wendung das ganze Stück und
vollendet den
Charakter des Liebhabers und Räubers.
Schlechter bin ich mit dem Vater zufrieden. Er soll zärtlich und
schwach sein, und ist klagend und kindisch. Man sieht es schon daraus,
daß er die Erfindungen Franzens, die an sich plump und vermessen genug
sind, gar zu einfältig glaubt. Ein solcher Charakter kam freilich dem
Dichter zustatten, um Franzen zum Zweck kommen zu lassen, aber warum gab
er nicht lieber dem Vater mehr Witz, um die Intrigen des Sohnes zu
verfeinern? Franz muß allem Ansehen nach seinen Vater durchaus gekannt
haben, daß er es für unnötig hielt, seine ganze Klugheit an ihm zu
verschwenden? Überhaupt muß ich in der Kritik dieses letztern noch
nachholen, daß sein Kopf mehr verspricht, als seine Intrigen erfüllen,
welche, unter uns gesagt, abenteuerlich grob und romanhaft sind. So
mischt sich in die Bedauernis über den Vater ein gewisses verachtendes
Achselzucken, das sein Interesse um vieles schwächt; so gewiß zwar eine
gewisse Passivität des Beleidigten unsern Grimm gegen den Beleidiger
mehr erhitzt als eine Selbstätigkeit des erstern, so gehört doch immer
ein Grad von Hochachtung gegen ihn dazu, um uns für ihn zu interessieren
- und wenn diese Hochachtung nicht auf intellektuelle Vollkommenheiten
geht, worauf geht sie sonst? - Auf die moralischen? - Aber man weißt,
wie genau sich diese letztern mit den ersten
amalgamieren35
müssen, um
anziehend zu sein. Überdies ist der alte Moor mehr Betschwester als
Christ, der seine religiösen Sprüche aus seiner Bibel herzubeten
scheint. Endlich springt der Verfasser mit dem armen Alten gar zu
tyrannisch um, und, unsrer Meinung nach, hätte dieser, wenn er auch dem
zweiten Akte entronnen wäre, durch das Schwert des vierten fallen
sollen. - Er hat ein gar zähes Froschleben, der Mann! das freilich dem
Dichter recht
à propos36 kommen mochte. - Doch der Dichter ist ja auch
Arzt, und wird ihm schon Diät vorgeschrieben haben.
In den kontrastierenden Charakteren der Räuber
Roller,
Spiegelberg,
Schufterle,
Kosinsky,
Schweizer ist der Verfasser glücklicher
gewesen. Jeder hat etwas Auszeichnendes, jeder das, was er haben muß, um
auch noch neben dem Hauptmann zu interessieren, ohne ihm Abbruch zu tun.
Der Rolle
Hermanns, die im ersten Plan höchst fehlerhaft war, ist
in der zweiten Auflage eine vorteilhaftere Wendung gegeben. Es ist eine
interessante Situation, wie sich in der Mitte des vierten Aktes die
beiden Schurken an einander zerschlagen. So wie sich der Charakter
Hermanns erhob, wurde der Charakter des alten
Daniels
in Schatten
gestellt.
Die Sprache und der Dialog dörften sich gleicher bleiben, und im ganzen
weniger poetisch sein. Hier ist dem Ausdruck lyrisch und
episch, dort gar metaphysisch, an einem dritten Ort
biblisch, an einem vierten platt. Franz sollte durchaus
anders sprechen. Die blumigte Sprache verzeihen wir nur der erhitzten
Phantasie, und Franz sollte schlechterdings kalt sein. Das Mädchen hat
mir zuviel im
Klopstock37 gelesen. Wenn man es dem Verfasser nicht an den
Schönheiten anmerke, daß er sich in seinen Shakespeare vergafft hat, so
merkt man es desto gewisser an den Ausschweifungen. Das Erhabene
wird durch poetische Verblümung durchaus nie erhabener, aber die
Empfindung wird dadurch verdächtiger. Wo der Dichter am wahrsten
fühlte und am durchdringendsten bewegte, sprach er wie unser
einer. Im nächsten Drama erwartet man Besserung, oder man wird ihn zu
der Ode verweisen.
Gewisse historische Beziehungen finde ich nicht ganz berichtigt. In der
neuen Auflage ist die Geschichte in die Errichtung des teutschen
Landfriedens38 verlegt worden. Das Stück war in der Anlage der Charaktere
und der Fabel modern zugeschnitten, die Zeit wurde verändert,
Fabel39 und Charaktere blieben. So entstand ein buntfärbiges Ding, wie die
Hosen des
Harlekins40, alle Personen sprechen um viel zu studiert, itzt
findet man Anspielungen auf Sachen, die ein paar hundert Jahre nachher
geschahen oder gestattet werden durften.
Auch sollte durchgängig mehr Anstand und Milderung beobachtet sein. Laokoon41 kann in der Natur aus Schmerz brüllen, aber in der
anschaulichen Kunst erlaubt man ihm nur eine leidende Miene. Der
Verfasser kann vorwenden: ich habe Räuber geschildert, und
Räuber bescheiden zu schildern wär ein Versehen gegen die Natur -
Richtig, Herr Autor! Aber warum haben Sie denn auch Räuber
geschildert?
Nun das Stück von seiten seiner Moral? - Vielleicht findet der Denker
dergleichen darin (besonders wenn er sie mitbringt); Halbdenkern und
ästhetischen Maulaffen darf man es kühnlich konfiszieren. Endlich
der Verfasser - man frägt doch gern nach dem Künstler, wenn man sein
Tableau42
umwendet - seine Bildung kann schlechterdings nur anschauend
gewesen sein; daß er keine Kritik gelesen, vielleicht auch mit keiner
zurechtkommt, lehren mich seine Schönheiten und noch mehr seine
kolossalischen Fehler. Er soll ein Arzt bei einem wirtembergischen
Grenadier-Bataillon sein, und wenn das ist, so macht es dem
Scharfsinn seines Landesherrn Ehre: So gewiß ich sein Werk verstehe, so
muß er starke Dosen in
Emeticis43 ebenso lieben als in
Aestheticis44,
und ich möchte ihm lieber zehen Pferde als meine Frau zur Kur übergeben.
K....r
ANHANG ÜBER DIE VORSTELLUNG DER RÄUBER
Das Stück ist zu verschiedenen Malen in Mannheim gespielt worden. Ich
hoffe meine Leser zu verbinden, wenn ich ihnen einen Brief mitteile, den
mir mein Korrespondent, der dem Schauspiel zu Gefallen dahin abgereist
war, auf Ansuchen darüber geschrieben hat.
"Worms, den 15. Jenner [1782.]
Vorgestern endlich ging die Vorstellung der Räuber des Hrn.
Schillers vor sich. Ich komme soeben von der Reise zurück, und noch warm
von dem Eindruck, setze ich mich nieder, Ihnen zu schreiben. Nun erst
muß ich erstaunen, welche unübersteiglich scheinende Hindernisse der Hr.
Präsident von Dalberg besiegen mußte, um dem Publikum das Stück
auftischen zu können. Der Hr. Verfasser hat es freilich für die Bühne
umgearbeitet, aber wie? Gewiß auch nur für die, die der tätige Geist
Dalbergs beseelt; für alle übrige, die ich wenigstens kenne, bleibt es,
nach wie vor, ein unregelmäßiges Stück. Unmöglich wars, bei den fünf
Akten zu bleiben; der Vorhang fiel zweimal zwischen den Szenen, damit
Maschinisten und Schauspieler Zeit gewännen; man spielte Zwischenakte,
und so entstanden sieben Aufzüge. Doch das fiel nicht auf. Alle Personen
erschienen neu gekleidet, zwei herrliche Dekorationen waren ganz für das
Stück gemacht, Hr. Danzi hatte auch die Zwischenakte neu aufgesetzt, so
daß nur die Unkosten der ersten Vorstellung hundert Dukaten betrugen.
Das Haus war ungewöhnlich voll, daß eine große Menge abgewiesen wurde.
Das Stück spielte ganze vier Stunden, und mich deucht, die Schauspieler
hatten sich noch beeilet.
Doch - Sie werden ungeduldig sein, vom Erfolge zu hören. Im ganzen
genommen, tat es die vortrefflichste Wirkung. Hr. Boek, als
Räuberhauptmann, erfüllte seine Rolle, so weit es dem Schauspieler
möglich war, immer auf der Folter des Affekts gespannt zu liegen. In der
mitternächtlichen Szene am Turm hör ich ihn noch, neben dem Vater
kniend, mit aller pathetischen Sprache den Mond und die Sterne
beschwören - Sie müssen wissen, daß der Mond, wie ich noch auf keiner
Bühne gesehen, gemächlich über den Theaterhorizont lief und nach Maßgab
seines Laufs ein natürliches schröckliches Licht in der Gegend
verbreitete. - Schade nur, daß Hr. Boek für seine Rolle nicht Person
genug hat. Ich hatte mir den Räuber hager und groß gedacht. Hr. Iffland,
der den Franz vorstellte, hat mir (doch entscheidend soll meine Meinung
nicht sein) am vorzüglichsten gefallen. Ihnen gesteh ich es, diese
Rolle, die gar nicht für die Bühne ist, hatt ich schon für verloren
gehalten, und nie bin ich noch so angenehm betrogen worden. Iffland hat
sich in den letztern Szenen als Meister gezeigt. Noch hör ich ihn in der
ausdrucksvollen Stellung, die der ganzen laut bejahenden Natur
entgegenstund, das ruchlose Nein sagen, und dann wiederum, wie
von einer unsichtbaren Hand gerührt, ohnmächtig umsinken: ,Ja! Ja! -
droben einer über den Sternen!' - Sie hätten ihn sollen sehen auf den
Knieen liegen und beten, als um ihn schon die Gemächer des Schlosses
brannten - Wenn nur Hr. Iffland seine Worte nicht so verschlänge, und
sich nicht im Deklamieren so überstürzte! Teutschland wird in diesem
jungen Mann noch einen Meister finden. Hr. Beil, der herrliche Kopf, war
ganz Schweizer. Hr. Meyer spielte den Hermann unverbesserlich, auch
Kosinsky und Spiegelberg wurden seht gut getroffen. Madame Toskani
gefiel, mir zum mindesten, ungemein. Ich fürchtete anfangs für diese
Rolle, denn sie ist dem Dichter an vielen Orten mißlungen. Toskani
spielte durchaus weich und delikat, auch wirklich mit Ausdruck in den
tragischen Situationen, nur zuviel Theater-Affektationen und ermüdende
weinerlich klagende Monotonie. Der alte Moor konnte unmöglich gelingen,
da er schon von Haus aus durch den Dichter verdorben ist.
Wenn ich Ihnen meine Meinung teutsch heraussagen soll - dieses Stück ist
dem ohnerachtet kein Theaterstück. Nehme ich das Schießen, Sengen,
Brennen, Stechen und dergleichen hinweg, so ist es für die Bühne
ermüdend und schwer. Ich hätte den Verfasser dabei gewünscht, er würde
viel ausgestrichen haben, oder er müßte sehr eigenliebig und zäh sein.
Mir kam es auch vor, es waren zu viele Realitäten hineingedrängt, die
den Haupteindruck belasten. Man hätte drei Theaterstücke daraus machen
können, und jedes hätte mehr Wirkung getan. Man spricht indes langes und
breites davon. Übermäßige Tadler und übermäßige Lober. Wenigstens ist
dies die beste Gewähr für den Geist des Verfassers. Bald werden wir es
gedruckt haben. Hr. Hofkammerrat Schwan, der zur Aufnahme des Stücks
sehr viel beigetragen hatte und ein eifriger Liebhaber davon ist, wird
es herausgeben. Ich habe die Ehre zu sein u.s.f.
N."
* Schriften von H. P.
Sturz. In den Denkwürdigkeiten von Rousseau.
** Jedermann kennt den ehrwürdigen Räuber Roque aus dem
Don Quixote.
*** Man erzählt von einem Spitzbuben in unsern Gegenden, der mit
Gefahr seines Lebens Personen, die er nicht einmal kannte, auf die
abscheulichste Weise massakrierte. - Wiederum von einem andern, der,
ohne einigen Mangel an Nahrungsmitteln zu haben, die Kinder der
Nachbarschaft an sich lockte und verzehrte.
Wort- und Sacherklärungen:
1↑ Detachement: veraltete Bezeichnung für eine
militärische Truppenabteilung mit besonderen Aufgaben
2↑ schwürig: durch einen Eid verbunden
3↑ Generalabriß: Abriss hier: knappe Darstellung,
Übersicht, Zusammenfassung;
4↑
Fabel:
h: Handlungsgerüst (kürzeste Form des
Inhalts
einschl. wesentlicher Aufbaumomente)
eines epischen oder dramatischen Textes - (vgl. Glossar: →Fabel,
→plot)
5↑
»Jean-Jacques Rousseau: (* 28. Juni 1712 in Genf; † 2. Juli 1778 in
»Ermenonville bei »Paris),
Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist
der Aufklärung; gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der
Französischen Revolution; hatte großen Einfluss auf die
Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts
6↑
»Plutarch: (griechisch: Πλούταρχος, lateinisch: Plutarchus; *
um 45 in »Chaironeia;
† um 125) griechischer Schriftsteller und Verfasser zahlreicher
biographischer und philosophischer Schriften; in seinen
Parallelbiographien stellt er jeweils die Lebensbeschreibung eines
Griechen und eines Römers vergleichend einander gegenüber, was u. a. die
Gleichwertigkeit griechischer und römischer Kultur beweisen soll
7↑ Mäander: Bezeichnung nach dem heute türkischen
Fluss Mäander; eine ganze Reihe von Windungen oder Schleifen in
naturbelassenen Fluss- oder Bachläufen
8↑ Kabale: Intrige, hinterhältiger Anschlag
9↑
»John
Milton (* 9. Dezember 1608 in »London;
† 8. November 1674 in »Bunhill
bei London) englischer Dichter und Staatsphilosoph; eines seiner
Hauptwerke: das christliche Epos »"Das
verlorene Paradies“ (1667);
10↑ Panegyrikus: Fest- und Lobrede (Haltender)
11↑
»Robinson
Crusoe: Titelfigur des 1719 erstmals erschienenen Romans "Das Leben
und die seltsamen überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe aus York,
Seemann: der 28 Jahre allein auf einer unbewohnten Insel an der Küste
von Amerika lebte, in der Nähe der Mündung des großen Flusses Oroonoque;
Durch einen Schiffbruch an Land gespült, bei dem alle außer ihm ums
Leben kamen. Mit einer Aufzeichnung, wie er endlich seltsam aus den
Händen von Piraten befreit wurde. Geschrieben von ihm selbst.“ des
englischen Schriftstellers »Daniel
Defoe (* als Daniel Foe vermutlich Anfang 1660 in London; † 26.
April 1731 in London); Roman erzählt die Geschichte eines Seemannes, der
mehrere Jahre auf einer Insel als Schiffbrüchiger verbringt. (vgl. →Robinsonade)
12↑ Korpus: hier etwa: Gemeinschaft, soziales Gebilde
13↑ Republik nicht als Bezeichnung einer
Staatsform, z.B. im Sinne einer demokratischen Republik; sondern hier im
Sinne des lateinischen Ursprung des Wortes: res publica = öffentliche
Sache, Gemeinwesen, Staatsgewalt
14↑ Ökonomie: hier gemeint
ist wohl die Entfaltung der Problematik im gesamten Stück
15↑ Hesperische Gärten: in der »griechischen
Mythologie ein wunderschöner Garten mit einem Baum voll goldener
Äpfel, den die »Hesperiden
(= »Nymphen
= die hellsingenden Töchter) bewachen. Genannt werden »Aigle,
»Arethusa,
»Erytheia,
»Hestia,
»Hespere,
»Hesperusa
(auch:
Hesperthusa) und »Hespereia;
auch »Medusa
dazu gezählt; der Baum mit den goldnen Äpfeln lässt die Göttin der Erde,
»Gaia,
»Hera
und »Zeus
zu ihrer Hochzeit wachsen; Die Äpfel verleihen den Göttern ewige Jugend;
Baum wird durch den hundertköpfigen Drachen »Ladon
bewacht, meist als Schlange dargestellt; Nur der griechische Held »Herakles
ist in der Lage, die Äpfel zu erhalten. Durch eine List veranlasst er »Atlas,
den Vater der Hesperiden, ihm die Äpfel zu pflücken, da er sie für die
Erfüllung seiner »zwölf
Arbeiten benötigt; »Eurystheus
jedoch, dem Herakles die Äpfel übergibt, reicht sie weiter an »Athene,
die sie wieder zurück an ihren Platzbringt.
16↑ vgl.
Anm. 6
17↑ »Miguel
de Cervantes (1547-1616); Verfasser des Romans »Don
Quixote (»Don
Quijote) einer
Parodie auf die Ritterwelt; darin werden die Abenteuer eines bereits
betagten, armen Landedelmanns erzählt, der beim Lesen von Ritterbüchern
den Verstand verloren hat. "Wie verzaubert vermag er zwischen
Einbildung, Wirklichkeit und Geschichte nicht mehr zu unterscheiden. Den
»Wust hirnverrückter Erdichtungen«, di er liest, hält er nicht nur für
»volle Wahrheit« und betrachtet alle Menschen, die sie leugnen, für bar
jeder Vernunft. [...] Auf der Suche nach Abenteuern durchzieht er das
Land, um selbst ritterliche Großtaten zu vollbringen, Ungerechtigkeiten
zu beseitigen, Gefahren ruhmvoll zu bestehen und kommenden Zeiten als
Beispiel für die Vollendung und erhabene Würde des Waffenhandwerks zu
dienen [...] Für ihn sind die Großtaten aufgespart, die einen
Menschheitstraum mit Hilfe von Idealen, ja von fixen Ideen verwirklichen
sollen. Da dies kläglich misslingt, muss er die Wirklichkeit zu bösem
Zauber erklären. Er ist »ein närrischer Kluger und Narr, der zur
Klugheit neigte«." (D. Br. in
Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Bd. 2, 1989, S.773f.) (vgl.
auch: →
Von dem, was dem Ritter Don Quijote begegnete (Auszüge)
18↑
»William Shakespeare (* vermutlich23. April 1564 in
»Stratford-upon-Avon;
† 23. Apriljul./
3. Mai 1616greg.in
»Stratford-upon-Avon)
englischer Dichter und einer der
bedeutendsten Dramatiker der Weltliteratur;
19↑ amalgamiert: verbunden, vereinigt
20↑ Gemeint ist die
Vorrede zur Erstausgabe der "Räuber" mit ihren
→Ausführungen über den Charakter von Karl Moor
21↑ Hauptriß: vgl. Anm. 3, h: so viel wie
Hauptaspekte bzw. Grundzüge des Charakters
22↑ vgl.
Anm. 18
23↑ Jago, Figur eines gehässigen Intriganten aus
»William Shakespeares
»Tragödie
"»Othello,
der Mohr von Venedig" [ˌɒˈtɛlo]
oder [əˈtɛləʊ]
(engl. "The Tragœdy of Othello, the Moor of Venice)" ; Erstdruck
1622; erste deutsche Übersetzung Teil der Gesamtübersetzung von
Shakespeares "Theatralischen Werken" (1762-1766) durch
»Christoph
Martin Wieland (1773-1813)
24↑
»Richard:
wohl "»Die
Tragödie von König Richard III." (1593) (engl. The Tragedy of
King Richard the Third) Drama in fünf Akten von »William
Shakespeare über den englischen König »Richard
III.; schließt an »Heinrich
VI., Teil 3 an und ist der letzte Teil der »York-Tetralogie.
25↑ Bonmot: treffender geistreich-witziger
Ausdruck
26↑ Sophismus: Scheinbeweis, Trugschluss, der mit
Täuschungsabsicht gemacht ist; Fehlschluss
27↑ herkulisch: von Herkules = latinisierte dt.
Schreibung des mythischen griechischen Helden der Antike »Herakles
(gr.
Ἡρακλῆς – Hēraklēs: „Der, der sich an Hera Ruhm erwarb“);
"Halbgott", Sohn des »Zeus
und der »Alkmene;
für seine Stärke berühmter allgriechischer Nationalheros, dem göttliche
Ehren zukamen und der in den »Olymp
aufgenommen wurde; Heil- und Orakelgott, Beschirmer der »Gymnasia
(Sportstätten) und Paläste; Schützling der gr. Göttin »Athene;
28↑ Gemeint ist damit die von Schiller gegenüber der
Erstfassung schon im
Mannheimer Soufflierbuch, aber auch in der
Trauerspielfassung vorgenommene Änderung durch
Einfügen einer Szene von
Franz
und
Hermann
(→IV, 8); darin rechnet Hermann, der offenkundig einen
Mordauftrag gegen
Karl
erhalten soll, nachdem er die ja auch ihn
betreffenden Intrigen von Franz durchschaut hat, mit Franz verbal ab,
sagt sich von ihm los und kündigt an, alles an die Öffentlichkeit zu
bringen.
29↑ Bravo: italienische Bezeichnung für Meuchelmörder,
Räuber
30↑ Räsonnement: Überlegung, Erwägung; aber auch:
scheinbar vernünftige Erwägung, Vernünftelei
31↑ Musen: in der »griechischen
Mythologie ursprgl. eine von neun Schwestern als Schutzgöttinnen der
Künste; hier alllgemein: Künste
32↑ sublunarisch: unter dem Mond befindlich
33↑ Trabant: 1. (ehemals) Leibwächter eines
Fürsten. 2. ständiger Begleiter einer vornehmen Standesperson. 3.
Satellit
34↑ hier gemeint
Amalias "Geschichte" bzw. Entwicklung im Drama
35↑ amalgamieren: vgl.
Anm. 19
36↑ à propos: frz.. der Sache, dem Thema
angemessen
37↑
»Klopstock,
Friedrich Gottlieb: geb. am 2.7.1724 in Quedlinburg, gest. am
14.3.1803 in Hamburg; Sohn eines Advokaten; christlich-pietistische
Erziehung; 1745/46 Studium der Theologie in Jena, seit 1746 in Leipzig.
Mitarbeiter der »Bremer Beiträge«, die die ersten drei Gesänge des
»Messias« druckten; Hauslehrer in Langensalza. 1750 in Zürich; ab 1751
in Kopenhagen mit Ehrengehalt des dänischen Königs; 1770 mit Graf
Bernstorff nach Hamburg; gilt als Begründer der Erlebnisdichtung und des
deutschen »Irrationalismus.
Sein Wirken erstreckte sich über große Teile der »Epoche
der Aufklärung, speziell der »Empfindsamkeit.
Des weiteren gilt Klopstock als ein bedeutender Wegbereiter für die
Literaturepoche des »Sturm
und Drang.
38↑ deutscher Landfrieden: Schiller gibt in
der Trauerspielfassung an: "Das Stück spielt in der Zeit, das der ewige
Landfriede in Deutschland errichtet worden ist."; mit dem »ewigen
Landfrieden von 1495 wurde unter Kaiser »Maximilian
I. (1459-1519) im »Heiligen
Römischen Reich das unbefristete Verbot des mittelalterlichen »Fehderechts
verkündet, auch wenn dessen ungeachtet bis weit ins 16. Jahrhundert
hinein im Reichsgebiet noch weiterhin »Fehden
geführt wurden.
39↑ Fabel: vgl.
Anm. 4
40↑ Harlekin: Narrengestalt, Hanswurst; ital.
Arlecchino; Dienerfigur aus der »Commedia
dell’arte der »Renaissance;
trägt gewöhnlich ein buntes Flickengewand aus rautenförmigen Stoffteilen
und eine Kappe mit Stoffhörnern und/oder Hahnenfeder oder »Fuchsschwanz,
manchmal eine »Halbmaske;
in seiner ursprünglichen französischen Gestalt wahrscheinlich ein
uralter mythischer »Luftgeist
zurück, der mitsamt seinem Gefolge (Harlekinsleute) im Stil des
sagenhaften »wilden
Jägers Menschen erschreckte; diese dämonischen und teuflischen Züge
spiegeln sich auch im Verhalten des Harlekin als derben Spaßmacher und
Possenreißer und zeigen sich in seiner Hörnerkappe und der schwarzen
Halbmaske oder seiner fratzenhaften Mimik.
41↑
»Laokoon:
(griech. Λαοκόων); in »griechischer
Mythologie ein »trojanischer
Priester des »Apollon
oder des »Poseidon,
Sohn des »Antenor
oder »Kapys
und Bruder des »Anchises;
warnt im
»Trojanischen Krieg die Trojaner
davor,
das hölzerne
„»Trojanische Pferd“ der Griechen in die Stadt zu ziehen, das
angeblich ein Weihegeschenk der Griechen für die Göttin »Athene
gewesen ist; Laokoon stößt dem Pferd die Lanze eines Kriegers in den
Bauch, was ein nach Metall klingendes, aber von niemandem bemerktes
Geräusch erzeugte (Rüstungen und Waffen der darin befindlichen
griechischen Krieger); nicht lange danach kommen auf Befehl der
erzürnten Athene zwei große Seeschlangen namens Porkes und Chariboia
(oder Kurissia oder Periboia) aus dem Meer, die Laokoons Zwillingssöhne
Antiphas und Thymbraios umschlingen; ihr Vater Laokoon will sie retten
und wird mit seinen Söhnen zusammen von den Schlangen ins Meer gezogen
und erwürgt; in Troja wird darin ein göttliches Zeichen gesehen,
die Warnungen Laokoons und der Seherin »Kassandra
in den Wind zu schlagen und das Pferd in die Stadt zu ziehen, was den
verhängnisvollen Untergang Trojas im Kampf gegen die Griechen
herbeiführt.
42↑
Tableau:
1. Schaubild, das besonders am Anfang oder am Ende (Schlusstableau) bei
szenisch-dramatischen Aufführungen arrangiert wird; 2. erzähltechnisches
Mittel und episches Kompositionselement, das größere personenreichere
Schilderungen umfasst
43↑ Emeticis: spätlat. emiticus; Brechmittel
44↑
Aestheticis: Ästhetik: 1. allgemein jegliche Form des
philosophischen Nachdenkens über das Schöne und die Kunst; bezeichnen.
2. im engeren Sinne Art des systematischen Philosophierens über die
ästhetischen Kompetenzen des Menschen und die Kunst; ab der Mitte des
18. Jahrhunderts eigenständige Teildisziplin der Philosophie,
begründet von »Alexander
Gottlieb Baumgarten (1714-1762) (unvollendetes zweibändiges
Hauptwerk "Aesthetica" 1750/1758) , der in der Ästhetik nicht nur die
Wissenschaft sinnlichen Erkennens, sondern auch des sinnlich Darstellens
und damit eine Theorie der freien Künste, der Rhetorik und der Poetik
fundiert; lehrt in Halle und Frankfurt an der Oder, wo er "Professor der
Weltweisheit und der schönen Wissenschaften" ist; Schiller wird in
seiner Zeit auf der Hohen Karlsschule, vor allem durch den Unterricht
bei seinem Lehrer Abel mit den Lehren Baumgartens in Berührung
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