Die nachfolgende Zusammenstellung gibt eine
umfassende
Inhaltsübersicht über den 2. Akt von
Lessings
Drama »Nathan der Weise«.
>
II,1
Im Palast spielen der Sultan
Saladin
und seine Schwester
Sittah
Schach. Saladin ist in Gedanken aber bei ganz anderen Dingen, so dass er
fast ständig verliert. Geschieht dies, erhält seine Schwester tausend
Dinar als Preis, gewinnt er, dann bekommt sie das Doppelte quasi zum
Trost. Saladins Gedanken, so teilt er Sittah mit, kreisen die ganze Zeit
um die politische Lage in Jerusalem. Saladin, der den abgelaufenen
Waffenstillstand gerne verlängert sähe, hofft irgendwie noch immer den
Frieden dynastisch durch seine wohl kalkulierte Heiratspolitik absichern
zu können. Seinen Vorstellungen nach sollte Sittah mit Prinz Johann,
einem Bruder des englischen Königs Richard Löwenherz, und sein eigener
Bruder
Melek
mit einer Schwester des englischen Königs vermählt werden. Seine Vision
von der dynastischen Verbindung der "besten Häuser in der Welt"
und der aus dieser Verbindung der christlichen und moslemischen
Herrscherhäuser hervorgehenden besonderen Menschen, wird von Sittah
freilich kritisch kommentiert. Sie hält das Ganze Gerede von einem
moslemisch-christlichen Mischstaat für einen geradezu lächerlichen
Traum, der auf einer völligen Verkennung der orthodoxen und
missionarischen Grundeinstellung der Christen beruhe. Deren Stolz lasse
eine dynastische Verbindung ohne vorherigen Übertritt zum christlichen
Glauben nicht zu. Saladin, der darin allerdings keine unüberbückbaren
Gegensätze sieht, macht dagegen allein die machtpolitischen Interessen
der Tempelherrn für das Scheitern seiner Heiratspläne verantwortlich,
die die Festung Akka, das Brautgeschenk der Schwester von Richard
Löwenherz für ihre Heirat mit Melek, nicht herausgäben. Außer diesen
Gedanken treibt Saladin auch die Sorge um die leere Kriegskasse um, die
jetzt angesichts der wiederauflebenden Kämpfe zumindest vorübergehend
mit Krediten aufgefüllt werden muss, die zu besorgen
Al-Hafis
Geschäft sei.
>
II,2
Saladin
erfährt von seinem Schatzmeisters
Al-Hafi,
dass die ersehnten Tributzahlungen aus Ägypten auch in absehbarer
Zeit nicht eintreffen werden. Als er dessen ungeachtet Al-Hafi
auffordert,
Sittah
ihren Gewinn beim Schachspielen auszuzahlen, schenkt ihm Al-Hafi
reinen Wein ein. Sittah ist es gewesen, die mit den von Saladin
erhaltenen Geschenken und Gewinnsummen schon seit längerem die
gesamte Hofhaltung im Palast bestritten hat. Angesichts dieser
prekären Lage fordert der Sultan Al-Hafi auf, wo immer nur möglich
nach möglichen Kreditgebern zu suchen. Dabei stellt er eigene
Bedürfnisse der höfischen Repräsentation hinten an. Für sich
selbst beansprucht er nur Kleidung, ein Schwert und ein Pferd und
darüber hinaus nur noch seinen Glauben an einen Gott. Als Sittah
Al-Hafi auf seine Freundschaft zu seinem "hochgepriesenen"
und gleichermaßen reichen Juden
Nathan
anspricht und diesen damit als möglichen Kreditgeber ins Spiel
bringt, will Al-Hafi, der ja schon um Nathans ablehnende Haltung
seit seinem Gespräch mit ihm weiß, ablenken. Von ihm jedenfalls,
so seine Antwort, sei kein Kredit zu erwarten. Denn Nathan, der nun
wirklich kein Geldverleiher sei, sondern nur als Kaufmann Waren
verkaufe, setze sein Vermögen für die Gabe von Almosen an alle
möglichen Bedürftigen ein. Und gerade mit dieser Einstellung
strebe er aus Eifersucht und Neid auf die Freigiebigkeit Saladins
danach, diesen darin zu übertreffen. Mit dem Hinweis, er wolle sich
wegen des Kredits an einen dunkelhäutigen Kreditgeber (Mohren)
wenden, kann sich Al-Hafi weiteren bohrenden Nachfragen nach Nathan
entziehen.
>
II,3
Saladin
will von
Sittah
Näheres über
Nathan
erfahren. Diese schildert ihn als einen sehr reichen Geschäftsmann,
dem man, wie
Al-Hafi
ihr zugetragen habe, Größe, Edelmut und vorurteilsfreie Klugheit
nachsage. Ihr sei zwar das Ablenken von Nathan durch Al-Hafi
aufgefallen, doch könne sie sich letztlich auf Al-Hafis
widersprüchliche Aussagen auch keinen Reim machen. Allerdings seien
die Charakterzüge Nathans auch nicht weiter von Belang,
entscheidend sei nur, ob er die erforderlichen finanziellen
Möglichkeiten zur Kreditgewährung besitze. Als Saladin mutmaßt,
sie könne dafür plädieren, Nathan gegenüber Gewalt anzuwenden,
beruhigt sie ihn mit dem Hinweis, sie wolle sich einen
"Anschlag" auf Nathan einfallen lassen, mit dem sie nur
dessen Schwächen auszunützen beabsichtige.
>
II,4
Nathan wartet mit
Recha
vor dem seinem Haus, wo es an die Palmen anstößt, auf das Erscheinen des
Tempelherrn. Er will ihn jetzt einfach
direkt anzusprechen. Recha ist deshalb sehr aufgeregt und Nathan nutzt die
Gelegenheit, Recha vorsichtig auf ihre Gefühle für den Tempelherrn
anzusprechen. Diese ist sich aber offensichtlich (noch) nicht darüber im
Klaren, dass sie sich in ihren Retter verliebt hat. Ohne weiter in sie zu
dringen, bittet Nathan Recha nur, ihm die weitere Entwicklung ihrer Gefühle
offen mitzuteilen. Als
Daja zu den beiden
stößt, um zu verkünden, dass der Tempelherr jeden Augenblick um die
Ecke komme, zieht sie sich mit Recha ins Haus zurück, wo die beiden der
Begegnung Nathans mit dem Tempelherrn zusehen können.
>
II,5
Bei ihrer ersten Begegnung versucht
Nathan
mit dem Tempelherrn, der ihm irgendwie
bekannt vorkommt, höflich ins Gespräch zu kommen. Seine Dankesgeste für
die Rettung
Rechas wird allerdings von
dem Tempelherrn brüsk abgelehnt. Was er für die Tochter Nathans getan
habe, hätte für jede x-beliebige andere auch getan, selbst wenn es sich
"nur" um eine Jüdin gehandelt hätte. Nathan, der die
vorurteilsbehafteten Äußerungen herunterspielt und entschuldigt, will
dennoch wissen, ob er etwas für den gefangenen Tempelherrn tun könne.
Doch wird er auch damit im Kern zurückgewiesen, wenngleich der Tempelherr
einräumt, bei der Anschaffung eines neuen Mantels auf ihn zurückzukommen.
Seit seiner Rettungstat ist dieser nämlich an einer Stelle versengt, was
Nathan zum Anlass nimmt, den Mantel an dieser Stelle zu küssen. Erstmals
muss der Tempelherr erkennen, dass ihn die emotionale Rührung Nathans
betroffen gemacht hat. Fortan spricht er diesen nicht mehr einfach als
Jude an, sondern mit Namen und seine zögerlichen, fast stotternden Äußerungen
signalisieren die eigene Betroffenheit. Schließlich räumt er ein, dass
Nathan offenbar genau wisse, nach welchen Grundsätzen die Tempelherrn zu
handeln hätten. Als Nathan dagegen einwendet, diese Grundsätze seien
allen "guten Menschen" gemeinsam, will der Tempelherr von dieser
Gleichmacherei zunächst nichts wissen. Auch Nathans Bild, das ihm das
Miteinander verschiedener Bäume im Wald vor Augen führt, kann ihm seine
religiösen Vorurteile und seine Vorbehalte gegen die von den Juden eingeführte
religiöse Intoleranz, den Stolz nämlich, "nur sein Gott sei der
rechte Gott", nicht nehmen. Und genau diese "fromme
Raserei" stünde hier in Jerusalem wie an keinem anderen Ort der Welt
auf der Tagesordnung. Als er sich zum Gehen wendet, bietet ihm Nathan
seine Freundschaft an, da er erkennt, dass ihnen die Ablehnung von
Intoleranz gemeinsam ist. Der Tempelherr gibt zu, sich in Nathan getäuscht
zu haben und nimmt die Freundschaft an. Gleichzeitig kann er sich nun auch
zu seinen verdrängten Gefühlen für Recha bekennen, die er unbedingt
wiedersehen will.
>
II,6
Daja platzt in das Gespräch zwischen
Nathan
und dem Tempelherrn mit der Nachricht
herein, Saladin wolle Nathan sprechen.
Sie ist ganz aufgeregt, während Nathan zunächst annimmt, der Sultan
interessiere sich vielleicht für die von ihm mitgebrachten Waren. Letzten
Endes sieht er dem Treffen relativ gelassen entgegen, ohne sich von Dajas
Panikmache anstecken zu lassen.
>
II,7
Nachdem
Daja gegangen ist, setzen
Nathan
und der Tempelherr ihr Gespräch fort.
Nathan ist jetzt, da ihn freundschaftliche Bande mit dem Tempelherrn
verbinden, auch bereit,
Saladin für die
Begnadigung des Tempelherrn einen Dienst zu erweisen. Dabei ist er nun
auch zur Gewährung eines Kredits bereit. Ferner ist er entschlossen, sich
bei dem Sultan für den Tempelherrn einzusetzen. Als der Tempelherr ihm
dafür seinen Namen, Curd von Stauffen, nennt, reagiert Nathan gänzlich
überrascht und schaut sich den Tempelherrn sehr genau an. Sein zögerlicher
Einwand, es gebe doch wohl mehrere Träger dieses Familiennamens,
beantwortet der Tempelherr damit, dass schon mehrere Mitglieder des
Geschlechts der von Stauffen , darunter sein Onkel, im Heiligen Land
umgekommen seien. Seine Richtigstellung, er meine nicht seinen Onkel,
sondern seinen Vater, verstärkt noch Nathans argwöhnisch prüfenden
Blick auf ihn. Als der Tempelherr gegangen ist, glaubt Nathan an Wuchs,
Gang und Gestik Wolf von Filnek zu erkennen und erinnert sich an die
Beziehung zwischen den beiden Namen Filnek und Stauffen. Er beschließt,
der Sache nach seinem Besuch bei Saladin auf den Grund zu gehen.
>
II,8
Daja
soll
Recha
auf Anweisung
Nathans
mitteilen, dass einem Treffen mit ihrem
Tempelherrn
nichts mehr im Wege stehe. Gleichzeitig bittet Nathan sie, weiter
stillzuhalten, um seine Pläne in Ruhe verfolgen zu können. Und
selbstverständlich sei er auch bereit, ihre Gewissensnöte mit
gebührenden materiellen Gegenleistungen zu verringern. Daja, die
auf die Bestechungsgeste überhaupt nicht eingeht, weist jeglichen
Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber Nathan entschieden zurück.
>
II,9
Al-Hafi,
der zu
Nathan
gekommen ist, um sich nach der Aufgabe seines Schatzmeisteramtes an
den Ganges zu verabschieden, erfährt zu seinem Erstaunen, dass
Nathan nun offenbar doch gewillt ist,
Saladin
einen Kredit zu gewähren. Ganz entschieden widerspricht er
möglichen Erwartungen Nathans, Saladin sei danach auch eher bereit,
Rat von Nathan anzunehmen. Mit Ironie begleitet Nathan die äußerst
erregte Schilderung des Verhaltens Saladins beim Schachspiel im
Palast, wird aber mit seiner Anspielung auf den unter Umständen
verletzten Stolz Al-Hafis, von diesem entschieden abgeblockt. Da ihm
die Erfolglosigkeit seines Unterfangens, "bei allen schmutz'gen
Mohren" Geld zu leihen, ganz offensichtlich die Motivation
genommen hat, auch weiterhin Schatzmeister zu bleiben, hat er sich
für die Wiederaufnahme seines Lebens als Bettelmönch entschieden.
Es ziehe ihn an den Ganges, wo nur der Mensch an sich, ohne weiteres
Ansehen von Person und Stellung, etwas gelte. Seine Aufforderung an
Nathan, ihn dahin sofort zu begleiten, kann Nathan zumindest im
Augenblick nicht nachkommen, denn er will zunächst noch zu Saladin
und danach noch Abschied nehmen. Al-Hafi, der ihm ins Wort fällt,
ehe Nathan diesen Gedanken zu Ende ausführen kann, will einen
solchen Zeitaufschub nicht gelten lassen und betont, dass nur in der
spontanen Entscheidung die Freiheit des Handelns sichtbar werde. Als
sich Al-Hafi verabschiedet hat, ist Nathan von Al-Hafis
Spontaneität, die er im Einklang von Herz und Verstand sieht,
sichtlich beeindruckt.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.03.2021