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Baustein: Das Motiv des Todes und des Freitodes herausarbeiten
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Suizid bei Jugendlichen
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Überblick
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Ursachen
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Prävention
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Überblick
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Suizidprophylaxe
und Suizidprävention in der Schule
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Aufgaben
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Schulische
Suizid-Präventionsprogramme »
Das Thema bzw.
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Motiv des
Todes und Freitodes zieht sich durch den ganzen Roman •"Arnes Nachlass" von
• Siegfried Lenz.
Das Motiv des Todes ist zunächst einmal, von der Vorgeschichte her
betrachtet, in der Selbstmordtragödie der Familie Helmer zu finden, die der
Aufnahme von Arne in der Pflegefamilie vorangeht. Als •
erweiterter
Suizid oder auch Mitnahmesuizid, bei dem der Vater - ungeklärt bleibt,
ob die Mutter Arnes, dies ebenso will und mitentscheidet - seine ganze
Familie wegen der ihm unlösbar erscheinenden wirtschaftlichen Probleme
auslöschen will.

Der Umgang, den die
Pflegefamilie Arnes mit dessen traumatischer Vergangenheit pflegt, folgt
einem Schweigedogma, das Arne in keiner Weise hilft, diese furchtbaren
Erlebnisse, die ihm darüber hinaus Schuldgefühle machen, zu verarbeiten. Nur
Wiebke ist es, die keine Ruhe gibt, und Arne ein paar Bemerkungen darüber
entlockt.

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Auf Arnes Verschwinden hin reagiert seine Pflegefamilie zunächst
nach dem Muster, dem sie im Umgang mit ernsthaften Problemen und tragischen
Ereignissen immer folgt: Man spricht nicht miteinander darüber,
jeder muss für sich alleine damit fertig werden. Ganz offensichtlich gibt es
bis einen Monat nach Arnes Freitod weder ein offenes Gespräch aller
Beteiligten über das, was mit Arne in der Zeit seiner Zugehörigkeit zur
Familie geschehen ist, noch darüber, was sich am Tag seines Verschwindens
ereignet hat. Dabei ist nicht besonders zu kritisieren, dass selbst der
Vater, obgleich er schon am Tage des tragischen Unglücks davon ausgeht, dass
Arne sich umgebracht hat (vgl. S. 203), offenbar tage- oder wochenlang bei
der Wasserschutzpolizei in Erfahrung bringen will, ob sie Aufklärung über
Arnes Verschwinden geben könne.

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suizidalen
Todesfällen, bei denen zudem keine Leiche gefunden wird, sicher nichts
Außergewöhnliches. Man kann und will in einer solchen Lage das Ganze nun
einmal nicht wahrhaben. Das Gleiche gilt auch für die anderen
Familienmitglieder, die mit Fragen nach Arne oder Erzählungen über ihn ihre
Betroffenheit und Trauer über das Geschehen artikulieren. Und selbst, wie im
Fall der Mutter, die beim Tischdecken den Tod Arnes einfach negiert, ist
solches Verhalten mehr als verständlich. Denn der
Suizid bzw. Freitod
eines Jugendlichen - das darf man den Angehörigen auch dieser Pflegefamilie
ruhig zugestehen - ist ein so tief berührendes Ereignis, dass es von allen
wohl als unfassbar erfahren wird. Man braucht eine längere Zeit, um so etwas
irgendwie zu verarbeiten, das steht außer Frage. Die Zeit jedenfalls, die
zwischen Arnes Tod und dem Verpacken seines Nachlasses verstrichen ist, ist
unter dem Blickwinkel des Problems, das es für die Beteiligten zu
"verarbeiten" gilt, vergleichsweise kurz bemessen. Das ändert aber auf der
anderen Seite nichts daran, dass diese "Bewältigung" sich in dem überaus
fragwürdigen Muster des "Totschweigens" vollzieht. Mehr noch: Es ist eben
mehr als das einfache Nicht-wahrhaben-Wollen eines unfassbaren tragischen
Unglücks, wenn Hans berichtet, dass sie sich in dem Monat nach Arnes Tod
gemeinsam vor allem mit der Frage beschäftigt hätten, warum Arne sie ohne
einen Abschiedsbrief verlassen habe.
Die Frage, die bleibt, ist natürlich auch in diesem Roman, ob es Anzeichen
dafür gegeben hat, dass Arne in einer schwierigen Situation den Freitod
wählen wird. Hier lohnt es sich natürlich auch Kontexte heranzuziehen, die
sich mit der
Suizidalität von
Jugendlichen befassen. Dabei muss man sich gewahr sein, dass das Thema
Suizid in Schule und Unterricht sehr einfühlsam und verantwortungsvoll
behandelt werden muss. Durchschnittlich nehmen sich in Deutschland mehr als
600 Jugendliche pro Jahr das Leben. "Sie wussten", wie Annette Kögel am
5.9.2013 im
Tagesspiegel schrieb, "keinen Ausweg mehr, weil sie in der Schule wegen
ihres Aussehens gemobbt wurden oder nachdem sie sich in Mitschüler desselben
Geschlechts verliebten. Manche Opfer nahmen Drogen, hatten Depressionen,
flüchteten sich in Internetchats, ins virtuelle Dasein." Auffälligerweise
"machen rund drei Mal mehr Jungen Schluss als Mädchen. Junge Männer fressen
eher alles in sich hinein und ziehen die Selbsttötung dann durch." (ebd.)
Generell geht man in der Forschung davon aus, dass es zwei Lebensumstände
sind, die die
Suizidalität von
Jugendlichen in besonderer Weise fördern:
-
das Zerbrechen einer engen
Beziehung
-
bedeutungsvolle Ereignisse
und Erfahrungen, die Scham und Schuldgefühle erzeugen und damit das noch
nicht völlig ausgereifte Ich eines jungen Menschen überfordern (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S.
683,
Gould u. a. 1996)
Beide Aspekte spielen für Arne im Roman eine Rolle. Inwieweit der
(wahrscheinliche) Suizid von Arne im Roman hinreichend psychologisch
motiviert ist, kann eine genauere Textanalyse zeigen. Dabei kann man
sich von den wichtigsten Kennzeichen einer Suizidgefährdung von
Jugendlichen orientieren und fragen, ob es direkte oder indirekte
Ankündigungen Arnes im Hinblick auf eine möglich Selbsttötung gegeben
hat. Hier wäre das Zusammenwirken verschiedenster Vorboten einer
suizidalen Gefährdung zu untersuchen, die man als ein "präsuizidales
Syndrom" bezeichnet.

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Nach
Löchel (2002)
kann man 36 verschiedene präsuizidale Symptome bei Kindern und
Jugendlichen unterscheiden. Dabei sind die direkten und indirekten
Suizidankündigungen allerdings die wichtigsten Anzeichen. (vgl.
Wolfersdorf 2002, S. 137).
Im Umgang mit suizidgefährdeten Personen scheuen sich aber viele, "direkt
nach Suizidgedanken zu fragen. Dabei ist das direkte, offene und
ernsthafte Nachfragen die einzige Möglichkeit, Klarheit über die aktuelle
Situation zu bekommen." (ebd.)
-
indirekte Suizidankündigungen
-
direkte Suizidankündigungen
-
bestimmte
Tagebuchaufzeichnungen
-
Suizidvorbilder z. B. Idole
-
Suizidgedanken in der
Vorgeschichte (Anamnese)
-
Konkrete Vorstellungen über
Durchführung eines Suizidversuchs
-
Phantasien um das "Danach“
-
"Suizid bzw.
Katastrophen-Träume“
-
Suizidale
Zwangsvorstellungen
oder Impulse
-
Grübelzwänge
-
Sehnsucht, "weg zu sein“,
"auszuschlafen“
-
Gefühle der Ausweg- bzw.
Sinnlosigkeit
-
Gefühle der Einsamkeit,
Isolation oder Verzweiflung
-
Gefühle der Minderwertigkeit
-
Schuldgefühle, Selbstvorwürfe
-
Dysphorische Verstimmungen,
z. B. Bedrücktsein, Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit
-
Ängste
-
nicht suizidale
Zwangsvorstellungen
-
Subjektiver Eindruck, nicht
ausreichend geliebt zu sein
-
Lustlosigkeit,
Teilnahmslosigkeit
-
innere Unruhe, Getriebenheit
-
Gefühl des
"Nicht-traurig-sein- Könnens“, "innere Leere“
-
Stimmungsschwankungen
-
Psychosomatische Äquivalente
(physische Krankheitsbilder, die auf die Erkrankung der Seele
zurückzuführen sind)
-
Isolationstendenzen, "innerer
Rückzug“
-
Gereiztheit, Aggressivität
-
Zerstörungswut
-
Lügen
-
Stehlen
-
Polizeikontakte
-
Weglauftendenzen/Ausreißversuche
-
Leistungsabfall in der Schule
-
erhöhter Zeitaufwand für
Hausaufgaben
-
Schwierigkeiten mit
Mitschülern
-
Schwierigkeiten mit Lehrer
(in)
-
Einnahme von Drogen
Zu diesen besonders wichtigen Risikofaktoren treten weitere "Warnsignale",
die auf einen möglichen Suizid von Kindern und Jugendlichen Hinweisen
können (vgl.
Löchel 2002). Kinder und
Jugendliche
-
haben häufig das Gefühl,
nicht ausreichend geliebt zu werden.
-
verspüren Einsamkeit,
Isolation oder sind verzweifelt
-
fühlen eine ausgeprägte
Ausweg- und Sinnlosigkeit
-
leiden unter Ängsten
-
sind dauernd am Grübeln
-
sind lust- und teilnahmslos
-
wünschen sich "weg zu sein"
oder wollen "ausschlafen"
-
fallen in der Schule
leistungsmäßig ab
-
möchten weglaufen und
unternehmen Ausreißversuche
-
fantasieren immer wieder über
das "Danach"
Kommen zu den Symptomen des präsuizidalen Syndroms und den Warnsignalen
noch zusätzliche Belastungen,
und die noch gehäuft, wie z. B. Probleme mit den Eltern, der Schule oder
dem Partner oder der Partnerin, kann man, so Löchel, von einer
akuten Suizidgefährdung von Kindern und Jugendlichen ausgehen. "Alle diese
Faktoren können im Sinne von Auslösemechanismen dazu führen, dass latente
Selbstmordimpulse in manifeste Suizidhandlungen umgesetzt werden." (ebd.)
Eine besondere Qualität erhält das Thema unter den Bedingungen der modernen
Internetkommunikation. In so genannten Suizidforen, in den sich laut der
Internetseite jugendschutz.net, die 1997 von den Jugendministern aller
Bundesländer ins Leben gerufen, "tauschen sich lebensmüde Menschen in
Lebenskrisen aus" und "in einigen dieser Foren finden Betroffene
professionelle Unterstützung durch Fachleute." (»jugendschutz.net)
In solchen Foren oder Chatrooms im Internet können also auch Jugendliche,
"ihre Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Gefühle von Ausweglosigkeit, die
sie weder den ihnennahe stehenden Menschen anvertrauen können und zu diesem
Zeitpunkt erst recht nichtgegenüber Mitarbeitern von Beratungsstellen,
Ärzten oder Psychologen öffentlich machenwollen, erst einmal anonym anderen
mitteilen und darauf Reaktionen erhalten. Dies könnte", so fahren
Fiedler/Lindner (2001, S.5), "eine emotionale Entlastung bringen und mit
viel Glück einen Prozess einleiten, in dem langfristig auch in einem
direkten und persönlichen Kontakt mit einem Therapeuten Hilfe gefunden
werden kann." Wenn wie »jugendschutz.net
betont, "Suizidforen (...) nicht generell als jugendgefährdend eingestuft
werden (können)", so weist man aber doch darauf hin, dass es auch "eine
ganze Reihe von Angeboten, die Suizid als alleinige Problemlösung
verherrlichen und Suizidgefährdete in ihrer Absicht bestärken." Bei
umfangreichen Recherchen habe man eine große Bandbreite von präventiv
wirksamen bis hin zu suizidfördernden Angeboten festgestellt und dafür
ein Beurteilungsraster entwickelt. Danach seien solche Foren dann
jugendgefährdend, wenn "sich Gesprächpartner beispielsweise über die
effektivsten Methoden der Selbsttötung austauschen oder sich zum gemeinsamen
Suizid verabreden." Die könne, so die Jugendschützer, gerade für labile
Jugendliche, die in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigt sind,
lebensgefährlich werden." Die Jugendschützer richten ihr Augenmerk auf
solche Internetangebote. Von den bisher etwa 100 Angeboten dieser Art seien
etwa 40% jugendgefährdend. Bei 60% davon sei es gelungen, erfolgreich
dagegen vorzugehen.
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Suizid-Präventionsprogramme »
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.04.2024
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