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Schuld

Die Inszenierung von Schuldgefühlen durch Josef K.

Franz Kafka: Der Prozess - Einzelne Interpretationsaspekte

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Max Brod)
Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Malcom Pasley 1990)

Wer sich in Franz Kafkas Roman "Der Prozess" als Leser auf die Suche danach begibt, worin eigentlich Josef K.s Schuld besteht, die in seiner Geschichte so "exzessiv geahndet und abgestraft wird" (Hiebel 2008, S. 458f.), muss über kurz oder lang, auch wenn dies irritieren mag, das "»Schuldlose« dieser Schuld" feststellen (ebd., Hervorh. d. Verf.). Das schafft Verwirrung und macht die Lektüre nicht leichter.

Um dem Ganzen Sinn zu geben, wird der Text dann allerdings oft mit Bedeutungszuschreibungen versehen, die der "exklusive(n) Bedeutungslogik" (Alt 22008, S.390) seiner Elemente und Strukturen deshalb nicht gerecht wird, weil sie K.s Schuld nicht "allein aus der internen Struktur des Romans begreifen." (ebd.)

Kernpunkt dafür ist nämlich die Erkenntnis, dass Josef K., auch wenn er  "Zeichen eines Schuldigwerdens an sich trägt" (Hiebel 2008, S. 458f.), eben keine Schuld im eigentlichen Sinne hat. Die Schuldgefühle, die er im Glauben daran erlebt, man habe ihn verleumdet, "etwas Böses" (Kafka, Prozess, HL S. 5 Z 1f.) " getan zu haben, begründen eben keine Schuld von einer Art, die durch das Sammeln von Schuld-Indizien in der Romanhandlung "objektiv" fundiert werden kann. (vgl. ebd.) So bleibt eben rätselhaft, "warum K, verhaftet wird, wenn er nichts Böses getan hat" und "worin 'das Böse' bestehen und ob es womöglich jenseits des 'Tuns' liegen könnte." (Alt 22008, S.388) 

Dennoch: Die Interpretation des Romans kann ohne eine Deutung des Zusammenhanges von Schuld, Schuldgefühlen und Scham des Hauptprotagonisten K. im Kontext einer scheinbaren, fiktiven äußeren Wirklichkeit nicht auskommen. Dies schlägt sich auch in den Deutungsansätzen nieder, die die Literaturwissenschaft zur Klärung dieser Problematik bereithält. Ohne sie im Ganzen an dieser Stelle nachzeichnen zu können, seien ein paar wenige - in der Version eines Anmerkungstextes von Ellrich (2004, S. 254, Anm. 81) in allerdings gegliederter Form - referiert:

 "Genannt werden untern anderem

In anderen, z. T. neueren Interpretationen werden dagegen die Akzente wieder anders gesetzt. So wird hervorgehoben, dass es im Falle des Prozess-Romans weniger um die objektiv feststellbare Schuld Josef K.s geht als um die subjektive "Inszenierung von Schuldgefühlen" (Hiebel 2008, S.458f.; vgl. Alt 22008, S.390ff., Hervorh., d. Verf.).
Die Tragweite dieses Ansatzes wird klar, wenn man einen Einblick in Franz Kafkas "Kunst" gewinnt, nämlich "Bilder einer subjektiven Strafphantasie so zu verknüpfen, dass sie einen objektiven Charakter annehmen." (Alt 22008, S.391, Hervorh. d. Verf.) Dies geschieht zunächst einmal dadurch, das K. sein Schuldgefühl "nach außen projiziert [...] auf eine Umwelt, die sich immer genau so darstellt, wie der Held sie sehen will oder muss." (Abraham 1990, S. 271f.)
Dazu kommt, dass die Geschichte Josef K.s, wie sie erzählt wird, so "in der Spannung zwischen Schuldphantasie und Symbolik der Macht"  (Alt 22008, S.391) angesiedelt ist. Allerdings werden beide Momente nicht auf einer höheren Ebene aufgehoben, sondern sind ständig gegenwärtig. (vgl. ebd.) In dieser "psychische(n) Gemengelage" (ebd. S.393) entsteht in K. ein "Traum von der Schuld - ein Angsttraum, der sich in den imaginären Räumen einer befremdlichen juristischen Ordnung als Widerschein psychischer Zustände abspielt." (vgl. ebd., Hervorh. d. Verf.) Alt (22008, S.391, ) schließt daraus, dass man den Roman folglich als Reflexion dieser Schuld, zugleich aber auch als unheimliche Beschreibung eines Rechtsapparates lesen (kann), den sich das individuelle Schuldbewusstsein selbst vorstellt." (ebd. S.391, Hervorh. d. Verf.) Der Gedanke einer angstbesetzten Traumphantasie führt noch weiter. Wenn man, wie Alt (22008, S.392) zeigt, das Aufwachen Josef. K.s in der ursprünglichen Fassung des Prozess-Romans heranzieht, in welchem das Erwachen als eine Phase des Übergangs vom (Schlaf-)Traum zur Wachheit (Realität) konturiert ist, liegt der Schluss nahe, K.s Geschichte "als Traumphantasie an der Schwelle zum eigentlichen Erwachen" zu lesen und darin "das literarisches Vexierbild* eines verdrängten Schuldgefühls" zu sehen, "das im Vorfeld des Tagesbewusstseins literarische Muster findet, um sich selbst darzustellen."  (ebd. S.392, Hervorh. d. Verf.)
Diese komponiert Kafka in der "Logik" des Traumes, bei dem die unterschiedlichsten Dinge wie bei einem • Rhizom miteinander verbunden sind. Dort gehen sie einmal festere, einem lockerere Bindungen ein, oder lassen sich gänzlich links liegen: wie ein vielverwurzeltes Rhizom eben , das "an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden (kann)", um dann doch "entlang seiner eigenen oder anderen Linien" weiterzuwuchern. (Deleuze/Guattari 1977, S. 16)

 Dieses rhizomartige Kompositionsverfahren nennt Hiebel (2008, S.458f.) prägnant • "traumanaloges Dichten". Damit ist es auch in die Nähe des Unbewussten gerückt. Dessen konflikthaftes Verhältnis zum Bewussten wird von der "Prozess"-Geschichte in verschiedenen psychisch-mentalen Verarbeitungsprozessen so überaus eindrücklich und verwirrend zugleich zur Anschauung gebracht.

Der Konflikt zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein, der sich im • topologischen Dreieck der Psyche von • Es, • Ich und • Über-Ich abspielt, ist es auch, was die Hauptfigur des Romans immer wieder vorantreibt, wenn sie ihrem unbewussten Schuldgefühl "mit massiver Abwehr begegnet." (Alt 22008, S.395) (• Abwehrmechanismen des Ich)

Gerade weil Josef. K. trotz seiner "Neigung zur Selbstbeobachtung" (ebd. S.396, Hervorh. d. Verf.) während der ganzen Geschichte zu keiner echten Auseinandersetzung mit seinem Schuldgefühl gelangt, steht er letzten Endes hilflos vor dem "Gerichtshof des eigenen Ichs, das den aufsteigenden Inhalten des zuvor verdrängten Unbewussten" im Verlauf der Entwicklung immer weniger Widerstand entgegensetzt. "Sein Prozess ist ein Vorgang der Selbstanklage" (ebd. S.396, Hervorh. d. Verf.). Diesem Selbstgericht, das als fiktive Objektivation seines Über-Ichs in der Gerichtswelt Teil seiner Inszenierung wird, kann er sich nicht entziehen. Es ist nämlich so allgegenwärtig wie sein Gewissen. Ihm ausweichen zu wollen, ist unmöglich und auch für Josef K. absurd, "weil es mit ihm selbst identisch ist." (ebd. S.395, Hervorh. d. Verf.). Und die Erscheinungsform und Folge dieses Selbstgerichts ist • Angst, sei sie eingestanden oder nicht. Sie ist, wenn man so will, die "permanente Folter", von der Hiebel (2008, S.468) spricht, wenn er den Prozess als "lebenslanges Strafen", als eine "›procedierende‹ Strafe, ein ›procedierendes‹ inneres Gestraftwerden" versteht. (Hervorh., d. Verf.] Und das Recht? Es bezeichnet folgerichtig, "die metaphorische Chiffre für eine nicht mehr absichtsvoll gesteuerte, durch unlenkbare seelische Kräfte angestoßene Form der Selbstbeobachtung." (Alt 22008, S.394) Wenn K.s Schuldgefühl gerade in den Aktivitäten der Rechtsbehörden seine Entsprechung findet (vgl. ebd. S.391), dann geschieht dies vor allem wohl deshalb, weil Kafka als Anhänger "einer rechtwissenschaftlichen Hermeneutik, die das menschliche Innenleben als Fallgegenstand zu erfassen versucht", auch psychische Vorgänge gerne mit der Brille des Juristen betrachtete. (vgl. ebd. S.391)

Worterklärungen

*Vexierbild: 1. Suchbild; Bild, auf dem eine oder mehrere versteckt eingezeichnete Figuren zu suchen sind; 2. bildliche Darstellung eines Gegenstandes, dessen seitliche Konturen bei genauer Betrachtung die Umrisse zweier spiegelbildlich gesehener Figuren ergeben

Gert Egle, 13.12.09

Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Max Brod)
Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Malcom Pasley 1990)

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 17.12.2023

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Fassen Sie die wichtigsten Aussagen des Textes in Form eines Mind Maps zusammen.
  2. Visualisieren Sie in einer Strukturskizze, wie man sich, unter Einbeziehung des Persönlichkeitsmodells von Sigmund Freud, die Inszenierung von Schuldgefühlen, wie sie oben beschrieben wird, vorstellen kann.
  3. Der deutsche Philosoph Adorno hat den Kafkas Roman "Der Prozess" mit der folgenden, berühmt gewordenen Formulierung in den Kontext der Totalitarismus-Kritik gestellt:

    "Nicht bloß Kafkas Prophezeiung von Terror und Folter ward erfüllt. 'Staat und Partei': so tagen sie auf den Dachböden, hausen in Wirtshäusern wie Hitler und Goebbels im Kaiserhof." (Adorno 1955b, S.324)

    Nehmen Sie dazu Stellung.

 
 
 

 
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