Die ▪
Parabeln Franz Kafkas gehören zu den
erzählenden Texten, die neben seinen größeren wie z. B. seine
Romanfragmente ▪ "Der Prozess"
oder »"Das
Schloss" oder andere Erzählungen größeren Umfangs wie »"Die
Verwandlung" oder »"Ein
Bericht für eine Akademie" zu den Gegenständen des
Literaturunterrichts in der Sekundarstufe II.
Der
literaturdidaktische Umgang mit seinen Parabeln orientiert sich
dabei an unterschiedlichen Konzepten. Sie werden und a) "(wurden) in
der Folge einer wissenschaftlichen Orientierung des
Deutschunterrichts (...) als 'Texte' gelesen (vgl. Zobel 1985) und
analysiert", b) werden "im Gefüge der Kurzprosagattungen betrachtet
(vgl. Schrader 1980)" oder c) "in der Tradition der Gleichnisexegese
(vgl. Bekes 1988) " (Nickel-Bacon
2012, S.107).
Dazu kommen immer wieder gattungsbezogene
Deutungen zum Zuge, die aber nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit
sind und in keiner Weise reflektieren, dass sich in ▪
modernen Parabeln der
strukturbildende enge Verweisungszusammenhang von Bild- und
Sachbereich, wie er den
traditionellen Parabeltypus prägt, ▪
aufgelöst hat oder in Auflösung begriffen ist.
In der Forschung gibt es bis heute keinen Konsens darüber,
welche Texte Franz Kafkas genau zur Gattung der
Parabel
zu zählen sind. Das hat verschiedene Gründe, liegt vor allem aber
auch daran, was man überhaupt unter einer Parabel, namentlich einer
modernen Parabel versteht.
So gelten denn auch lediglich ierzehn Texte
in der Fachwissenschaft unstrittig als Parabeln (Zymner
(2010, S.456):Von den hier im Arbeitsbereich aufgeführten Texten
zählen dazu:
• Der neue Advokat,
▪
Der
Schlag ans Hoftor ▪
Der Aufbruch, •
Der Geier,
▪
Der Schlag ans Hoftor,•
Die
Prüfung, •
Ein altes Blatt, •
Eine kaiserliche Botschaft, •
Ein Hungerkünstler, • Ein
Landarzt, •
Der Steuermann,
• Die Brücke,
•
Gibs auf
und ▪
Vor dem Gesetz.
Das bedeutet allerdings nicht, dass etliche andere kurze Prosastücke
Kafkas nicht als Parabeln aufgefasst werden können und sich einer
parabolischen Deutung entziehen. Im Literaturunterricht der Schule
werden jedenfalls eine ganze Reihe weiterer Texte traditionell als
Parabeln aufgefasst, um unterschiedliche Formen und Richtungen von
Suchbewegungen nach dem Sinn der vielfach hermetisch bzw. ▪
strukturell
oder sogar ▪
radikal fremd
erscheinenden Texte auszulösen. Dies impliziert aber auch, dass ein
Leser oder eine Leserin auch mal "auf der Geschichte sitzen"
bleibt (Allemann 1975/1998,
S.129), weil diese sich seinen Sinnzuschreibungen einfach entziehen.
Dies gilt umso mehr, wenn Schülerinnnen und Schüler mit Kafkas
Texten zusammentreffen: Nicht jede dabei erfahrene kognitive
Dissonanz lässt sich auflösen. Und trotzdem: Wer Kafkas Parabeln
trotz seiner strukturellen Fremdheitserfahrung ohne weitere
Irritationen und Blockaden verstehen will, muss sich "tiefer" auf
den Text einlassen, selbst auf die Gefahr hin, dass sich das als
strukturell Fremde Erlebte trotzdem nicht immer und vor allem nicht
vollständig erklären und deuten lässt. (vgl. Šlibar
2005, S.82, zit. n.
ebd.) Das gilt
für sämtliche ▪
moderne Parabeln.
Eine wichtige Aufgabe des Literaturunterrichts im Zusammenhang mit
diesen Texten ist es daher ▪
affektive und
volitionale Selbsteuerungsaktivitäten und
• metakognitive Strategien (vgl.
Christmann/Groeben 1999)
zu fördern, die helfen können über die Unlust erzeugende, kognitive
Dissonanz hinwegzukommen. Gerade weil unsere eigenen
Schemata der
Wahrnehmung, des Fühlens und (sozialen) Handelns in der Regel keine
verlässlichen Orientierungen dafür geben, dem Gelesenen Sinn zu
geben, bleibt das Akzeptieren die prinzipielle Vieldeutigkeit von
Kafkas Texten, denen unter konstruktivistischer Perspektive wie
anderen literarischen Texten ja kein Sinn eingeschrieben ist, den
man "objektiv" herauslesen kann.
Diesen Texten, zumindest bei der ersten Begegnung, soweit
"voraussetzungslos" begegnen zu können, wie dies nach jahrelanger
Erfahrung mit literarischen Texten im Unterricht möglich ist, gehört
zur Konzeption von
Lernaufgaben, die dem Kompetenzerwerb im Umgang mit
▪
Parabeln Franz Kafkas dienen müssen.
Einfach ausprobieren zu können, was einem zu ihnen einfällt, wenn
man spürt bzw. herausliest, dass das Gesagte nicht das eigentlich
Gemeinte sein kann. ist gerade bei der ersten Begegnung mit Kafkas
Parabeln wichtig.
wenn man sich z. B. durch Recherchieren zusätzlicher Informationen
einen Zugang zu der strukturell fremden Wirklichkeit schaffen kann,
den Text also, wie man sagt,
kontextualisiert oder, wenn man an den "urprünglichen"
Bedingtheiten des Textes anknüpfen will, den text
rekontextualisiert. (
und ▪
metakognitive
Aspekt des Lesens).
-
Sie können uns ▪
strukturell fremd sein, weil sie eine eigene Wirklichkeit
darbieten, die sich von der unseren grundlegend unterscheidet.
Um sie zu verstehen, genügen unsere eigenen
Schemata der
Wahrnehmung, des Fühlens und (sozialen) Handelns nicht, geben
keine verlässlichen Orientierungen dafür, dem Gelesenen Sinn zu
geben. Texte, die eine strukturelle Fremdheit erzeugen, bringen
uns, wenn man so will,. Man kann aber über diese Unlust erzeugende, kognitive
Dissonanz hinwegkommen, wenn man sich z. B. durch Recherchieren
zusätzlicher Informationen einen Zugang zu der strukturell
fremden Wirklichkeit schaffen kann, den Text also, wie man sagt,
kontextualisiert oder, wenn man an den "urprünglichen"
Bedingtheiten des Textes anknüpfen will, den text
rekontextualisiert. (
und ▪
metakognitive
Aspekt des Lesens).
Das ist eben so, und gehört nicht zuletzt zu den ▪
Merkmalen moderner Parabeln, die einen
Was bleibt: In solchen Fällen kann es helfen, die "Schreibstrategie" (Vogt
2008, S.65) Kafkas mit ihrer "Kombination von einfachem Wortlaut und
Gattungsschema, sprachlicher Vieldeutigkeit und Deutungsabstinenz des
Erzählers" (ebd.)
hinzunehmen und damit dem Text die Vieldeutigkeit zu lassen, die auch das
Gesamtwerk Kafkas weltberühmt gemacht hat. (vgl.
ebd.)
-
Noch intensiver kann die kognitive Dissonanz erlebt werden, wenn
einem das, was man liest bzw. gelesen hat, so ▪
radikal fremd erscheint, dass nicht nur die gewohnten Lese-
und Verständnisroutinen versagen, sondern man sich überhaupt
nicht vorstellen kann, wo man einen Schlüssel zu der in dem Text
dargebotenen Wirklichkeit finden kann oder wie dieser Schlüssel
überhaupt aussehen könnte.
Dabei
soll die Bedeutung von fundierten
Gattungswissens für ein vertiefteres Verständnis von
Parabeln
nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, zumal die kognitive
Suchbewegung nach der Bedeutung dieser Texte, die von ihrer •
Appellstruktur ausgeht, ein in der Schule durchaus üblicher •
Zugang zu Kafkas kurzen Prosastücken
darstellt. Der Literaturunterricht setzt nämlich gewöhnlich "ein
grundlegendes Wissen darüber, was Gattungen sind, welche Funktion
und welche Geschichte sie haben und wie man sie adäquat analysieren
kann, in verschiedenen Arbeitsfeldern als selbstverständliche Basis
voraus." (Kaulen
2010, S.95)
Dabei muss
dieses Gattungswissen nicht unbedingt, der merkmalorientierten
"Literaturwissenschaftsdidaktik" (Köster
2015, S.60 unter Bezugnahme auf
Pflugmacher 2014, S. 157f.) folgen. Man hat ihren "klassischen"
Ansatz, durch Abstraktion gewonnene Merkmale für eine Gattung bzw. ein
Genre an einem konkreten Text nachzuweisen und zugleich anzunehmen, dass
damit Wesentliches zum Textverstehen beigetragen werde, als "Merkmal-Nachweis-Didaktik"
bezeichnet (Leubner/Saupe/Richter (2016),
Kap. 14.3 Unterrichtseinheiten zu Gattungen/Genres) und in der •
Kritik daran zum Ausdruck gebracht, dass das dabei praktizierte
Auffinden von Textmerkmalen auf der lokalen Textebene wie das "Malen nach Zahlen"
in der Schule "zu einer Art Geschicklichkeitsübung" verkommt.
Das solcherart
oft an die Wand geworfene •
Zerrbild dient vor allem dazu, sich von der klassischen
Literaturwissenschaftsdidaktik abzusetzen, auch wenn die Zeiten der "Merkmalshuberei"
im Literaturunterricht sicher vorbei sind.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.03.2024