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Aspekte der Erzähltextanalyse

Interpretationsansätze

Franz KafkaParabeln Heimkehr

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
Epische Kleinformen Parabel Autorinnen und Autoren Franz Kafka Überblick Biografie Brief an den VaterKafka als Erzähler Kurze Erzählungen (Epische Kleinformen) • Überblick Parabeln  Didaktische und methodische Aspekte ÜberblickAspekte der Erzähltextanalyse Auf der Galerie Der Aufbruch Der Geier Der neue Advokat Der Schlag ans Hoftor Der Steuermann Die Brücke Die Prüfung Ein altes Blatt Eine kaiserliche Botschaft Ein Hungerkünstler Ein Landarzt Gibs auf Heimkehr Text Didaktische und methodische Aspekte Überblick [ Aspekte der erzähltextanalyse Überblick Texterfassung mit Annotationen im Parallelkonspekt Inhaltliche Gliederung Äußere und innere Heimkehr des erzählenden Ichs Raumgestaltung Interpretationsansätze Kafkas Parabel und das Gleichnis vom verlorenen Sohn ] Bausteine Links ins Internet Fragen und Antworten (KI) In der Strafkolonie Kleine Fabel Vor dem Gesetz Bausteine Andere kurze Erzählungen Längere Erzählungen Romane und Romanfragmente Links ins Internet Grundstrukturen der Parabelinterpretation Schreibformen Rhetorik Filmanalyse ● Operatoren im Fach Deutsch
 

 

Fremdheitserfahrungen thematisieren
Baustein: Einen Zugang zu Kafkas Parabeln finden:
▪ Kohärenzbildung über mentale Modelle, kognitive Schemata und literarische Konventionen (Gattungen)

Eine moderne Parabel interpretieren
Quickie: So interpretiert man eine moderne Parabel
Überblick
Aspekte der Schreibaufgabe
Didaktische und methodische Aspekte
Überblick
Die Schreibaufgabe analysieren
Sich auf eine moderne Parabel einlassen
Über Kohärenzlücken "stolpern" und Transfersignale erkennen
Den Bildbereich analysieren
Ansätze für die Übertragung in einen Sachbereich gewinnen
Die sprachliche Gestaltung des Bildbereichs untersuchen
Die Textinterpretation strukturieren
Sich für eine Schreibstrategie entscheiden
Arbeitsschritte zur Bewältigung von Schreibaufgaben
Formulierungshilfen
Typische Schreibaufgaben

Stereotype Deutungsansätze vs. Analyse von Codes

Es gibt einen Pluralismus toleranter Interpretationen

Heute gilt, dass ein literarischer Text wie ▪ Franz Kafkas "Heimkehr" keine fest umrissene Bedeutung besitzt. Der in den "Daten" eines Textes verborgene Textsinn lässt sich nämlich auch bei bestem Willen im Text nicht finden, denn "welchen Sinn, welche Bedeutung man mit literarischen Texten verbindet, ist ... eine Entscheidung, die der Interpret fällt." (Horst Steinmetz 1995, S.475). Dementsprechend sind auch alle derartigen Interpretationsansätze legitim, ohne jedoch auch gleichermaßen überzeugend oder schlüssig zu sein.

Das schließt auch ein, dass, vor allem bei • modernen Parabeln, sich nicht alle Elemente des Bildbereichs einer widerspruchsfreien Übertragung und einem globalen (Gesamt-)Sinn des Sachbereichs fügen müssen, wenn der Text keinerlei Sinnversprechen geben kann und will. Nicht immer lassen sich in derartigen Texten die diese als Gattung konstituierenden • impliziten Textsignale entnehmen und oft befindet sich auch der Strukturzusammenhang von • Bild- und Sachbereich in Auflösung.

Wenn bei der modernen Parabel die Bezugsrahmen von Bild- und Sachbereich nicht mehr auf einem von Erzähler und Leser im Wesentlichen geteilten, geschlossenen und konsistenten Menschen- und Weltbild beruhen und sich dieses Faktum auch in beiden Bereichen zeigt, muss auch die ▪ schulische Interpretation von Parabeln sehr "offen" gestaltet werden.

Unter literaturdidaktischen Aspekten betrachtet kann dabei der • Zugang über das Gattungswissen auch bei diesem Text durchaus fruchtbar sein, sofern über den Vergleich unterschiedlicher Texte, die zur weiteren Textsortenverwandtschaft zählen, das eigenständige Generieren von (Familien-)Ähnlichkeiten ermöglicht wird. Das gilt auch für den Vergleich mit Texten Kafkas, die gemeinhin als gute Vertreter der Parabel gelten wie z. B. nach der Auflistung von Zymner (2010, S.456): Der neue Advokat, ▪ Der Schlag ans Hoftor Der Aufbruch, Der Geier, Der Schlag ans Hoftor,•  Die Prüfung, Ein altes Blatt, • Eine kaiserliche Botschaft, Ein Hungerkünstler, Ein Landarzt, Der Steuermann, Die Brücke,Gibs auf und Vor dem Gesetz.


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Engels (2010)Ansatz einer historisch-hermeneutischen Literaturwissenschaft (ebd., S.425) verzichtet auf der Grundlage seines • Lektüremodells des absoluten Bildes darauf, sich auf einen bestimmten Interpretationsansatz festzulegen, der dann mit mehr oder weniger überzeugenden Kotexten und Kontexten unter Vernachlässigung anderer Aspekte durchgezogen wird.

Stattdessen greift er bestimmte Textelemente auf –  er bezeichnet sie als Codes –,  die Kafkas Texte einzeltextübergreifend kennzeichnen und auch in den verschiedenen gängigen Interpretationsansätzen eine tragende Rolle spielen.

Engel unterscheidet sechs solcher Codes, die in den einzelnen Texten in verschiedener Weise z. b. als dominierend oder nicht, auftreten können:


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Statt einen dieser Codes, wie es die gängigen Interpretationsansätze zu tun pflegen, zu einer Art "Supercode" zu erklären, geht es in Engels Lektüremodell darum, die auf der Textoberfläche erkennbaren Hierarchien der in einem Text vorhandenen Codes zu erfassen, Dominanzen zu beschreiben und davon ausgehend Entscheidungen darüber zu treffen, "wie die textspezifischen Codes und ihre textspezifische Relation im Einzelnen zu deuten ist." (ebd., S.426)

Elemente des biografischen Codes in Kafkas "Heimkehr"

Dass KafkasParabel ▪ »Heimkehr« auf der Textoberfläche Elemente enthält, die einem biografischen Code zuzuordnen sind, ergibt sich daraus, das in dem Text mehrfach von der Vater-Sohn-Beziehung die Rede ist. Auch wenn der Vater weder in der Erzählung in Erscheinung tritt, noch vom Ich-Erzähler in seinen kurzen Reflexionen persönlich adressiert wird, wird er als Besitzer des Bauernhofes (›meines Vaters alter Hof‹, ›meines Vaters Haus‹) und Vater es Ich-Erzählers (›des alten Landwirts Sohn‹) ausdrücklich erwähnt. Nicht nur das lässt es zu, den Text durchaus mit einer Dominanz des biografischen Codes zu lesen. Auch wenn der Vater im Text keine aktive Rolle spielt, als paternalistische Vaterfigur und Oberhaupt des ländlichen Haushaltes (sprachlich unnahbar gemacht durch die Verwendung distanzierender Genitivkonstruktionen) ist er für den Ich-Erzähler genau so unerreichbar, wie es Hermann Kafka für seinen Sohn Franz zeitlebens gewesen ist. Und doch übt er einen ungeheuren Einfluss auf den Ich-Erzähler aus, der sich verunsichert fragt, welchen Nutzen er für die hinter der Küchentüre vermutlich Sitzenden hat. In die gleiche Richtung geht die Anklage, die Franz gegen seinen Vater in dem wenige Monate zur im November 1919 verfassten • Brief an den Vater formuliert hat. Auch wenn dieser einen "Zwitterstatus" zwischen faktualem und fiktionalen Erzählen einnimmt (vgl. Weidner 2010, S.294), ist es für Kafka doch sein Leben lang ein Problem von seinem übermächtigen Vater nicht so gesehen und akzeptiert zu werden, wie er nun einmal war.

Die Anerkennung und Zuwendung seines Vaters • Hermann Kafka, dem er nur dann hätte "nützen" können, wenn er in in dessen Geschäft, dessen "Tempel" gearbeitet hätte, kann der in seinen jungen Jahren kontaktscheue und schwächlich wirkende Sohn, der aus unterschiedlichen Gründen nie eine vollständige Ablösung vom Elternhaus vollziehen konnte, mit seinen ›Büchern‹ und ›überspannten Ideen‹ jedenfalls nie erlangen. Hinzu kommt noch das Scheitern aller Versuche des Sohnes, sich zu verheiraten und damit eine sozial akzeptierte Lebensform zu begründen. Ferner zeigt sich auch in der Zeit, in der er ▪ »Heimkehr« verfasst, erneut, dass auch seine • Beziehung zu Milena Jesenská-Pollak (1896-1944) scheitern wird. Mit der verheirateten Milena Pollak hatte sich während seines Meranaufenthalts per Briefwechsel binnen kurzer Zeit eine erstaunliche Beziehung entwickelt, in der "beide Protagonisten, so scheint es, (...) entschlossen (sind), das soziale Vorspiel zu überspringen" (Stach 2011/42015, Kafka - Die Jahre der Erkenntnis, kindle-Version, S.475): "zwei Menschen, die sich für wenige Stunden im Caféhaus begegnet sind, breiten nach wenigen Tagen des Briefverkehrs ihre Lebensängste und Zukunftssorgen, ihr körperliches Selbstbild, ihre Vorstellungen von Einsamkeit und Gemeinschaft, von Liebe und Sexualität, Ehe und Ehebruch wechselseitig voreinander aus, als existierte für sie keine andere Form der Verständigung jenseits der intimen Kommunikation." (Alt 2005/22008, S.540) 1920 jedenfalls sieht alles so aus, dass die Beziehung, wie seine anderen Verlobungen enden und ihm wieder nicht "die ersehnte Selbständigkeit vom Elternhaus" bringen und "zu seinem Ausgangspunkt, seinem wirklichen Zuhause werde zurückkehren müsse(n)." (Binder 1975/31982, S.240f) 

Elemente des religiösen und existenzialistischen Codes in Kafkas "Heimkehr"

Die Situation, in der sich das erzählende Ich befindet und wie es damit umgeht, kann in einer parabolischen Deutung des Textes unter einer existenzialistischen Perspektive sowohl mit einem religiösen, • christlich-existenzialistischen Ansatz als auch mit dem Ansatz eines • atheistisch fundierten Existenzialismus gedeutet werden. Beide gehen von ähnlichen Prämissen aus und machen die Sinnsuche in einer sinnlos erscheinenden Welt zum wesentlichen Problem der Daseinsbewältigung. Dafür sprechen sicher etliche Gründe, aber auch manches dagegen. Was sie grundlegend voneinander unterscheidet, ist ihr Verständnis des menschlichen Daseins und die Richtung, die sie diesem geben wollen.

Während religiöse, • christlich-existenzialistische Ansätze den Menschen auffordern, sein Schicksal  in die Hände Gottes zu legen, religiösen Normen zu folgen und sich in einem Leben mit einem eindeutigen »eschatologischen Daseinsbezug einzurichten, entlässt der • atheistisch fundierte Existenzialismus den Menschen in die volle und ganze Verantwortung für sein Handeln und bürdet ihm allein die Suche nach und das Finden von Sinn in einer durch keine andere Instanz irgendwie sinnhaft gemachten Welt auf. Dadurch gerät das Subjekt in existenzialistischer Sicht in einen permanenten Zustand existenzieller Unsicherheit, das es die grundlegenden Fragen des Daseins "Wer bin ich?", "Wozu lebe ich ich?", "Wo ist mein Platz in der Welt?" usw. nicht mehr beantworten kann. So auf sich zurückgeworfen, geben ihm auch scheinbar vertraute Orte, sozialen Beziehungen und weltanschauliche Wahrnehmungs- und Deutungsperspektiven von Welt keine emotionale und kognitive Orientierung mehr.

In Kafkas »Heimkehr« kann die Rückkehr des erzählenden Ichs von Anfang an als Gestaltung einer Art von existenzieller Grenzerfahrung gelesen werden, da nichts, aber auch rein gar nichts, was ihm eigentlich von Kindheit an in seinem Elternhaus vertraut sein könnte und, eingebettet in die verlässliche familiäre Beziehungen, Orientierung über seine eigene Identität geben könnte, quasi im Moment der Rückkehr verflogen ist.

Motivvergleich und intertextueller Bezug zum biblischen Gleichnis

Für einen bibelkundigen Leser dürfte sich bei und nach der Lektüre von Franz ▪ Kafkas ▪ »Heimkehr« eine intertextuelle Bezugnahme auf das biblische • Gleichnis vom verlorenen Sohn einstellen, auch wenn Kafkas Text sich davon deutlich unterscheidet. Seine Geschichte zeigt nämlich "eine Welt, die keine Zeichen der Heilsgewissheit mehr birgt" (Meyer 2014, S.96), am Ende steh auch "kein fröhliches Versöhnungsfest und keine klar erkennbare Botschaft, kein unmittelbar verständliches Sinnangebot" (ebd., S.97), das einem Leser irgendwie zur Seite steht, um das Erzählte irgendwie einzuordnen.

Auch die literaturwissenschaftliche Forschung hat lange Zeit nahezu unisono vertreten, dass sich die Interpretation "an der biblischen Vorlage zu orientieren" habe, die nur im Vergleich mit ihr Profil gewinne. (Bekes 1988a, S.10)

Das biblische Gleichnis mit seinen subtilen Anspielungen gilt daher immer wieder als unverzichtbarer "Bezugstext" (Meurer 1988/31998, S.83), der zeige, "wie sehr das Motiv der Heimkehr symbolisch besetzt ist". (Niehaus 2010, S.111)

Und auch Sudau (2021, S.71) betont, dass der Bezug zum • Gleichnis vom verlorenen Sohn kaum wegzudenken sei und als weiter reichender Sinn unweigerlich mitschwinge. Dabei ziele dieser "nicht nur auf den Verlust einer individuellen Vater- oder Familienliebe (...) sondern zusätzlich auf den Verlust der göttlichen Vaterliebe." Dieser Deutung liegt damit eine • christlich-existenzialistische Deutungsperspektive zugrunde.

Ganz im Sinne der • existenzialistischen These von der "kosmologischen Obdachlosigkeit" (Yun Mi Kim 2012, S.22 des erzählenden Ichs akzentuiert auch Sudau die "transzendentale Obdachlosigkeit" des von Heimat- und Familienverlust betroffenen Ich-Erzählers, auch wenn er ansonsten diesen textexternen Bezügen im Gegensatz zu zahlreichen anderen nicht ausführlich nachgeht.

Bekes (1988a, S.10) sieht in der Tatsache, dass • Kafkas Geschichte im Gegensatz zur biblischen Parabel der Kontext fehle, den hauptsächlichen Unterschied zwischen beiden Texten. Weil Kafkas Text sämtliche Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Rückkehr des erzählenden Ichs ins Elternhaus stellen, unbeantwortet lasse und zudem eine Sachhälfte, auf die sich der Bildbereich explizit beziehe, fehle, überlasse er es dem Leser, diese Unbestimmtheitsstellen zu füllen.

Die Tatsache, dass trotz der letztlich irreführenden Titelgebung durch »Max Brod (1884-1968), Kafkas Freund und späteren Herausgeber seiner nachgelassenen Werke, über den einzig thematisierten Moment der Ankunft die eigentliche Heimkehr misslinge, zeige, dass Kafka in seiner Geschichte das "Motiv des nie ans Ziel gelangenden Helden", das das Gesamtwerk Kafkas präge, poetisch gestaltet habe. Eine These im Übrigen, die schon Friedrich Beißner (1958) formulierte, als er betonte, das durchgehende Thema Franz Kafkas sei "die misslingende Ankunft oder das verfehlte Ziel", das "aus der Grunderfahrung einer auswegslosen Einsamkeit" resultiere und in der »christlichen Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen und dem Jüngsten Gericht, aufgehoben werde.


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Besondere Aufmerksamkeit verlange, so Bekes (1988a, S.10) die von Kafka in seinem Text verwendete • Ich-Perspektive, im Sinne der • traditionellen Erzähltheorie von »Franz K. Stanzel (geb. 1924) die sich klar von der • neutralen Perspektive in der biblischen Vorlage unterscheide. In der von Kafka gewählten Perspektive bestimme die "Bewusstseinsstruktur des Erzähler-Ichs den Fokus für das Erfassen von Wirklichkeit." (ebd., S.11)


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Der Moment des Ankommens, der im ersten Satz des Textes als ein "im Perfekt vollzogenes Tun des Ich" (ebd.) und im anschließenden zeitlosen Präsens quasi eingefroren werde, wirke insgesamt statisch und das Ich stehe stehe damit buchstäblich auf der Stelle. In einer Art "Detailrealismus" (ebd.) mit dem Blick des wahrnehmenden Ichs auf die Pfütze und allerlei nutzlos erscheinendes Gerät im Hof werde schon deutlich, dass er der Dinge, die einmal zu seinem Leben gehört haben, nicht mehr "erneut habhaft" werden könne.

Das erzählende Ich finde damit weder in der äußeren Erscheinungswelt noch in seiner sozialen Mitwelt Orientierung und Halt. Aus diesem Grunde suche es in seiner eigenen Innenwelt sein Heil und hoffe damit Orientierung gewinnen zu können. Allerdings bleibe der vermeintliche Widerhall »herüber aus den Kindertagen« "vage, subjektiv, illusionär." (ebd.)

Nach einer ganzen Reihe von Fragen, die das erzählende Ich aufwerfe, und etlichen Vermutungen, sei ihm am Ende nicht nur die äußere Wirklichkeit, sondern auch das eigene Bewusstsein fremd (vgl. ebd., S.12) und das Ich sei entsprechend "zum uneigentlichen ›Man‹ abstrahiert." (ebd.) Dieses ›Man‹ sei indessen nicht als Verallgemeinerung im Sinne konventioneller Parabolik zu verstehen, sondern zeige an, "dass die in die Isolation geratene Subjektivität sich auch nicht mehr durch und in sich selbst vergewissern kann." (ebd.) So gingen auch die in den beiden Schlussätzen vom Ich geäußerten Erwartungen völlig an der Realität vorbei und blieben "irreale Projektionen (›Wie wäre es‹), die die eigene Fremdheit, Ohnmacht und Abgründigkeit durch den vermeintlichen Rückgriff auf Individuation zu kaschieren" (ebd.) versuche.

Niehaus (2010, S.111) gestaltet Kafka in seinem Text die sein Werk immer wieder kennzeichnende Schwellensituation, und zwar eine Situation vor der Schwelle, die zu überwinden den jeweiligen Protagonisten nicht gelingt. Zugleich stelle die Rückkehr ins Vaterhaus "eine menschliche Grundsituation" dar, "deren symbolische Überhöhung die Heimkehr eines Verlorenen ist, der wieder in die Abfolge der Generationen eintritt, oder aber die Rückkehr des Retters, der die Ordnung des Vaterhauses wiederherstellt. In jedem Falle setzt sich das Subjekt in ein Verhältnis zu der Ordnung, die es hervorgebracht hat." (ebd., S.112)

Im Hinblick auf den Bezug zum • biblischen Gleichnis betont Niehaus (2010), dass der Text Kafkas "in fast allen Punkten vom biblischen Schema abweicht." (ebd., S.111) Dennoch, nicht zuletzt durch die Titelgebung durch Max Brod, wurde und werde der Text immer wieder vor dem Hintergrund des biblischen Textes gelesen. Im biblischen Gleichnis hingegen komme diese Schwellensituation überhaupt nicht vor, weil der Vater sie überbrücke. Im Unterschied zu Kafkas Geschichte sei der Moment der Rückkehr der Höhepunkt der biblischen Geschichte. (vgl. ebd., S.111)

Auch Meurer (1988/31998, S.83) betont im Vergleich von Kafkas Text mit der biblischen Vorlage, die Einbettung des biblischen Texts in den Kontext und die ausgesprochene Gleichnisfunktion. Das Gleichnis solle "Gottes verzeihende Gnade" zeigen, die dem reuigen Sünder zuteil werde, selbst wenn er noch so spät umkehre und keinerlei gute Werke vorzuweisen habe. In dem im Präteritum und der dritten Person erzählten Text bilde zudem die dialogisch gestaltete Begrüßungsszene den Höhepunkt.

Kafkas ▪ »Heimkehr« gestalte hingegen nur einen bestimmten Moment der Heimkehr des Sohnes, der in der Ich-Form erzählt werde. Dabei sei "die Redeweise" in Kafkas Text im Grunde beschreibend. Dabei nutze der Erzähler den inneren Monolog um zu Beginn die äußere und danach die innere Situation zu schildern. Im Unterschied zum biblischen Gleichnis werde die Geschichte, abgesehen von der im Perfekt dargestellten Tatsache der schon vollzogenen Rückkehr ( ›Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten‹, ›Ich bin angekommen‹, im Präsens dargeboten. Nur einmal ziehe das erzählende Ich die mögliche Zukunft mit in seine Überlegungen ein (›Wer wird mich empfangen?‹). Vor allem aber teile Kafkas Text im Unterschied zum biblischen Gleichnis explizit keine Lehre mit, "es sei denn, dass man den einzigen Aussagesatz, in dem die Ich-Form durch das verallgemeinernde ›man‹ abgelöst wird, so versteht." (ebd.)

Moderne Parabel
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 08.05.2025

 
 

 
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