Franz Kafka, Heimkehr
Ich bin
zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist
meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares
Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze
lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine
Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich
empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem
Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich,
fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines
Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit
seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe,
teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei
ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Ich wage nicht an der
Küchentüre zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne
horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte.
Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten
Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus
den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der
dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert,
desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und
mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis
wahren will.
(Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen, hg. v. Paul Raabe, Fischer
Taschenbuch 1078, Frankfurt/M. 1970, S.320f.)
Biographische Autornotiz:
Franz Kafka: geboren 3.7.1883 in Prag, gestorben 3.6.1924 in Kierling
bei Wien; Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns; 1901 - 1906
Studium der Germanistik und Jura in Prag; 1906 Promotion zum Dr. jur.; danach
kurze Praktikantenzeit am Landesgericht Prag; 1908 - 1917 Angestellter
einer Versicherungsgesellschaft, später einer
Arbeiter-Unfall-Versicherung; 1914 zweimal verlobt und Verlöbnis
wieder gelöst; erkrankt 1917 an Tuberkulose;
1920-22 unerfüllte Liebe zu Milena Jesenska; 1922 Aufgabe des
Berufes aus gesundheitlichen Gründen; seit 1923 Zusammenleben mit Dora Dymant und freier
Schriftsteller in Berlin und Wien; zuletzt im Sanatorium Kierlang bei
Wien, dort an Kehlkopftuberkulose gestorben; literarischer Nachlass
wird posthum gegen seinen Willen von Max Brod veröffentlicht.
Anmerkungen:
* Der Titel des Textes stammt von Max Brod, dem Freund
und Herausgeber der Werke Franz Kafkas, der den Text erstmals 1936 in dem
Buch "Beschreibung eines Kampfes" (erweiterte Ausgaben davon 1946 und 1954)
veröffentlicht. Entstanden ist der Text nach Franz Kafkas Rückkehr von einem
mehrwöchigen Kuraufenthalt im südtirolischen Meran nach Prag. Zunächst wohnt
er dort bei seiner Schwester Elli, danach jedoch wieder in der Wohnung
seiner Eltern am Altstädter Ring.
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Franz Kafka), das durch Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.