Die •
nicht-religiös fundierte, atheistische existenzphilosophische Perspektive auf Kafkas Werke hat
heute im Vergleich zu der Zeit bis etwa 1970 zwar in der
Literaturwissenschaft etwas an Bedeutung verloren, ist aber bis
heute, insbesondere als Interpretationsansatz in der Schule, immer
noch stark vertreten.
Die in diesem
Zusammenhang immer
wieder betonte "kosmologische Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22) des "modernen" Menschen, die auf
unterschiedliche historische und gesellschaftliche Prozesse
zurückgeführt werden kann, ist auch heute noch ein zentraler
Begriff dieses Diskurses.
-
Er verweist auf
die prinzipielle Unsicherheit menschlicher Existenz und die
Fragen, die diese aufwirft, ohne dafür gesellschaftliche oder
individuell verbindliche Antworten zu liefern.
-
Er
unterstreicht, dass das, was früher jedenfalls einfach geglaubt
wurde, um dem Leben einen Sinn zu geben, heute in den modernen
westlichen Gesellschaften kaum oder nur noch eine geringe Geltung
hat.
-
Er macht deutlich, dass die Prinzipien und
Normen, nach denen gehandelt und/oder das Leben eingerichtet wurde
und damit die Art und Weise, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt
geschaffen wurde, heute zusehend erodieren, ohne dass diese
"Sinnreservoire" mit neuen, irgendwie gesellschaftliche
Verbindlichkeit schaffenden Inhalten wieder aufgefüllt wurden.
So nimmt der
existenzialistische Ansatz auch weiterhin auf jene Kontexte Bezug,
die ihm die Möglichkeit eröffnen, seine besondere
Auslegungsstrategie zu rechtfertigen und auf seine Weise plausible
"sinnvolle" Lesarten für die Texte Kafkas zu ermöglichen.
In
der entzauberten Welt der säkularisierten Moderne haben sich die Bezugspunkte
einer zeitgemäßen, zugegebenermaßen aktualisierenden existenzialistischen Deutung
verändert.
Heutzutage sind es
nämlich nicht mehr die historischen Veränderungen
und Verwerfungen, die mit der Säkularisierung menschlichen Daseins
zu tun haben, sondern gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen,
die im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Prozessen der •
Individualisierung und
der •
Singularisierung
zu sehen sind.
Auch
• Franz Kafkas •
Parabel •"Gibs
auf" kann und will ihren Leserinnen und Lesern keine Antworten auf Probleme des
alltäglichen Lebens und auf existenzielle Fragen geben.
Sie stellt
zwar auf ihre Weise die Frage nach dem Sinn des Lebens, die sich in
der Suche des erzählenden Ichs nach dem Weg zum Bahnhof zeigt, lässt
aber die Frage vollkommen unbeantwortet. Kafka als Autor, aber auch
seine Erzähler haben keine solchen Konzepte für das richtige Leben
parat. Wer sie sucht, wird bei Kafka nur eine von Tradition und
Ideologie geprägte Welt in Auslösung und Widersprüchen finden
Die "kosmologische
Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22) des "modernen" Menschen, die diese Welt
erzeugt, ist auch Grundlage der ▪
Strukturskizze
für die ▪
schulische Parabelinterpretation zu ▪
Kafkas ▪"Gibs
auf".