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Der neue Advokat

Überblick

Franz Kafka (1883 - 1924)

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Franz Kafkas Parabel "Der neue Advokat" ist eine kurze Erzählung, die der Autor im Jahr 1920 im Band »Ein Landarzt bei ihrer Veröffentlichung ganz bewusst an den Anfang der Sammlung von 14 Erzählungen stellte und dabei die erste und die letzte Erzählung (• Ein Bericht für eine Akademie) thematisch dadurch miteinander verklammert, dass in beiden Figuren vorkommen, die menschliche und tierische Züge aufweisen. (vgl. Blank 2010, S.221)

Erzählungen mit dem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit

Die Erzählungen, die im »Landarzt-Band verfasste ihr Autor in einer sehr produktiven Schaffensperiode, die nach einem Jahr, in dem er wenig zu Wege brachte, im Winter • 1916/17 begann. In dieser Zeit zog er aus seinem Elternhaus aus in das von seiner Schwester »Schwester Ottla (1892-1943, ermordet im »KZ Auschwitz-Birkenau) gemietete Häuschen in der »Prager Alchimistengasse, das sie ihm überlassen hatte, damit er dort endlich ungestört schreiben konnte.

"Der Schlüssel zu einer eigenen Wohnung", legt Stach (2011/42015, S.231) dar, "war das sichtbare und unmissverständliche Sinnbild der Emanzipation und damit der Trennung" vom Elternhaus und "das Auf- und Abschließen des ›eigenen‹ Hauses eine neue, genussvolle Erfahrung" für Franz Kafka. Zudem brachte die neue Situation die beiden Geschwister Franz und Ottla auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit auf eine besondere Art näher. In jedem Fall entwickelte er eine neue Schaffenskraft und Lebenszugewandtheit, was auch Ottla nicht verborgen blieb: " Er klagte seltener, schrieb so diszipliniert wie lange nicht mehr, er kämpfte um eine Wohnung, ja, er beschäftigte sich sogar mit der materiellen Absicherung seiner Pläne und beantragte die Ernennung zum Sekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherung, samt zugehörigem Sprung um zwei Gehaltsklassen." (ebd.)

Die Texte, die Kafka in seinem »Landarzt-Band zusammenstellte, sind wie Stach (2011/42015, S.326) betont, "strenge Texte, eine immer wieder ins Analytische ausbrechende Prosa, in der die Lust an der szenischen Entfaltung nur noch gelegentlich aufblitzt." Zwar strotzten die Erzählungen von "verblüffenden Einfällen" und der  "traumwandlerisch leichte(n) Überlagerung von Gegenwart und Vergangenheit", die als poetische Errungenschaften dafür gesorgt hätten, dass Kafka in einer neuen Art zu schreiben begonnen habe. Entscheidender sei aber, dass er damit "jetzt Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, auch jenseits der Literatur" erhoben habe, wie er es z. B. mit Aussagen wie den folgenden in seiner Erzählung • "Der neue Advokat" getan habe: »Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche … aber niemand, niemand kann nach Indien führen. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.« Auch wenn das Ganze sehr bildhaft gestaltet sei, "klingt es eher nach Zeitdiagnostik als nach Literatur", resümiert Stach (2011/42015, S.326) Dabei habe Kafka die Frage, ob dies überhaupt noch literarisches Schreiben darstellte, nicht beunruhigt. Stattdessen habe er nach dem Verzicht auf die Ehe 1917 durch die Auflösung der 2. Verlobung mit »Felice Bauer (1887-1960) einen "wahrhaft ungeheuerlichen Anspruch" (ebd., S.332) an sich und sein Schreiben formuliert, bei dem ihm die künstlerische Perfektion nicht mehr genug gewesen sei: "Er will jetzt alles: das Gelingen, die Erkenntnis, die Rechtfertigung, das Glück." (ebd., S.332)

Alexander, Bukephalos und der Alexanderzug nach Indien

Dass sich Kafka in seiner Erzählung mit »Alexander dem Großen (356-323 v. Chr.) und dessen Streitsross beschäftigt, geht wahrscheinlich darauf zurück, dass er 1910 »Michail Alexejewitsch Kusmins (1872-1936) »"Taten des grossen Alexander" (1910) gelesen hat. Darin hat sein Autor in einem dem Text vorangestellten Akrostichon »Bukephalos, dem Leibpferd und Schlachtross Alexanders, das nachfolgende literarische Denkmal gesetzt: "Jäh stampft ein Pferd, das wild im Zügel schnaubt: / Unrüstiger Knab, entehrst Bukephalos!/ Sehre die Grenzen, hin zur Tat, aufs Roß," Ein wenig später, im dritten Kapitel des ersten Buchs, wird die • legendenumwobene Zähmung des Pferdes durch den jungen Alexander beschrieben, die auch in der Bildenden Kunst verschiedentlich ihren Niederschlag gefunden hat. In der Literatur hat dazu, wie Elisabeth Frenzel (41976, S.32) anmerkt, nach dem Ersten Weltkrieg eine auffällige Entwicklung bei der Behandlung des Alexander-Stoffes stattgefunden: Mehr und mehr habe sich ein zunehmendes Interesse "an dem außergewöhnlichen Menschen, Eroberer und Entdecker" gezeigt, dessen Anfänge schon mit Jakob Wassermanns (1873-1934) Roman "Alexander in Babylon" (1905) sichtbar würden.

So passt es auch ins Bild, dass Kafka das, was er über Alexander auch andernorts in Erfahrung brachte, mit der Gestalt »Napoleon Bonapartes (1769-1821) verband, die ihn während dieser Zeit besonders faszinierte und die gewisse historische Parallelen zu dem antiken Herrscher aufwies. Hinzu kam noch, dass sich der Franzose, Selbstzeugnissen zufolge, in der geschichtlichen Nachfolge Alexanders des Großen sah und selbst offenbar mit dem Gedanken spielte, "nach Indien zu ziehen [...] und Kaiser des Morgenlands zu werden" ( Binder 1975/31982, S.205, vgl. Alt 2005/ 22008, S.514) Insbesondere das Gemälde »"Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard" des »Historienmalers »Jaques-Louis David (1748-1825) wird nach Ansicht Alts "gleichsam das Urbild der Geschichte Kafkas, die ikonische Darstellung der versunkenen Epoche, in der das Schlachtroß noch unter dem Diktat seines zur Führung entschlossenen Herrn stand." Die neue Zeit, das "Heute", von dem in der Erzählung Kafkas gesprochen wird, befreie das Pferd zwar von den Zwängen des Zügels, nötige es aber zugleich zur Anpassung am eine Zeit ohne Helden. Allerdings steht im Heute, indem es es keine Akteure mehr vom Schlage Alexanders und Napoleon Bonaparte mehr gibt, "das im Gemälde geronnene Erbe der Vergangenheit", wie Alt sagt, eine belastende "Hypothek" dar, "die abgetragen werden muss, soll neuer Sinn gestiftet werden." (vgl. Alt 2005/ 22008, S.514)

Womöglich hat Kafka aber auch die Schicksale von Alexander und Napoleon Bonaparte als "Metapher für den eigenen Lebensweg" (Binder 1975/31982, S.206) verstanden, die einen Kontrast zu "dem eigenen stagnierenden Lebensgang" darstellten, "so daß also über das Bindeglied Napoleon [...] das Motiv des Indienzugs und die Konfrontation zweier Zeitalter mit negativer Beleuchtung der Gegenwart (für Kafka war die napoleonische Zeit die letzte große mit Kräften erfüllte) zu Bildern für die jetzt bestehende Misere werden konnten." (ebd.)

Allgemein kann man wohl auch Kafkas Umgang mit den historischen "Helden" Alexander und Napoleon Bonaparte wie seinen Umgang mit mythischen Figuren als "Bastelei" (bricolage) bezeichnen, wie Monika Schmitz-Emans (2011, S.193f.) vorschlägt. Stets stehe er "im Zeichen der Deformation, der Verwandlung, des Widerspruchs." So wie er in den Texten, in denen er auf Mythen Bezug nehme (z. B. • Prometheus, • Poseidon, • Das Schweigen der Sirenen), diese deformiere und entmythologisiere, dekonstruiere er auch in seiner Erzählung "Der neue Advokat" mit seiner Anspielung auf Alexanders den Großen diese Heldenfigur vergangener Zeiten. Vor allem aber, so betont Schmitz-Emans (2011, S.193f.) weiter, "dienen Mythen-Reminiszenzen bei Kafka nicht dazu – wie es einer anthropologisch-kulturtheoretischen Konzeption des Mythischen entspräche –, erklärend und damit beruhigend zu wirken, wo die Welt dem Menschen als rätselhaft und bedrohlich erscheint. Diese Funktion, etwas verständlich (oder doch verständlicher) zu machen und in den Horizont des menschlichen Vorstellungsvermögens gleichsam hineinzuerzählen, hat das Mythische bei Kafka gerade nicht; seine Mythenparaphrasen dienen nicht der Versicherung, sondern der Verunsicherung. Diese beginnt manchmal schon bei der Frage, was der Mythos denn eigentlich berichte."

Dennoch kann man aber auch in seinem massiv in die Überlieferung eingreifenden Umgang mit Mythen und historischen Legenden einen Vorgang sehen, der diese Stoffe aus ihrer Erstarrung befreit und damit die Möglichkeit schafft, die oben genannte Hypothek abzulösen: "der überlieferte Text wird ‹lebendig›; der Mythos löst sich in Varianten auf. Die mythischen Helden stehen bei Kafka im Zeichen der Verweigerung gegenüber ihrer heroischen, titanischen oder göttlichen Rolle bzw. es ist der Erzähler, der sie ihnen verweigert." (Schmitz-Emans (2011, S.193f.)

Anti-realistisches parabolisches Erzählen mit einem in Auflösung befindlichen Bild- und Sachbereich

Die Erzählung "Der neue Advokat" ist, sehr pointiert zusammengefasst, "eine ironische Darstellung des gelehrten Studiums unter den Bedingungen einer alexandrinischen Epoche" (Alt 2005/ 22008, S.513). Reinhard Stach (2011/42015, S.223) sieht darin eine Erinnerung "an einen sagenhaften Monarchen" und die Beschwörung "eine(r) Welt ohne Führung" und bezieht sich dabei auf die Aussage des Erzählers »Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander … niemand, niemand kann nach Indien führen … niemand zeigt die Richtung … «

Für Alt (2005/ 22008, S.510) ist die Erzählung mit ihrer • anti-realistischen und nicht-psychologischen Erzählweise wie andere parabolische Erzählungen des »Landarzt-Bandes ein literarisches Rätselspiel. Kennzeichen dieser Erzählweise sind u. a. Ereignisse seiner fiktionalen Welt, die eigentlich unmöglich sind und darin auftretende Wesen, die es nicht gibt, z. B. sprechender Tiere, sowie das "Fehlen psychologischer Handlungsmotivationen" (Engel 2010, S.412) Die "unspektakuläre Weise" des Erzählens in •"Der neue Advokat", von der Alt (2005/ 22008, S.513) spricht, ist dabei Ausdruck dieses deutlich reduzierten realistischen Erzählgestus Franz Kafkas, dessen Texte "nicht sonderlich beschreibungsintensiv " (Engel 2010, S.412) sind und, was die Figuren anbelangt, im Allgemeinen keine "Individualisierung der Figuren" (Blank 2010, S.221)anstreben. So gibt es in diesem Text nur wenige Details, denen man auf gewohnten Wegen plausible Aspekte zur Figurencharakterisierung abgewinnen kann. Wenn solche Details dennoch verwendet werden, fordern sie meistens zu einer symbolischen Deutung und damit zu einer textexternen Sinnkonstruktion auf. (Engel 2010, S.415) So betrachtet können sie mit ihrer "kurze(n) Detailfokussierung" (Blank 2010, S.221) im Kontext anderer Signale auch die Funktion von • impliziten Transfersignalen übernehmen, da sie als "Stolperstein" der Uneigentlichkeit den Eindruck erwecken können, "sie meinten eigentlich etwas anderes." (ebd.)

Als Beispiel dafür ließe sich die Stelle heranziehen, als das erzählende Ich seine Bebachtung eines "ganz einfältigen Gerichtsdiener(s)" ironisch wiedergibt, der wiederum den neuen Advokaten Dr. Bucephalus anstaunt, als dieser "hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg." Die auch hier "teilweise grotesk anmutende Überzeichnung" (Blank 2010, S.221) der Bewegungen passt auch stilistisch zu dem "Vokabular antirealistischen Erzählens" (ebd.)

Der Ich-Erzähler der Geschichte tritt dabei lediglich als Bebachter und Berichterstatter in Erscheinung und lässt an keiner Stelle der Erzählung erkennen, was er von Dr. Bucephalus, dem pferdeartigen Halbwesen zwischen Mensch und Tier, hält. (vgl. ebd.)

Auch wenn der Text parabolisch zu verstehen ist, muss man ihn doch mit dem Verständnis lesen, dass sich darin Bild- und Sachbereich in Auflösung befinden.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 14.01.2025

 
 

 
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