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Einen Dramentext annotieren
1. Akt -
2. Akt - 3. Akt
Erster Akt
(Ein gemütlich und geschmackvoll, aber
nicht luxuriös eingerichtetes Zimmer. Rechts im Hintergrund führt eine Tür
in das Vorzimmer; eine zweite Tür links im Hintergrund führt in Helmers
Arbeitszimmer. Zwischen diesen beiden Türen ein Pianino. Links in der Mitte
der Wand eine Tür und weiter nach vorn ein Fenster. Nahe am Fenster ein
runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. Rechts an der
Seitenwand weiter zurück eine Tür und an derselben Wand weiter nach vorn ein
Kachelofen, vor dem ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl stehen.
Zwischen Ofen und Seitentür ein kleiner Tisch. An den Wänden Kupferstiche.
Eine Etagere mit Porzellan und anderen künstlerischen Nippessachen; ein
kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden; Teppich durchs ganze
Zimmer. Im Ofen ein Feuer. Wintertag.)
(Im Vorzimmer klingelt es;
gleich darauf hört man, wie geöffnet wird. Nora tritt vergnügt
trällernd ins Zimmer; sie hat den Hut auf und den Mantel an und trägt eine
Menge Pakete, die sie rechts auf den Tisch niederlegt. Sie läßt die Tür zum
Vorzimmer hinter sich offen, und man gewahrt draußen einen Dienstmann,
der einen Tannenbaum und einen Korb trägt; er übergibt beides dem
Hausmädchen, das ihnen geöffnet hat.)
NORA. Tu den Tannenbaum gut weg,
Helene. Die Kinder dürfen ihn jedenfalls erst heut abend sehen, wenn er
geputzt ist. (Zum Dienstmann, indem sie ihr Portemonnaie hervorzieht.)
Wieviel -?
DIENSTMANN. Fünfzig Öre.
NORA. Da ist eine Krone. Nein -
behalten Sie den Rest. (Der Dienstmann dankt und geht. Nora schließt die
Tür. Sie lacht noch immer stillvergnügt vor sich hin, während sie den Hut
und Mantel ablegt. Sie zieht eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und ißt
ein paar; dann geht sie vorsichtig an die Tür ihres Mannes und lauscht.)
Ja, er ist zu Hause. (Trällert wieder leise vor sich hin, indem sie
rechts an den Tisch tritt.)
HELMER (in seinem Zimmer.)
Zwitschert da draußen die Lerche?
NORA, (während sie einige
Pakete öffnet.) Ja, das tut sie!
HELMER.´Poltert da das
Eichhörnchen herum?
NORA. Ja!
HELMER. Wann ist das Eichhörnchen
nach Hause gekommen?
NORA. Diesen Augenblick.
(Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab.)
Komm, Torvald, und sieh Dir mal meine Einkäufe an.
HELMER. Nicht stören! (Bald
darauf öffnet er die Tür und sieht herein, mit der Feder in der Hand.)
Einkäufe, sagst Du? Diese vielen Sachen? Ist das lockere Zeisiglein wieder
ausgewesen und hat Geld verschwendet?
NORA. Aber Torvald, dies Jahr
dürfen wir doch wirklich ein bißchen über die Stränge schlagen. Sind es doch
die ersten Weihnachten, wo wir nicht zu sparen brauchen.
HELMER. Hör' mal, Du, Luxus
dürfen wir auch nicht treiben.
NORA. Doch, Torvald, wir dürfen
jetzt schon ein bißchen Luxus treiben. Nicht wahr? Nur ein ganz, ganz klein
bißchen. Du bekommst ja nun ein großes Gehalt und wirst viel, viel Geld
verdienen.
HELMER. Ja, von Neujahr ab. Aber
dann vergeht noch ein ganzes Quartal, bis das Gehalt fällig ist.
NORA. Bah! Bis dahin können wir
ja borgen.
HELMER. Nora! (Geht hin zu ihr
und zupft sie scherzhaft am Ohr.) Geht schon wieder der Leichtsinn mit
Dir durch? Gesetzt den Fall, ich borgte mir heute tausend Kronen, und Du
brächtest sie in der Weihnachtswoche durch, und am Sylvesterabend fiele mir
ein Ziegelstein auf den Kopf, und ich läge da -
NORA (hält ihm den Mund zu.)
Pfui, laß die garstigen Reden!
HELMER. Ja, nimm mal an, daß so
was passierte, - was dann?
NORA. Wenn so was Gräßliches
passierte, dann wär' es mir ganz gleichgültig, ob ich Schulden hätte oder
nicht.
HELMER. Und die Leute, von denen
ich das Geld geliehen hätte?
NORA. Die? Wen gingen die was an?
Das sind ja Fremde.
HELMER. Nora, Nora, Du bist ein
Weib! Aber im Ernst, Nora: Du weißt, wie ich in diesem Punkt denke. Keine
Schulden! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und damit auch etwas
Unschönes über ein Hauswesen, das auf eine Borgwirtschaft gegründet ist. Bis
auf den heutigen Tag haben wir beide tapfer ausgehalten, und das wollen wir
nun auch noch die kurze Zeit tun, wo es nötig ist.
NORA (geht zum Ofen hin.)
Na ja; wie Du willst, Torvald.
HELMER (geht hinter ihr her.)
Ei, nun darf aber die kleine Lerche auch nicht die Flügel hängen lassen.
Wie? Das Eichhörnchen steht und mault? - (Zieht das Portemonnaie.)
Nora, was mag ich da wohl haben?
NORA (wendet sich schnell um.)
Geld!
HELMER. Da nimm! (Gibt ihr
einige Banknoten.) Du lieber Gott, ich weiß, daß zu Weihnachten im Hause
eine ganze Menge draufgeht.
NORA (zählt.) Zehn, -
zwanzig, - dreißig, - vierzig. Schönen Dank, Torvald, schönen Dank; damit
behelfe ich mich lange.
HELMER. Ja, das mußt Du aber
auch!
NORA. Ja, ja, das werde ich
schon. Aber nun komm und laß Dir alle meine Einkäufe zeigen. Und so
wohlfeile Einkäufe. Schau her, - ein neuer Anzug für Ivar - und dazu ein
Säbel. Hier ist ein Pferd und eine Trompete für Bob, und da eine Puppe und
Puppenwiege für Emmy. Es ist freilich recht einfach, aber sie macht doch
immer gleich alles entzwei. Und hier Kleiderstoff und Taschentücher für die
Mädchen. Mutter Anne-Marie müßte eigentlich viel mehr haben!
HELMER. Und was ist in dem Paket
da?
NORA (schreit.) Weg,
Torvald! Das bekommst Du erst am Abend zu sehen!
HELMER. Ach so! - Aber nun sag'
mir, Du kleiner Verschwender, womit hast Du denn Dich selbst bedacht?
NORA. Ach geh, - ich mich? Ich
wüßte wirklich nicht, was -
HELMER. Du sollst aber! Nenne mir
etwas Vernünftiges, was Dir ganz besondere Freude machen würde.
NORA. Ich wüßte wirklich nichts.
- Doch, Torvald, hör' -
HELMER. Na?
NORA (spielt an seinen
Knöpfen, ohne ihn anzusehen.) Wenn Du mir ein Geschenk machen willst, so
könntest Du ja -; Du könntest -
HELMER. Na also - heraus damit!
NORA (hastig.) Du könntest
mir Geld schenken, Torvald. So viel nur, wie Du meinst entbehren zu können.
Ich kann mir dann gelegentlich später etwas dafür kaufen.
HELMER. Aber Nora, -
NORA. Ach ja, tu's, lieber
Torvald, ich bitte Dich recht sehr; ich wickle mir dann das Geld in schönes
Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht reizend?
HELMER. Wie nennt man doch die
Vögel, die alles Geld durchbringen?
NORA. Ja, ja, lockere Zeisige, -
ich weiß schon. Aber wir wollen es so machen, wie ich sage, Torvald: dann
habe ich Zeit zu überlegen, was ich am notwendigsten brauche. Ist das nicht
sehr vernünftig, Torvald, wie?
HELMER (lächelnd.) Ei
freilich -, das heißt, wenn Du das Geld, das ich Dir gebe, wirklich
festhalten und Dir selbst etwas dafür kaufen könntest. So aber geht es im
Haushalt und für allerhand unnütze Dinge drauf, und dann muß ich wieder
herausrücken.
NORA. I bewahre, Torvald -
HELMER. Läßt sich nicht leugnen,
meine kleine liebe Nora! (Legt den Arm um ihre Taille.) Mein lockerer
Zeisig ist entzückend, aber er braucht eine schwere Menge Geld. Man sollte
es nicht glauben, wie hoch einem Mann solch ein Vögelchen zu stehen kommt.
NORA. Aber nein! Wie kannst Du
nur so was sagen? - Ich spare doch wirklich, wo ich kann.
HELMER (lacht.) Ein wahres
Wort! Wo Du kannst. Aber Du kannst absolut nicht.
NORA (trällert und lächelt
stillvergnügt.) Hm! Du solltest nur wissen, wie viele Ausgaben wir
Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.
HELMER. Du bist ein sonderbares
Dingchen. Ganz wie Dein Vater. Auf jede Art bemühst Du Dich, Geld in die
Hand zu kriegen, und sobald Du es hast, verschwindet Dir's zwischen den
Fingern; Du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, aber man muß Dich nehmen,
wie Du bist. Das liegt im Blut. Ja, ja, ja, Nora, so was vererbt sich.
NORA. Nun, ich wünschte, ich
hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.
HELMER. Und ich möchte Dich gar
nicht anders haben, als Du bist, meine liebe, kleine, singende Lerche. Doch
- da fällt mir etwas ein. Du siehst heute so -, so, - wie soll ich gleich
sagen? - so verdächtig aus -
NORA. Ich?
HELMER. Allerdings. Sieh mir mal
gerade in die Augen.
NORA (sieht ihn an.) Na?
HELMER (droht mit dem Finger.)
Hat das Leckermäulchen etwa heut in der Stadt genascht?
NORA. Aber nein, wie kommst Du
darauf?
HELMER. Hat das Leckermäulchen
ganz gewiß keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?
NORA. Nein, Torvald, ich
versichere Dir -
HELMER. Nicht ein wenig
Konfitüren geschleckt?
NORA. Nein, wahrhaftig nicht!
HELMER. Auch nicht ein paar
Makronen probiert?
NORA. Nein, Torvald, ich
versichere Dir wirklich -
HELMER. Na, na, na - es ist ja
natürlich nur im Scherz gemeint -
NORA (geht rechts an den
Tisch.)
Es würde mir doch nie einfallen, gegen Deinen Wunsch zu handeln.
HELMER. Nein, das weiß ich ja
wohl. - Und dann hast Du mir ja Dein Wort gegeben - (Geht zu ihr.)
Behalt Deine kleinen Weihnachtsüberraschungen nur für Dich, mein Herz. Heut
abend, wenn der Baum brennt, werden sie schon ans Licht kommen, davon bin
ich überzeugt.
NORA. Hast Du auch nicht
vergessen, Rank einzuladen?
HELMER. Nein. Aber das ist ja gar
nicht nötig. Es versteht sich von selbst, daß er mit uns speist. Übrigens
werde ich ihn einladen, wenn er heut vormittag herkommt. Guten Wein habe ich
schon bestellt. Nora, Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf den heutigen
Abend freue.
NORA. Ich mich auch. Und wie die
Kinder erst jubeln werden, Torvald!
HELMER. Ach, es ist doch ein
herrlicher Gedanke, eine feste gesicherte Stellung, sein reichliches
Auskommen zu haben. Nicht wahr! Der Gedanke ist ein Hochgenuß!
NORA. Ach, es ist wunderbar!
HELMER. Denkst Du noch an vorige
Weihnachten? Drei liebe lange Wochen vorher hast Du Dich Abend für Abend bis
in die tiefe Nacht hinein eingeschlossen, um Blumen für den Baum und die
vielen andern Herrlichkeiten anzufertigen, womit wir überrascht werden
sollten. Uh, das war die ödeste Zeit, die ich je erlebt habe.
NORA. Ich habe mich dabei gar
nicht gelangweilt.
HELMER (lächelnd.)Aber das
Ergebnis war doch recht dürftig, Nora!
NORA. Neckst Du mich schon wieder
damit! Was konnte ich dafür, daß die Katze kam und mir alles kaputt machte.
HELMER. Nein, mein armes Norachen,
dafür konntest Du freilich nichts. Du hattest den besten Willen, uns alle zu
beglücken, und das ist die Hauptsache. Aber gut ist es doch, daß die knappen
Zeiten vorüber sind.
NORA. Ja, es ist wirklich
wunderbar!
HELMER. Nun brauche ich hier
nicht allein herumzusitzen und mich zu öden. Und Du brauchst Deine lieben
Augen und Deine zarten, feinen Händchen nicht anzustrengen -
NORA (klatscht in die Hände.)
Nein, nicht wahr, Torvald, das brauchen wir nun nicht mehr!? O, wie
wunderbar schön sich das anhört. (Nimmt seinen Arm.) Nun paß mal auf,
Torvald, wie ich mir unsere künftige Einrichtung gedacht habe. Sobald
Weihnachten vorbei ist - (es läutet im Vorzimmer.) Ach, da läutet es!
(Räumt schnell ein wenig im Zimmer auf.) Es kommt gewiß jemand. Wie
dumm!
HELMER. Für Besuche bin ich nicht
zu Hause, vergiß das nicht.
HAUSMÄDCHEN (in der
Vorzimmertür.) Gnädige Frau - eine fremde Dame - -
NORA. Ich bitte.
HAUSMÄDCHEN (zu Helmer.)
Der Herr Doktor ist auch da.
HELMER. Er ist wohl gleich zu mir
hineingegangen?
HAUSMÄDCHEN. Ja, das ist er.
(Helmer ab in sein Zimmer; das Hausmädchen führt Frau Linde, die im
Reiseanzug ist, ins Zimmer und schließt dann die Tür hinter ihr.)
FRAU LINDE (zaghaft und ein
wenig zögernd.) Guten Tag, Nora.
NORA (unsicher.) Guten Tag
-
FRAU LINDE. Du kennst mich wohl
nicht mehr -?
NORA. Nein, ich weiß nicht -;
doch, ja, - ich glaube - (aufjubelnd.) Wie - Christine! Bist Du's
wirklich?!
FRAU LINDE. Ja, ich bin es.
NORA. Christine! Und ich habe
Dich nicht wiedererkannt! Aber wie konnt' ich auch -. (Leiser.) Wie
Du Dich verändert hast, Christine!
FRAU LINDE. Allerdings. In neun -
zehn langen Jahren -
NORA. So lange haben wir uns
nicht gesehen? Wahrhaftig, ja! Ach, die letzten acht Jahre waren eine
glückliche Zeit! - Das kannst Du glauben. Und nun bist Du in die Stadt
gekommen? Hast mitten im Winter die weite Reise gemacht? Das war brav.
FRAU LINDE. Ich bin heut früh mit
dem Dampfschiff angekommen.
NORA. Natürlich, um Dir ein
Weihnachtsvergnügen zu machen. Wie nett! Wir wollen auch recht lustig sein.
Aber so leg' doch Deine Sachen ab. Du frierst doch nicht? (Hilft ihr.)
So - jetzt setzen wir uns gemütlich an den Ofen. Nein, da in den Lehnstuhl!
Ich setze mich in den Schaukelstuhl. (Ergreift ihre Hände.) Ja, das
ist ja das alte, bekannte Gesicht; nur im ersten Augenblick -. Etwas
bleicher bist Du freilich geworden, Christine, - und vielleicht auch etwas
magerer.
FRAU LINDE. Und viel, viel älter,
Nora.
NORA. Na ja, vielleicht ein
bißchen älter; aber nur ganz, ganz wenig, nicht der Rede wert. (Hält
plötzlich inne; ernst.) Ich gedankenlose Person! Da sitze ich und
schwätze! Liebste, einzige Christine, kannst Du mir vergeben?
FRAU LINDE. Was denn, Nora?
NORA (leise.) Arme
Christine, Du bist ja Witwe geworden.
FRAU LINDE. Ja, schon vor drei
Jahren.
NORA. Gott, ich wußte es ja; ich
habe es ja in den Zeitungen gelesen. Ach, Christine, Du kannst mir glauben,
immer wollte ich Dir schreiben in der Zeit; aber jedesmal habe ich es wieder
aufgeschoben; stets kam was dazwischen.
FRAU LINDE. Liebe Nora, das
begreife ich wohl.
NORA. Nein, Christine, es war
garstig von mir! Ach, Du Ärmste, was mußt Du nicht alles durchgemacht haben!
- Und er hat Dir nichts zum Leben hinterlassen?
FRAU LINDE. Nichts!
NORA. Und keine Kinder?
FRAU LINDE. Nein!
NORA. Ganz und gar nichts also?
FRAU LINDE. Nicht einmal eine
Sorge oder ein Leid, von dem ich zehren könnte.
NORA (sieht sie ungläubig an.)
Aber Christine, wie ist das möglich?
FRAU LINDE (lächelt
schwermütig und streicht ihr über das Haar.) Ach, das kommt zuweilen
vor, Nora.
NORA. So ganz allein! Wie
furchtbar schwer das für Dich sein muß. Ich habe drei reizende Kinder.
Augenblicklich kann ich sie Dir nicht vorstellen, - sie sind mit der
Kinderfrau aus. Aber nun mußt Du mir alles erzählen -
FRAU LINDE. Ach nein! Erzähl' Du
mir lieber!
NORA. Nein, Du mußt anfangen.
Heute will ich nicht egoistisch sein. Heut will ich nur an Deine Sachen
denken. Aber eines muß ich Dir doch sagen. Hast Du schon davon
gehört, welch großes Glück uns in diesen Tagen beschert worden ist?
FRAU LINDE. Nein, was denn?
NORA. Denk Dir, mein Mann ist
Direktor der Aktienbank geworden.
FRAU LINDE. Dein Mann? O dieses
Glück -!
NORA. Ja, ein riesiges Glück. Ein
Advokat hat ein so unsicheres Brot, besonders wenn er sich nur mit feinen
und anständigen Geschäften befassen will. Und das hat Torvald natürlich
immer gewollt; und darin halte ich es auch ganz mit ihm. Glaub' mir, wir
freuen uns! Schon zu Neujahr tritt er in die Bank ein, und dann kriegt er
ein großes Gehalt und viel Prozente. Von jetzt ab können wir ganz anders
leben als bisher -, ganz, wie wir wollen. Ach, Christine, wie leicht und
glücklich ich mich fühle! Ja, es ist doch wunderschön, tüchtig viel Geld und
keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?
FRAU LINDE. Jedenfalls muß es
schön sein, das Notwendige zu haben.
NORA. Nein, nicht das Notwendige
nur - sondern tüchtig, tüchtig viel Geld.
FRAU LINDE (lächelt.)
Nora, Nora! Bist Du noch immer nicht gescheit geworden? In der Schule warst
Du eine große Verschwenderin.
NORA (lächelt still.) Ja,
das sagt Torvald heutigentags noch. (Droht mit dem Finger.) Aber
"Nora, Nora" ist nicht so dumm, wie Ihr denkt. - Uns ist es wahrhaftig nicht
so ergangen, daß ich hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten
müssen.
FRAU LINDE. Du auch?
NORA. Ja, Kleinigkeiten -,
Handarbeiten, Häkeleien, Stickereien und dergleichen, - (leichthin) -
und auch noch andere Sachen. Du weißt doch, daß Torvald aus dem
Ministerialdienst ausgetreten ist, als wir heirateten? In seinem Rayon war
keine Aussicht auf Beförderung, und er mußte doch mehr Geld verdienen als
früher. Im ersten Jahr überarbeitete er sich aber ganz gräßlich. Er war, wie
Du Dir denken kannst, auf allerhand Nebenverdienste angewiesen und mußte von
früh bis spät schaffen. Das konnte er nicht vertragen, und so wurde er
totkrank. Die Ärzte erklärten es für notwendig, daß er nach dem Süden ginge.
FRAU LINDE. Ach ja, Ihr wart ja
ein ganzes Jahr in Italien.
NORA. Ja, gewiß. Glaub' mir, es
war nicht leicht wegzukommen. Ivar war eben geboren. Doch weg mußten wir auf
jeden Fall. Ach, es war eine wunderbar schöne Reise, und sie hat Torvald das
Leben gerettet. Aber eine schwere Menge Geld hat sie gekostet, Christine.
FRAU LINDE. Das kann ich mir
schon denken.
NORA. Zwölfhundert Taler hat sie
gekostet. Viertausendachthundert Kronen. Du, das ist viel Geld.
FRAU LINDE. Aber in solcher Lage
ist es jedenfalls doch ein großes Glück, wenn man es hat.
NORA. Ich will Dir was sagen, wir
kriegten es von Papa.
FRAU LINDE. Ach so. Gerade um
jene Zeit starb ja wohl Dein Vater.
NORA. Ja, Christine, gerade
damals. Und denk nur, ich konnte nicht zu ihm reisen und ihn pflegen. Ich
erwartete ja täglich die Geburt meines kleinen Ivar. Und dann mußte ich ja
auch meinen armen totkranken Torvald pflegen. Der liebe, gute Papa! Ich habe
ihn nicht mehr gesehen, Christine. Ach! das ist das Schwerste, was ich seit
meiner Verheiratung erlebt habe.
FRAU LINDE. Ich weiß, Du hast ihn
sehr lieb gehabt. Und dann seid Ihr also nach Italien gereist?
NORA. Jawohl - da hatten wir ja
das Geld, und die Ärzte drangen darauf. Einen Monat später sind wir gereist.
FRAU LINDE. Und Dein Mann kam
ganz geheilt zurück?
NORA. Munter wie ein Fisch im
Wasser.
FRAU LINDE. Aber - der Doktor?
NORA. Wieso?
FRAU LINDE. Ich glaubte das
Mädchen so verstanden zu haben, der Herr, der zugleich mit mir eintrat, sei
der Doktor.
NORA. Das war Doktor Rank. Der
kommt aber nicht als Arzt zu uns. Das ist unser bester Freund und läßt sich
hier bei uns täglich wenigstens einmal sehen. Nein, Torvald ist auch noch
nicht eine Stunde wieder krank gewesen. Und die Kinder sind munter und
gesund, und ich auch. (Springt auf und klatscht in die Hände.) Gott,
o Gott, Christine, es ist doch wunderbar schön, zu leben und glücklich zu
sein! - - Ach, aber es ist abscheulich von mir -; ich spreche immer nur von
meinen eigenen Sachen. (Setzt sich dicht neben sie auf einen Schemel und
legt die Hände auf Frau Lindes Schoß.) Ach, Du mußt mir nicht böse sein!
- Sag' mal, ist es wirklich wahr, daß Du Deinen Mann nicht geliebt hast?
Warum hast Du ihn denn genommen?
FRAU LINDE. Meine Mutter lebte
noch und war bettlägerig und ohne Mittel. Und auch für meine beiden jüngeren
Brüder hatte ich zu sorgen. Es schien mir unverantwortlich, seinen Antrag
zurückzuweisen.
NORA. Nein, nein, das ist ganz
richtig. Er war also damals reich?
FRAU LINDE. Er war recht
wohlhabend, glaube ich. Aber es waren unsichere Geschäfte, Nora. Als er
starb, kam der Zusammenbruch, und nichts blieb übrig.
NORA. Und dann -?
FRAU LINDE. Dann mußte ich mich
mit einem kleinen Kramladen und einer kleinen Schule und allem Möglichen
durchschlagen. Die letzten drei Jahre sind ein einziger langer, ruheloser
Arbeitstag für mich gewesen. Jetzt ist er zu Ende, Nora. Meine arme Mutter
braucht mich nicht mehr, - sie ist gestorben. Und die Jungen auch nicht, -
sie haben jetzt Stellungen und können für sich selber sorgen.
NORA. Wie leicht Du Dich fühlen
mußt -
FRAU LINDE. Nein, Du, - nur so
unsagbar leer. Niemand mehr, für den ich leben kann. (Steht unruhig auf.)
Deshalb hielt ich es da in dem entlegenen Nest nicht mehr aus. Hier muß man
doch leichter etwas finden können, das einen in Anspruch nimmt und die
Gedanken beschäftigt. Wenn es mir nur gelänge, eine feste Stellung zu
finden, ein wenig Bureauarbeit -
NORA. Aber Christine, das ist ja
entsetzlich anstrengend und Du siehst ohnehin schon so angegriffen aus. Es
wäre viel besser für Dich, wenn Du eine Badereise machen könntest!
FRAU LINDE (geht ans Fenster.)
Ich habe keinen Vater, der mir das Reisegeld schenken könnte, Nora.
NORA (steht auf.) Ach, sei
mir nicht böse!
FRAU LINDE (geht zu ihr.)
Liebe Nora, sei Du mir nicht böse. Das ist das Schlimmste bei
Verhältnissen wie den meinigen, daß sie so das Gemüt verbittern. Man hat für
niemand zu arbeiten, und doch muß man fortwährend tätig sein. Denn man muß
doch leben, und so wird man Egoist. Als Du mir von der glücklichen
Veränderung in Eurer Lebenslage erzähltest - wirst Du mir glauben, da freute
ich mich nicht so sehr um Deinet-, wie um meinetwillen.
NORA. Wie das? Ach ja - ich
verstehe Dich. Du meinst, daß Torvald etwas für Dich tun könnte.
FRAU LINDE. Ja, das dachte ich
mir.
NORA. Das soll er auch,
Christine. Überlaß das nur mir; ich werde es schon so fein einfädeln, so
fein, - etwas recht Liebenswürdiges aushecken, das bei ihm verfängt. Ach,
ich möchte Dir so furchtbar gern helfen.
FRAU LINDE. Wie schön von Dir,
Nora, daß Du so für meine Sache eintrittst - doppelt schön von Dir,
die Du selbst die Last und Mühsal des Lebens so gar nicht kennst.
NORA. Ich -? Ich kenne nicht -?
FRAU LINDE (lächelnd.) Du
lieber Gott, das bißchen Handarbeit und dergleichen -. Du bist ein Kind,
Nora.
NORA (wirft den Kopf zurück
und geht durchs Zimmer.) Das solltest Du nicht mit solcher Überlegenheit
sagen.
FRAU LINDE. So?
NORA. Du bist wie die andern.
Alle glaubt Ihr, daß ich zu etwas wirklich Ernstem nicht tauge -
FRAU LINDE. Na, na - -
NORA. - daß ich nichts geleistet
habe in diesem schweren Dasein.
FRAU LINDE. Liebe Nora, Du hast
mir ja eben all Dein Ungemach erzählt.
NORA. Ach was, - die Bagatellen!
- (Leise.) Das Große, das habe ich Dir nicht erzählt.
FRAU LINDE. Das Große? Was meinst
Du damit?
NORA. Du unterschätzt mich
durchaus, Christine; aber das solltest Du nicht tun. Du bist stolz darauf,
daß Du so lange und so schwer für Deine Mutter geschafft hast.
FRAU LINDE. Ich unterschätze
gewiß niemanden. Aber eins ist wahr: ich bin stolz und glücklich in dem
Gedanken, daß es mir vergönnt gewesen ist, meiner Mutter die letzten
Lebenstage einigermaßen sorgenfrei zu gestalten.
NORA. Und Du bist auch stolz in
dem Gedanken, was Du für Deine Brüder getan hast.
FRAU LINDE. Ich glaube ein Recht
dazu zu haben.
NORA. Das glaube ich auch. Aber
nun sollst Du etwas erfahren, Christine. Auch ich habe was, das mich stolz
und glücklich macht.
FRAU LINDE. Daran zweifle ich
nicht. Aber wie meinst Du das?
NORA. Sprich leise. Bedenk, wenn
Torvald es hörte! Um keinen Preis der Welt darf er -; niemand darf es
erfahren, außer Dir niemand, Christine.
FRAU LINDE. Was ist es denn nur?
NORA. Komm her. (Zieht sie
neben sich auf das Sofa.) Ja, Du, - ich habe auch etwas, das mich stolz
und glücklich macht: ich habe Torvald das Leben gerettet
FRAU LINDE. Gerettet -? Wieso
gerettet?
NORA. Ich habe Dir doch von der
Reise nach Italien erzählt. Wenn Torvald nicht dorthin gekommen wäre, so
wäre er draufgegangen.
FRAU LINDE. Na ja, Dein Vater hat
Euch ja die nötigen Mittel gegeben -
NORA (lächelt.) Ja, das
glaubt Torvald, und das glauben alle andern; aber -
FRAU LINDE. Aber -?
NORA. Papa hat uns keinen Heller
gegeben. Ich habe das Geld geschafft.
FRAU LINDE.
Du? Die ganze große Summe?
NORA. Zwölfhundert Taler.
Viertausendachthundert Kronen. Was sagst Du nun?
FRAU LINDE. Ja aber, Nora, wie
war Dir das möglich? Hattest Du in der Lotterie gewonnen?
NORA (verächtlich.) In der
Lotterie? (Geringschätzig.) Was wäre denn das für eine Kunst gewesen?
FRAU LINDE. Wo hast Du es denn
herbekommen?
NORA (trällert und lächelt
geheimnisvoll.) Hm, tralalala!
FRAU LINDE. Borgen konntest Du es
Dir doch nicht?
NORA. So? Warum denn nicht?
FRAU LINDE. Nein, eine Frau kann
ohne die Einwilligung ihres Gatten kein Darlehn aufnehmen.
NORA (wirft den Kopf zurück.)
So -? Wenn es eine Frau ist, die einige Geschäftskenntnis hat -, eine Frau,
die sich klug zu benehmen weiß, - dann -
FRAU LINDE. Aber, Nora, ich
verstehe kein Wort -
NORA. Ist auch gar nicht nötig.
Es ist ja gar nicht gesagt, daß ich mir das Geld geborgt habe. Ich
kann es mir ja auf andere Weise verschafft haben. (Wirft sich ins Sofa
zurück.) Ich kann es ja von irgend einem Verehrer bekommen haben. Wenn
man leidlich hübsch aussieht, wie ich -
FRAU LINDE. Du bist eine Närrin.
NORA. Jetzt bist Du gewiß
grenzenlos neugierig, Christine.
FRAU LINDE. Hör' mal an, liebe
Nora, - hast Du auch keine Unbesonnenheit begangen?
NORA (richtet sich wieder
auf.) Ist es eine Unbesonnenheit, seinem Mann das Leben zu retten?
FRAU LINDE. Ich finde, es war
eine Unbesonnenheit, daß Du ohne sein Wissen -
NORA. Aber er durfte ja doch
nichts wissen! Herrgott, kannst Du denn das nicht begreifen? Er durfte nicht
einmal wissen, wie schlimm es um ihn stand. Zu mir kamen die Ärzte
und sagten, es wäre Gefahr für sein Leben, und nur ein Aufenthalt im Süden
könnte ihn retten. Meinst Du denn, ich hätte nicht zunächst auf andere Weise
versucht, aus der Verlegenheit zu kommen? Ich sprach mit ihm darüber, wie
nett ich es finden würde, mal wie andere junge Frauen ins Ausland reisen zu
können. Ich weinte und ich flehte; ich sagte ihm, er sollte doch daran
denken, in welchen Umständen ich mich befände, er sollte doch gut sein und
mir nachgeben, und dann deutete ich an, er könnte ja wohl ein Darlehn
aufnehmen. Aber da wurde er beinahe böse, Christine. Er sagte, ich wäre
leichtsinnig, und es wäre seine Pflicht als Ehemann, meinen Mucken und
Launen - so nannte er es, glaube ich - nicht nachzugeben. Nun wohl, dachte
ich bei mir, gerettet mußt Du werden; und da verfiel ich auf diesen Ausweg -
FRAU LINDE. Hat Dein Mann denn
nicht von Deinem Vater erfahren, daß das Geld nicht von ihm kam?
NORA. Nein, niemals. Papa starb
gerade in jenen Tagen. Ich hatte vor, ihn in die Sache einzuweihen und ihn
zu bitten, daß er nichts verriete. Weil er nun aber so krank darniederlag -.
Leider wurde es nicht mehr nötig.
FRAU LINDE. Und später hast Du
Dich Deinem Manne nie anvertraut?
NORA. Nein, um des Himmelswillen,
was fällt Dir ein? Ihn, der in diesen Dingen so streng ist! Und außerdem -
Torvald mit seinem männlichen Selbstgefühl, - wie peinlich und demütigend
wäre ihm das Bewußtsein, mir etwas zu verdanken. Das würde unser
gegenseitiges Verhältnis vollständig verschieben. Unser schönes, glückliches
Heim wäre nicht mehr, was es jetzt ist.
FRAU LINDE. Wirst Du es ihm
niemals sagen?
NORA (nachdenklich, mit halbem
Lächeln.) Doch, - vielleicht später einmal; - nach vielen Jahren, wenn
ich nicht mehr so hübsch bin wie jetzt. Du darfst darüber nicht lachen. Ich
meine ja nur: wenn Torvald sich nicht mehr so viel aus mir macht wie jetzt;
wenn es ihm keine Freude mehr gewährt, daß ich ihm etwas vortanze und mich
verkleide und deklamiere. Dann ist es vielleicht gut, etwas in der Reserve
zu haben -. (Abbrechend.) Ach Unsinn, Unsinn, Unsinn! Die Zeit
kommt nie. - Na, aber was sagst Du zu meinem großen Geheimnis, Christine?
Tauge ich nicht doch zu etwas? - Du darfst mir übrigens glauben, die Sache
hat mir viel Kummer bereitet. Es ist mir wahrhaftig nicht leicht geworden,
meinen Verpflichtungen immer zur rechten Zeit nachzukommen. Du mußt nämlich
wissen, im Geschäftsleben gibt es etwas, das man Quartalszinsen nennt, und
noch etwas, das Abzahlung heißt; und die Gelder sind immer so entsetzlich
schwer zu beschaffen. Da habe ich denn an allen Ecken und Enden sparen
müssen, wo ich nur konnte, siehst Du. Vom Wirtschaftsgelde konnte ich so gut
wie nichts erübrigen, denn Torvald mußte ja gut leben. Die Kinder konnte ich
doch auch nicht in schlechter Kleidung umhergehen lassen; was ich für sie
bekam, dachte ich, das müßte ich auch für sie verbrauchen. Die süßen,
herzigen Kleinen!
FRAU LINDE. Da mußten denn wohl
Deine eigenen Bedürfnisse herhalten, arme Nora?
NORA. Ja, natürlich. Ich war ja
auch die Nächste dazu. Jedesmal, wenn Torvald mir Geld zu neuen Kleidern und
dergleichen gab, verwandte ich nie mehr als die Hälfte darauf; ich kaufte
stets vom Billigsten und Einfachsten. Ein wahres Glück, daß mir alles so gut
steht, und Torvald also nichts merkte. Manchmal ist es mir aber recht schwer
geworden, Christine, denn es ist doch himmlisch, fein gekleidet zu gehen.
Nicht wahr?
FRAU LINDE. Ja, freilich.
NORA. Na, und dann hatte ich ja
auch noch andere Einnahmequellen. Im vorigen Winter hatte ich das Glück,
eine Menge Schreibarbeit zu bekommen. Da schloß ich mich ein und schrieb
jeden Abend bis tief in die Nacht hinein. Ach, zuweilen war ich so müde, so
müde. Aber es war trotzdem riesig unterhaltend, so zu arbeiten und Geld zu
verdienen. Ich kam mir beinahe wie ein Mann vor.
FRAU LINDE. Wie viel hast Du denn
nun auf die Weise abzahlen können?
NORA. Ja, das kann ich nicht so
genau sagen. Weißt Du, es ist sehr schwierig, sich in solchen Geschäften
zurecht zu finden. Ich weiß bloß, daß ich bezahlt habe, was ich nur
zusammenkratzen konnte. Gar manches Mal habe ich mir keinen Rat gewußt.
(Lächelt.) Dann saß ich da und stellte mir vor, es hätte sich ein
reicher, alter Herr in mich verliebt -
FRAU LINDE. Wie? Was für ein
Herr?
NORA. Ach Unsinn! - und daß er
stürbe, und als man sein Testament öffnete, stand mit großen Buchstaben
darin: "Alle meine Gelder sollen der liebenswürdigen Frau Nora Helmer sofort
bar ausbezahlt werden."
FRAU LINDE. Aber liebe Nora, -
was war das für ein Herr?
NORA. Herrgott, begreifst Du denn
nicht? Der alte Herr existierte ja gar nicht; das habe ich mir ja nur
vorphantasiert - immer und immer wieder, wenn ich nicht aus noch ein wußte,
um Geld zu beschaffen. Aber das ist nun alles eins; der alte langweilige
Mensch kann meinetwegen bleiben, wo er ist; ich mache mir weder aus ihm noch
aus seinem Testament etwas, denn jetzt bin ich die Sorgen los. (Springt
auf.) Gott, o Gott, Christine, es ist doch ein himmlischer Gedanke!
Sorgenfrei! Sorgenfrei zu sein, ganz sorgenfrei; mit den Kindern spielen und
sich tummeln zu können; es hübsch und nett im Hause zu haben, ganz so, wie
Torvald es liebt! Und denk, nun kommt bald der Frühling mit seinem weiten,
blauen Himmel! Vielleicht können wir dann eine kleine Reise machen. Und ich
darf vielleicht das Meer wiedersehen! Ach ja, ja! Wie wunderbar, zu leben
und glücklich zu sein! (Man hört die Glocke im Vorzimmer.)
FRAU LINDE (steht auf.) Es
klingelt; es ist vielleicht das beste, ich gehe.
NORA. Nein, bleib nur; zu mir
kommt gewiß kein Besuch; es wird wohl jemand zu Torvald -
HAUSMÄDCHEN (in der
Vorzimmertür.) Verzeihung, gnädige Frau; - da ist ein Herr, - der den
Herrn Advokaten sprechen will.
NORA. - - den Herrn
Bankdirektor, meinst Du wohl.
HAUSMÄDCHEN. Ja, den Herrn
Bankdirektor; ich wußte aber nicht recht, - weil doch der Herr Doktor drin
ist -
NORA. Wer ist der Herr?
KROGSTAD (in der
Vorzimmertür.) Ich bin's, gnädige Frau.
(Frau Linde
stutzt, fährt zusammem und wendet sich dem Fenster zu.)
NORA (geht ihm einen Schritt
entgegen, gespannt, mit halber Stimme.) Sie? Was soll das heißen? Über
was haben Sie mit meinem Mann zu reden?
KROGSTAD. Über
Bankangelegenheiten; - sozusagen. Ich habe einen kleinen Posten an der
Aktienbank, und wie ich höre, wird Ihr Mann jetzt unser Chef -
NORA. Es sind also -
KROGSTAD. - nur trockene
Geschäfte, gnädige Frau; absolut nichts andres.
NORA. Ja, dann haben Sie wohl die
Güte, sich ins Bureau zu bemühen. (Grüßt gleichgültig, indem sie die Tür
zum Vorzimmer schließt; darauf geht sie an den Ofen und sieht nach dem
Feuer.)
FRAU LINDE. Nora, - wer war der
Mann?
NORA. Das war ein gewisser
Krogstad.
FRAU LINDE. Er war es also
wirklich.
NORA. Kennst Du den Menschen?
FRAU LINDE. Ich habe ihn gekannt
- es ist sehr lange her. Er war eine Zeitlang Vertreter des Rechtsanwalts in
unserer Gegend.
NORA. Ganz richtig.
FRAU LINDE. Wie er sich verändert
hat.
NORA. Er ist wohl sehr
unglücklich verheiratet gewesen.
FRAU LINDE. Jetzt ist er ja
Witwer.
NORA. Mit vielen Kindern. - So -
nun brennt das Feuer. (Sie schließt die Ofentür und schiebt den
Schaukelstuhl ein wenig beiseite.)
FRAU LINDE. Es heißt, er betreibe
mancherlei Art Geschäfte?
NORA. So? Das kann schon sein!
Ich weiß es wirklich nicht -. Aber laß uns nicht an Geschäfte denken. Das
ist so öde.
(Doktor Rank
kommt aus Helmers Zimmer.)
DOKTOR RANK (noch in der Tür.)
Nein, nein, lieber Freund, ich mag nicht stören; ich will lieber ein bißchen
zu Deiner Frau hineingehen. (Schließt die Tür hinter sich und bemerkt
Frau Linde.) O, - ich bitte um Vergebung; hier stör' ich am Ende auch?
NORA. Durchaus nicht. (Stellt
vor.) Doktor Rank - Frau Linde.
RANK. Ah! Ein Name, der hier im
Hause oft genannt wird. Ich glaube, ich ging auf der Treppe an Ihnen vorbei,
als ich kam.
FRAU LINDE. Ja, ich steige
Treppen sehr langsam; ich kann es nicht gut vertragen.
RANK. Aha! Ein kleiner innerer
Schaden?
FRAU LINDE. Eigentlich mehr eine
Überanstrengung.
RANK. Sonst nichts? Dann sind Sie
wohl in die Stadt gekommen, um sich bei den vielen Fêten ein wenig zu
erholen?
FRAU LINDE. Ich bin gekommen, um
Arbeit zu suchen.
RANK. Ist Arbeit ein probates
Mittel gegen Überanstrengung?
FRAU LINDE. Man muß leben, Herr
Doktor.
RANK. Ja, es ist eine weit
verbreitete Ansicht, daß das eine Notwendigkeit wäre.
NORA. Na, na, Doktor, - Sie
wollen doch auch gern leben.
RANK. Allerdings will ich das.
Bin ich auch elend dran, so möchte ich doch, daß die Qual noch möglichst
lange dauere. Meinen Patienten geht es allen ebenso. Und mit den sittlich
Bresthaften ist es nicht anders. In diesem Augenblick ist gerade solch ein
moralischer Lazarus bei Helmer drin -
FRAU LINDE (mit gedämpfter
Stimme.) Ah!
NORA. Wen meinen Sie?
RANK. Ach, es ist ein Anwalt
Krogstad, - Sie kennen den Menschen nicht. Der ist verdorben in den Wurzeln
des Charakters, verehrte Frau. Aber selbst der fing an, davon zu
schwätzen, wie von einer hochwichtigen Sache: daß er leben müsse.
NORA. So? - Was hatte er denn mit
Torvald zu reden?
RANK. Ich weiß wahrhaftig nicht;
ich habe nur gehört, daß es die Aktienbank betraf.
NORA. Ich wußte nicht, daß Krog
-, daß dieser Herr Krogstad etwas mit der Aktienbank zu schaffen hätte.
RANK. O freilich, - er hat dort
so eine Art Anstellung. (Zu Frau Linde.) Ich weiß nicht, ob Sie in
Ihrer Gegend da auch solche Leute haben, die überall atemlos umherrennen, um
moralische Fäulnis aufzuspüren und dann die Betreffenden für irgend eine
vorteilhafte Stellung in Vorschlag zu bringen. Die Gesunden müssen sich dann
hübsch darein finden, das Nachsehen zu haben.
FRAU LINDE. Nun, aber eigentlich
haben doch auch die Kranken das größte Anrecht darauf, sichergestellt zu
werden.
RANK (zuckt die Achseln.)
Na, da haben wir's. Gerade die Anschauung macht die menschliche
Gesellschaft zu einem Krankenhause.
(Nora, die in
ihre eigenen Gedanken versunken war, bricht in ein halblautes Gelächter aus
und klatscht in die Hände.)
RANK. Weshalb lachen Sie über so
was? Wissen Sie denn überhaupt, was die Gesellschaft ist?
NORA. Was kümmert mich die dumme
Gesellschaft?! Ich lache über ganz etwas anderes, - etwas ungeheuer
Komisches. - Sagen Sie mal, Doktor, - werden nun alle, die bei der
Aktienbank angestellt sind, von Torvald abhängig?
RANK. Das finden Sie so
ungeheuer komisch?
NORA (lächelt und trällert.)
Lassen Sie mich nur, lassen Sie mich nur! (Spaziert im Zimmer auf und
ab.) Ach, der Gedanke, daß wir - daß Torvald so großen Einfluß auf so
viele Menschen hat, ist wirklich über alle Maßen ergötzlich. (Zieht die
Tüte aus der Tasche.) Doktor, ein Makronchen gefällig?
RANK. Ei sieh mal, Makronen. Ich
glaubte, das wäre hier Kontrebande.
NORA. Ja gewiß, - aber die
hat mir Christine geschenkt.
FRAU LINDE. Wie? - Ich? -
NORA. Na, na, na; erschrick nur
nicht. Du konntest ja nicht wissen, daß Torvald das verboten hat. Du mußt
nämlich wissen, er hat Angst, daß ich schlechte Zähne davon kriege. Ach was!
Einmal ist keinmal! - Nicht wahr, Doktor? Hier, bitte! (Steckt ihm eine
Makrone in den Mund.) Und Du auch, Christine. Und ich kriege auch eine;
nur eine ganz kleine - oder höchstens zwei. (Geht wieder umher.) Ja,
jetzt bin ich wirklich über die Maßen glücklich. Nun gibt es nur noch eins
auf der Welt, wozu ich eine riesige Lust hätte.
RANK. Na, und das wäre?
NORA. Ich möchte so riesig gern
etwas sagen, und Torvald müßte es hören.
RANK. Und warum sagen Sie es denn
nicht?
NORA. Nein, ich darf nicht; es
ist gar so garstig.
FRAU LINDE. Garstig?
RANK. Ja, dann ist es wohl nicht
ratsam. Aber zu uns können Sie doch -. Na, was möchten Sie denn so gern
sagen, daß Torvald es hörte?
NORA. Ich möchte so riesig gern
sagen: Himmelkreuzdonnerwetter!
RANK. Sind Sie verdreht?
FRAU LINDE. Aber, Nora -!
RANK. Sagen Sie's doch. Da ist
er.
NORA (versteckt die
Makronentüte.) Pst! Pst! Pst!
(Helmer
kommt, den Überzieher über dem Arm und den Hut in der Hand, aus seinem
Zimmer.)
NORA (geht ihm entgegen.)
Na, lieber Torvald, bist Du ihn los?
HELMER. Ja, er ist weg.
NORA. Darf ich Dich vorstellen -:
das ist Christine; sie ist heute angekommen.
HELMER. Christine -?
Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht -
NORA. Frau Linde, lieber Torvald,
- Frau Christine Linde.
HELMER. Ah so. Vermutlich eine
Jugendfreundin meiner Frau?
FRAU LINDE. Ja, wir kennen uns
von früher.
NORA. Und denk nur, sie hat die
weite Reise hierher gemacht, um mit Dir zu sprechen.
HELMER. Wieso -?
FRAU LINDE. Das gerade nicht -
NORA. Christine ist nämlich
außerordentlich geschickt in Bureauarbeiten. Und nun möchte sie so furchtbar
gern unter die Leitung eines tüchtigen Mannes kommen und noch mehr lernen,
als sie schon kann -
HELMER. Sehr vernünftig, Frau
Linde.
NORA. Und als sie nun hörte, daß
Du Bankdirektor geworden bist - der Telegraph hatte es verkündet - ist sie
so schnell wie möglich hergereist und -. Nicht wahr, Torvald, mir zuliebe
kannst Du schon ein wenig für Christine tun? Was?
HELMER. Je nun, das wäre gar
nicht so unmöglich. Vermutlich sind Sie Witwe?
FRAU LINDE. Ja.
HELMER. Und haben Sie Übung in
Kontorarbeiten?
FRAU LINDE. Ja, so ziemlich.
HELMER. Na, dann ist es sehr
wahrscheinlich, daß ich Ihnen eine Anstellung verschaffen kann -
NORA (klatscht in die Hände.)
Siehst Du wohl, siehst Du wohl?
HELMER. Sie haben gerade einen
günstigen Augenblick getroffen, Frau Linde -
FRAU LINDE. Wie soll ich Ihnen
danken -?
HELMER. Ist durchaus nicht nötig.
(Zieht den Überzieher an.) Für heute müssen Sie mich aber
entschuldigen.
RANK. Wart', ich gehe mit.
(Holt seinen Pelz aus dem Vorzimmer und wärmt ihn am Ofen.)
NORA. Bleib nicht zu lange aus,
lieber Torvald.
HELMER. Nur ein Stündchen, länger
nicht.
NORA. Gehst Du auch, Christine?
FRAU LINDE (zieht ihren Mantel
an.) Ja, ich muß nun fort und mich nach einem Zimmer umsehen.
HELMER. Dann können wir
vielleicht zusammen die Straße hinunter gehen.
NORA (hilft ihr.) Wie
dumm, daß wir so beschränkt wohnen; aber es ist uns unmöglich, Dir -
FRAU LINDE. Wo denkst Du hin!
Adieu, liebe Nora, und Dank für alles.
NORA. Auf Wiedersehen! Heut abend
kommst Du selbstverständlich. Und Sie auch, Doktor. Was? Wenn Sie wohl genug
sind? Natürlich sind Sie wohl genug. Packen Sie sich nur recht gut ein.
(Im allgemeinen
Gespräch gehen sie in das Vorzimmer; auf der Treppe hört man Kinderstimmen.)
NORA. Da sind sie, da sind sie!
(Sie läuft hin und öffnet.)
(Anne-Marie
kommt mit den Kindern.)
NORA. Herein, nur herein!
(Beugt sich nieder und küßt sie.) Ihr süßen, einzigen -! Schau sie an,
Christine! Sind sie nicht reizend?
RANK. Keine Unterhaltung hier in
der Zugluft.
HELMER. Kommen Sie, Frau Linde.
Nun ist's hier nicht mehr auszuhalten für Leute, die keine Mütter sind!
(Rank, Helmer und
Frau Linde gehen die Treppe hinunter, die Kinderfrau geht mit den Kindern
ins Zimmer. Nora ebenfalls, indem sie die Tür zum Vorzimmer schließt.)
NORA. Wie frisch und fröhlich Ihr
ausseht. Und die roten Backen, die Ihr mitbringt. Wie Äpfel und Rosen.
(Die Kinder sprechen während des Folgenden durcheinander mit ihr.) Habt
Ihr Euch gut unterhalten? Das ist ja herrlich. Ach - Du hast Emmy und Bob
Schlitten gefahren? - Denk mal an! Ja, Du bist ein fixer Kerl, Ivar. Gib sie
mir ein bißchen, Anne-Marie. Mein süßes, kleines Puppenkind! (Nimmt der
Kinderfrau das Kleinste ab und tanzt mit ihm.) Ja, ja! Mama wird mit Bob
auch tanzen. Was? Ihr habt Euch geschneeballt? Oh, da hätte ich mit dabei
sein mögen! Laß nur, ich will sie selbst ausziehen, Anne-Marie. Laß mich
doch; ich tu's so gerne. Geh so lange in die Kinderstube. Du siehst so
verfroren aus. Auf dem Ofen steht heißer Kaffee für Dich.
(Die Kinderfrau
geht in das Zimmer zur Linken. Nora nimmt den Kindern die Mäntel und Hüte ab
und wirft alles umher; inzwischen läßt sie sie durcheinander reden.)
NORA. Ach was! Ein großer Hund
ist Euch nachgelaufen? Aber gebissen hat er Euch nicht? Nein, solche kleine
nette Püppchen beißen die Hunde nicht. Nicht in die Pakete gucken, Ivar! Was
das ist? Ja, wenn Ihr das wüßtet! Ach nein, nein, da ist etwas
Garstiges drin. So? Spielen möchtet Ihr? Was wollen wir spielen? Verstecken.
Ja. Spielen wir Verstecken. Bob soll sich zuerst verstecken. Ich? Na ja,
dann verstecke ich mich zuerst.
(Sie und die
Kinder spielen unter Jubel und Lachen im Zimmer und in dem anstoßenden Raume
zur Rechten. Zuletzt versteckt Nora sich unter dem Tisch. Die Kinder stürmen
herein, suchen, können sie aber nicht finden. Dann hören sie ihr
unterdrücktes Lachen, stürzen an den Tisch, heben die Decke auf und sehen
sie. Stürmischer Jubel. Sie kriecht hervor, als wolle sie sie schrecken.
Neuer Jubel. Inzwischen hat es an der Eingangstür geklopft; niemand hat es
beachtet. Jetzt wird die Tür halb geöffnet und Krogstad wird
sichtbar. Er wartet ein wenig; das Spiel nimmt seinen Fortgang.)
KROGSTAD. Entschuldigen Sie, Frau
Helmer -
NORA (mit einem unterdrückten
Schrei, dreht sich um und springt halb in die Höhe.) Ah! Was wollen Sie?
KROGSTAD. Entschuldigen Sie; -
die Stiegentür war nur angelehnt; es muß jemand vergessen haben, sie
zuzumachen.
NORA (steht auf.) Mein
Mann ist nicht zu Hause, Herr Krogstad.
KROGSTAD. Das weiß ich.
NORA. So - was wollen Sie denn
hier?
KROGSTAD. Ein Wort mit Ihnen
reden.
NORA. Mit - (Leise zu den
Kindern.) Geht hinein zu Anne-Marie. Was? Nein, der fremde Herr will
Mama nichts zu leide tun. Wenn er fort ist, spielen wir weiter. (Sie
führt die Kinder in das Zimmer links und schließt die Tür hinter ihnen.)
NORA (unruhig, gespannt.)
Sie wollen mit mir sprechen?
KROGSTAD. Allerdings.
NORA. Heut - aber es ist doch
noch nicht der Erste?
KROGSTAD. Nein, heut ist
Heiligabend. Von Ihnen selbst wird es abhängen, welche Bescherung Sie haben
werden!
NORA. Was wollen Sie? Heut kann
ich absolut nicht -
KROGSTAD. Davon reden wir
vorläufig nicht. Es handelt sich um etwas andres. Sie haben doch wohl einen
Augenblick Zeit?
NORA. O ja, gewiß, Zeit habe ich
wohl, obgleich -
KROGSTAD. Gut. Ich saß im
Restaurant Olsen und sah Ihren Mann über die Straße gehen -
NORA. Jawohl.
KROGSTAD. - mit einer Dame.
NORA. Und was weiter?
KROGSTAD. Darf ich mir die Frage
erlauben: war die Dame eine Frau Linde?
NORA. Ja.
KROGSTAD. Sie ist noch nicht
lange hier?
NORA. Seit heute.
KROGSTAD. Sie ist wohl eine gute
Freundin von Ihnen?
NORA. Ja, das ist sie. Aber ich
verstehe nicht - -
KROGSTAD. Ich war auch einmal mit
ihr bekannt.
NORA. Das weiß ich.
KROGSTAD. So? Sie wissen also von
der Sache? Dacht' es mir wohl. Darf ich Sie also kurz und bündig fragen:
wird Frau Linde bei der Aktienbank angestellt werden?
NORA. Herr Krogstad, wie können
Sie sich erlauben, mich auszuforschen?! Sie, ein Untergebener meines
Mannes? Aber da Sie einmal fragen, so sollen Sie es auch wissen: jawohl,
Frau Linde wird angestellt werden. Und ich selbst habe mich ihrer Sache
angenommen, Herr Krogstad. Nun wissen Sie es.
KROGSTAD. Ich habe also richtig
vermutet.
NORA (geht im Zimmer auf und
ab.) Mein Gott, man hat doch auch sein bißchen Einfluß! Weil man eine
Frau ist, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß -. Wenn man eine
subalterne Stellung einnimmt, Herr Krogstad, so sollte man sich wirklich
hüten, einen vor den Kopf zu stoßen, der - hm -
KROGSTAD. - der Einfluß hat?
NORA. Allerdings!
KROGSTAD (mit verändertem
Ton.) Frau Helmer, wollen Sie die Güte haben, Ihren Einfluß zu meinen
Gunsten aufzubieten?
NORA. Wie? Was meinen Sie damit?
KROGSTAD. Wollen Sie gütigst
dafür sorgen, daß ich meine subalterne Stellung bei der Bank behalte?
NORA. Was heißt das? Wer will
Ihnen denn Ihre Stellung nehmen?
KROGSTAD. Ach, mir gegenüber
brauchen Sie nicht die Ahnungslose zu spielen. Es leuchtet mir sehr wohl
ein, daß es Ihrer Freundin nicht angenehm sein kann, sich einem
Zusammentreffen mit mir auszusetzen, und ich begreife jetzt auch, wem ich es
zu danken habe, daß man mich wegjagen will.
NORA. Aber ich versichere Ihnen -
KROGSTAD. Ja, ja, ja, - kurz und
gut: noch ist es Zeit, und ich rate Ihnen, Ihren Einfluß aufzubieten, um das
zu verhindern.
NORA. Aber, Herr Krogstad, ich
habe gar keinen Einfluß.
KROGSTAD. Nicht? Ich glaubte doch
eben, aus Ihrem eigenen Munde -
NORA. Das war natürlich nicht so
zu verstehen. Ich! Wie können Sie nur glauben, daß ich einen solchen
Einfluß auf meinen Mann habe?!
KROGSTAD. Ach, ich kenne Ihren
Mann aus den Studententagen. Ich halte den Herrn Bankdirektor für nicht
fester als andere Ehemänner.
NORA. Wenn Sie mit
Geringschätzung von meinem Manne reden, so weise ich Ihnen die Tür.
KROGSTAD. Sie sind mutig, gnädige
Frau.
NORA. Ich habe vor Ihnen keine
Angst mehr. Bald nach Neujahr werde ich aus der ganzen Geschichte heraus
sein.
KROGSTAD (beherrscht sich
wieder.) Hören Sie mich jetzt an, gnädige Frau. Im Notfalle werde ich
auf Tod und Leben kämpfen, um meinen kleinen Posten an der Bank zu behalten.
NORA. Es sieht in der Tat so aus.
KROGSTAD. Nicht wegen des
Einkommens allein! Darum ist mir doch am wenigsten zu tun. Es handelt sich
um etwas andres -. Na ja, - ich muß heraus mit der Sprache! Sehen Sie, - es
ist folgendes. Ihnen ist es gewiß so wie aller Welt bekannt, daß ich mir vor
etlichen Jahren habe eine Unbesonnenheit zu Schulden kommen lassen.
NORA. Ich glaube, so etwas gehört
zu haben.
KROGSTAD. Die Sache kam nicht vor
Gericht. Aber von dem Augenblick an waren mir mit einem Mal alle Wege wie
versperrt. Nun warf ich mich auf die Geschäfte, die Sie ja kennen. Irgend
etwas mußte ich doch beginnen, und ich darf wohl sagen, ich war keiner von
den Schlimmsten. Jetzt aber muß ich aus der ganzen Geschichte heraus. Meine
Söhne wachsen heran; um ihretwillen muß ich versuchen, mir so viel
bürgerliche Achtung wie möglich wieder zu erringen. Der Posten bei der Bank
war sozusagen die erste Stufe für mich. Und nun will Ihr Mann mich mit einem
Fußtritt von der Treppe hinunterstoßen, so daß ich wieder in den Schmutz zu
liegen komme.
NORA. Aber um Gottes willen, Herr
Krogstad, es liegt absolut nicht in meiner Macht, Ihnen zu helfen.
KROGSTAD. Weil Sie nicht den
guten Willen haben. Ich habe aber Mittel, Sie zu zwingen.
NORA. Sie wollen meinem Manne
doch wohl nicht sagen, daß ich Ihnen Geld schuldig bin?
KROGSTAD. Hm - und wenn ich es
ihm nun sagte?
NORA. Das wäre schändlich von
Ihnen. (Die Tränen sind ihr nahe.) Dieses Geheimnis, das meine Freude
und mein Stolz ist -, er sollte es auf so häßliche und plumpe Art erfahren?
Von Ihnen es erfahren? Sie würden mich den schrecklichsten
Unannehmlichkeiten aussetzen -
KROGSTAD. Nur Unannehmlichkeiten?
NORA (heftig.) Aber tun
Sie es nur! Sie selbst werden den größten Schaden davon haben; dann wird
mein Mann erst sehen, was für ein schlechter Mensch Sie sind. Und Sie werden
Ihren Posten erst recht nicht behalten!
KROGSTAD. Ich fragte, ob Sie nur
häusliche Unannehmlichkeiten befürchten?
NORA. Erfährt mein Mann davon, so
wird er die Restsumme natürlich sofort bezahlen. Und dann haben wir nichts
mehr mit Ihnen zu schaffen.
KROGSTAD (einen Schritt
näher.) Hören Sie, Frau Helmer; - entweder haben Sie kein gutes
Gedächtnis, oder Sie haben keine Ahnung von Geschäften. Ich muß Ihnen die
Sache wohl etwas gründlicher auseinandersetzen.
NORA. Wie das?
KROGSTAD. Als Ihr Mann krank war,
kamen Sie zu mir, um zwölfhundert Taler zu leihen.
NORA. Ich habe sonst niemand
gewußt.
KROGSTAD. Ich versprach, Ihnen
das Geld zu verschaffen -
NORA. Sie haben es mir ja auch
verschafft.
KROGSTAD. Ich versprach, Ihnen
die Summe unter gewissen Bedingungen zu verschaffen. Sie waren damals von
der Krankheit Ihres Mannes so in Anspruch genommen und so eifrig darauf aus,
das Reisegeld zu bekommen, daß Sie für alle Nebenumstände wohl keine
Gedanken hatten. Es ist daher sehr angebracht, Sie daran zu erinnern. Nun
denn, - ich versprach, Ihnen das Geld gegen einen Schuldschein zu
verschaffen, den ich aufsetzte.
NORA. Und den ich unterschrieben
habe.
KROGSTAD. Gut. Aber dem fügte ich
unten noch einige Zeilen hinzu, worin Ihr Vater die Bürgschaft für die
Schuld übernahm. Diese Zeilen sollte Ihr Vater unterschreiben.
NORA. Sollte -? Er hat ja
unterschrieben.
KROGSTAD. Ich hatte das Datum in
blanko gelassen; das heißt, Ihr Vater selbst sollte den Tag angeben, an dem
er das Papier unterschrieb. Erinnern Sie sich, gnädige Frau?
NORA. Ja, ich glaube wohl -
KROGSTAD. Darauf übergab ich
Ihnen den Schuldschein, damit Sie ihn mit der Post an Ihren Vater schickten.
War das nicht so?
NORA. Ja.
KROGSTAD. Und das haben Sie
natürlich auch sofort getan, denn schon nach fünf oder sechs Tagen brachten
Sie mir das Papier mit der Unterschrift Ihres Vaters zurück. Darauf bekamen
Sie den Betrag ausgezahlt.
NORA. Nun ja. Habe ich denn nicht
prompt abbezahlt?
KROGSTAD. So ziemlich. Aber - um
auf das zurückzukommen, wovon wir gesprochen haben, - das war damals wohl
eine schwere Zeit für Sie, gnädige Frau.
NORA. Ja, das war es.
KROGSTAD. Ihr Vater lag gewiß
sehr krank darnieder?
NORA. Er lag in den letzten
Zügen.
KROGSTAD. Und er starb kurz
darauf?
NORA. Ja.
KROGSTAD. Sagen Sie mir, Frau
Helmer, wissen Sie zufällig noch den Todestag Ihres Vaters? Das Datum, meine
ich?
NORA. Papa starb am 29.
September.
KROGSTAD. Ganz richtig. Ich habe
mich danach erkundigt. Und deshalb kann ich mir einen sonderbaren Umstand -
(zieht ein Papier hervor) - ganz und gar nicht erklären.
NORA. Was für einen sonderbaren
Umstand? Ich weiß nicht -
KROGSTAD. Den sonderbaren
Umstand, gnädige Frau, daß Ihr Vater diesen Schuldschein drei Tage nach
seinem Tode unterschrieben hat.
NORA. Wie? Ich verstehe nicht -
KROGSTAD. Ihr Vater starb am 29.
September. Nun sehen Sie her, - hier datiert die Unterschrift Ihres Vaters
vom 2. Oktober. Ist das nicht sonderbar, gnädige Frau?
NORA (schweigt.)
KROGSTAD. Können Sie mir das
erklären?
NORA (schweigt noch immer.)
KROGSTAD. Auffallend ist auch,
daß die Worte "2. Oktober" und die Jahreszahl nicht die Handschrift Ihres
Vaters zeigen, vielmehr eine Handschrift, die mir bekannt vorkommt. Na, das
läßt sich ja erklären. Ihr Vater kann vergessen haben, seine Unterschrift zu
datieren, und dann mag irgend ein anderer das Datum aufs Geratewohl
hingesetzt haben, bevor man noch von dem Todesfall wußte. Dabei ist auch
nichts Schlimmes. Auf die Namensunterschrift kommt es an, und die ist
doch echt, Frau Helmer? Ihr Vater hat doch in eigener Person seinen Namen
hier hingeschrieben?
NORA (nach kurzer Pause, -
wirft den Kopf zurück und sieht ihn trotzig an.) Nein, dem ist nicht so:
ich habe Papas Namen unterschrieben.
KROGSTAD. Ei, gnädige Frau -
wissen Sie auch, daß das ein gefährliches Geständnis ist?
NORA. Weshalb? Sie werden Ihr
Geld bald bekommen.
KROGSTAD. Erlauben Sie mir eine
Frage, - weshalb haben Sie Ihrem Vater nicht das Dokument geschickt?
NORA. Es war unmöglich. Papa lag
ja krank. Wenn ich ihn um seine Unterschrift gebeten hätte, so hätte ich ihm
auch sagen müssen, zu welchem Zweck ich das Geld brauchte. Aber so einem
Schwerkranken konnte ich doch nicht sagen, daß Gefahr für meines Mannes
Leben sei? Das war ganz unmöglich.
KROGSTAD. Dann wäre es besser für
Sie gewesen, Sie hätten die Reise ins Ausland aufgegeben.
NORA. Nein, das war unmöglich.
Die Reise sollte meinem Manne das Leben retten, - die konnt' ich
nicht aufgeben.
KROGSTAD. Aber haben Sie denn
nicht bedacht, daß Sie mich damit betrogen?
NORA. Darauf konnte ich gar
keine Rücksicht nehmen. Sie gingen mich absolut nichts an. Ich konnte Sie
nicht ausstehen, weil Sie so herzlos waren und so viele Schwierigkeiten
machten, obgleich Sie wußten, wie gefährlich es um meinen Mann stand.
KROGSTAD. Frau Helmer - wessen
Sie sich eigentlich schuldig gemacht haben, davon haben Sie offenbar keine
klare Vorstellung. Aber ich kann Ihnen sagen: das, was ich einst begangen
habe, und was meine ganze bürgerliche Stellung untergraben hat, ist nichts
Größeres und nichts Schlimmeres gewesen.
NORA. Sie? Sie wollen mir
einreden, daß Sie etwas Tapferes unternommen hätten, um Ihrer Frau das Leben
zu retten?
KROGSTAD. Die Gesetze fragen
nicht nach Beweggründen.
NORA. Dann müssen das sehr
schlechte Gesetze sein.
KROGSTAD. Schlecht oder nicht, -
wenn ich dies Stück Papier dem Gericht vorlege, so werden Sie nach den
Gesetzen verurteilt.
NORA. Das glaube ich nun und
nimmermehr! Eine Tochter sollte nicht das Recht haben, ihrem alten,
todkranken Vater Angst und Kummer zu ersparen? Eine Frau sollte nicht das
Recht haben, ihrem Manne das Leben zu retten? Ich kenne die Gesetze nicht so
genau, aber ich bin überzeugt, irgendwo muß darin stehen, daß so etwas
erlaubt ist. Und darüber wissen Sie nicht Bescheid, Sie, ein Anwalt? Sie
müssen ein schlechter Jurist sein, Herr Krogstad.
KROGSTAD. Mag sein. Aber nicht
wahr, auf Geschäfte, - auf solche Geschäfte, wie wir sie miteinander
haben, auf die verstehe ich mich doch wohl? Gut. Tun Sie jetzt, was
Ihnen beliebt. Aber das sage ich Ihnen: werde ich zum zweiten Male
ausgestoßen, so sollen Sie mir Gesellschaft leisten. (Er grüßt und geht
durchs Vorzimmer ab.)
NORA (eine Weile nachdenklich,
wirft dann den Kopf in den Nacken.) Ach was! - Er will mir Angst machen!
So einfältig bin ich denn doch nicht. (Fängt an, die Mäntel der Kinder
zusammenzulegen, hält bald damit inne.) Aber -? - - Nein, das ist ja
doch unmöglich! Ich habe es doch aus Liebe getan.
DIE KINDER (links in der Tür.)
Mama, eben ist der fremde Mann aus dem Haus gegangen.
NORA. Ja, ja, ich weiß. Aber sagt
keinem etwas von dem fremden Mann. Hört Ihr? Auch nicht Papa.
DIE KINDER. Nein, Mama. Willst Du
jetzt wieder mit uns spielen?
NORA. Nein, nein, nicht jetzt.
DIE KINDER. Aber Mama, Du hast es
doch versprochen!
NORA. Ja, aber ich kann jetzt
nicht! Geht hinein, ich habe zu viel zu tun. Hinein, hinein mit Euch, meine
lieben, süßen Kinder. (Sie nötigt sie liebevoll in das anstoßende Zimmer,
schließt die Tür hinter ihnen und setzt sich aufs Sofa; sie nimmt eine
Stickerei und macht einige Stiche, hält jedoch bald wieder inne.) Nein!
(Wirft die Stickerei hin, steht auf, geht an die Vorzimmertür und ruft
hinaus:) Helene! Den Tannenbaum! (Geht links an den Tisch und öffnet
die Schieblade, hält wieder inne.) Nein, - aber das ist ja ganz
unmöglich!
HAUSMÄDCHEN (mit dem
Tannenbaum.) Wo soll er hin, gnädige Frau?
NORA. Dorthin, mitten ins Zimmer.
HAUSMÄDCHEN. Soll ich sonst noch
etwas bringen?
NORA. Nein, danke, ich habe
alles, was ich brauche. (Das Mädchen hat den Baum hingestellt und geht
wieder hinaus. Nora beginnt den Baum zu putzen.) Hier kommen Lichter
hin, - und da Blumen. - Der abscheuliche Mensch! Unsinn! Unsinn! Unsinn! Es
ist alles in Ordnung. Der Weihnachtsbaum soll schön werden. Alles will ich
tun, was Dir Freude macht, Torvald; - ich will Dir etwas vorsingen, -
vortanzen -
HELMER (kommt, einen
Stoß Schriftstücke unter dem Arm, von draußen.)
NORA. Ah, - kommst Du schon
wieder?
HELMER. Ja. Ist wer hier gewesen?
NORA. Hier? Nein.
HELMER. Sonderbar! Ich sah, wie
Krogstad das Haus verließ.
NORA. So -? Ach richtig, Krogstad
- der war einen Augenblick hier.
HELMER. Nora, ich sehe Dir's an:
er ist hier gewesen und hat Dich gebeten, ein gutes Wort für ihn einzulegen.
NORA. Ja.
HELMER. Und das solltest Du wie
aus eigenem Antriebe tun. Du solltest mir verschweigen, daß er hier gewesen
war. Hat er Dich nicht auch darum gebeten?
NORA. Ja, Torvald; aber -
HELMER. Nora, Nora, und darauf
konntest Du Dich einlassen? Mit einem solchen Menschen eine Unterhaltung
führen und ihm noch Versprechungen machen? Und mir obendrein die Unwahrheit
sagen!
NORA. Die Unwahrheit -?
HELMER. Sagtest Du nicht, es wäre
niemand hier gewesen? (Droht mit dem Finger.) Das darf mein
Singvögelchen nie wieder tun. Ein Singvogel darf nur mit reinem Schnäbelchen
zwitschern, - keine falschen Töne! (Faßt sie um die Taille.) Muß es
nicht so sein? Ja - ich wußte es wohl. (Läßt sie los.) Und nun nichts
mehr davon. (Setzt sich vor den Ofen.) Ah, wie warm und gemütlich es
hier ist. (Blättert in den Papieren.)
NORA (mit dem Tannenbaum
beschäftigt, nach kurzer Pause.) Torvald!
HELMER. Ja?!
NORA. Ich freue mich grenzenlos
auf den Kostümball übermorgen bei Stenborgs.
HELMER. Und ich bin grenzenlos
neugierig, womit Du mich überraschen wirst.
NORA. Ach, es ist zu dumm!
HELMER. Was?
NORA. Mir fällt gar nichts
Ordentliches ein; es ist alles so albern, so nichtssagend.
HELMER. Ist Norachen zu der
Erkenntnis gekommen?
NORA (hinter seinem Stuhl, die
Arme auf der Stuhllehne.) Hast Du sehr viel zu tun, Torvald?
HELMER. Ach -
NORA. Was sind das für Papiere?
HELMER. Bankangelegenheiten.
NORA. Schon?
HELMER. Ich habe mir von der
abtretenden Direktion Vollmacht geben lassen, die nötigen Veränderungen im
Personal und im Geschäftsplan vornehmen zu dürfen. Dazu muß ich die
Weihnachtswoche benutzen. Ich will bis Neujahr alles in Ordnung haben.
NORA. Deshalb also war der arme
Krogstad -
HELMER. Hm.
NORA (lehnt sich noch immer
auf die Stuhllehne, kraut ihn langsam im Nackenhaar.) Wenn Du nicht so
viel zu tun hättest, so würde ich Dich um einen sehr großen Gefallen
bitten, Torvald.
HELMER. Laß hören. Was sollte das
sein?
NORA. Keiner hat ja einen so
feinen Geschmack wie Du. Nun möchte ich gern recht hübsch aussehen auf dem
Kostümball. Torvald, kannst Du mir nicht helfen und bestimmen, als was ich
gehen, und wie mein Anzug gemacht sein soll?
HELMER. Aha, der kleine Eigensinn
ist auf der Suche nach einem rettenden Engel?
NORA. Ja, Torvald, ohne Deinen
Beistand bringe ich es nicht fertig.
HELMER. Na schön; ich werde mir
die Sache überlegen; wir werden schon etwas ausfindig machen.
NORA. Ach, das ist reizend von
Dir. (Geht wieder an den Weihnachtsbaum; Pause.) Wie hübsch die roten
Blumen sich machen. - Sag' einmal, ist das wirklich so schlimm, was dieser
Krogstad verbrochen hat?
HELMER. Er hat Unterschriften
gefälscht. Hast Du einen Begriff davon, was das heißen will?
NORA. Kann er es nicht aus Not
getan haben?
HELMER. Ja, oder - wie so mancher
andere - aus Leichtsinn. Ich bin nicht so herzlos, daß ich einen Menschen um
einer solchen vereinzelten Handlung willen unbedingt verurteilen würde.
NORA. Nein, - nicht wahr, Torvald?
HELMER. Manch einer kann sich
moralisch wieder aufrichten, wenn er sein Vergehen offen bekennt und seine
Strafe abbüßt.
NORA. Strafe -?
HELMER. Den Weg aber hat Krogstad
nicht betreten. Mit Kniffen und Schlichen schwindelte er sich durch; und
eben das hat ihn moralisch ruiniert.
NORA. Glaubst Du, daß -?
HELMER. Nun denke Dir, wie solch
ein schuldbewußter Mensch nach allen Seiten hin lügen und heucheln und sich
verstellen muß; wie er vor seinen Allernächsten, ja selbst vor seiner
eigenen Frau und seinen Kindern eine Maske tragen muß. Vor den Kindern,
Nora, das ist gerade das Entsetzlichste.
NORA. Weshalb?
HELMER. Weil ein solcher
Dunstkreis von Lüge in die ganze Familie Ansteckungs- und Krankheitsstoff
bringt. Jeder Atemzug, den die Kinder in einem solchen Hause tun, ist
erfüllt von Keimen irgend einer bösen Tat.
NORA (näher hinter ihm.)
Bist Du dessen sicher?
HELMER. Mein Schatz, das habe ich
als Advokat oft genug erfahren. Fast alle früh verdorbenen Menschen haben
lügenhafte Mütter gehabt.
NORA. Warum gerade - Mütter?
HELMER. Am häufigsten kommt es
von den Müttern her. Aber Väter wirken natürlich in derselben Richtung. Das
ist jedem Juristen sehr wohl bekannt. Und doch ist dieser Krogstad Jahre
hindurch imstande gewesen, seine eigenen Kinder durch Lüge und Verstellung
zu vergiften; und deshalb nenne ich ihn moralisch verkommen.
(Streckt ihr die Hände entgegen.) Darum muß meine herzige kleine Nora
mir versprechen, nicht seine Partei zu ergreifen. Hand darauf? Nun, nun. Was
ist das? Gib mir die Hand. So. Abgemacht also. Ich versichere Dir, es wäre
mir unmöglich, mit ihm zusammen zu arbeiten. Mich überkommt in der Nähe
solcher Menschen buchstäblich ein körperliches Unbehagen.
NORA (entzieht ihm ihre Hand
und geht an die andere Seite des Tannenbaums hinüber.) Wie heiß es hier
ist. Und ich habe so viel zu tun.
HELMER (steht auf und nimmt
seine Papiere zusammen.) Ja, ich muß auch vor Tisch hiervon noch einiges
durchlesen. Und auch an Dein Kostüm muß ich denken. Vielleicht habe ich
sogar etwas auf Lager, das man in Goldpapier an den Weihnachtsbaum hängen
könnte. (Legt die Hand auf ihren Kopf.) O, Du mein geliebtes
Singvögelchen! (Er geht in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich.)
NORA (leise, nach kurzer
Pause.) Ach was! Es kann nicht sein. Es ist unmöglich. Es muß
unmöglich sein.
KINDERFRAU (links in der Tür.)
Die Kleinen bitten so schön, zur Mama herein zu dürfen.
NORA. Nein, nein, nein! Nicht zu
mir herein! Bleib Du bei ihnen, Anne-Marie.
KINDERFRAU. Ja, ja, gnädige Frau.
(Schließt die Tür.)
NORA (bleich vor Schrecken.)
Ich meine Kleinen verderben -! Das Heim vergiften? (Kurze Pause; hebt den
Kopf.) Das ist nicht wahr. Das ist in alle Ewigkeit nicht wahr!
Zweiter Akt
(Dasselbe Zimmer. Oben in der Ecke beim
Klavier steht der Weihnachtsbaum, geplündert, zerzaust und mit
herabgebrannten Lichtern; Noras Hut und Mantel liegen auf dem Sofa.)
(Nora ist
allein im Zimmer, sie geht unruhig auf und ab; schließlich bleibt sie am
Sofa stehen und nimmt ihren Mantel.)
NORA (läßt den Mantel wieder
fallen.) Da ist wer! (Geht an die Tür, lauscht.) Nein, - niemand.
Natürlich - heut am ersten Weihnachtstag kommt niemand, - und morgen auch
nicht. - Aber vielleicht - (Öffnet die Tür und sieht hinaus.) Nein,
nichts im Briefkasten. Ganz leer. (Geht durchs Zimmer.) Ach Unsinn!
Er macht natürlich nicht ernst! So etwas kann doch nicht geschehen.
Es ist unmöglich. Ich habe ja drei kleine Kinder.
(Die
Kinderfrau kommt mit einer großen Pappschachtel aus dem Zimmer links.)
KINDERFRAU. Endlich habe ich die
Schachtel mit dem Maskenanzug gefunden.
NORA. Schön. Stell' sie auf den
Tisch
KINDERFRAU (tut es.) Er
ist aber arg in Unordnung.
NORA. Wenn ich ihn nur in
hunderttausend Stücke zerreißen könnte!
KINDERFRAU. Aber nein! Man kann
ihn sehr gut wieder herrichten; nur ein bißchen Geduld!
NORA. Ja, ich will hin und Frau
Linde holen, daß sie mir hilft.
KINDERFRAU. Schon wieder aus? In
diesem garstigen Wetter? Frau Nora, Sie werden sich erkälten, - krank
werden.
NORA. Das wäre noch nicht das
Schlimmste. - Was machen die Kinder?
KINDERFRAU. Die armen Würmerchen
spielen mit ihren Weihnachtsgeschenken. Aber -
NORA. Fragen Sie oft nach mir?
KINDERFRAU. Sie sind ja so daran
gewöhnt, immer ihre Mama um sich zu haben.
NORA. Ja aber, Anne-Marie, in
Zukunft kann ich nicht mehr so viel mit ihnen zusammen sein wie bisher.
KINDERFRAU. Na, kleine Kinder
gewöhnen sich ja an alles.
NORA. Glaubst Du? Meinst Du, sie
würden ihre Mama vergessen, wenn ich ganz wegginge?
KINDERFRAU. Behüte -, ganz weg!
NORA. Du, Anne-Marie, sag' mir, -
ich habe so oft darüber nachgedacht, - wie hast Du es übers Herz bringen
können, Dein Kind zu fremden Leuten zu tun?
KINDERFRAU. Aber das mußte ich
ja, wenn ich die Amme der kleinen Nora werden wollte!
NORA. Ja, daß Du das aber
wolltest?
KINDERFRAU. Wenn ich doch eine so
gute Stelle kriegen konnte. Ein armes Mädchen, das ins Unglück gekommen ist,
muß doch noch froh sein. Denn der schlechte Mensch hat ja nichts für mich
getan.
NORA. Aber Deine Tochter hat Dich
doch gewiß vergessen?
KINDERFRAU. Ach nein, das hat sie
nicht. Sie hat mir geschrieben, als sie konfirmiert wurde, und auch, als sie
heiratete.
NORA (umarmt sie.) Du alte
Anne-Marie! Du bist mir eine so gute Mutter gewesen, als ich klein war!
KINDERFRAU. Die arme kleine Nora
hatte ja keine andere Mutter als mich.
NORA. Und wenn meine Kleinen nun
keine andere mehr hätten, so weiß ich wohl, daß Du auch ihnen - Unsinn,
Unsinn, Unsinn! (Öffnet die Pappschachtel.) Geh hinein zu ihnen. Ich
muß jetzt - Du sollst sehen, wie schön ich mich morgen mache.
KINDERFRAU. Ja, auf dem ganzen
Ball wird gewiß keine so schön sein, wie Frau Nora. (Links ab.)
NORA (beginnt die Schachtel
auszupacken, wirft das Ganze aber bald wieder hin.) Ach, dürft' ich nur
ausgehen! Wenn nur keiner kommt. Wenn hier zu Hause inzwischem nur nichts
passiert. Ach Unsinn. Wer soll denn kommen?! Nur nicht daran denken. Jetzt
wird der Muff abgebürstet. Schöne Handschuhe. Schöne Handschuhe. Nimm's
leicht! Nimm's leicht! Eins - zwei - drei - vier - fünf - sechs -
(schreit auf.) Ach, da kommen sie - (will nach der Tür, bleibt
unentschlossen stehen.)
(Frau Linde
kommt aus dem Vorzimmer, wo sie Hut und Mantel abgelegt hat.)
NORA. Ach, Du bist es, Christine.
Sonst ist wohl niemand draußen? - Wie gut, daß Du da bist.
FRAU LINDE. Ich höre, Du warst
bei mir oben und hast nach mir gefragt.
NORA. Ja, ich ging gerade
vorüber. Du mußt mir bei etwas helfen. Setzen wir uns aufs Sofa. Also höre!
Morgen ist oben beim Konsul Stenborg ein Kostümball, und da will Torvald,
daß ich als neapolitanisches Fischermädchen gehen und die Tarantella tanzen
soll, denn die habe ich auf Capri gelernt.
FRAU LINDE. Sieh mal an, Du wirst
also eine förmliche Vorstellung geben?
NORA. Ja. Torvald meint, ich
sollte es. Sieh, da ist das Kostüm. Torvald hat es mir in Italien machen
lassen; aber jetzt ist alles so zerknüllt, daß ich gar nicht weiß -
FRAU LINDE. Das wollen wir schon
wieder in Ordnung bringen; der Besatz ist ja nur losgegangen an einigen
Stellen. Hast Du Nadel und Faden? So, - da ist ja alles, was wir brauchen.
NORA. O, wie lieb das von Dir
ist.
FRAU LINDE. (Näht.) Also
morgen wirst Du in Kostüm sein? Weißt Du was, Nora, - dann komme ich auf
einen Augenblick her, um Dich in Deinem Staat zu sehen. Aber ich habe ja
ganz vergessen, Dir für den gemütlichen Abend gestern zu danken.
NORA (steht auf und geht im
Zimmer auf und ab.) Ach, gestern fand ich es hier nicht so gemütlich wie
sonst. - Du hättest früher in die Stadt kommen sollen, Christine. - Ja,
Torvald versteht es wirklich, ein nettes und feines Haus zu machen.
FRAU LINDE. Und Du nicht minder,
sollte ich meinen. Umsonst bist Du doch nicht die Tochter Deines Vaters.
Aber sag' mir, ist der Herr Doktor Rank immer so verstimmt wie gestern?
NORA. Nein, - gestern war es sehr
auffallend. Übrigens hat er eine sehr gefährliche Krankheit. Der Ärmste hat
die Rückenmarkschwindsucht. Du mußt nämlich wissen, sein Vater war ein ganz
widerwärtiger Mensch, der sich Weiber hielt, und so weiter -; und daher,
verstehst Du wohl, war der Sohn von Kindheit an schon krank.
FRAU LINDE (läßt die Näharbeit
in den Schoß fallen.) Aber liebste, beste Nora, woher weißt Du solche
Sachen?
NORA (spaziert hin und her.)
Pah, - wenn man drei Kinder hat, so bekommt man zuweilen Besuch von - von
Frauen, die so gewissermaßen halbe Doktoren sind; und die erzählen einem ja
dies und das.
FRAU LINDE (näht wieder; kurze
Pause.) Kommt Herr Doktor Rank täglich zu Euch ins Haus?
NORA. Jeden lieben Tag. Er ist ja
Torvalds bester Jugendfreund. Und mein guter Freund ist er auch. Der Doktor
gehört sozusagen zur Familie.
FRAU LINDE. Aber sag' mir mal:
ist der Mann ganz aufrichtig? Ich meine, sagt er den Leuten nicht gern
Komplimente?
NORA. Ganz im Gegenteil. Wie
kommst Du darauf?
FRAU LINDE. Als Du mich ihm
gestern vorstelltest, versicherte er, daß er meinen Namen hier im Hause oft
gehört habe. Doch später merkte ich, daß Dein Mann keine Ahnung hatte, wer
ich eigentlich bin. Wie konnte denn Herr Rank -?
NORA. Ja, das ist ganz richtig,
Christine. Torvald hat mich so unbeschreiblich lieb, und deshalb will er
mich ganz allein für sich haben, wie er sagt. In der ersten Zeit wurde er
fast eifersüchtig, wenn ich die lieben Menschen zu Hause auch nur erwähnte.
Da unterließ ich es natürlich. Aber mit dem Doktor spreche ich oft von so
etwas; denn siehst Du, er hört das gern mit an.
FRAU LINDE. Hör' mal, Nora, in
vielen Dingen bist Du noch ein Kind. Ich bin ja manches Jahr älter als Du
und habe etwas mehr Erfahrung. Ich will Dir etwas sagen: trachte der
Geschichte mit dem Doktor Rank ein Ende zu machen.
NORA. Ein Ende zu machen -
welcher Geschichte?
FRAU LINDE. Na, überhaupt, meine
ich. Gestern plappertest Du von einem reichen Anbeter, der Dir Geld
verschaffen sollte -
NORA. Ja, von einem, der gar
nicht existiert, - leider. Was weiter?
FRAU LINDE. Hat Doktor Rank
Vermögen?
NORA. Ja, das hat er.
FRAU LINDE. Und niemand, für den
er zu sorgen hat?
NORA. Niemand. Aber -?
FRAU LINDE. Und er kommt täglich
zu Euch ins Haus?
NORA. Du hörst es ja.
FRAU LINDE. Wie kann dieser feine
Mann nur so aufdringlich sein?
NORA. Ich verstehe Dich absolut
nicht.
FRAU LINDE. Verstell' Dich nicht,
Nora. Glaubst Du etwa, ich erriete nicht, von wem Du die zwölfhundert Taler
geborgt hast?
NORA. Bist Du ganz von Sinnen?
Wie kannst Du so etwas glauben? Ein Freund unsres Hauses, der uns jeden
einzigen Tag besucht. - Welch eine fürchterlich peinliche Lage wäre das!
FRAU LINDE. Also er ist es
wirklich nicht?
NORA. Nein, wahrhaftig nicht.
Auch nicht einen Augenblick ist mir der Gedanke gekommen -. Damals hatte er
auch noch gar kein Geld zum Verleihen; er hat erst später geerbt.
FRAU LINDE. Na, ich glaube, das
war ein Glück für Dich, meine liebe Nora.
NORA. Nein; den Doktor zu bitten,
- das konnte mir doch nie im Leben einfallen -. Übrigens bin ich fest
überzeugt, wenn ich ihn bäte, so -
FRAU LINDE. Das wirst Du
natürlich nicht tun.
NORA. Natürlich nicht. Ich kann
nicht glauben, kann mir nicht denken, daß es nötig würde. Aber ich bin ganz
sicher: wenn ich mit dem Doktor spräche, so -
FRAU LINDE. Hinter Deines Mannes
Rücken?
NORA. Ich muß heraus aus der
andern Geschichte, - das geschieht auch hinter seinem Rücken. Ich muß
heraus aus dieser Geschichte.
FRAU LINDE. Ja, ja, das sagte ich
gestern schon; aber -
NORA (geht auf und ab.)
Ein Mann kann dergleichen viel besser in Ordnung bringen als ein
Frauenzimmer -
FRAU LINDE. Der eigene Mann, ja.
NORA. Unsinn! (Bleibt stehen.)
Wenn man alles bezahlt, was man schuldig ist, so bekommt man doch seinen
Schuldschein wieder?
FRAU LINDE. Ja, das versteht
sich.
NORA. - und darf ihn in
hunderttausend Stücke reißen und ihn verbrennen, - das ekelhafte, dreckige
Papier!
FRAU LINDE (sieht sie fest an,
legt das Nähzeug hin und steht langsam auf.) Nora, Du verheimlichst mir
etwas.
NORA. Kannst Du mir das ansehen?
FRAU LINDE. Seit gestern morgen
ist Dir etwas passiert. Nora, was ist es?
NORA (tritt zu ihr.)
Christine! (Horcht.) Still! Da kommt Torvald nach Hause. Da - geh
inzwischen zu den Kindern hinein. Torvald kann die Schneiderei nicht leiden.
Laß Dir von Anne-Marie helfen.
FRAU LINDE (sucht einen Teil
der Sachen zusammen.) Ja, - doch ich gehe nicht weg von hier, bevor wir
nicht offen miteinander gesprochen haben. (Sie geht links ab; in
demselben Augenblick tritt Helmer vom Vorzimmer herein.)
NORA (geht ihm entgegen.)
Ach, wie habe ich Dich erwartet, lieber Torvald.
HELMER. War das die Schneiderin
-?
NORA. Nein, - es war Christine;
sie hilft mir mein Kostüm aufarbeiten. Paß nur auf, wie hübsch ich aussehen
werde.
HELMER. War das nicht ein
glücklicher Einfall von mir?
NORA. Ein prächtiger Einfall!
Doch es ist auch nett von mir, daß ich Dir den Gefallen tue!
HELMER (faßt sie unters Kinn.)
Nett, - weil Du Deinem Manne den Gefallen tust? Na, na, Du kleiner Wildfang,
ich weiß schon, Du hast es nicht so gemeint. Aber ich will Dich nicht
stören; Du wirst vermutlich anprobieren müssen.
NORA. Und Du mußt wohl arbeiten?
HELMER. Ja. (Zeigt ihr einen
Stoß Papiere.) Sieh mal her, ich war in der Bank - (Will in sein
Zimmer gehen.)
NORA.Torvald!
HELMER (bleibt stehen.)
Ja.
NORA. Wenn Dein Eichhörnchen Dich
nun so recht schön und innig um etwas bäte -?
HELMER. Was denn?
NORA. Würdest Du es dann tun?
HELMER. Zuerst muß ich doch
wissen, um was es sich handelt.
NORA. Das Eichhörnchen würde
umherspringen und Kapriolen machen, wenn Du lieb und nachgiebig wärest.
HELMER. Also heraus damit!
NORA. Die Lerche würde laut und
leise durch alle Zimmer zwitschern -
HELMER. Ach was, das tut meine
Lerche auch so.
NORA. Ich würde wie die Elfen im
Mondenschein spielen und vor Dir tanzen, Torvald.
HELMER. Nora, - es handelt sich
doch wohl nicht um das, worauf Du heut morgen schon angespielt hast?
NORA (dringender.)
Ja, Torvald, - ich bitte Dich so herzlich!
HELMER.
Du hast wirklich den Mut, noch einmal auf die Sache zurückzukommen?
NORA. Ja, ja, Du mußt mir
den Gefallen tun. Du mußt Krogstad seinen Posten an der Bank lassen.
HELMER. Meine liebe Nora, seine
Stelle habe ich für Frau Linde bestimmt.
NORA. Das ist unendlich gut von
Dir. Aber Du brauchst ja nur einen anderen Komptoiristen an Krogstads Stelle
zu entlassen.
HELMER. Das ist mir doch ein
unglaublicher Eigensinn! Weil Du das leichtsinnige Versprechen gegeben hast,
ein gutes Wort für ihn einzulegen, sollte ich -!
NORA. Nicht deshalb, Torvald. Um
Deiner selbst willen. Dieser Mensch schreibt ja für die schmutzigsten
Zeitungen; Du selber hast mir das gesagt. Er kann Dir unsäglich viel Schaden
tun. Ich habe eine Todesangst vor ihm - -
HELMER. Aha, ich verstehe, - alte
Erinnerungen schrecken Dich.
NORA. Was meinst Du damit?
HELMER. Du denkst natürlich an
Deinen Vater!
NORA. Ja, jawohl. Erinnere Dich
nur, wie boshafte Menschen über Papa in die Zeitungen schrieben, und wie
greulich sie ihn verleumdeten. Ich glaube, sie hätten es dahin gebracht, daß
man ihn absetzte, wenn die Regierung Dich nicht hingeschickt hätte, um die
Sache zu untersuchen. Und wenn Du ihn nicht so wohlwollend und nachsichtig
behandelt hättest.
HELMER. Meine kleine Nora,
zwischen Deinem Vater und mir ist ein bedeutender Unterschied. Dein Vater
war als Beamter nicht unantastbar. Doch ich bin es. Und ich hoffe es auch zu
bleiben, solange ich in meiner Stellung bin.
NORA. Ach, man kann nie wissen,
worauf böse Menschen verfallen. Jetzt könnten wir so nett, so ruhig und so
glücklich in unserm friedlichen, von Sorgen verschonten Heim leben, - Du und
ich und die Kinder, Torvald! Deshalb bitte ich Dich inständig -
HELMER. Und gerade durch Deine
Fürbitte machst Du es mir unmöglich, ihn zu behalten. Es ist in der Bank
schon bekannt geworden, daß ich Krogstad kündigen will. Wenn es nun hieße,
der neue Direktor hätte sich von seiner Frau umstimmen lassen -
NORA. Nun, was dann -?
HELMER. Na natürlich, - wenn mein
kleiner Eigensinn nur seinen Willen bekommt -. Lächerlich würde ich mich
machen, vor dem ganzen Personal, - würde die Leute auf den Gedanken bringen,
daß ich von allen möglichen fremden Einflüssen abhängig sei. Glaub' nur, ich
würde die Folgen bald zu spüren haben! Und außerdem, - es gibt noch einen
Umstand, der Krogstad ganz unmöglich bei der Bank macht, solange ich
Direktor bin.
NORA. Und der wäre?
HELMER. Seine moralischen Mängel
hätte ich im Notfall noch übersehen können -
NORA. Ja, nicht wahr, Torvald?
HELMER. Ich höre auch, daß er
ganz brauchbar sein soll. Aber er ist ein Jugendbekannter von mir. Das ist
so eine jener übereilten Bekanntschaften, die einen später im Leben so oft
genieren. Ich kann es Dir ja offen gestehen: wir duzen uns. Und dieser
taktlose Mensch macht durchaus kein Hehl daraus, wenn andere zugegen sind.
Im Gegenteil, - er glaubt, daß ihn das zu einem familiären Ton mir gegenüber
berechtigt; und so spielt er jeden Augenblick seinen Trumpf aus, mit seinem:
Du, Du Helmer. Ich versichere Dir, das berührt mich im höchsten Grade
peinlich. Er würde mir meine Stellung bei der Bank unerträglich machen.
NORA. Torvald, das alles kann
nicht Dein Ernst sein.
HELMER. So? Weshalb nicht?
NORA. Nein, - denn das da sind
nur kleinliche Rücksichten.
HELMER. Was sagst Du da?
Kleinliche Rücksichten? Du hältst mich für kleinlich?
NORA. Im Gegenteil, lieber
Torvald. Und gerade deshalb -
HELMER. Gleichviel; Du nennst
meine Beweggründe kleinlich; dann muß ich wohl auch kleinlich sein.
Kleinlich! Sieh mal an! Na wahrhaftig, dem soll ein Ende gemacht werden.
(Geht an die Tür des Vorzimmers und ruft:) Helene!
NORA. Was willst Du?
HELMER (sucht zwischen den
Papieren.) Schluß will ich machen! (Das Hausmädchen tritt
ein.) Da, nehmen Sie den Brief und gehen Sie gleich damit hinunter.
Lassen Sie ihn durch einen Dienstmann besorgen. Aber schnell! Die Adresse
steht drauf. Da ist Geld.
HAUSMÄDCHEN. Schön. (Mit dem
Brief ab. Helmer legt die Papiere zusammen.)
HELMER. So, mein kleiner
Trotzkopf.
NORA (atemlos.) Torvald, -
was war das für ein Brief?
HELMER. Krogstads Kündigung.
NORA. Nimm ihn zurück, Torvald!
Noch ist es Zeit. Ach, Torvald, nimm ihn zurück, tu's mir zuliebe; - Dir
zuliebe, den Kindern zuliebe! Hörst Du, Torvald, tu es. Du weißt nicht, was
diese Kündigung über uns alle bringen kann.
HELMER. Zu spät.
NORA. Ja, - zu spät.
HELMER. Liebe Nora, ich verzeihe
Dir diese Angst, obgleich sie eigentlich eine Beleidigung für mich ist. Ja,
das ist sie! Oder ist es vielleicht keine Beleidigung, wenn Du glaubst, daß
ich die Rache eines verkommenen Winkelschreibers zu fürchten hätte?
Aber ich verzeihe Dir trotzdem, weil Du mir damit ein so schönes Zeugnis
Deiner großen Liebe gibst. (Schließt sie in seine Arme.) Es muß nun
einmal sein, meine heißgeliebte Nora. Mag da geschehen, was will. Glaub'
mir, wenn es drauf ankommt, habe ich Mut und Kraft. Du sollst sehen, ich bin
der Mann, der alles auf sich nimmt.
NORA (schreckensstarr.)
Was meinst Du damit?
HELMER. Alles, sage ich -
NORA (gefaßt.) Das sollst
Du nie und nimmermehr.
HELMER. Gut; dann teilen wir,
Nora, - als Mann und Frau. Es ist, wie es sein soll. (Liebkost sie.)
Bist Du jetzt zufrieden? So - so - so -; nicht diese erschrockenen
Taubenaugen. Das alles ist ja nichts andres als leere Einbildungen. - Du
solltest jetzt die Tarantella noch einmal durchspielen und Dich auf dem
Tamburin üben. Ich setze mich in das mittlere Bureau und schließe die
Zwischentür, dann höre ich nichts; Du kannst so viel Lärm machen, wie Du
willst. (Dreht sich in der Tür um.) Und wenn Rank kommt, so sag' ihm,
wo ich zu finden bin. (Er nickt ihr zu, geht mit seinen Papieren in sein
Zimmer und schließt die Tür hinter sich.)
NORA (verwirrt vor Angst,
steht wie festgewurzelt und flüstert:) Er wäre imstande, es zu tun. Er
tut es, der ganzen Welt zum Trotz. - Nein, - Das nicht - in alle Ewigkeit
nicht! Alles, nur das nicht! Rettung -! Ein Ausweg - (Es klingelt im
Vorzimmer.) Der Doktor! - Alles, nur das nicht! Alles andere eher, - was
es auch sei!
(Sie streicht
sich über das Gesicht, sucht sich zu fassen und öffnet die Tür zum
Vorzimmer. Draußen steht Doktor Rank und hängt seinen Pelz an den
Riegel. Während des Folgenden beginnt es zu dunkeln.)
NORA. Guten Tag, Doktor. Ich habe
Sie am Klingeln erkannt. Aber gehen Sie doch nicht zu Torvald hinein; denn
ich glaube, er ist beschäftigt.
RANK. Und Sie?
NORA, (indem er ins Zimmer
tritt und sie die Tür hinter ihm schließt.) Ach, Sie wissen ganz gut, -
für Sie habe ich immer etwas Zeit übrig.
RANK. Ich danke Ihnen. Ich werde
davon Gebrauch machen, solange ich noch kann.
NORA. Was wollen Sie damit sagen?
Solange Sie können?
RANK. Na ja, erschreckt
Sie das?
NORA. Es ist ein so wunderlicher
Ausdruck. Wird denn irgend etwas geschehen?
RANK. Es wird das
geschehen, worauf ich lange vorbereitet gewesen bin. Ich habe nun allerdings
nicht geglaubt, daß es so bald kommen würde.
NORA (faßt seinen Arm.)
Über was haben Sie Gewißheit erlangt? Doktor, Sie müssen es mir sagen.
RANK (setzt sich an den Ofen.)
Es geht bergab mit mir. Daran ist nichts zu ändern.
NORA (atmet erleichtert auf.)
Sie reden von sich -
RANK. Von wem sonst? Was nützt
es, sich selbst zu belügen? Ich bin der elendeste von allen meinen
Patienten, Frau Helmer. An diesen Tagen habe ich die Bilanz meines inneren
Status gezogen. Bankerott! Noch einen Monat, und ich liege gewiß schon auf
dem Kirchhof und modere.
NORA. Pfui, wie häßlich Sie
reden.
RANK. Die Geschichte ist auch
verflucht häßlich. Doch das Schlimmste ist, daß so viel andres Häßliches
vorausgehen wird. Mir bleibt nur noch eine einzige Untersuchung übrig; bin
ich damit fertig, so weiß ich ungefähr, wann die Auflösung beginnt. Ich
möchte Ihnen etwas sagen. Helmer, mit seiner feinen Natur, hegt einen so
ausgeprägten Widerwillen gegen alles, was häßlich ist. Ich will ihn nicht in
meinem Krankenzimmer haben -
NORA. Aber, Doktor -
RANK. Ich will ihn nicht da
haben. Unter keiner Bedingung. Ich verschließe ihm meine Tür. - Sobald ich
volle Gewißheit über das Schlimmste habe, schicke ich Ihnen meine
Visitenkarte mit einem schwarzen Kreuz darauf, und dann wissen Sie, daß die
Scheußlichkeit der Zerstörung begonnen hat.
NORA. Nein, heut sind Sie aber
abgeschmackt. Und ich hätte Sie doch so gern in guter Laune gesehen!
RANK. Mit dem Tod im Herzen? -
Büßen zu müssen für die Schuld eines andern! Ist darin Gerechtigkeit? Und
über jeder Familie hängt in irgend einer Art solch eine unerbittliche
Vergeltung -
NORA (hält sich die Ohren zu.)
Unsinn! Lustig, lustig!
RANK. Meiner Seel', die ganze
Geschichte ist eigentlich auch nur zum Lachen. Mein armes unschuldiges
Rückgrat muß für die lustigen Leutnantstage meines Vaters büßen.
NORA (links am Tisch.) Er
soll ja auf Spargel und Gänseleberpastete so erpicht gewesen sein. War's
nicht so?
RANK. Ja, auch auf Trüffeln.
NORA. Auch auf Trüffeln. Und auf
Austern auch, wenn ich nicht irre.
RANK. Auf Austern,
selbstverständlich auch auf Austern.
NORA. Und dazu der Portwein und
Champagner. Es ist traurig, daß all diese leckern Sachen sich auf die
Knochen schlagen.
RANK. Zumal wenn sie sich auf die
unglücklichen Knochen schlagen, die nicht das Mindeste davon gehabt haben.
NORA.´Freilich, das ist das
Allertraurigste.
RANK (sieht sie forschend an.)
Hm - - -
NORA (gleich darauf.)
Warum lächelten Sie.
RANK. Sie lachten ja.
NORA. Nein, Doktor, Sie
lächelten!
RANK (steht auf.) Sie sind
doch ein größerer Schelm, als ich gedacht habe.
NORA. Ich bin heut so aufgelegt
zu Schelmenstreichen.
RANK. Scheint so.
NORA (legt beide Hände auf
seine Schultern.) Lieber, lieber Doktor, Sie dürfen Torvald und
mir nicht wegsterben!
RANK. Ach, den Kummer
würden Sie leicht verwinden. Die Heimgegangenen werden schnell vergessen.
NORA (sieht ihn ängstlich an.)
Glauben Sie das?
RANK. Man schließt neue
Verbindungen, und dann -
NORA. Wer schließt neue
Verbindungen?
RANK. Das werden Sie beide tun,
wenn ich weg bin. Es scheint mir, Sie sind schon auf dem besten Wege. Was
sollte hier gestern abend diese Frau Linde?
NORA. Aha, - Sie sind wohl gar
eifersüchtig auf die arme Christine?
RANK. Gewiß bin ich das. Sie wird
hier im Hause meine Nachfolgerin sein. Wenn ich abgetan bin, wird dieses
Frauenzimmer vielleicht -
NORA. Pst - sprechen Sie nicht so
laut. Sie ist da drin.
RANK. Heute schon wieder? Sehen
Sie wohl!
NORA. Nur, um mein Kostüm zu
nähen. Herrgott, wie abgeschmackt Sie sind. (Setzt sich aufs Sofa.)
Seien Sie gut, Doktor. Morgen werden Sie auch sehen, wie hübsch ich tanze.
Und dann müssen Sie sich vorstellen, daß ich es nur Ihnen zuliebe tue, -
natürlich für Torvald auch - versteht sich. (Nimmt verschiedene
Gegenstände aus dem Karton.) Doktor, kommen Sie, setzen Sie sich her, -
ich will Ihnen was zeigen.
RANK (setzt sich.) Was
denn?
NORA. Schauen Sie mal her.
RANK. Seidene Strümpfe.
NORA. Fleischfarbene. Sind die
nicht wunderschön? Jetzt ist's hier so dunkel. Aber morgen - nein, nein,
nein, Sie dürfen nur das Fußblatt sehen. Na, Sie können meinetwegen auch den
oberen Teil sehen.
RANK. Hm - -
NORA. Weshalb sehen Sie so
kritisch drein? Glauben Sie vielleicht, daß sie nicht passen?
RANK. Darüber kann ich unmöglich
eine begründete Ansicht haben.
NORA (sieht ihn einen
Augenblick an.) Pfui, schämen Sie sich! (Schlägt ihn mit den
Strümpfen leicht ums Ohr. ) So, da haben Sie was dafür! (Packt sie
wieder ein.)
RANK. Was kriege ich noch für
Herrlichkeiten zu sehen?
NORA. Nicht ein bißchen kriegen
Sie mehr zu sehen, denn Sie sind unartig. (Sie trällert leise und kramt
zwischen den Sachen.)
RANK (nach kurzer Pause.)
Wenn ich hier so in aller Vertraulichkeit mit Ihnen sitze, so begreife ich
nicht, - nein, ich fasse es nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich Ihr
Haus nie betreten hätte.
NORA (lächelt.) Im Grunde
fühlen Sie sich, mein' ich, auch ganz behaglich bei uns.
RANK (leiser, sieht vor sich
hin.) Und das alles nun verlassen zu müssen -
NORA. Unsinn! Sie bleiben da!
RANK (wie zuvor.) - und
nicht einmal ein armseliges Zeichen des Dankes hinterlassen zu können; kaum
ein flüchtiges Vermissen, - nur einen leeren Platz, den der erste beste
ausfüllen kann.
NORA. Und wenn ich Sie nun bäte,
um -? Nein -
RANK. Um was?
NORA. Um einen großen
Freundschaftsbeweis -
RANK. Ja, ja!
NORA. Nein, ich meine, - um einen
riesig großen Dienst -
RANK. Also wollen Sie mich doch
wenigstens ein einziges Mal glücklich machen?
NORA. Ach, Sie wissen ja noch gar
nicht, um was es sich handelt. RANK.
Nun gut, so sagen Sie's.
NORA. Nein, ich kann nicht,
Doktor; es ist so unerhört viel - Rat - und Beistand und ein Dienst -
RANK. Je mehr, desto besser. Ich
kann mir zwar nicht denken, was Sie meinen. Aber so sprechen Sie doch. Habe
ich denn nicht Ihr Vertrauen?
NORA. Ja, mehr als irgend ein
anderer. Sie sind mein treuester und bester Freund, das weiß ich wohl.
Deshalb will ich es Ihnen auch sagen. Also hören Sie, Doktor: Sie müssen mir
helfen, etwas zu verhindern. Sie wissen, wie warm, wie unbeschreiblich tief
Torvald mich liebt; er würde sich nicht einen Augenblick besinnen, sein
Leben für mich hinzugeben.
RANK (beugt sich zu ihr.)
Nora, - glauben Sie denn, er wäre der einzige, der -?
NORA (zuckt leicht zusammen.)
Der -?
RANK. - der sein Leben freudig
für Sie hingeben würde.
NORA (traurig.) Ja so.
RANK. Ich hatte mir geschworen,
Sie sollten es vor meinem Ende erfahren. Eine bessere Gelegenheit würde sich
nie wieder finden. - Ja, Nora, nun wissen Sie es. Und nun wissen Sie also
auch, daß Sie mir vertrauen können wie keinem andern.
NORA (steht auf, ruhig und
einfach.) Lassen Sie mich durch.
RANK (macht ihr Platz, bleibt
aber sitzen.) Nora -
NORA (in der Tür zum
Vorzimmer.) Helene, bringen Sie die Lampe. (Geht an den Ofen.)
Ach, lieber Doktor, das war in der Tat abscheulich von Ihnen.
RANK (steht auf.) Daß ich
Sie ebenso innig geliebt habe wie ein anderer? War das abscheulich?
NORA. Nein, aber daß Sie es mir
sagen. Es war ja gar nicht nötig -
RANK. Was soll das heißen? Haben
Sie denn gewußt -? (Das Hausmädchen kommt mit der Lampe, stellt
sie auf den Tisch und geht wieder hinaus.) Nora, - Frau Helmer -, ich
frage Sie, haben Sie etwas gewußt?
NORA. Ach, was weiß ich, ob ich
es gewußt oder nicht gewußt habe? Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen -.
Daß Sie nur so plump sein konnten, Doktor! Es war doch alles so schön!
RANK. Na, wenigstens haben Sie
nun Gewißheit, daß ich Ihnen mit Leib und Seele ergeben bin. Reden Sie
jetzt.
NORA (sieht ihn an.)
Jetzt noch?
RANK. Bitte,- darf ich erfahren,
um was es sich handelt.
NORA. Nichts sollen Sie jetzt
erfahren.
RANK. Doch, doch! So dürfen Sie
mich nicht strafen. Vergönnen Sie es mir, und ich will für Sie tun, was in
menschlicher Macht steht!
NORA. Nun können Sie nichts für
mich tun. - Übrigens werde ich wohl keine Hilfe nötig haben. Sie sollen
sehen, es ist alles nur Einbildung. Ganz gewiß. Natürlich! (Setzt sich in
den Schaukelstuhl, sieht ihn an und lacht.) Sie sind mir wirklich ein
netter Herr, mein lieber Doktor! Nun schämen Sie sich wohl, wo die Lampe da
ist?
RANK. Nein, eigentlich nicht!
Aber ich soll wohl gehen, - für immer?
NORA. Nein, das dürfen Sie
denn doch nicht! Sie kommen selbstverständlich nach wie vor zu uns. Sie
wissen ja, daß Torvald Sie nicht entbehren kann.
RANK. Und Sie?
NORA. Ach, - ich finde, es wird
immer so riesig unterhaltend hier, wenn Sie kommen.
RANK. Das gerade hat mich auf
eine falsche Fährte gelockt. Sie sind mir ein Rätsel. Oftmals war es mir,
als ob Sie ebenso gern mit mir zusammen wären wie mit Helmer.
NORA. Ja, sehen Sie, es gibt
Menschen, die man über alles liebt, und Menschen, mit denen man am liebsten
zusammen ist.
RANK. O ja, daran ist etwas.
NORA. Als ich noch zu Hause war,
liebte ich natürlich Papa über alles. Doch fand ich es immer außerordentlich
amüsant, wenn ich mich zu den Dienstboten hinunter stehlen konnte; denn die
hofmeisterten mich nie, und dann erzählten sie sich immer so vergnügliche
Dinge.
RANK. Aha, die habe ich
also abgelöst!
NORA (springt auf und geht zu
ihm.) Liebster, bester Doktor, so habe ich das ja doch nicht gemeint.
Aber sehen Sie, mit Torvald ist es gerade so wie mit Papa -
(Das
Hausmädchen kommt aus dem Vorzimmer.)
HAUSMÄDCHEN. Gnädige Frau!
(Flüstert etwas und reicht ihr eine Karte.)
NORA (wirft einen Blick auf
die Karte.) Ah! (Steckt sie in die Tasche.)
RANK. Etwas Unangenehmes?
NORA. Nein, nein, durchaus nicht;
nur - mein neues Kostüm -
RANK. Wie? Das liegt ja
da.
NORA. Ach ja! das! Aber es
handelt sich um ein anderes; ich habe es bestellt, - Torvald darf es nicht
wissen -
RANK. Aha, das ist also das große
Geheimnis!
NORA. Ja, gewiß. Gehen Sie nur zu
ihm hinein; er sitzt im mittleren Zimmer, halten Sie ihn so lange auf -
RANK.
Seien Sie unbesorgt; er soll mir nicht heraus. (Er geht in Helmers
Zimmer.)
NORA (zum Mädchen.) Und er
steht in der Küche und wartet?
HAUSMÄDCHEN. Ja, er ist die
Hintertreppe herauf gekommen -
NORA. Aber hast Du ihm denn nicht
gesagt, daß niemand zu Hause ist?
HAUSMÄDCHEN. Ja, aber es hat
nichts genützt.
NORA. Er wollte nicht wieder
gehen?
HAUSMÄDCHEN. Nicht eher, als bis
er mit der gnädigen Frau gesprochen hätte.
NORA. So laß ihn herein, aber
leise. Du darfst niemand etwas davon sagen, Helene; es ist eine Überraschung
für meinen Mann.
HAUSMÄDCHEN. Ja, ja, ich verstehe
schon - (Ab.)
NORA. Das Entsetzliche geschieht.
Es kommt trotz alledem. Nein, nein, nein, es kann nicht geschehen; es darf
nicht geschehen!
(Geht und schiebt
an Helmers Tür den Riegel vor. Das Hausmädchen öffnet die Vorzimmertür, läßt
Krogstad ein und schließt die Tür wieder hinter ihm. Er trägt
Reisepelz, Pelzstiefel und Pelzmütze.)
NORA (geht auf ihn zu.)
Sprechen Sie leise: mein Mann ist zu Hause.
KROGSTAD. Na, meinetwegen.
NORA. Was wollen Sie von mir?
KROGSTAD. Mir einen Bescheid
holen.
NORA. Also schnell. Was gibt es?
KROGSTAD. Sie wissen wohl, daß
ich meine Kündigung bekommen habe.
NORA. Ich konnte es nicht
verhindern, Herr Krogstad. Ich habe für Ihre Sache bis zum äußersten
gekämpft. Aber es hat nichts geholfen.
KROGSTAD. Hat Ihr Mann so wenig
Liebe zu Ihnen? Er weiß, welchen Dingen ich Sie aussetzen kann, und doch
wagt er -
NORA. Wie können Sie glauben, daß
er darum weiß!
KROGSTAD. Ja freilich, hab's mir
schon gedacht. Es sähe meinem guten Torvald Helmer auch nicht ähnlich,
soviel Mannesmut zu zeigen -
NORA. Herr Krogstad, ich verlange
Respekt vor meinem Mann.
KROGSTAD. O gewiß! Allen
schuldigen Respekt. Da Sie die Sache aber so ängstlich geheim halten,
gnädige Frau, so darf ich wohl auch annehmen, daß Sie heut etwas besser als
gestern über das unterrichtet sind, was Sie eigentlich getan haben?
NORA. Besser, als Sie's
mich jemals lehren könnten!
KROGSTAD. Freilich, ein so
schlechter Jurist wie ich -
NORA. Was wollen Sie von mir?
KROGSTAD. Nur sehen, wie es Ihnen
geht, Frau Helmer. Ich habe den ganzen Tag an Sie gedacht. Ein Geldagent,
ein Winkelschreiber, ein - na, kurz und gut, so ein Mensch wie ich hat auch
ein Herz sozusagen.
NORA. So beweisen Sie es; denken
Sie an meine kleinen Kinder.
KROGSTAD. Haben Sie und Ihr Mann
an meine Kinder gedacht? Doch, das ist ja jetzt gleichgültig! Sie brauchen
die Sache nicht zu ernst zu nehmen, - das nur wollt' ich Ihnen sagen.
Vorläufig werde ich meinerseits die Geschichte nicht zur Anzeige bringen.
NORA. Nein, nicht wahr? Ich wußte
es wohl.
KROGSTAD. Die ganze Sache läßt
sich in aller Güte ordnen; sie braucht gar nicht unter die Leute zu kommen;
sie bleibt unter uns dreien.
NORA. Mein Mann darf nie etwas
davon erfahren.
KROGSTAD. Wie wollen Sie das
verhindern? Können Sie den Rest vielleicht bezahlen? NORA.
Nein, im Augenblicke nicht.
KROGSTAD. Oder haben Sie ein
Mittel, das Geld in den nächsten Tagen zu beschaffen?
NORA. Wenigstens keines, von dem
ich Gebrauch machen will.
KROGSTAD.
Es würde Ihnen auch nichts genützt haben. Und wenn Sie hier mit noch so viel
Bargeld in der Hand vor mir ständen, so bekämen Sie Ihren Schuldschein doch
nicht zurück.
NORA. So erklären Sie, was Sie
damit anfangen wollen.
KROGSTAD. Ich will ihn nur
behalten, - ihn in Händen haben. Kein Unbeteiligter wird etwas davon
erfahren. Wenn Sie sich also irgendwie mit einem verzweifelten Entschluß
tragen sollten -
NORA. Das tue ich.
KROGSTAD. - wenn Sie
beabsichtigen sollten, Haus und Familie zu verlassen -
NORA. Das tue ich.
KROGSTAD. - oder wenn Sie
vielleicht noch etwas Schlimmeres vor haben sollten -
NORA. Woher wissen Sie -?
KROGSTAD. - so geben Sie den
Gedanken auf.
NORA. Woher wissen Sie, daß ich
mich mit solchen Gedanken trage?
KROGSTAD. Unsereins trägt sich
fast immer damit - im Anfang. Auch ich habe mich damit getragen. Aber ach Du
lieber Gott, ich hatte nicht den Mut -
NORA (tonlos.) Ich auch
nicht.
KROGSTAD (erleichtert.)
Nicht wahr? Sie haben nicht den Mut dazu, - Sie auch nicht!
NORA. Ich habe ihn nicht; ich
habe ihn nicht.
KROGSTAD. Es wäre auch eine große
Dummheit. Wenn nur der erste häusliche Sturm vorüber ist -. Ich habe hier in
der Tasche einen Brief an Ihren Mann -
NORA. Worin alles steht?
KROGSTAD. Im Ausdruck so
schonend, wie nur möglich.
NORA (schnell.) Der Brief
darf nicht in seine Hände kommen! Zerreißen Sie ihn, ich werde nun doch Geld
zu beschaffen suchen.
KROGSTAD. Entschuldigen Sie,
gnädige Frau, aber ich glaube, ich hätte Ihnen soeben gesagt -
NORA. Ach, ich meine nicht das
Geld, das ich Ihnen schulde. Sagen Sie mir, welche Summe verlangen Sie von
meinem Mann? Ich werde das Geld dann beschaffen.
KROGSTAD. Ich verlange kein Geld
von Ihrem Mann.
NORA. Was verlangen Sie denn?
KROGSTAD. Das sollen Sie
erfahren. Ich will wieder auf die Beine, gnädige Frau; - ich will empor; und
dabei soll Ihr Gatte mir behilflich sein. Seit anderthalb Jahren habe ich
mich keiner unehrenhaften Handlung schuldig gemacht. Während dieser Zeit
habe ich mit den drückendsten Verhältnissen gekämpft; ich war zufrieden,
mich Schritt für Schritt wieder hinaufarbeiten zu können. Jetzt jagt man
mich weg, und jetzt begnüge ich mich nicht damit, daß man mich wieder zu
Gnaden annimmt, ich will empor, - sage ich Ihnen. Ich will wieder an die
Bank, - will eine höhere Stellung haben; Ihr Mann soll einen Posten für mich
schaffen -
NORA. Das tut er nie und
nimmermehr.
KROGSTAD. Er tut es; ich kenne
ihn. Er wagt nicht zu mucksen. Und wenn ich erst drin bin, mit ihm zusammen,
- dann sollen Sie mal sehen! Noch ehe ein Jahr um ist, bin ich des Direktors
rechte Hand. Dann wird Nils Krogstad die Aktienbank leiten, und nicht
Torvald Helmer.
NORA. Das werden Sie nicht
erleben!
KROGSTAD. Wollen Sie vielleicht
-?
NORA. Jetzt habe ich den Mut
dazu.
KROGSTAD. Ach, - Sie machen mir
nicht bange. Eine feine, verwöhnte Dame, wie Sie -
NORA. Sie sollen sehen; Sie
sollen sehen!
KROGSTAD. Unter das Eis
vielleicht? Ins kalte pechschwarze Wasser? Um dann im Frühling ans Land zu
treiben, häßlich, unkenntlich, mit ausgefallenem Haar -
NORA. Sie machen mir nicht bange!
KROGSTAD. Und Sie mir auch nicht.
So was tut man nicht, Frau Helmer. Und überdies, was hätte es für einen
Zweck? Ich habe ihn ja trotzdem in der Tasche.
NORA. Dann auch noch? Wenn ich
nicht mehr -?
KROGSTAD. Vergessen Sie, daß Ihr
guter Name auch nach Ihrem Tode von mir abhängt?
NORA (steht sprachlos und
sieht ihn an.)
KROGSTAD. So, nun wissen Sie,
woran Sie sind. Machen Sie keine Dummheiten. Auf meinen Brief erwarte ich
von Helmer Nachricht. Und vergessen Sie nicht, daß Ihr Mann selbst mich
wieder auf Wege dieser Art gedrängt hat. Das werde ich ihm niemals vergeben.
Leben Sie wohl, gnädige Frau! (Ab durch das Vorzimmer.)
NORA (eilt nach der
Vorzimmertür, öffnet sie ein wenig, horcht.) Er geht. Gibt den Brief
nicht ab. Ach nein, nein, es wäre ja auch unmöglich. (Öffnet die Tür
weiter und weiter.) Was ist das? Er bleibt draußen stehen. Geht nicht
die Treppe hinunter. Besinnt er sich? Sollte er -? (Es fällt ein Brief in
den Briefkasten; darauf hört man Krogstads Schritte, die sich die Treppe
hinunter verlieren. Mit einem unterdrückten Aufschrei läuft Nora durchs
Zimmer bis an den Sofatisch; kurze Pause.) Im Briefkasten. (Schleicht
sich scheu an die Vorzimmertür.) Da liegt er. - Torvald, Torvald, -
jetzt sind wir rettungslos verloren!
FRAU LINDE (kommt mit dem
Kostüm aus dem Zimmer links.) So, - weiter wüßte ich nichts daran zu
ändern. Wollen wir es einmal anprobieren -?
NORA (heiser und leise.)
Christine, komm her.
FRAU LINDE (wirft den Anzug
aufs Sofa.) Was fehlt Dir? Du siehst ja ganz verstört aus.
NORA. Komm her. Siehst Du den
Brief? Da, - schau' hin durch die Briefkastenscheibe.
FRAU LINDE. Ja, ja, ich sehe ihn.
NORA. Der Brief ist von Krogstad
-
FRAU LINDE. Nora, - Krogstad hat
Dir das Geld geborgt!
NORA. Ja; und nun wird Torvald
alles erfahren.
FRAU LINDE. Ach glaub' mir, Nora,
das ist das Beste für Euch beide.
NORA. Du weißt noch nicht alles.
Ich habe eine Unterschrift gefälscht.
FRAU LINDE. Gerechter Gott -
NORA. Eins will ich Dir nur
sagen, Christine: Du mußt mein Zeuge sein.
FRAU LINDE. Wieso Zeuge? Was soll
ich -?
NORA. Wenn ich den Verstand
verlieren sollte - und das könnte ja leicht geschehen -
FRAU LINDE. Nora!
NORA.Oder wenn mir etwas anderes
zustoßen sollte, - derart, daß ich nicht hier zur Stelle sein könnte, wenn -
FRAU LINDE. Nora, Nora, Du bist
ja rein wie von Sinnen!
NORA. Wenn dann einer alles auf
sich nehmen will, - die ganze Schuld, - Du verstehst -
FRAU LINDE. Ja, ja. Aber wie
kannst Du nur denken -?
NORA. Dann sollst Du bezeugen,
daß es nicht wahr ist, Christine. Ich bin gar nicht von Sinnen; ich habe
noch meinen vollen Verstand, und ich sage Dir: kein anderer hat darum gewußt;
ich allein habe alles getan. Vergiß das nicht.
FRAU LINDE. Gewiß nicht. Aber ich
verstehe das alles nicht.
NORA. Wie solltest Du's auch
verstehen können! Jetzt wird ja das Wunderbare geschehen!
FRAU LINDE. Das Wunderbare?
NORA. Ja, das Wunderbare. Aber es
ist so fürchterlich, Christine, - es darf nicht geschehen - um keinen Preis
der Welt.
FRAU LINDE. Ich werde gleich zu
Krogstad gehen und mit ihm reden.
NORA. Geh nicht zu ihm! Er wird
Dir ein Leids antun!
FRAU LINDE. Es gab einst eine
Zeit, da er mir zuliebe gern alles getan hätte, was es auch sei.
NORA. Er?
FRAU LINDE. Wo wohnt er?
NORA. Ach, was weiß ich -? Doch,
- (greift in die Tasche) - hier ist seine Karte. Aber der Brief, der
Brief -!
HELMER (in seinem Zimmer,
klopft an die Tür.) Nora!
NORA (schreit voll Angst auf.)
Was gibt's? Was willst Du von mir?!
HELMER. Na, na, - erschrick nur
nicht. Wir können ja nicht hinein. Du hast die Tür verriegelt. Du probierst
wohl an?
NORA. Ja, ja; ich probiere an.
Hübsch werde ich aussehen, Torvald.
FRAU LINDE (hat die Karte
gelesen.) Er wohnt gleich um die Ecke.
NORA. Ja - aber es nützt doch
nichts. Wir sind rettungslos verloren. Der Brief liegt ja im Kasten.
FRAU LINDE. Und Dein Mann hat den
Schlüssel?
NORA. Ja, immer.
FRAU LINDE. Krogstad muß seinen
Brief ungelesen zurückverlangen; er muß einen Vorwand finden -
NORA. Aber gerade um diese Zeit
pflegt Torvald -
FRAU LINDE. Halt ihn hin. Geh so
lange zu ihm hinein. Ich bin gleich wieder da. (Geht schnell durch das
Vorzimmer ab.)
NORA (geht an Helmers Tür und
öffnet sie.) Torvald!
HELMER (im Hinterzimmer.)
Na, darf man endlich wieder in sein eigenes Zimmer? Komm, Rank, jetzt wollen
wir einmal sehen - (In der Tür.) Aber was ist das?
NORA. Was, liebster Torvald?
HELMER. Rank hat mich auf eine
großartige Maskenszene vorbeireitet.
RANK (in der Tür.) Ich
habe es so verstanden, kann mich aber auch geirrt haben.
NORA. Erst morgen darf man mich
in meiner Pracht bewundern.
HELMER. Aber, liebe Nora, wie
angegriffen siehst Du aus! Hast Du zuviel geübt?
NORA. Nein, ich habe noch gar
nicht geübt.
HELMER. Das wird aber doch nötig
sein -
NORA. Ja, das wird durchaus nötig
sein, Torvald. Aber ohne Deine Hilfe kann ich nichts machen, - ich habe so
gut wie alles vergessen.
HELMER. Ach, das werden wir rasch
wieder auffrischen.
NORA. Ja, Torvald, Du mußt Dich
meiner annehmen. Willst Du mir das versprechen? Ach, ich habe solche Angst.
Die große Gesellschaft -. Heut abend mußt Du Dich ganz mir widmen. Nichts
von Geschäften, - aber auch gar nichts. Keinen Federstrich! Wie? Nicht wahr,
lieber Torvald?
HELMER. Das verspreche ich Dir.
Heut abend stehe ich ausschließlich zu Deiner Verfügung - Du kleine,
hilflose Person, Du! Aber halt! Ich will doch erst - (Geht an die
Vorzimmertür.)
NORA. Was willst Du draußen
sehen?
HELMER. Ich will nur sehen, ob
Briefe da sind.
NORA. Nein, nein, tu's nicht,
Torvald!
HELMER. Was heißt das?
NORA. Torvald, ich bitte Dich; -
es sind keine da.
HELMER. Laß mich doch sehen.
(Will hinaus.)
NORA (am Klavier, greift die
ersten Takte der Tarantella.)
HELMER (an der Tür, bleibt
stehen.) Aha!
NORA. Soll ich morgen tanzen, so
muß ich vorher mit Dir üben.
HELMER (geht zu ihr.) Hast
Du wirklich solche Angst, liebe Nora?
NORA. Ja, eine grenzenlose Angst.
Jetzt gleich laß uns üben. Vor Tisch ist noch Zeit. Setz' Dich ans Klavier
und spiele, lieber Torvald, verbessere mich; dirigier' mich, wie gewöhnlich.
HELMER. Gern, sehr gern, wenn Du
es wünschst. (Setzt sich ans Klavier.)
NORA (nimmt das Tamburin aus
dem Karton, ebenso einen langen, bunten Schal, mit dem sie sich hastig
drapiert; darauf kommt sie mit einem Sprung in den Vordergrund und ruft:)
Spiel' mir vor! Jetzt will ich tanzen. (Helmer spielt und Nora tanzt.
Rank steht hinter Helmer am Klavier und sieht zu.)
HELMER (spielt.)
Langsamer, - langsamer.
NORA. Ich kann nicht anders.
HELMER. Nicht so ungestüm, Nora.
NORA. So ist es gerade recht.
HELMER (hört auf zu spielen.)
Nein, nein, so geht es durchaus nicht.
NORA (lacht und schwingt das
Tamburin.) Habe ich es Dir nicht gesagt?
RANK. Laß mich ihr zum Tanz
aufspielen.
HELMER (steht auf.) Ja,
tue das - dann kann ich sie bequemer dirigieren.
(Rank setzt sich
ans Klavier und spielt. Nora tanzt mit wachsender Erregtheit. Helmer hat
sich an den Ofen gestellt und richtet während des Tanzes fortwährend
verbessernde Bemerkungen an sie. Sie scheint es nicht zu hören, ihr Haar
löst sich und fällt auf die Schultern herab; sie kehrt sich nicht daran,
sondern fährt fort zu tanzen. Frau Linde tritt ein.)
FRAU LINDE (steht wie
versteinert an der Tür.) Ah -!
NORA (während des Tanzens.)
Hier geht's lustig zu, Christine.
HELMER. Aber liebste, beste Nora,
Du tanzest ja, als ginge es Dir ans Leben.
NORA. Das tut es ja auch.
HELMER. Rank, hör' auf; das ist
ja der reine Wahnsinn. Hör' auf, sag' ich Dir! (Rank hört auf zu spielen
und Nora hält plötzlich inne. Helmer geht zu ihr.) Das hätte ich doch
nie für möglich gehalten; Du hast ja alles vergessen, was ich Dir
beigebracht habe.
NORA (wirft das Tamburin von
sich.) Da siehst Du selbst.
HELMER. Na, hier ist wirklich
noch Unterricht nötig.
NORA. Nun siehst Du, wie
notwendig es ist. Du mußt noch bis zum letzten Augenblick mit mir üben.
Versprichst Du mir das, Torvald?
HELMER. Verlaß Dich drauf.
NORA. Du darfst heute und morgen
für nichts anderes Gedanken haben als für mich; Du darfst keinen Brief
öffnen -, nicht den Briefkasten aufmachen -
HELMER. Aha, das ist noch immer
die Angst vor diesem Menschen -.
NORA. O ja, ja, - das auch!
HELMER. Nora, ich sehe es Dir an,
es liegt schon ein Brief von ihm drin.
NORA. Ich weiß nicht; ich glaube;
Du darfst so etwas aber jetzt nicht lesen. Es darf nichts Häßliches zwischen
uns treten, ehe alles vorüber ist.
RANK (leise zu Helmer.)
Widersprich ihr nicht.
HELMER (legt den Arm um sie.)
Das Kind soll seinen Willen haben. Aber morgen abend, wenn Du getanzt hast -
NORA. Dann bist Du frei.
HAUSMÄDCHEN (an der Tür
rechts.) Gnädige Frau, es ist angerichtet.
NORA. Bring Champagner, Helene.
HAUSMÄDCHEN. Schön, gnädige Frau.
(Ab.)
HELMER. Ei, ei - also ein großes
Gelage?
NORA. Champagnergelage bis in den
hellen Morgen. (Ruft hinaus.) Und auch Makronen, Helene, viele - nur
dies eine Mal.
HELMER (faßt ihre Hände.)
So - so - so, - nicht dieses ängstliche Ungestüm! Sei nun wieder meine
liebe, kleine Lerche wie sonst.
NORA. Ach ja, das will ich auch.
Aber geh nur hinein; Sie auch, Doktor. Christine, Du mußt mir das Haar
wieder aufstecken.
RANK, (indem er und Helmer
abgehen.) Da ist wohl etwas - etwas unterwegs?
HELMER. Kein Gedanke, lieber
Freund, es ist nur diese kindische Furcht, von der ich Dir erzählt habe.
(Beide rechts ab.)
NORA. Nun!?
FRAU LINDE. Verreist - über Land.
NORA. Ich habe es Dir angesehen.
FRAU LINDE. Er kommt morgen abend
zurück. Ich habe ihm einige Zeilen hinterlassen.
NORA. Das hättest Du nicht tun
sollen. Du sollst nichts verhindern. Im Grunde ist es doch eine Seligkeit,
auf das Wunderbare zu warten.
FRAU LINDE. Worauf wartest Du?
NORA. Ach, das kannst Du nicht
verstehen. Geh hinein zu ihnen; ich komme gleich nach. (Frau Linde geht
ins Speisezimmer. Nora steht einen Augenblick, wie um sich zu sammeln, dann
sieht sie auf ihre Uhr.) Fünf Uhr. Sieben Stunden bis Mitternacht. Dann
noch vierundzwanzig Stunden bis nächste Mitternacht. Dann ist die Tarantella
aus. Vierundzwanzig und sieben? Noch einunddreißig Stunden zu leben.
HELMER (rechts in der Tür.)
Aber wo bleibt denn meine kleine Lerche?
NORA (fliegt ihm mit offenen
Armen entgegen.) Da ist die Lerche.
Dritter Akt
(Dasselbe Zimmer. Der Sofatisch mit den
Stühlen herum ist mitten ins Zimmer gerückt. Auf dem Tisch brennt eine
Lampe. Die Tür zum Vorzimmer steht offen. Aus der oberen Etage ertönt
Musik.)
FRAU LINDE (sitzt am Tisch und
blättert zerstreut in einem Buche; sie versucht zu lesen, scheint ihre
Gedanken jedoch nicht sammeln zu können; ein paarmal horcht sie gespannt in
der Richtung der Treppentür. Sie sieht auf ihre Uhr.) Noch nicht. Und es
ist doch die höchste Zeit. Wenn er nur nicht - (Horcht wieder.) Ah!
da ist er. (Sie geht ins Vorzimmer und öffnet vorsichtig die äußere Tür;
man hört leise Schritte auf der Treppe; sie flüstert:) Herein. Es ist
niemand da.
KROGSTAD (in der Tür.) Ich
habe in meiner Wohnung einen Zettel von Ihnen gefunden. Was soll das
bedeuten?
FRAU LINDE. Ich habe dringend mit
Ihnen zu sprechen.
KROGSTAD. So? Und das muß gerade
hier im Hause geschehen?
FRAU LINDE. Bei mir zu Hause war
es unmöglich. Mein Zimmer hat keinen besonderen Eingang. Treten Sie näher;
wir sind ganz allein; das Mädchen schläft, und Helmers sind oben auf einem
Ball.
KROGSTAD (tritt in das
Zimmer.) Ei sieh mal an! Helmers tanzen heut abend? Wirklich?
FRAU LINDE. Ja, warum denn nicht?
KROGSTAD. Na ja, - warum auch
nicht.
FRAU LINDE. Krogstad, - reden wir
miteinander.
KROGSTAD. Wir zwei hätten noch
was miteinander zu reden?
FRAU LINDE. Wir haben viel
miteinander zu reden.
KROGSTAD. Das hätte ich nicht
geglaubt.
FRAU LINDE. Weil Sie mich nie so
recht verstanden haben.
KROGSTAD. Was war denn da weiter
zu verstehen? War's nicht die alte Geschichte? Ein herzloses Weib gibt einem
Manne den Laufpaß, wenn sich ihr etwas Vorteilhafteres bietet.
FRAU LINDE. Halten Sie mich für so ganz herzlos? Und glauben Sie, ich
hätte leichten Herzens mit Ihnen gebrochen?
KROGSTAD. Nicht?
FRAU LINDE. Krogstad, haben Sie das wirklich geglaubt?
KROGSTAD. Wenn es nicht der Fall war, warum haben Sie denn damals in
dieser Weise an mich geschrieben?
FRAU LINDE. Ich konnte ja nicht anders. In dem Augenblick, als ich mit
Ihnen brach, war es auch meine Pflicht, in Ihnen alles zu ersticken, was Sie
für mich fühlten.
KROGSTAD (ballt die Hände.) Darum also! Und nur - nur des Geldes
wegen.
FRAU LINDE. Sie dürfen nicht vergessen, ich hatte eine hilflose Mutter
und zwei kleine Brüder. Wir konnten nicht auf Sie warten, Krogstad; um Ihre
Aussichten war es damals doch schwach bestellt.
KROGSTAD. Mag sein; aber Sie hatten kein Recht, mich aufzugeben, irgend
einem anderen Menschen zuliebe.
FRAU LINDE. Ja, ich weiß nicht. Oft habe ich mich selbst gefragt, ob ich
ein Recht dazu hatte.
KROGSTAD (leise.) Als ich Sie verlor, da war mir's, als wanke der
feste Boden unter meinen Füßen. Sehen Sie mich an, jetzt bin ich ein
Schiffbrüchiger auf einem Wrack.
FRAU LINDE. Die Hilfe ist vielleicht nah.
KROGSTAD. Sie war nah. Aber da kamen Sie und stellten sich in den Weg.
FRAU LINDE. Ohne es zu wissen, Krogstad. Erst heute habe ich es erfahren,
daß ich Sie bei der Bank ersetzen sollte.
KROGSTAD. Ich glaube Ihnen, wenn Sie es sagen. Aber nun, da Sie es
wissen, - da treten Sie doch zurück?
FRAU LINDE. Nein. Sie würden nicht den geringsten Nutzen davon haben.
KROGSTAD.
Bah! Nutzen, Nutzen -; ich würde es trotzdem tun.
FRAU LINDE. Ich habe gelernt, vernünftig zu handeln. Das Leben und die
harte, bittere Not haben es mich gelehrt.
KROGSTAD. Und mich hat das Leben gelehrt, nicht an Redensarten zu
glauben.
FRAU LINDE. Dann hat es Sie etwas sehr Vernünftiges gelehrt. Aber an
Taten glauben Sie doch?
KROGSTAD. Wie meinen Sie das?
FRAU LINDE. Sie haben gesagt, Sie ständen da wie ein Schiffbrüchiger auf
einem Wrack.
KROGSTAD. Ich hatte wohl guten Grund, dies zu sagen.
FRAU LINDE. Auch ich sitze da, wie eine Schiffbrüchige auf einem Wrack.
Habe keinen, um den und für den ich sorgen könnte.
KROGSTAD. Es war Ihre eigene Wahl.
FRAU LINDE. Eine andere hatte ich damals nicht.
KROGSTAD. Nun, und weiter?
FRAU LINDE. Krogstad, wenn wir beiden schiffbrüchigen Leute nun
zueinander kommen könnten.
KROGSTAD. Was sagen Sie da?
FRAU LINDE. Zwei auf einem Wrack sind doch besser dran, als jeder
auf dem seinen allein.
KROGSTAD. Christine!
FRAU LINDE. Was, glauben Sie wohl, hat mich in die Stadt geführt?
KROGSTAD. Doch wohl nicht der Gedanke an mich?
FRAU LINDE. Ich muß arbeiten, wenn ich das Dasein ertragen soll. Mein
ganzes Leben hindurch, soweit ich zurückdenken kann, habe ich gearbeitet,
und das war meine schönste, meine einzige Freude. Aber jetzt stehe ich ganz
allein in der Welt, mit erschrecklich leerer Seele und verlassen. Nur für
sich selbst arbeiten zu müssen, das ist keine Freude. Krogstad, schaffen Sie
mir wen, schaffen Sie mir was, wofür ich arbeiten kann.
KROGSTAD. Daran glaube ich nicht. Es ist der Heroismus eines überspannten
Weibes, das sich selbst opfern will - nichts weiter!
FRAU LINDE. Haben Sie jemals beobachtet, daß ich überspannt war?
KROGSTAD. Sie könnten das wirklich? Sagen Sie mir, - kennen Sie auch
meine Vergangenheit ganz?
FRAU LINDE. Ja.
KROGSTAD. Und Sie wissen, wofür ich hier gelte?
FRAU LINDE. Aus ihren Worten vorhin klang etwas wie die Überzeugung
heraus, daß Sie mit mir ein anderer hätten werden können.
KROGSTAD. Ganz ohne Zweifel.
FRAU LINDE. Sollte das nicht jetzt noch geschehen können?
KROGSTAD. Christine, sprechen Sie mit voller Überlegung?! Ja, Sie tun es.
Ich sehe es Ihnen an. Sie haben also wirklich den Mut -?
FRAU LINDE. Ich brauche jemand, dem ich Mutter sein kann; und Ihre Kinder
brauchen eine Mutter. Wir beide brauchen einander. Krogstad, ich glaube an
den guten Kern in Ihnen; - zusammen mit Ihnen wage ich alles.
KROGSTAD (ergreift ihre Hände.) Dank, Dank, Christine! - Jetzt
werde ich mich schon in den Augen der andern wieder zu rehabilitieren
wissen! - O, aber ich vergaß -
FRAU LINDE (horcht.) Horch! Die Tarantella! Gehen Sie! Gehen Sie!
KROGSTAD. Weshalb? Was ist denn?
FRAU LINDE. Hören Sie den Tanz da oben? Wenn der vorüber ist, können wir
sie erwarten.
KROGSTAD. Jawohl! Ich gehe. Es ist ja alles vergebens. Sie wissen
natürlich nicht, was für einen Schritt ich gegen Helmers unternommen habe.
FRAU LINDE. Ja, Krogstad, ich weiß.
KROGSTAD. Und trotzdem haben Sie den Mut -?
FRAU LINDE. Ich verstehe wohl, wozu die Verzweiflung einen Mann wie Sie
treiben kann.
KROGSTAD. Ach, wenn ich das doch ungeschehen machen könnte!
FRAU LINDE. Das können Sie schon; denn Ihr Brief liegt noch im Kasten.
KROGSTAD. Wissen Sie das bestimmt?
FRAU LINDE. Ganz bestimmt; aber -
KROGSTAD (blickt sie forschend an.) Sollte es so zu verstehen
sein? Sie wollen Ihre Freundin um jeden Preis retten. Sagen Sie es gerade
heraus. Ist es so?
FRAU LINDE. Krogstad, wer sich um anderer willen einmal verkauft
hat, der tut es nicht zum zweiten Male.
KROGSTAD. Ich werde meinen Brief zurückverlangen.
FRAU LINDE. Nein, nein.
KROGSTAD. Ja natürlich; ich warte hier, bis Helmer herunter kommt; ich
sage ihm, daß er mir meinen Brief zurückgeben müsse, - daß dieser Brief nur
von meiner Entlassung handle, - daß er ihn nicht lesen solle -
FRAU LINDE. Nein, Krogstad, Sie sollen den Brief nicht zurückverlangen.
KROGSTAD. Aber sagen Sie mir: Sie haben mich doch nur deswegen
herbestellt?
FRAU LINDE. Ja, im ersten Schreck; aber dazwischen liegen jetzt
vierundzwanzig Stunden, und seitdem bin ich hier im Hause Zeuge
unglaublicher Dinge gewesen. Helmer muß alles erfahren; dieses
unglückselige Geheimnis muß an den Tag, es muß zwischen den beiden zu einer
offenen Aussprache kommen; es kann unmöglich so fortgehen mit den
Vertuschungen und Ausflüchten!
KROGSTAD. Nun wohl; - wenn Sie es denn wagen -. Aber eins kann ich
auf jeden Fall tun, und das soll sofort geschehen -
FRAU LINDE (lauscht.) Eilen Sie! Gehen Sie! Gehen Sie! Der Tanz
ist aus; wir sind keinen Augenblick mehr sicher.
KROGSTAD. Ich warte unten auf Sie.
FRAU LINDE. Ja, tun Sie das; Sie dürfen mich bis an die Haustür
begleiten.
KROGSTAD. So unsagbar glücklich bin ich nie gewesen. (Er geht durch
die Treppentür ab; die Tür zwischen den Zimmern und dem Vorzimmer bleibt
offen.)
FRAU LINDE (räumt ein wenig auf und legt ihren Mantel und Hut
zurecht.) Welch eine Wendung! Ja, welch eine Wendung! Menschen, für die
ich arbeiten, - für die ich leben kann; ein Heim, in das ich Glück und
Behagen bringen darf. Da heißt es allerdings fest anpacken -. Wenn sie nur
bald kämen - (horcht.) Aha, da sind sie schon. Wo sind meine Sachen!
(Nimmt Hut und Mantel.)
(Draußen hört man Helmers und Noras
Stimmen, ein Schlüssel wird im Schloß umgedreht, und Helmer führt Nora fast
mit Gewalt ins Vorzimmer. Sie hat das italienische Kostüm an mit einem
großen, schwarzen Schal darüber; Helmer ist in Gesellschaftsanzug und trägt
einen offenen schwarzen Domino darüber.)
NORA (noch in der Tür, widerstrebend.) Nein, nein, nein; nicht
nach Haus! Ich will wieder hinauf. Ich mag noch nicht so früh weg.
HELMER. Aber liebste Nora -
NORA. Ach, ich bitte Dich flehentlich, Torvald; ich bitte Dich von ganzem
Herzen, - nur eine Stunde noch.
HELMER. Nicht eine Minute länger, meine süße Nora. Du weißt, so
war es verabredet! So -! Hinein ins Zimmer; Du erkältest Dich hier nur.
(Trotz ihres Widerstandes führt er sie sanft ins Zimmer.)
FRAU LINDE. Guten Abend.
NORA. Christine!
HELMER. Wie, Frau Linde, Sie noch so spät hier?
FRAU LINDE.
Ja, verzeihen Sie, ich wollte Nora so gern in ihrem Staat sehen.
NORA. Hast Du die ganze Zeit auf mich gewartet?
FRAU LINDE. Ja. Ich bin leider zu spät gekommen. Du warst schon oben, und
da wollte ich nicht wieder weggehen, bevor ich Dich gesehen hätte.
HELMER (nimmt Nora den Schal ab.) Ja schauen Sie sie nur
ordentlich an. Ich sollte meinen, sie ist das Ansehen wert. Ist sie nicht
reizend, Frau Linde?
FRAU LINDE. Ja, das muß ich sagen -
HELMER. Ist sie nicht ungewöhnlich reizend? Darüber gab es auch in der
Gesellschaft nur eine Stimme. Aber entsetzlich eigensinnig ist sie, - das
süße, kleine Ding. Was soll man machen? Wollen Sie wohl glauben: ich mußte
beinahe Gewalt anwenden, um sie wegzubringen.
NORA. Torvald, Du wirst es noch bereuen, daß Du mir nicht wenigstens noch
eine halbe Stunde gegönnt hast.
HELMER. Da hören Sie's, Frau Linde. Sie tanzt ihre Tarantella - hat
stürmischen Erfolg, - der auch verdient war -, obgleich der Vortrag
vielleicht etwas zu naturalistisch war, ich meine - ein wenig
naturalistischer, als es sich streng genommen mit den Forderungen der Kunst
verträgt. Immerhin, die Hauptsache ist, - sie hat Erfolg, stürmischen
Erfolg. Und danach hätte ich sie noch oben lassen sollen? Die Wirkung
abschwächen sollen? I bewahre! Ich nahm mein reizendes kleines Mädchen von
Capri - mein capriziöses kleines Mädchen von Capri sollte ich eigentlich
sagen - unter den Arm; eine schnelle Runde durch den Saal, eine Verbeugung
nach allen Seiten, und - wie es in der Romansprache heißt - das schöne Bild
ist verschwunden. Ein Abgang muß immer wirkungsvoll sein, Frau Linde. Aber
es ist mir nicht möglich, Nora das begreiflich zu machen. Puh, wie
warm es hier ist! (Wirft den Domino auf einen Stuhl und öffnet die Tür zu
seinem Zimmer.) Was? Da ist es ja dunkel! Ach ja, natürlich. Verzeihung
- (Er geht hinein und zündet einige Kerzen an.)
NORA (flüstert schnell und
atemlos:) Nun?!
FRAU LINDE (leise.) Ich
habe ihn gesprochen.
NORA. Und -?
FRAU LINDE. Nora, - Du mußt
Deinem Mann alles sagen!
NORA (tonlos.) Ich wußte
es.
FRAU LINDE. Von Krogstads Seite
hast Du nichts zu fürchten; aber sprechen mußt Du.
NORA. Ich spreche nicht.
FRAU LINDE. Dann spricht der
Brief.
NORA. Ich danke Dir, Christine;
jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Pst -! (Helmer tritt wieder ein.)
HELMER. Na, Frau Linde, haben Sie
sie bewundert?
FRAU LINDE. Ja, und nun will ich
Gutnacht sagen.
HELMER. Ach was, schon? - Gehört
Ihnen das Strickzeug da?
FRAU LINDE (nimmt es.) Ja,
danke schön. Beinahe hätte ich es vergessen.
HELMER. Also, Sie stricken?
FRAU LINDE. Ja freilich.
HELMER. Wissen Sie was, Sie
sollten lieber sticken.
FRAU LINDE. So? Und weshalb?
HELMER. Weil es viel hübscher
aussieht. Sehen Sie nur: man hält die Stickerei mit der linken Hand, - so -,
und mit der rechten führt man die Nadel - so - in leichtem, langgestrecktem
Bogen; nicht wahr -?
FRAU LINDE. Ja, das mag schon
sein -
HELMER. Das Stricken hingegen, -
das kann nur unschön sein. Sehen Sie her: die zusammengeklemmten Arme, - die
Stricknadeln, die auf und ab fahren, - das hat so was Chinesisches an sich.
- Es war wirklich ein glänzender Champagner, den man uns vorgesetzt hat.
FRAU LINDE. Gute Nacht, Nora, -
und sei nicht mehr eigensinnig.
HELMER. Gut gesagt, Frau Linde.
FRAU LINDE.
Gute Nacht, Herr Direktor! (Helmer begleitet sie zur Tür.)
HELMER. Gute Nacht, gute Nacht;
ich will nur hoffen, daß Sie gut nach Hause kommen. Ich würde sehr gern -;
aber Sie haben ja nicht weit zu gehen. Gute Nacht, gute Nacht. (Frau
Linde geht; er schließt die Tür hinter sich ab und kommt zurück.) Na
endlich sind wir sie los. Eine schrecklich langweilige Person -!
NORA. Bist Du nicht sehr müde,
Torvald?
HELMER. Nein, nicht im
geringsten.
NORA. Auch nicht schläfrig?
HELMER. Durchaus nicht; im
Gegenteil, ich fühle mich außerordentlich frisch. Aber Du? Du siehst
allerdings müde und schläfrig aus.
NORA. Ja, ich bin sehr müde. Ich
werde bald schlafen gehen.
HELMER. Siehst Du, siehst Du! Es
war also doch richtig von mir, daß wir nicht länger geblieben sind.
NORA. Ach, alles was Du tust, ist
richtig.
HELMER (küßt sie auf die
Stirn.) Jetzt spricht meine Lerche wie ein vernünftiger Mensch. Sag'
mal: hast Du bemerkt, wie lustig Rank heut abend war?
NORA. So? War er das? Ich habe
gar nicht mit ihm gesprochen.
HELMER. Ich auch fast gar nicht;
aber ich habe ihn schon lange nicht in so guter Laune gesehen. (Sieht sie
einen Augenblick an; darauf tritt er näher zu ihr.) Hm, - es ist doch
herrlich, wieder in seinen eigenen vier Wänden zu sein, - ganz allein mit
Dir. - O Du entzückendes, reizendes Weibchen!
NORA. Sieh mich nicht so an,
Torvald!
HELMER. Mein teuerstes Gut soll
ich nicht ansehen? All die Herrlichkeit nicht ansehen, die mir gehört, mir
allein, mir ganz und ausschließlich.
NORA (geht an die andere Seite
des Tisches.) Du sollst nicht so zu mir sprechen heut abend.
HELMER (folgt ihr.) Dir
liegt noch die Tarantella im Blut, merke ich. Und das macht Dich nur noch
verführerischer. Horch! Nun brechen die Gäste auf. (Leiser.) Nora, -
bald ist es still im ganzen Hause.
NORA. Ja, das hoffe ich.
HELMER. Nicht wahr, meine einzig
geliebte Nora? Ach, weißt Du, - wenn ich so mit Dir in Gesellschaft bin, -
weißt Du, weshalb ich dann so wenig mit Dir spreche, Dir fern bleibe, Dir
nur dann und wann einen verstohlenen Blick zuwerfe? - Weißt Du, warum ich
das tue? Weil ich mir dann einbilde, Du wärst meine heimliche Geliebte,
meine heimliche junge Braut, und es ahne niemand, daß zwischen uns beiden
ein Geheimnis ist.
NORA. Ja, ja, ja; ich weiß, daß
alle Deine Gedanken bei mir sind.
HELMER.Und wenn wir dann
fortwollen, und ich den Schal um Deine zarten, jugendlichen Schultern lege,
- um diesen wunderbaren Nacken, - dann stelle ich mir vor, daß Du meine
junge Braut bist, daß wir gerade aus der Kirche kommen, daß ich Dich zum
ersten Male in meine Wohnung führe, daß ich zum ersten Mal mit Dir allein
bin, - ganz allein mit Dir, Du junge, erbebende Schönheit! Diesen ganzen
Abend über warst nur Du meine Sehnsucht. Als ich Dich in der Tarantella so
verführerisch tollen sah, - da kochte mein Blut; ich hielt es nicht länger
aus, - und deshalb führte ich Dich so früh nach Hause -
NORA. Geh jetzt, Torvald. Du
sollst mich in Ruhe lassen. Ich will das alles nicht.
HELMER. Was soll das heißen? Du
hast mich wohl zum besten, Norachen? Du willst nicht, willst nicht? Bin ich
nicht Dein Mann -?
(Es klopft an der
Treppentür.)
NORA (fährt zusammen.)
Hörst Du -?
HELMER (nach dem Vorzimmer
gehend.) Wer ist da?
DOKTOR RANK (draußen.) Ich
bin's. Darf ich einen Augenblick eintreten?
HELMER (leise, verdrießlich.)
Was will denn der jetzt? (Laut.) Wart' einen Augenblick. (Geht hin
und schließt auf.) Na, das ist ja hübsch von Dir, daß Du nicht an
unserer Tür vorübergehst.
RANK. Mir war, als hörte ich
Deine Stimme, und da wollte ich gern noch einen Blick herein tun. (Läßt
das Auge flüchtig umherschweifen.) Ach ja, diese lieben, trauten Räume.
Ihr habt es nett und behaglich, Ihr beide.
HELMER. Du hast Dich oben
offenbar auch recht behaglich gefühlt.
RANK. Außerordentlich. Warum auch
nicht? Weshalb soll man in dieser Welt nicht alles mitnehmen? Wenigstens,
soviel man kann und solange man es kann. Der Wein war vortrefflich -
HELMER. Besonders der Champagner.
RANK. Hast Du das auch gefunden?
Unglaublich, wieviel ich hinunterspülen konnte!
NORA. Torvald hat heut abend auch
viel Champagner getrunken.
RANK. So?
NORA. Ja, und danach ist er immer
so gut aufgelegt.
RANK. Weshalb soll man sich denn
nicht auch einen vergnügten Abend machen nach einem gut angewendeten Tage?
HELMER.´Gut angewendeter Tag!
Dessen darf ich mich leider nicht rühmen.
RANK (schlägt ihn auf die
Schulter.) Aber siehst Du, ich darf es.
NORA. Sie haben heut gewiß eine
wissenschaftliche Untersuchung vorgenommen, Doktor?
RANK. Allerdings.
HELMER. Ei, ei, unsere kleine
Nora redet von wissenschaftlichen Untersuchungen!
NORA. Und darf man Ihnen Glück
wünschen zu dem Ergebnis?
RANK. Das dürfen Sie getrost.
NORA. Das Ergebnis war also gut?
RANK. Das denkbar beste für den
Arzt wie für den Patienten, - Gewißheit.
NORA (schnell und forschend.)
Gewißheit?
RANK. Volle Gewißheit. Konnte ich
mir daraufhin nicht einen vergnügten Abend machen?
NORA. Ja, daran haben Sie recht
getan, Doktor.
HELMER. Das sage ich auch; wenn
Du nur nicht morgen dafür büßen mußt.
RANK. Na, für umsonst ist ja
nichts auf der Welt.
NORA. Doktor, - Maskeraden machen
Ihnen wohl großes Vergnügen?
RANK. Ja, wenn recht viel
komische Masken da sind -
NORA. Hören Sie, als was wollen
wir beide gehen auf der nächsten Maskerade?
HELMER. Du kleiner Leichtsinn, -
denkst Du jetzt schon an die nächste?
RANK. Wir beide? Das will ich
Ihnen sagen: Sie kommen als Glückskind -
HELMER. Ja, aber mach' ein Kostüm
ausfindig, das dafür bezeichnend ist.
RANK. Laß Deine Frau nur kommen,
wie sie geht und steht in der Welt -
HELMER. Das war wirklich treffend
gesagt. Aber weißt Du schon, was Du selber vorstellen wirst?
RANK. Mein lieber Freund, darüber
bin ich mit mir vollkommen im reinen.
HELMER. Nun?
RANK. Auf der nächsten Maskerade
werde ich unsichtbar sein.
HELMER. Das ist mir ein ulkiger
Einfall.
RANK. Es gibt eine große schwarze
Kappe -; hast Du noch nie von der Tarnkappe gehört? Die setzt man sich auf,
und dann wird man von keinem gesehen.
HELMER (mit unterdrücktem
Lächeln.) Jawohl, - sehr richtig!
RANK. Aber ich vergesse ganz,
weshalb ich gekommen bin. Helmer, gib mir eine Zigarre, eine von Deinen
dunklen Havannas.
HELMER. Mit dem größten
Vergnügen. (Reicht ihm sein Zigarrenetui hin.)
RANK (nimmt eine und schneidet
die Spitze ab.) Danke!
NORA (streicht ein
Wachszündhölzchen an.) Ich will Ihnen Feuer geben.
RANK. Danke schön. (Sie hält
das Zündholz hin, er raucht die Zigarre an.) Und nun Adieu.
HELMER. Adieu, adieu, lieber
Freund!
NORA. Schlafen Sie wohl, Doktor!
RANK. Vielen Dank für diesen
Wunsch.
NORA. Wünschen Sie mir dasselbe.
RANK. Ihnen? Na ja, wenn Sie
wollen -. Schlafen Sie wohl. Und Dank für das Feuer. (Er nickt beiden zu
und geht.)
HELMER (mit gedämpfter
Stimme.) Er hat schwer getrunken.
NORA (wie geistesabwesend.)
Mag sein. (Helmer nimmt seinen Schlüsselbund aus der Tasche und geht ins
Vorzimmer.) Torvald - was willst Du da?
HELMER. Ich muß den Briefkasten
leeren; er ist ganz voll; sonst ist morgen früh kein Platz für die Zeitungen
-
NORA. Willst Du heute nacht noch
arbeiten?
HELMER. Nein, das weißt Du ja
schon. - Was ist das? Da ist jemand am Schloß gewesen.
NORA. Am Schloß -?
HELMER. Allerdings. Was soll das
heißen? Ich will doch nicht hoffen, daß die Mädchen -? Hier liegt eine
abgebrochene Haarnadel. Nora, das ist Deine -
NORA (schnell.) Dann
müssen es die Kinder gewesen sein -
HELMER. Das mußt Du ihnen aber
wirklich abgewöhnen. Hm, hm; - na, nun habe ich ihn doch noch aufbekommen.
(Nimmt den Inhalt heraus und ruft in die Küche hinein:) Helene! -
Helene, machen Sie die Lampe aus im Flur. (Kommt wieder ins Zimmer und
schließt die Tür zum Vorzimmer.)
HELMER (mit den Briefen in der
Hand.) Sieh mal, sieh mal, wie sich das angesammelt hat. (Blättert
darin.) Was ist das?
NORA (am Fenster.) Der
Brief! - Ach, nein, nein, Torvald!
HELMER. Zwei Visitenkarten - von
Rank.
NORA. Vom Doktor?
HELMER (sieht sich die Karten
an.) Doctor medicinae Rank. Sie lagen obenauf; er muß sie beim Weggehen
hineingesteckt haben.
NORA. Steht etwas darauf?
HELMER. Es steht ein schwarzes
Kreuz über dem Namen. Sieh mal her. Das ist doch ein unheimlicher Einfall!
Gerade als ob er seinen eigenen Tod anzeigte.
NORA. Das tut er auch.
HELMER. Wie? Weißt Du etwas? Hat
er Dir etwas gesagt?
NORA. Ja. Mit diesen Karten hat
er Abschied von uns genommen. Er will sich einschließen und sterben.
HELMER. Armer Freund! Ich wußte
wohl, daß ich ihn nicht lange mehr haben würde. Aber so bald -. Und nun
verbirgt er sich wie ein verwundetes Tier.
NORA. Wenn es schon sein muß,
dann ist es am besten, daß es ohne Worte geschieht. Nicht wahr, Torvald?
HELMER. Er war so mit uns
verwachsen. Ich kann mir unser Leben gar nicht ohne ihn denken. Er, mit
seinen Leiden und mit seiner Vereinsamung, gab gewissermaßen den wolkigen
Hintergrund ab für unser sonnenhelles Glück. Na, es ist vielleicht am besten
so. Für ihn wenigstens. - (Bleibt stehen.) Und am Ende auch für uns,
Nora. Jetzt sind wir beide nur auf uns allein angewiesen. (Umarmt sie.)
O du mein geliebtes Weib; mir ist, als könnte ich Dich nicht fest genug
halten. Weißt Du, Nora - manchmal wünsche ich, es möchte Dir eine
unmittelbare Gefahr drohen, auf daß ich Gut und Blut und alles, alles für
Dich aufs Spiel setzen könnte.
NORA (reißt sich los und sagt
fest und entschlossen:) Jetzt sollst Du Deine Briefe lesen, Torvald!
HELMER. Nein, nein, jetzt nicht
mehr. Ich will bei Dir sein, geliebtes Weib.
NORA. Mit dem Gedanken an den Tod
Deines Freundes -?
HELMER. Du hast recht. Das hat
uns beide erschüttert. Es ist etwas Unschönes zwischen uns getreten; der
Gedanke an Tod und Auflösung. Wir müssen Befreiung davon suchen. Bis dahin
-. Wir wollen jedes auf sein Zimmer gehen.
NORA (an seinem Hals.)
Torvald, - gute Nacht! Gute Nacht!
HELMER (küßt sie auf die
Stirn.) Gute Nacht, mein Singvögelchen; schlaf' wohl, Nora. Jetzt lese
ich die Briefe. (Er geht mit der Korrespondenz in sein Zimmer und
schließt die Tür hinter sich.)
NORA, (mit irren Blicken,
tastet umher, faßt Helmers Domino, wirft ihn sich um und flüstert schnell,
heiser und abgerissen:) Ihn niemals wiedersehen. Niemals. Niemals.
Niemals. (Wirft sich den Schal über den Kopf.) Und auch die Kinder
nicht. Auch die nicht. Niemals; niemals. - O! Das eiskalte, schwarze Wasser.
O die bodenlose Tiefe -; diese -. Wenn es nur erst vorüber wäre. - Jetzt hat
er den Brief; jetzt liest er ihn. Nein, nein, noch nicht! Torvald, leb' wohl
- Du und die Kinder! (Sie will durchs Vorzimmer hinausstürzen. In
demselben Augenblick reißt Helmer seine Tür auf und steht mit dem offenen
Brief in der Hand da.)
HELMER. Nora!
NORA (schreit laut auf.)
Ah -!
HELMER. Was ist das? Weißt Du,
was in diesem Briefe steht?
NORA. Ja, ich weiß es. Laß mich
gehen! Laß mich hinaus!
HELMER (hält sie zurück.)
Wo willst Du hin?
NORA (versucht sich
loszureißen.) Du darfst mich nicht retten, Torvald!
HELMER (taumelt zurück.)
Wahr also? Ist es wahr, was er schreibt? Entsetzlich! Nein, nein, es kann
und kann nicht wahr sein!
NORA. Es ist wahr. Über
alles in der Welt habe ich Dich geliebt!
HELMER. Komm mir nicht mit
elenden Ausflüchten!
NORA (macht einen Schritt auf
ihn zu.) Torvald -!
HELMER. Du Unglückselige, - was
hast Du getan?!
NORA. Laß mich fort! Du sollst
nicht für mich büßen. Du sollst es nicht auf Dich nehmen.
HELMER. Kein Komödienspiel.
(Schließt das Vorzimmer ab.) Hier bleibst Du und stehst mir Rede. Hast
Du einen Begriff davon, was Du getan hast? Antworte mir! Hast Du einen
Begriff davon?
NORA (blickt ihn unverwandt an
und spricht mit erstarrendem Ausdruck.) Ja, jetzt fange ich an,
gründlich zu begreifen.
HELMER (geht im Zimmer umher.)
Oh, welch ein furchtbares Erwachen. In diesen ganzen acht Jahren, - sie, die
meine Lust und mein Stolz gewesen ist, - eine Heuchlerin, eine Lügnerin, -
schlimmer, noch schlimmer - eine Verbrecherin! - Ach, die bodenlose
Abscheulichkeit, die in all dem liegt! Pfui, pfui!
NORA (schweigt und sieht ihn
immer noch unverwandt an.)
HELMER (bleibt vor ihr
stehen.) Ich hätte auf so etwas vorher gefaßt sein müssen. Ich hätte es
voraussehen müssen. Die leichtsinnigen Grundsätze Deines Vaters -. Schweig!
Die leichtsinnigen Grundsätze Deines Vaters hast Du geerbt. Keine Religion,
keine Moral, kein Pflichtgefühl -. O, wie bin ich dafür bestraft, daß ich
ihm durch die Finger gesehen habe. Um Deinetwillen habe ich es getan. Und so
dankst Du mir dafür!
NORA. Ja - so.
HELMER. Mein ganzes Glück hast Du
zerstört. Meine ganze Zukunft hast Du mir vernichtet. Ach, entsetzlich, nur
daran zu denken. Ich bin in der Gewalt eines gewissenlosen Menschen; er kann
mit mir machen, was er will; von mir verlangen, was ihm einfällt; über mich
gebieten, mir befehlen nach seinem Belieben; - ich darf nicht mucksen. Und
so jammervoll muß ich sinken und zugrunde gehen um eines leichtsinnigen
Weibes willen!
NORA. Wenn ich aus der Welt bin,
so bist Du frei.
HELMER. Laß die Possen! Solche
Redensarten hatte Dein Vater auch immer bereit. Was würde mir das nützen,
wenn Du aus der Welt wärest, wie Du sagst. Nicht das geringste würde mir es
nützen. Er kann die Sache trotzdem bekannt machen; und tut er es, so komme
ich vielleicht in den Verdacht, daß ich um Deine verbrecherische Tat gewußt
habe. Man wird vielleicht glauben, ich hätte dahinter gesteckt, - ich
hätte Dich dazu verführt! Und das alles habe ich Dir zu danken, Dir, die ich
während unserer ganzen Ehe auf Händen getragen habe. Begreifst Du nun, was
Du mir angetan hast?
NORA (mit kalter Ruhe.)
Ja.
HELMER. Es ist so unglaublich,
daß ich es noch immer nicht fassen kann. Aber wir müssen sehen, wie wir da
heraus kommen! Den Schal herunter! Herunter, sage ich! Ich muß den Mann auf
irgend eine Weise zu befriedigen suchen. Die Sache muß um jeden Preis
vertuscht werden. - Und was Dich und mich betrifft, so muß es aussehen, als
sei alles zwischen uns wie bisher. Aber natürlich nur vor den Augen der
Welt. Du bleibst also nach wie vor im Hause; das ist selbstverständlich.
Aber die Kinder darfst Du mir nicht erziehen; die wage ich Dir nicht
anzuvertrauen -. O! Das der Frau sagen zu müssen, der Frau, die ich so innig
geliebt, und die ich noch -! Na, das muß ein Ende haben. Von heut ab handelt
es sich nicht mehr ums Glück; es gilt nur noch die Trümmer zu retten, die
Überbleibsel, den Schein - (Es läutet im Vorzimmer. Helmer schrickt
zusammen.) Was ist das? So spät noch? Sollte das Entsetzlichste -!
Sollte er -? Versteck' Dich, Nora! Sag', Du bist krank. (Nora bleibt
unbeweglich stehen. Helmer geht und öffnet die Tür zum Vorzimmer.)
DAS HAUSMÄDCHEN (halb
angekleidet im Vorzimmer.) Ein Brief für die gnädige Frau.
HELMER. Geben Sie her. (Nimmt
den Brief und schließt die Tür.) Ja, - von ihm. Du bekommst ihn nicht.
Ich werde ihn selbst lesen.
NORA. So lies.
HELMER (an der Lampe.) Ich
habe kaum den Mut dazu. Vielleicht sind wir verloren, Du und ich. Doch - ich
muß es wissen. (Reißt den Brief auf, durchfliegt einige Zeilen,
blickt auf ein beigelegtes Papier; ein Freudenschrei:) Nora!
NORA (sieht ihn fragend an.)
HELMER. Nora! - Nein! Ich muß es
noch einmal lesen. - Ja, ja; es ist so. Ich bin gerettet. Nora, ich bin
gerettet.
NORA. Und ich?
HELMER.
Du auch, - natürlich; wir sind beide gerettet; Du und ich. Sieh her. Er
schickt Dir Deinen Schuldschein zurück. Er schreibt, daß er bedauert und
bereut -; daß eine glückliche Wendung in seinem Leben -. Aber was er
schreibt, das ist ja ganz gleichgültig. Wir sind gerettet, Nora! Keiner kann
Dir was anhaben. Ach Nora, Nora -; doch zuerst weg mit den abscheulichen
Sachen hier. Laß mich sehen - (Wirft einen Blick auf die
Schuldverschreibung.) Nein, ich will es nicht sehen; die ganze
Geschichte soll für mich nichts andres sein als ein Traum. (Reißt den
Schein und beide Briefe in Stücke, wirft alles in den Ofen und sieht zu, wie
es brennt.) So, nun existiert es nicht mehr. - Er schrieb, daß Du seit
dem heiligen Abend -. O, das müssen drei furchtbare Tage für Dich gewesen
sein, Nora!
NORA. Ich habe in diesen drei
Tagen einen harten Kampf gekämpft.
HELMER. Und Du hast gelitten und
keinen anderen Ausweg gesehen als -. Doch wir wollen alle die häßlichen
Dinge begraben. Wir wollen nur jubeln und wiederholen: es ist vorbei, es ist
vorbei! So hör' mich doch an, Nora. Du scheinst es noch nicht zu fassen: es
ist vorbei. Aber was ist das - diese starren Mienen? Ach, meine arme, kleine
Nora, ich verstehe schon, Du willst noch nicht daran glauben, daß ich Dir
verziehen habe. Aber das habe ich. Nora, ich schwöre Dir, ich habe Dir alles
verziehen. Ich weiß ja, was Du getan hast, das hast Du aus Liebe zu mir
getan.
NORA. Das ist wahr.
HELMER. Du hast mich geliebt, wie
eine Frau ihren Mann lieben soll. Es fehlte Dir nur an der nötigen Einsicht
zur Beurteilung der Mittel. Aber glaubst Du, daß Du mir weniger teuer bist,
weil Du nicht selbständig zu handeln verstehst? Nein, nein, stütz' Dich nur
auf mich, ich will Dir Berater, will Dir Führer sein. Ich müßte kein Mann
sein, wenn nicht gerade diese weibliche Hilflosigkeit Dich doppelt anziehend
in meinen Augen machte. Kehr' Dich nicht an die harten Worte, die ich im
ersten Schrecken sprach, in einem Augenblicke, da ich meinte, alles müßte
über mir zusammenstürzen. Ich habe Dir verziehen, Nora; ich schwöre Dir zu,
ich habe Dir verziehen.
NORA. Ich danke Dir für Deine
Verzeihung. (Geht rechts durch die Tür ab.)
HELMER. So bleib doch -.
(Sieht hinein.) Was willst Du da im Alkoven?
NORA (drinnen.) Das
Maskenzeug heruntertun.
HELMER (an der offenen Tür.)
Recht so, suche Dich zu fassen und das Gleichgewicht Deiner Seele wieder zu
erlangen, Du mein kleines, verschüchtertes Singvögelchen! Ruh' Dich getrost
aus; ich werde Dich mit meinen starken Flügeln decken. (Geht in der Nähe
der Tür umher.) O wie behaglich und schön unser Haus ist, Nora. Hier
bist Du geborgen; ich will Dich halten wie eine verfolgte Taube, die ich den
mörderischen Krallen des Habichts entrissen habe; ich werde Dein armes,
pochendes Herz schon zur Ruhe bringen. Nach und nach, Nora, - glaub' mir
das. Schon morgen wirst Du alles mit ganz anderen Augen ansehen; bald wird
alles wieder beim alten sein. Ich werde Dir nicht mehr oft zu wiederholen
brauchen, daß ich Dir verziehen habe; Du selbst wirst untrüglich fühlen, daß
es so ist. Wie bist Du auf den Gedanken gekommen, ich könnte Dich verstoßen
oder Dir auch nur einen Vorwurf machen? O Nora, Du kennst das Herz eines
wirklichen Mannes nicht. Für den Mann liegt etwas unbeschreiblich Holdes und
Befriedigendes in dem Bewußtsein, seiner Frau vergeben zu haben, - ihr aus
vollem, aufrichtigem Herzen vergeben zu haben. Ist sie doch gewissermaßen in
doppeltem Sinne dadurch sein Eigen geworden; als hätte er sie zum zweiten
Male in die Welt gesetzt. Sie ist sozusagen sein Weib und sein Kind zugleich
geworden. Das sollst Du mir fortan sein, Du ratloses, hilfloses Persönchen.
Fürchte nichts, Nora; sei nur offenherzig gegen mich, dann werde ich Dein
Wille und auch Dein Gewissen sein. - Was ist das? Du gehst nicht zu Bett? Du
hast Dich umgekleidet?
NORA (in ihrem Alltagskleide.)
Ja, Torvald, ich habe mich umgekleidet.
HELMER. Aber warum denn? Jetzt?
So spät -?
NORA. Diese Nacht werde ich nicht
schlafen.
HELMER. Aber, liebe Nora -
NORA (sieht auf ihre Uhr.)
Es ist noch nicht allzu spät. Nimm Platz, Torvald; wir zwei haben viel
miteinander zu reden. (Setzt sich an die eine Seite des Tisches.)
HELMER. Nora, - was soll das
heißen? Diese starre Miene -.
NORA. Setz' Dich. Es dauert
lange. Ich habe mit Dir über vieles zu reden.
HELMER (setzt sich ihr
gegenüber an den Tisch.) Du machst mir Angst, Nora. Und ich verstehe
Dich nicht.
NORA. Ja, das ist es eben. Du
verstehst mich nicht. Und ich habe Dich ebenfalls nicht verstanden - bis zu
dieser Stunde. Bitte, unterbrich mich nicht. Du sollst mir nur zuhören. - Es
ist eine Abrechnung, Torvald.
HELMER. Wie meinst Du das?
NORA (nach kurzem Schweigen.)
Wie wir so dasitzen, - fällt Dir gar nichts daran auf?
HELMER. Was sollte das sein?
NORA. Wir sind jetzt acht Jahre
verheiratet. Fällt es Dir nicht auf, daß wir - Du und ich, Mann und Frau -
heute zum ersten Male ein ernstes Gespräch miteinander führen?
HELMER. Ein ernstes Gespräch, -
was heißt das?
NORA. Acht ganze Jahre - und
länger noch, - vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an haben wir nie ein
ernstes Wort über ernste Dinge gewechselt.
HELMER. Hätte ich Dich etwa
beständig einweihen sollen in Widerwärtigkeiten, die Du doch nicht mit mir
hättest teilen können?
NORA. Ich spreche nicht von
Widerwärtigkeiten. Ich sage nur, daß wir niemals ernst beieinandergesessen
haben, um etwas gründlich zu überlegen.
HELMER. Aber liebste Nora, das
wäre doch nichts für Dich gewesen.
NORA. Da sind wir bei der Sache.
Du hast mich nie verstanden. - Ihr habt viel an mir gesündigt, Torvald.
Zuerst Papa, dann Du.
HELMER. Was? Wir beide -? Wir
beide, die wir Dich über alles in der Welt geliebt haben?
NORA (schüttelt den Kopf.)
Ihr habt mich nie geliebt. Euch machte es nur Spaß, in mich verliebt zu
sein.
HELMER. Aber, Nora, was sind das
für Worte!
NORA. Ja, es ist so, Torvald. Als
ich zu Hause war bei Papa, teilte er mir alle seine Ansichten mit, und so
hatte ich dieselben Ansichten. War ich aber einmal anderer Meinung, dann
verheimlichte ich das; denn es wäre ihm nicht recht gewesen. Er nannte mich
sein Puppenkind, und spielte mit mir, wie ich mit meinen Puppen spielte.
Dann kam ich zu Dir ins Haus -
HELMER. Was für einen Ausdruck
gebrauchst Du da von unserer Ehe?
NORA (unbeirrt.) Ich
meine, dann ging ich aus Papas Händen in Deine über. Du richtetest alles
nach Deinem Geschmack ein, und so bekam ich denselben Geschmack wie Du; aber
ich tat nur so: ich weiß es nicht mehr recht - vielleicht war es auch
beides: bald so und bald so. Wenn ich jetzt zurückblicke, so ist mir, als
hätte ich hier wie ein Bettler gelebt, - nur von der Hand in den Mund. Ich
lebte davon, daß ich Dir Kunststücke vormachte, Torvald. Aber Du wolltest es
ja so haben. Du und Papa, Ihr habt Euch schwer an mir versündigt. Ihr seid
schuld daran, daß nichts aus mir geworden ist.
HELMER. Wie lächerlich und wie
undankbar, Nora! Bist Du hier nicht glücklich gewesen?
NORA. Nein. Das bin ich nie
gewesen. Ich habe es geglaubt, aber ich bin es nie gewesen.
HELMER. Nicht - nicht glücklich?
NORA. Nein, - nur lustig. Und Du
warst immer so lieb zu mir. Aber unser Heim ist nichts anderes als eine
Spielstube gewesen. Hier bin ich Deine Puppenfrau gewesen, wie ich zu
Hause Papas Puppenkind war. Und die Kinder, die waren wiederum meine
Puppen. Wenn Du mich nahmst und mit mir spieltest, so machte mir das gerade
solchen Spaß, wie es den Kindern Spaß machte, wenn ich sie nahm und mit
ihnen spielte. Das ist unsere Ehe gewesen, Torvald.
HELMER. Etwas Wahres liegt in
Deinen Worten, - so übertrieben und überspannt sie auch sind. Aber von jetzt
an soll es anders werden. Die Tage des Spiels sind nun vorüber; jetzt kommt
die Zeit der Erziehung.
NORA. Wessen Erziehung? Meine
oder die der Kinder?
HELMER. Sowohl Deine wie die der
Kinder, meine geliebte Nora.
NORA. Ach, Torvald, Du bist nicht
der Mann, mich zu einer richtigen Frau für Dich zu erziehen.
HELMER. Und das sagst Du so?
NORA. Und ich, - bin ich denn für
die Aufgabe gerüstet, die Kinder zu erziehen?
HELMER. Nora!
NORA. Hast Du vorhin nicht
selber gesagt, - Du dürftest mir diese Aufgabe nicht anvertrauen?
HELMER. Im Moment der Erregung!
Wie kannst Du darauf etwas geben?
NORA. Doch. Du hattest sehr
recht. Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist eine andere Aufgabe, die
ich zuvor lösen muß. Ich muß trachten, mich selbst zu erziehen. Und Du bist
nicht der Mann, mir dabei zu helfen. Das muß ich allein vollbringen. Und
darum verlasse ich Dich jetzt.
HELMER (springt auf.) Was
sagst Du da?
NORA. Ich muß ganz allein stehen,
wenn ich mich mit mir selbst und mit der Außenwelt zurechtfinden soll!
Deshalb kann ich nicht länger bei Dir bleiben.
HELMER. Nora! Nora!
NORA. Ich verlasse Dich sofort.
Christine wird mich für diese eine Nacht aufnehmen -
HELMER. Du bist von Sinnen! Das
darfst Du nicht! Ich verbiete es Dir!
NORA. Es hat fortan keinen Zweck
mehr, mir etwas zu verbieten. Ich nehme mit, was mir gehört. Von Dir will
ich nichts haben, - nicht heut, noch später.
HELMER. Welcher Wahnsinn!
NORA. Morgen reise ich nach Hause
- das heißt: in meine alte Heimat. Dort wird es mir am leichtesten sein,
irgend etwas anzufangen.
HELMER. O Du verblendetes,
unerfahrenes Geschöpf!
NORA. Ich muß trachten, mir
Erfahrung zu erwerben, Torvald.
HELMER. Deine Häuslichkeit,
Deinen Mann und Deine Kinder zu verlassen! Bedenke: was werden die Leute
sagen!
NORA. Darauf kann ich keine
Rücksicht nehmen. Ich weiß nur, daß es für mich notwendig ist.
HELMER. O, das ist empörend. So
entziehst Du Dich Deinen heiligsten Pflichten?
NORA. Was verstehst Du unter
meinen heiligsten Pflichten?
HELMER. Das muß ich Dir erst
sagen! Sind es nicht die Pflichten gegen Deinen Mann und gegen Deine Kinder?
NORA. Ich habe andere Pflichten,
die ebenso heilig sind.
HELMER. Das hast Du nicht. Was
für Pflichten könnten das wohl sein!
NORA. Die Pflichten gegen mich
selbst.
HELMER. In erster Linie bist Du
Gattin und Mutter.
NORA. Das glaube ich nicht mehr.
Ich glaube, daß ich vor allen Dingen Mensch bin, so gut wie Du, - oder
vielmehr, ich will versuchen, es zu werden. Ich weiß wohl, daß die Welt Dir
Recht geben wird, Torvald, und daß etwas ähnliches in den Büchern steht.
Aber was die Welt sagt und was in den Büchern steht, das kann nicht länger
maßgebend für mich sein. Ich muß selbst nachdenken, um in den Dingen
Klarheit zu erlangen.
HELMER. Du solltest Dir nicht
klar sein über Deine Stellung in der eigenen Familie? Hast Du in solchen
Sachen nicht einen untrüglichen Führer? Hast Du nicht die Religion?
NORA. Ach, Torvald, was Religion
ist, das weiß ich ja gar nicht einmal genau.
HELMER. Was sagst Du da?
NORA. Ich weiß ja nur, was Pastor
Hansen sagte, als ich zur Konfirmationsstunde ging. Er trug vor, dies
sei Religion und das. Wenn ich erst aus meinen gegenwärtigen
Verhältnissen heraus und auf mich allein angewiesen bin, dann werde ich auch
dies zu ergründen suchen. Ich will sehen, ob das, was Pastor Hansen
gesagt hat, richtig war, oder vielmehr, ob es für mich richtig ist.
HELMER. Ah, - das ist doch
unerhört im Munde einer jungen Frau! Aber wenn die Religion Dir eine
Führerin nicht sein kann, so laß mich wenigstens Dein Gewissen aufrütteln.
Denn moralisches Gefühl, das hast Du doch? Oder, antworte mir, - hast Du es
vielleicht nicht?
NORA. Ja, Torvald, es ist nicht
leicht, Dir darauf zu antworten, Torvald. Ich weiß es ja absolut nicht. Ich
bin gänzlich irre daran geworden. Ich weiß nur, daß ich von dergleichen eine
durchaus andere Anschauung habe als Du. Daß die Gesetze anders sind, als ich
gedacht hatte, höre ich jetzt ja auch; daß sie aber richtig sind, - das will
mir durchaus nicht in den Kopf. Eine Frau sollte also nicht das Recht haben,
ihren alten sterbenden Vater zu schonen oder das Leben ihres Mannes zu
retten! So etwas glaube ich nicht!
HELMER. Du sprichst wie ein Kind.
Du verstehst die Gesellschaft nicht, in der Du lebst.
NORA. Ich verstehe sie nicht -
allerdings. Aber jetzt will ich sie mir näher ansehen. Ich muß dahinter
kommen, wer recht hat, die Gesellschaft oder ich.
HELMER. Du bist krank, Nora; Du
hast Fieber; ich glaube gar, Du bist von Sinnen.
NORA. Ich habe noch nie so klar
und sicher empfunden, wie jetzt.
HELMER. Und klar und sicher gehst
Du von Deinem Gatten und Deinen Kindern?
NORA. Ja, das tue ich.
HELMER. Dann ist nur noch eine
Erklärung möglich.
NORA. Welche?
HELMER. Du liebst mich nicht
mehr.
NORA. Ja, das ist es eben.
HELMER. Nora! - Und das sagst Du
so?!
NORA. Es tut mir bitter weh,
Torvald; denn Du bist immer so gut zu mir gewesen. Aber was ist da zu
machen?! Ich liebe Dich nicht mehr.
HELMER (mit mühsam erkämpfter
Fassung.) Ist das auch eine klare und sichere Überzeugung?
NORA. Eine ganz klare und sichere
Überzeugung. Das ist der Grund, warum ich nicht länger hier bleiben will.
HELMER. Und kannst Du mir auch
erklären, wodurch ich Deine Liebe verscherzt habe?
NORA. Ja, das kann ich. Es war
heut abend, als das Wunderbare nicht kam; und da sah ich, daß Du nicht der
Mann bist, für den ich Dich gehalten hatte.
HELMER. Sei deutlicher; ich
verstehe Dich nicht.
NORA. Acht Jahre lang habe ich
geduldig gewartet; denn, du lieber Gott, ich sah ja ein, daß das Wunderbare
nicht wie ein Alltägliches kommen könne. Dann brach das Verderben über mich
herein; und nun war ich unerschütterlich fest davon überzeugt: jetzt kommt
das Wunderbare. Als Krogstads Brief draußen lag, - da dachte ich auch nicht
einen Augenblick, Du könntest Dich den Bedingungen dieses Menschen fügen.
Ich war fest überzeugt, daß Du ihm entgegnen würdest: tu es nur der ganzen
Welt kund! Und wenn das geschehen -
HELMER. Nun, und -? Wenn ich
meine eigene Frau dem Schimpf und der Schande preisgegeben hätte -?
NORA. Wenn das geschehen wäre, so
glaubte ich felsenfest - dann würdest Du hervortreten und alles auf Dich
nehmen und sagen: ich bin der Schuldige.
HELMER. Nora -!
NORA. Du meinst, ich hätte ein
solches Opfer niemals von Dir angenommen? Natürlich nicht. Aber was hätten
meine Versicherungen gegenüber den Deinen gegolten? - Das war das
Wunderbare, worauf ich in Angst und Bangen gehofft habe. Und um das
zu verhindern, hätte ich meinem Leben ein Ende gemacht.
HELMER. Mit Freuden würde ich Tag
und Nacht für Dich arbeiten, Nora, - für Dich Kummer und Sorge ertragen.
Aber es opfert keiner seine Ehre denen, die er liebt!
NORA. Das haben hunderttausend
Frauen getan!
HELMER. Ach, Du denkst und
sprichst wie ein unvernünftiges Kind.
NORA. Mag sein. Aber Du, Du
denkst weder, noch sprichst Du wie der Mann, an den ich mich anschließen
könnte. Als sie vorüber war, - Deine Angst - nicht vor dem, was mir
drohte, sondern vor dem, was Dich selber treffen könnte, als alle Gefahr
vorbei war, - da tatest Du, als ob nichts geschehen wäre. Genau so wie sonst
war ich wieder Deine kleine Lerche, Deine Puppe, die Du fortan doppelt
vorsichtig auf Händen tragen wolltest, weil sie so schwach und zerbrechlich
wäre. (Steht auf.) Torvald, in dem Augenblick kam ich zu der
Erkenntnis, daß ich hier acht Jahre lang mit einem fremden Manne zusammen
gehaust, und daß ich drei Kinder mit ihm gehabt hatte -. O, nicht daran
denken darf ich! In tausend Stücke könnte ich mich zerreißen.
HELMER (schwermütig.) Ich
sehe, ich sehe. In der Tat, - zwischen uns hat sich ein Abgrund aufgetan. -
Aber, Nora, sollte er sich nicht überbrücken lassen?
NORA. So wie ich jetzt bin, bin
ich keine Frau für Dich.
HELMER. Ich habe die Kraft, ein
anderer zu werden.
NORA. Vielleicht, - wenn Dir die
Puppe genommen wird.
HELMER. Eine Trennung - eine
Trennung von Dir! Nein, nein, Nora, - den Gedanken kann ich nicht fassen.
NORA (geht rechts hinein.)
Um so entschiedener muß es geschehen. (Sie kommt mit Hut und Mantel
zurück und trägt eine kleine Reisetasche, die sie auf den Stuhl am Tische
stellt.)
HELMER. Nora, Nora, nicht jetzt!
Warte bis morgen.
NORA (nimmt den Mantel um.)
Ich kann in der Wohnung eines fremden Mannes nicht die Nacht über bleiben.
HELMER. Aber könnten wir nicht
hier hausen wie Bruder und Schwester -?
NORA (setzt den Hut auf.)
Du weißt ganz gut, daß das nicht von langer Dauer wäre -. (Hüllt sich in
den Schal ein.) Leb' wohl, Torvald; die Kleinen will ich nicht sehen.
Ich weiß, sie sind in besseren Händen als bei mir. So wie ich jetzt bin,
kann ich ihnen nichts sein.
HELMER. Doch später einmal, Nora,
- später?
NORA. Wie kann ich das wissen?
Ich weiß ja gar nicht, was aus mir wird.
HELMER. Aber Du bist mein Weib,
jetzt und in Zukunft.
NORA. Hör' zu, Torvald; - wenn
eine Frau das Haus ihres Mannes verläßt, wie ich jetzt tue, so entbindet ihn
meines Wissens das Gesetz aller Verpflichtungen gegen sie. Wenigstens
entbinde ich Dich jedweder Verpflichtung. Du sollst durch nichts gefesselt
sein, ebensowenig wie ich es sein will. Auf beiden Seiten muß volle Freiheit
herrschen. So, - da hast Du Deinen Ring zurück. Gib mir den meinen.
HELMER. Auch das noch?
NORA. Auch das.
HELMER. Hier ist er.
NORA. So. Nun ist es also aus. Da
lege ich die Schlüssel hin. Die Mädchen wissen in der Wirtschaft genau
Bescheid - besser als ich. Morgen, wenn ich abgereist bin, wird Christine
kommen, um die Sachen zusammenzupacken, die von Haus aus mein Eigentum sind.
Sie sollen mir nachgeschickt werden.
HELMER. Aus?! Aus?! Nora, wirst
Du nie mehr an mich denken?
NORA. Ich werde gewiß oft an Dich
und die Kinder und dies Haus denken müssen.
HELMER. Darf ich Dir schreiben,
Nora?
NORA. Nein, - niemals. Das
verbiete ich Dir.
HELMER. Aber schicken darf ich
Dir doch - -
NORA. Nichts; nichts.
HELMER. - Dir helfen, wenn Du
Hilfe brauchst.
NORA. Nein, sage ich. Ich nehme
nichts von Fremden an.
HELMER. Nora, - werde ich Dir
niemals wieder mehr als ein Fremder sein können?
NORA (nimmt die Reisetasche.)
Ach, Torvald, dann müßte das Wunderbarste geschehen -.
HELMER. Nenn es mir, dieses
Wunderbarste!
NORA. Dann müßte mit uns beiden,
mit Dir und mir, eine solche Wandlung vorgehen, daß -. Ach, Torvald, ich
glaube an keine Wunder mehr.
HELMER. Aber ich will daran
glauben. Sprich zu Ende. Eine solche Wandlung, daß -?
NORA. - daß unser
Zusammenleben eine Ehe werden könnte. Leb' wohl! (Geht durch das
Vorzimmer ab.)
HELMER (sinkt auf einen Stuhl
neben der Tür zusammen und birgt das Gesicht in den Händen.) Nora! Nora!
(Sieht sich um und steht auf.) Leer. Sie ist fort! (Eine Hoffnung
steigt in ihm auf.) Das Wunderbarste -?
(Man hört, wie
unten die Haustür dröhnend ins Schloß fällt.)
(aus: Henrik Ibsen, Volksausgabe in fünf Bänden, Bd. 4. Berlin: S.
Fischer Verlag 1907, Quelle: Projekt Gutenberg (http://gutenberg.spiegel.de/buch/1704/1,
upload von ahipler@mainz.online.de 14.07.2000)
Dieses Werk (Nora (Ein Puppenheim), von Henrik Ibsen), das durch Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.03.2024