•
Gesamttext
1. Aufzug -
2. Aufzug -
3. Aufzug -
4. Aufzug - 5. Aufzug
Straße. Dämmerung.
Klärchen. Brackenburg. Bürger
BRACKENBURG. Liebchen, um
Gottes willen, was nimmst du vor?
KLÄRCHEN. Komm mit,
Brackenburg! Du musst die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiss.
Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt, ich schwör' es, in sich
die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben
abzuwenden, und dem Freiesten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt
nur an der Stimme, die sie zusammenruft.
In ihrer Seele lebt noch ganz
frisch, was sie ihm schuldig sind; und dass sein mächtiger Arm allein von
ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um seinet - und ihretwillen müssen
sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum höchsten unser Leben, das zu
erhalten nicht der Mühe wert ist, wenn er umkommt.
BRACKENBURG. Unglückliche!
du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehernen Banden gefesselt
hat.
KLÄRCHEN. Sie scheint mir
nicht unüberwindlich. Lass uns nicht lang vergebliche Worte wechseln. Hier
kommen von den alten, redlichen, wackern Männern! Hört, Freunde! Nachbarn,
hört! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
ZIMMERMEISTER
Was will das
Kind? Lass sie schweigen!
KLÄRCHEN. Tretet näher, dass
wir sachte reden, bis wir einig sind und stärker. Wir dürfen nicht einen
Augenblick versäumen!
Die freche Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln,
zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der
Dämmerung werd' ich ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht. Kommt! wir
wollen uns teilen; mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir
die Bürger heraus. Ein jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte
treffen wir uns wieder, und unser Strom reißt einen jeden mit sich fort.
Die Feinde sehen sich umringt und überschwemmt, und sind erdrückt. Was
kann uns eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt
zurück, sieht sich befreit, und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm
so tief verschuldet worden. Er sieht vielleicht - gewiss, er sieht das
Morgenrot am freien Himmel wieder.
ZIMMERMEISTER Wie ist dir,
Mädchen?
KLÄRCHEN. Könnt ihr mich
missverstehn? Vom Grafen sprech' ich! Ich spreche von Egmont.
JETTER.
Nennt den Namen
nicht! Er ist tödlich.
KLÄRCHEN. Den Namen nicht!
Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jeder Gelegenheit? Wo
steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab' ich oft mit allen
seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute,
teure Nachbarn, ihr träumt; besinnt euch.
Seht mich nicht so starr und
ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie und da beiseite. Ich ruf' euch
ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzens eigne
Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles
Bette besteigt, nicht auf die Kniee, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel
zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst! und
wer spricht
mir nicht nach: "Egmonts Freiheit oder den Tod!"
JETTER.
Gott bewahr' uns!
Da gibt's ein Unglück.
KLÄRCHEN. Bleibt! Bleibt
und drückt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euch sonst so froh
entgegen drängtet! -
Wenn der Ruf ihn ankündigte, wenn es hieß: "Egmont
kommt! Er kommt von Gent!" da hielten die Bewohner der Straßen sich
glücklich, durch die er reiten musste. Und wenn ihr seine Pferde schallen
hörtet, warf jeder seine Arbeit hin, und über die bekümmerten Gesichter,
die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie ein Sonnenstrahl von seinem
Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da hobt ihr eure Kinder auf
der Türschwelle in die Höhe und deutetet ihnen:
"Sieh, das ist Egmont, der
größte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eure armen
Väter lebten, einst zu erwarten habt." Lasst eure Kinder nicht dereinst
euch fragen: "Wo ist er hin? Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?"
- Und so wechseln wir Worte, sind müßig, verraten ihn!
SOEST.
Schämt Euch,
Brackenburg! Lasst sie nicht gewähren! Steuert dem Unheil!
BRACKENBURG.
Liebes
Klärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen? Vielleicht -
KLÄRCHEN. Meinst du, ich
sei ein Kind, oder wahnsinnig? Was kann vielleicht? - Von dieser
schrecklichen Gewissheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg. - Ihr
sollt mich hören, und ihr werdet; denn ich seh's, ihr seid bestürzt, und
könnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden. Lasst durch die
gegenwärtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene dringen, das kurz
Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft! Könnt ihr denn leben?
Werdet ihr, wenn er zu Grunde geht?
Mit seinem Atem flieht der letzte
Hauch der Freiheit. Was war er euch? Für wen übergab er sich der
dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur für euch. Die
große Seele, die euch alle trug, beschränkt ein Kerker, und Schauer
tückischen Mordes schweben um sie her.
Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohnt war.
ZIMMERMEISTER Gevatter,
kommt.
KLÄRCHEN. Und ich habe
nicht Arme, nicht Mark, wie ihr;
doch hab' ich, was euch allen eben fehlt,
Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch mein Atem doch entzünden!
könnt' ich an meinen Busen drückend euch erwärmen und beleben! Kommt! In
eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von
Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und
Liebe und Mut das schwankende, zerstreute Volk zu einem fürchterlichen
Heer vereinigen.
JETTER.
Schaff' sie
beiseite, sie dauert mich.
(Bürger ab.)
BRACKENBURG. Klärchen!
siehst du nicht, wo wir sind?
KLÄRCHEN. Wo? Unter dem
Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben schien, wenn der Edle unter
ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fünf Köpfe
über einander; an diesen Türen haben sie gescharrt und genickt, wenn er
auf die Memmen herabsah.
O, ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten!
Wäre er Tyrann gewesen, möchten sie immer vor seinem Falle seitwärts gehn.
Aber sie liebten ihn! -
O ihr Hände, die ihr an die Mützen grifft, zum
Schwert könnt ihr nicht greifen - Brackenburg, und wir? - Schelten wir
sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was tun sie für ihn? -
List hat in der Welt so viel erreicht. -
Du kennst Wege und Stege, kennst
das alte Schloss. Es ist nichts unmöglich, gib mir einen Anschlag.
BRACKENBURG. Wenn wir nach
Hause gingen.
KLÄRCHEN. Gut.
BRACKENBURG. Dort an der
Ecke seh' ich Albas Wache; lass doch die Stimme der Vernunft dir zu Herzen
dringen. Hältst du mich für feig?
Glaubst du nicht, dass ich um
deinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide toll, ich so gut wie du.
Siehst du nicht das Unmögliche? Wenn du dich fasstest!
Du bist außer dir.
KLÄRCHEN. Außer mir!
Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch. Da ihr laut den Helden
verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung nanntet, ihm Vivat rieft,
wenn er kam; da stand ich in meinem Winkel, schob das Fenster halb auf,
verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir höher als euch allen.
Jetzt schlägt mir's wieder höher als euch allen!
Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fühlt nicht, dass ihr untergeht, wenn er
verdirbt.
BRACKENBURG. Komm nach
Hause.
KLÄRCHEN.
Nach Hause?
BRACKENBURG.
Besinne dich
nur! Sieh dich um! Dies sind die Straßen, die du nur sonntäglich betratst,
durch die du sittsam nach der Kirche gingst, wo du übertrieben ehrbar
zürntest, wenn ich mit einem freundlichen grüßenden Wort mich zu dir
gesellte. Du stehst und redest, handelst vor den Augen der offnen Welt;
besinne dich, Liebe! Wozu hilft es uns?
KLÄRCHEN. Nach Hause! Ja,
ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach Hause!
Weißt du, wo meine Heimat
ist? (Ab.)
Gefängnis
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde.
(Egmont allein.)
Alter Freund! immer
getreuer Schlaf, fliehst du mich auch, wie die übrigen Freunde? Wie willig
senktest du dich auf mein freies Haupt herunter, und kühltest, wie ein
schöner Myrtenkranz der Liebe, meine Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der
Woge des Lebens, ruht' ich leicht atmend, wie ein aufquellender Knabe, in
deinen Armen. Wenn Stürme durch Zweige und Blätter sausten, Ast und Wipfel
sich knirrend bewegten, blieb innerst doch der Kern des Herzens ungeregt.
Was schüttelt dich nun? Was erschüttert den festen, treuen Sinn? Ich
fühl's, es ist der Klang der Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch
steh' ich aufrecht, und ein innrer Schauer durchfährt mich. Ja, sie
überwindet, die verräterische Gewalt; sie untergräbt den festen hohen
Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stürzt krachend und zerschmetternd deine
Krone.
Warum denn jetzt, der du so
oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir vom Haupte weggewiesen, warum
vermagst du nicht die Ahnung zu verscheuchen, die tausendfach in dir sich
auf und nieder treibt? Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit
dessen wechselnden Bildern, wie mit den übrigen Gestalten der gewohnten
Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist er's nicht, der rasche Feind, dem
die gesunde Brust wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's, des
Grabes Vorbild, dem Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's
schon auf meinem gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die
Fürsten, was leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprächen
überlegten, und zwischen düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke
mich erdrückten. Da eilt' ich fort, sobald es möglich war, und rasch aufs
Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins
Feld, wo aus der Erde dampfend jede nächste Wohlthat der Natur, und durch
die Himmel wehend alle Segen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem
erdgebornen Riesen gleich, von der Berührung unsrer Mutter kräftiger uns
in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz, und menschliche Begier in
allen Adern fühlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu
erhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die
Seele des jungen Jägers glüht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf
alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt, und in fürchterlicher Freiheit
wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbend streicht, und
keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild,
Erinnerungstraum des Glücks, das ich so lang besessen; wo hat dich das
Geschick verräterisch hingeführt? Versagt es dir, den nie gescheuten Tod
im Angesicht der Sonne rasch zu gönnen, um dir des Grabes Vorgeschmack im
ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus diesen Steinen widrig an!
Schon starrt das Leben; vor dem Ruhebette wie vor dem Grabe scheut der
Fuß. -
O Sorge! Sorge! die du vor
der Zeit den Mord beginnst, laß ab! - Seit wann ist Egmont denn allein, so
ganz allein in dieser Welt? Dich macht der Zweifel hilflos, nicht das
Glück. Ist die Gerechtigkeit des Königs, der du lebenslang vertrautest,
ist der Regentin Freundschaft, die fast, du darfst es dir gestehn, fast
Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein glänzend Feuerbild der Nacht,
verschwunden, und lassen dich allein auf dunkelm Pfad zurück? Wird an der
Spitzedeiner Freunde Oranien nicht wagend sinnen? Wird nicht ein Volk sich
sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr
mich einschließt, so vieler Geister wohlgemeintes Drängen nicht von mir
ab; und welcher Mut aus meinen Augen sonst sich über sie ergoß, der kehre
nun aus ihren Herzen in meines wieder. O ja, sie rühren sich zu Tausenden!
sie kommen! stehen mir zur Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem
Himmel, er bittet um ein Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein
Engel nieder, so seh' ich sie nach Lanz' und Schwertern greifen. Die Thore
spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stürzt vor ihren Händen ein,
und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen.
Wie manch bekannt Gesicht empfängt mich jauchzend! Ach, Klärchen, wärst du
Mann, so säh' ich dich gewiß auch hier zuerst, und dankte dir, was einem
Könige zu danken hart ist, Freiheit.
Klärchens Haus.
KLÄRCHEN
(kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer; sie setzt das
Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid Ihr's?
Was hört' ich denn? Noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe ins
Fenster setzen, daß er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn. Er
hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche Gewißheit! - Egmont
verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn! Der
König verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlässigkeit ich viel gehört und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wäre bös genug, den Teuern anzufeinden? Wäre
Bosheit mächtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stürzen? Doch
ist es so - es ist! - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und
Menschen, wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt,
mein ganzes Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens
streck' ich nach der Schlinge, die dich faßt, die Hand aus. Du hilflos,
und ich frei! - Hier ist der Schlüssel zu meiner Thür. An meiner Willkür
hängt mein Gehen und mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - O, bindet
mich, damit ich nicht verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker,
daß ich das Haupt an feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, träume,
wie ich ihm helfen wollte, wenn Fesseln mich nicht lähmten, wie ich ihm
helfen würde! - Nun bin ich frei! Und in der Freiheit liegt die Angst der
Ohnmacht. - Mir selbst bewußt, nicht fähig, ein Glied nach seiner Hilfe zu
rühren. Ach leider, auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klärchen,
ist wie du gefangen, und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten
Kräfte. - Ich höre schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender,
guter Mann, dein Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen öffnet
dir die nächtliche Tür, und ach! zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
KLÄRCHEN. Du kommst so
bleich und schüchtern, Brackenburg! was ist's?
BRACKENBURG. Durch Umwege
und Gefahren such' ich dich auf. Die großen Straßen sind besetzt; durch
Gäßchen und durch Winkel hab' ich mich zu dir gestohlen.
KLÄRCHEN. Erzähl', wie
ist's?
Brackenburg (indem er
sich setzt). Ach, Kläre, laß mich weinen. Ich liebt' ihn nicht. Er war
der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf zur bessern Weide
herüber. Ich hab' ihn nie verflucht; Gott hat mich treu geschaffen und
weich. In Schmerzen floß mein Leben von mir nieder, und zu verschmachten
hofft' ich jeden Tag.
KLÄRCHEN. Vergiß das,
Brackenburg! Vergiß dich selbst! Sprich mir von ihm! Ist's wahr? Ist er
verurteilt?
BRACKENBURG. Er ist's! Ich
weiß es ganz genau.
KLÄRCHEN. Und lebt noch?
BRACKENBURG. Ja, er lebt
noch.
KLÄRCHEN. Wie willst du das
versichern? - Die Tyrannei ermordet in der Nacht den Herrlichen! vor allen
Augen verborgen fließt sein Blut. Ängstlich im Schlafe liegt das betäubte
Volk, und träumt von Rettung, träumt ihres ohnmächtigen Wunsches
Erfüllung; indes, unwillig über uns, sein Geist die Welt verläßt. Er ist
dahin! - Täusche mich nicht! dich nicht!
BRACKENBURG. Nein, gewiß,
er lebt! - Und leider! es bereitet der Spanier dem Volke, das er zertreten
will, ein fürchterliches Schauspiel, gewaltsam jedes Herz, das nach
Freiheit sich regt, auf ewig zu zerknirschen.
KLÄRCHEN. Fahre fort und
sprich gelassen auch mein Todesurteil aus! Ich wandle den seligen Gefilden
schon näher und näher, mir weht der Trost aus jenen Gegenden des Friedens
schon herüber. Sag' an.
BRACKENBURG. Ich konnt' es
an den Wachen merken, aus Reden, die bald da, bald dorten fielen, daß auf
dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis zubereitet werde. Ich schlich
durch Seitenwege, durch bekannte Gänge nach meines Vettern Hause, und sah
aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es wehten Fackeln in einem
weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wieder. Ich schärfte mein
ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes Gerüst
entgegen, geräumig, hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschäftig waren
viele rings umher bemüht, was noch von Holzwerk weiß und sichtbar war, mit
schwarzem Tuch einhüllend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt
auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines gräßlichen
Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weißes Kruzifix, das durch die Nacht
wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und
sah die schreckliche Gewißheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie
und da herum; allmählich wichen sie und erloschen. Auf einmal war die
scheußliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoß zurückgekehrt.
KLÄRCHEN. Still Brackenburg!
Nun still! Laß diese Hülle auf meiner Seele ruhn. Verschwunden sind die
Gespenster, und du, holde Nacht, leih' deinen Mantel der Erde, die in sich
gärt; sie trägt nicht länger die abscheuliche Last, reißt ihre tiefen
Spalten grausend auf und knirscht das Mordgerüst hinunter. Und irgend
einen Engel sendet der Gott, den sie zum Zeugen ihrer Wut geschändet; vor
des Boten heiliger Berührung lösen sich Riegel und Bande, und er umgießt
den Freund mit mildem Schimmer; er führt ihn durch die Nacht zur Freiheit
sanft und still. Und auch mein Weg geht heimlich in dieser Dunkelheit, ihm
zu begegnen.
BRACKRNBURG (sie
aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
KLÄRCHEN. Leise, Lieber,
daß niemand erwache! daß wir uns selbst nicht wecken! Kennst du dies
Fläschchen, Brackenburg? Ich nahm dir's scherzend, als du mit übereiltem
Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun, mein Freund -
BRACKENBURG. In aller
Heiligen Namen! -
KLÄRCHEN. Du hinderst
nichts. Tod ist mein Teil! und gönne mir den sanften schnellen Tod, den du
dir selbst bereitetest. Gieb' mir deine Hand! - Im Augenblick, da ich die
dunkle Pforte eröffne, aus der kein Rückweg ist, könnt' ich mit diesem
Händedruck dir sagen: wie sehr ich dich geliebt, wie sehr ich dich
bejammert! Mein Bruder starb mir jung; dich wählt' ich, seine Stelle zu
ersetzen. Es widersprach dein Herz, und quälte sich und mich, verlangtest
heiß und immer heißer, was dir nicht beschieden war. Vergieb' mir und leb'
wohl! Laß mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel Namen in sich
faßt. Nimm die letzte schöne Blume der Scheidenden mit treuem Herzen ab -
nimm diesen Kuß. - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg, uns denn auch.
BRACKENBURG. So laß mich
mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug, zwei Leben auszulöschen.
KLÄRCHEN. Bleib! du sollst
leben, du kannst leben. - Steh meiner Mutter bei, die ohne dich in Armut
sich verzehren würde. Sei ihr, was ich ihr nicht mehr sein kann; lebt
zusammen, und beweint mich. Beweint das Vaterland und den, der es allein
erhalten konnte. Das heutige Geschlecht wird diesen Jammer nicht los; die
Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit
noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut' steht die Welt auf einmal still;
es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls schlägt kaum noch wenige Minuten.
Leb' wohl!
BRACKENBURG. O, lebe du mit
uns, wie wir für dich allein! Du tötest uns in dir, o leb' und leide! Wir
wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten stehn, und immer achtsam soll
die Liebe den schönsten Trost in ihren lebendigen Armen dir bereiten. Sei
unser! Unser! Ich darf nicht sagen, mein.
KLÄRCHEN. Leise,
Brackenburg! Du fühlst nicht, was du rührst. Wo Hoffnung dir erscheint,
ist mir Verzweiflung.
BRACKENBURG. Teile mit den
Lebendigen die Hoffnung! Verweil' am Rande des Abgrundes, schau' hinab und
sieh auf uns zurück.
KLÄRCHEN. Ich hab'
überwunden, ruf' mich nicht wieder zum Streit.
BRACKENBURG. Du bist
betäubt; gehüllt in Nacht suchst du die Tiefe. Noch ist nicht jedes Licht
erloschen, noch mancher Tag! -
KLÄRCHEN. Weh! über dich
Weh! Weh! Grausam zerreißest du den Vorhang vor meinem Auge. Ja, er wird
grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich ziehn und wider Willen
grauen! Furchtsam schaut der Bürger aus seinem Fenster, die Nacht läßt
einen schwarzen Flecken zurück; er schaut, und fürchterlich wächst im
Lichte das Mordgerüst. Neu leidend wendet das entweihte Gottesbild sein
flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich nicht hervor; sie will die
Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll. Träge gehn die Zeiger
ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlägt. Halt! Halt! nun ist es
Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab. (Sie tritt ans
Fenster, als sähe sie sich um, und trinkt heimlich.)
BRACKENBURG. Kläre! Kläre!
KLÄRCHEN
(geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist
der Rest! Ich locke dich nicht nach. Thu', was du darfst, leb' wohl.
Lösche diese Lampe still und ohne Zaudern, ich geh' zur Ruhe. Schleiche
dich sachte weg, ziehe die Thür nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter
nicht! Geh, rette dich.
Rette dich, wenn du nicht mein Mörder scheinen willst. (Ab.)
BRACKENBURG. Sie läßt mich
zum letzten Male, wie immer. O, könnte eine Menschenseele fühlen, wie sie
ein liebend Herz zerreißen kann. Sie läßt mich stehn, mir selber
überlassen; und Tod und Leben ist mir gleich verhaßt. - Allein zu sterben!
- Weint, ihr Liebenden! Kein härter Schicksal ist als meins! Sie teilt mit
mir den Todestropfen und schickt mich weg! von ihrer Seite weg! Sie zieht
mich nach, und stößt ins Leben mich zurück. O Egmont, welch preiswürdig
Los fällt dir! Sie geht voran; der Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist
dein, sie bringt den ganzen Himmel dir entgegen! - Und soll ich folgen?
wieder seitwärts stehn? den unauslöschlichen Neid in jene Wohnungen
hinübertragen? - Auf Erden ist kein Bleiben mehr für mich, und Höll' und
Himmel bieten gleiche Qual. Wie wäre der Vernichtung Schreckenshand dem
Unglückseligen willkommen!
(Brackenburg geht ab,
das Theater bleibt einige Zeit unverändert. Eine Musik,
Klärchens Tod bezeichnend, beginnt; die
Lampe, welche Brackenburg auszulöschen vergessen, flammt noch einige Mal
auf, dann erlischt sie. Bald verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefängnis.
(Egmont
liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlüsseln, und die Tür tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt
Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten. Egmont
fährt aus dem Schlaf auf.)
EGMONT. Wer
seid ihr, die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen schüttelt? Was
künden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum diesen
fürchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halberwachten
Seele vorzulügen?
SILVA. Uns schickt der
Herzog, dir dein Urteil anzukündigen.
EGMONT. Bringst du den
Henker auch mit, es zu vollziehen?
SILVA. Vernimm es, so wirst
du wissen, was deiner wartet.
EGMONT. So ziemt es euch
und euerm schändlichen Beginnen! In Nacht gebrütet und in Nacht vollführt.
So mag diese freche Tat der Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kühn
hervor, der du das Schwert verhüllt unter dem Mantel trägst; hier ist mein
Haupt, das freieste, das je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
SILVA. Du irrst! Was
gerechte Richter beschließen, werden sie vorm Angesicht des Tages nicht
verbergen.
EGMONT. So übersteigt die
Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
SILVA (nimmt einem
Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und liest's). "Im Namen des
Königs, und kraft besonderer von Seiner Majestät uns übertragenen Gewalt,
alle seine Untertanen, wes Standes sie seien, zugleich die Ritter des
goldnen Vließes zu richten, erkennen wir - "
EGMONT. Kann die der König
übertragen?
SILVA. "Erkennen wir, nach
vorgängiger genauer, gesetzlicher Untersuchung, dich Heinrich Grafen
Egmont, Prinzen von Gaure, des Hochverrats schuldig, und sprechen das
Urteil: daß du mit der Frühe des einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf
den Markt geführt, und dort vorm Angesicht des Volks zur Warnung aller
Verräter mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden sollest.
Gegeben Brüssel am" (Datum und Jahrzahl werden undeutlich gelesen, so,
daß sie der Zuhörer nicht versteht.) "Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwölfe." Du weißt nun dein Schicksal; es bleibt
dir wenige Zeit, dich drein zu ergeben, dein Haus zu bestellen und von den
Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge
geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln; das Theater ist mäßig
erleuchtet.)
EGMONTt (hat eine Weile
in sich versenkt, stille gestanden und Silva, ohne sich umzusehen, abgehen
lassen. Er glaubt sich allein, und da er die Augen aufhebt, erblickt er
Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du mein Erstaunen, mein
Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst du noch etwa die
willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daß ich unmännlich verzweifle?
Geh! Sag' ihm! Sag' ihm, daß er weder mich, noch die Welt belügt. Ihm, dem
Ruhmsüchtigen, wird man es erst hinter den Schultern leise lispeln, dann
laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem Gipfel herabsteigt,
werden tausend Stimmen es ihm entgegen rufen: Nicht das Wohl des Staats,
nicht die Würde des Königs, nicht die Ruhe der Provinzen haben ihn hierher
gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daß der Krieger im
Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit man seiner
bedürfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses, seines
kleinlichen Neides. Ja, ich weiß es, und ich darf es sagen; der Sterbende,
der tödlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete beneidet;
mich wegzutilgen, hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch
jünger mit Würfeln spielten und die Haufen Goldes, einer nach dem andern,
von seiner Seite zu mir herübereilten, da stand er grimmig, log
Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die Ärgernis, mehr über mein
Glück, als über seinen Verlust. Noch erinnere ich mich des funkelnden
Blicks, der verräterischen Blässe, als wir an einem öffentlichen Feste vor
vielen tausend Menschen um die Wette schossen. Er forderte mich auf, und
beide Nationen standen; die Spanier, die Niederländer wetteten und
wünschten. Ich überwand ihn; seine Kugel irrte, die meine traf; ein lauter
Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft. Nun trifft mich sein
Geschoß. Sag' ihm, daß ich's weiß, daß ich ihn kenne, daß die Welt jede
Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist erschleichend sich
aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne möglich ist, von der Sitte des Vaters
zu weichen, übe beizeiten die Scham, indem du dich für den schämst, den du
gerne von ganzem Herzen verehren möchtest.
FERDINAND. Ich höre dich
an, ohne dich zu unterbrechen! Deine Vorwürfe lasten wie Keulschläge auf
einen Helm; ich fühle die Erschütterung, aber ich bin bewaffnet. Du
triffst mich, du verwundest mich nicht; fühlbar ist mir allein der
Schmerz, der mir den Busen zerreißt. Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen
Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem solchen Schauspiele bin ich
gesendet!
EGMONT. Du brichst in
Klagen aus? Was rührt, was bekümmert dich? Ist es eine späte Reue, daß du
der schändlichen Verschwörung deinen Dienst geliehen? Du bist so jung und
hast ein glückliches Ansehn. Du warst so zutraulich, so freundlich gegen
mich. So lang ich dich sah, war ich mit deinem Vater versöhnt. Und eben so
verstellt, verstellter als er, lockst du mich in das Netz. Du bist der
Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf seine Gefahr tun; aber wer
fürchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh! Raube mir nicht die wenigen
Augenblicke! Geh, daß ich mich sammle, die Welt und dich zuerst vergesse!
-
FERDINAND. Was soll ich dir
sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe dich nicht, und fühle mich
nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir versichern, daß ich erst
spät, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten erfuhr, daß ich als ein
gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens handelte? Was fruchtet's,
welche Meinung du von mir haben magst? Du bist verloren; und ich
Unglücklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um dich zu bejammern.
EGMONT. Welche sonderbare
Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet mir auf dem Wege zum Grabe?
Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen Feindes, du bedauerst mich,
du bist nicht unter meinen Mördern? Sage, rede! Für wen soll ich dich
halten?
FERDINAND. Grausamer Vater!
Ja, ich erkenne dich in diesem Befehle. Du kanntest mein Herz, meine
Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer zärtlichen Mutter schaltest.
Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich hierher. Diesen Mann am Rande
des gähnenden Grabes, in der Gewalt eines willkürlichen Todes zu sehen,
zwingst du mich; daß ich den tiefsten Schmerz empfinde, daß ich taub gegen
alles Schicksal, daß ich unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
EGMONT. Ich erstaune! Fasse
dich! Stehe, rede wie ein Mann!
FERDINAND. O, daß ich ein
Weib wäre! daß man mir sagen könnte: was rührt dich? was ficht dich an?
Sage mir ein größeres, ein ungeheureres Übel, mache mich zum Zeugen einer
schrecklichern That; ich will dir danken, ich will sagen: es war nichts.
EGMONT. Du verlierst dich?
Wo bist du?
FERDINAND. Laß diese
Leidenschaft rasen, laß mich losgebunden klagen! Ich will nicht standhaft
scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich soll ich hier sehn? -
Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht! Und sollst du mich
verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
EGMONT. Löse mir das
Geheimnis.
FERDINAND. Kein Geheimnis.
EGMONT. Wie bewegt dich so
tief das Schicksal eines fremden Mannes?
FERDINAND. Nicht fremd! Du
bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der mir in meiner ersten Jugend
gleich einem Stern des Himmels entgegenleuchtete. Wie oft hab' ich nach
dir gehorcht, gefragt! Des Kindes Hoffnung ist der Jüngling, des Jünglings
der Mann. So bist du vor mir her geschritten; immer vor, und ohne Neid sah
ich dich vor, und schritt dir nach, und fort und fort. Nun hofft' ich
endlich dich zu sehen, und sah dich, und mein Herz flog dir entgegen. Dich
hatt' ich mir bestimmt, und wählte dich aufs neue, da ich dich sah. Nun
hofft' ich erst mit dir zu sein, mit dir zu leben, dich zu fassen, dich. -
Das ist nun alles weggeschnitten, und ich sehe dich hier!
EGMONT. Mein Freund, wenn
es dir wohl tun kann, so nimm die Versicherung, daß im ersten Augenblick
mein Gemüt dir entgegenkam. Und höre mich. Laß uns ein ruhiges Wort unter
einander wechseln. Sage mir: ist es der strenge, ernste Wille deines
Vaters, mich zu töten?
FERDINAND. Er ist's.
EGMONT. Dieses Urteil wäre
nicht ein leeres Schreckbild, mich zu ängstigen, durch Furcht und Drohung
zu strafen, mich zu erniedrigen, und dann mit königlicher Gnade mich
wieder aufzuheben?
FERDINAND. Nein, ach leider
nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst mit dieser ausweichenden
Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und Schmerz, dich in diesem
Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiß. Nein, ich regiere mich
nicht. Wer giebt mir eine Hilfe, wer einen Rat, dem Unvermeidlichen zu
entgehen?
EGMONT. So höre mich. Wenn
deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu retten, wenn du die Übermacht
verabscheust, die mich gefesselt hält, so rette mich! Die Augenblicke sind
kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn, und selbst gewaltig. - Laß uns
entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel können dir nicht unbekannt
sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen entfernen mich von meinen
Freunden. Löse diese Bande, bringe mich zu ihnen und sei unser! Gewiß, der
König dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt ist er überrascht, und
vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt; und die Majestät muß
das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor entsetzet. Du denkst? O,
denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und nähre die Hoffnung der
lebendigen Seele.
FERDINAND. Schweig'! o
schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine Verzweiflung. Hier ist kein
Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quält mich, das greift und faßt mir
wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das Netz zusammengezogen; ich
kenne die strengen festen Knoten; ich weiß, wie jeder Kühnheit, jeder List
die Wege verrennt sind; ich fühle mich mit dir und mit allen andern
gefesselt. Würde ich klagen, hätte ich nicht alles versucht? Zu seinen
Füßen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er schickte mich hierher, um
alles, was von Lebenslust und Freude in mir lebt, in diesem Augenblicke zu
zerstören.
EGMONT. Und keine Rettung?
FERDINAND. Keine!
EGMONT (mit dem Fuße
stampfend). Keine Rettung! - Süßes Leben! schöne, freundliche
Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich scheiden! So gelassen
scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem Geräusch der Waffen, in
der Zerstreuung des Getümmels gibst du mir ein flüchtiges Lebewohl; du
nimmst keinen eiligen Abschied, verkürzest nicht den Augenblick der
Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in die Augen sehn,
deine Schöne, deinen Wert recht lebhaft fühlen, und dann mich entschlossen
losreißen und sagen: Fahre hin!
FERDINAND. Und ich soll
daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht hindern können! O, welche
Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flösse nicht aus seinen Banden vor
diesem Jammer!
EGMONT. Fasse dich!
FERDINAND. Du kannst dich
fassen, du kannst entsagen, den schweren Schritt an der Hand der
Notwendigkeit heldenmäßig gehn. Was kann ich? Was soll ich? Du überwindest
dich selbst und uns; du überstehst; ich überlebe dich und mich selbst. Bei
der Freude des Mahls hab' ich mein Licht, im Getümmel der Schlacht meine
Fahne verloren. Schal, verworren, trüb' scheint mir die Zukunft.
EGMONT. Junger Freund, den
ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich gewinne und verliere, der für
mich die Todesschmerzen empfindet, für mich leidet, sieh mich in diesen
Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War dir mein Leben ein Spiegel,
in welchem du dich gerne betrachtetest, so sei es auch mein Tod. Die
Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der
Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe mir genug
gelebt. Eines jeden Tages hab' ich mich gefreut; an jedem Tage mit rascher
Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun endigt
sich das Leben, wie es sich früher, früher, schon auf dem Sande von
Gravelingen hätte endigen können. Ich höre auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb' auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den
Tod nicht.
FERDINAND. Du härtest dich
für uns erhalten können, erhalten sollen. Du hast dich selber getötet. Oft
hört' ich, wenn kluge Männer über dich sprachen, feindselige,
wohlwollende, sie stritten lang über deinen Wert; doch endlich vereinigten
sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder gestand: ja, er wandelt einen
gefährlichen Weg. Wie oft wünscht' ich, dich warnen zu können! Hattest du
denn keine Freunde?
EGMONT. Ich war gewarnt.
FERDINAND. Und wie ich
punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in der Anklage fand, und
deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen; nicht triftig genug,
dich von der Schuld zu befreien. -
EGMONT. Dies sei beiseite
gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen;
und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen.
Laß uns darüber nicht sinnen; dieser Gedanken entschlag' ich mich leicht -
schwerer der Sorge für dieses Land; doch auch dafür wird gesorgt sein.
Kann mein Blut für viele fließen, meinem Volk Friede bringen, so fließt es
willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es ziemt dem Menschen, nicht
mehr zu grübeln, wo er nicht mehr wirken soll. Kannst du die verderbende
Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's. Wer wird das können? -
Leb' wohl!
FERDINAND. Ich kann nicht
gehn.
EGMONT. Laß meine Leute dir
aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute Menschen zu Dienern; daß sie
nicht zerstreut, nicht unglücklich werden! Wie steht es um Richard, meinen
Schreiber?
FERDINAND. Er ist dir
vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen des Hochverrats enthauptet.
EGMONT. Arme Seele! - Noch
eins, und dann leb' wohl, ich kann nicht mehr. Was auch den Geist
gewaltsam beschäftigt, fordert die Natur zuletzt doch unwiderstehlich ihre
Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der Schlange, des erquickenden
Schlafs genießt, so legt der Müde sich noch einmal vor der Pforte des
Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen weiten Weg zu wandern
hätte. - Noch eins. - Ich kenne ein Mädchen; du wirst sie nicht verachten,
weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb' ich ruhig. Du bist ein
edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt mein alter Adolf?
ist er frei?
FERDINAND. Der muntre
Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
EGMONT. Derselbe.
FERDINAND. Er lebt, er ist
frei.
EGMONT. Er weiß ihre
Wohnung; laß dich von ihm führen, und lohn' ihm bis an sein Ende, daß er
dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
FERDINAND. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tür
drängend). Leb' wohl!
FERDINAND. O, laß mich
noch!
EGMONT. Freund, keinen
Abschied!
(Er begleitet
Ferdinanden bis an die Tür, und reißt sich dort von ihm los. Ferdinand,
betäubt, entfernt sich eilend.)
EGMONT (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir
diese Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen
los und der Schmerzen, der Furcht und jedes ängstlichen Gefühls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiß auf meinem Lager
wachend hielt, das schläfert nun mit unbezwinglicher Gewißheit meine
Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs
Ruhebett. Musik.)
Süßer Schlaf! Du kommst wie
ein reines Glück, ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten
der strengen Gedanken, vermischest alle Bilder der Freude und des
Schmerzes; ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonien, und, eingehüllt
in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf, zu sein.
(Er entschläft; die Musik
begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem Lager scheint sich die Mauer zu
eröffnen, eine glänzende Erscheinung zeigt sich. Die Freiheit in
himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen, ruht auf einer Wolke.
Sie hat die Züge von Klärchen, und neigt sich gegen den schlafenden
Helden. Sie drückt eine bedauernde Empfindung aus, sie scheint ihn zu
beklagen. Bald faßt sie sich, und mit aufmunternder Gebärde zeigt sie ihm
das
Bündel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heißt ihn froh sein,
und indem sie ihm andeutet, daß sein Tod den Provinzen die Freiheit
verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz. Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daß er mit
dem Gesicht aufwärts gegen sie liegt. Sie hält den Kranz über seinem
Haupte schwebend; man hört ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen; bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stärker. Egmont erwacht; das Gefängnis wird
vom Morgen mäßig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen; er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behält.)
Verschwunden ist der Kranz!
Du schönes Bild, das Licht des Tages hat dich verscheuchet! Ja, sie
waren's, sie waren vereint, die beiden süßesten Freuden meines Herzens.
Die göttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte sie die Gestalt; das
reizende Mädchen kleidete sich in der Freundin himmlisches Gewand. In
einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt, ernster als lieblich.
Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die wehenden Falten des
Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler Edeln Blut. Nein, es
ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves Volk! Die
Siegesgöttin führt dich an! Und wie das Meer durch eure Dämme bricht, so
brecht, so reißt den Wall der Tyrannei zusammen, und schwemmt ersäufend
sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaßt, weg!
(Trommeln näher.)
Horch! Horch! Wie oft rief
mich dieser Schall zum freien Schritt nach dem Felde des Streits und des
Siegs! Wie munter traten die Gefährten auf der gefährlichen, rühmlichen
Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen Tode aus diesem Kerker entgegen;
ich sterbe für die Freiheit, für die ich lebte und focht, und der ich mich
jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird
mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt, welche Hellebarden tragen.)
Ja, führt sie nur zusammen!
Schließt eure Reihen, ihr schreckt mich nicht. Ich bin gewohnt, vor
Speeren gegen Speere zu stehn, und, rings umgeben von dem drohenden Tod,
das mutige Leben nur doppelt rasch zu fühlen.
(Trommeln.)
Dich schließt der Feind von
allen Seiten ein! Es blinken Schwerter; Freunde, höhern Mut! Im Rücken
habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles
Wort des Herrschers, nicht ihr Gemüt. Schützt eure Güter! Und euer
Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf
die Wache los und auf die Hinterthür zugeht, fällt der Vorhang; die Musik
fällt ein und schließt mit einer Siegessymphonie das Stück.)
1. Aufzug -
2. Aufzug -
3. Aufzug -
4. Aufzug - 5. Aufzug
•
Gesamttext
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.01.2024