In
Theodor Fontanes
(1819-1898) Roman »Effi
Briest« (1895) lässt sich am Beginn des 12. Kapitels das
Zusammenwirken von
direkter Figurenrede,
indirekter Figurenrede (transponierte
Rede),
erzählter Rede bzw.
Redebericht bzw.
summarischen Erzählerbericht bei der ▪
Erzählung von gesprochenen Worten
aufzeigen.
Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte
Effi zu Gieshübler gesagt,
es sei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen
dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen; die daneben
stehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der ihr
eigenen ungenierten Beredsamkeit gegen solche zarte Rücksichtnahme
protestiert. »Ach,
meine gnädigste Frau, Sie glauben, dass unsereins einen regelmäßigen
Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen,
heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem (so was
lernt
man)
kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation und sogar auf der
linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen. Freilich
bin ich auch nie eingepresst; Brust und Lunge müssen immer frei sein und
vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist die Hauptsache.
Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt - die Menge tut es nicht, was
entscheidet, ist die Qualität; ein guter Nicker von fünf Minuten ist
besser als fünf Stunden unruhige Rumdreherei, mal links, mal rechts.
Übrigens schläft man in Russland wundervoll, trotz des starken Tees. Es
muss die Luft machen oder das späte Diner oder weil man so verwöhnt
wird. Sorgen gibt es in Russland nicht; darin - im Geldpunkt sind beide
gleich - ist Russland noch besser als Amerika.«
Nach
dieser Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum
Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternacht herangekommen. Man
trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen Vertraulichkeit.
Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war
ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch,
dass Pastor Lindequist bat,
Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang
unterm Sternenhimmel sei das beste, um über Gieshüblers Rheinwein
hinwegzukommen.
Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten
Trippelliana heranzuziehen; Effi begann mit dem, was ihr in
Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die Reihe.
Dieser, ein Ironikus, hatte die Trippelli, wie nach vielem sehr
Weltlichen, so schließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt
und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, dass sie nur eine Richtung
kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei freilich ein Rationalist gewesen,
fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den Chinesen am liebsten auf
dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; sie ihrerseits sei aber ganz
entgegengesetzter Ansicht, trotzdem sie persönlich des großen Vorzugs
genieße, gar nichts zu glauben. Aber sie sei sich in ihrem entschiedenen
Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewusst, dass das ein
Spezialluxus sei, den man sich nur als Privatperson gestatten könne.
Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusministerium oder gar
ein Konsistorialregiment unterstünde, so würde sie mit unnachsichtiger
Strenge vorgehen. »Ich
fühle so was von einem Torquemada in mir.« Innstetten war sehr
erheitert und erzählte seinerseits, dass er etwas so Heikles, wie das
Dogmatische, geflissentlich vermieden, aber dafür das Moralische desto
mehr in den Vordergrund gestellt habe. Hauptthema sei das Verführerische
gewesen, das beständige Gefährdetsein, das in allem öffentlichen
Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit Betonung der
zweiten Satzhälfte geantwortet habe: »Ja, beständig gefährdet; am
meisten die Stimme.«
Unter solchem Geplauder war, ehe man sich trennte, der Trippelli-Abend
noch einmal an ihnen vorübergezogen [...]
(aus: Theodor Fontane,
Effi Briest, 4. Aufl., o. O.: 1982 (=Goldmann-Klassiker mit
Erläuterungen), S.88-90)