Wolfgang Borchert,
Die drei dunklen
Könige
Er tappte durch die
dunkle Vorstadt. Die
Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel.
Der
Mond fehlte und das
Pflaster war erschrocken über den späten Schritt.
Dann fand er eine alte Planke. Da trat er mit dem Fuß gegen, bis eine
Latte morsch aufseufzte und losbrach. Das Holz roch mürbe und süß. Durch
die dunkle Vorstadt tappte er zurück. Sterne waren nicht da.
Als er
die Tür aufmachte (sie weinte dabei, die Tür), sahen ihm die blassblauen
Augen seiner Frau entgegen. Sie kamen aus einem müden Gesicht.
Ihr Atem
hing weiß im Zimmer, so kalt war es. Er beugte sein
knochiges Knie und
brach das Holz. Das Holz seufzte. Dann roch es mürbe und süß ringsum. Er
hielt sich ein Stück davon unter die Nase. Riecht beinahe wie Kuchen,
lachte er leise. Nicht, sagten die Augen der Frau,
nicht lachen. Er
schläft.
Der
Mann legte das süße mürbe Holz in den kleinen Blechofen. Da glomm es auf
und warf eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer. Die fiel hell auf
ein winziges rundes Gesicht und blieb einen Augenblick. Das Gesicht war
erst eine Stunde alt, aber es hatte schon alles, was dazugehört: Ohren,
Nase, Mund und Augen. Die Augen mussten groß sein, das konnte man sehen,
obgleich sie zu waren. Aber der Mund war offen und
es pustete leise
daraus. Nase und Ohren waren rot.
Er lebt, dachte die Mutter. Und
das
kleine Gesicht schlief.
Da
sind noch Haferflocken, sagte der Mann. Ja, antwortete die Frau, das ist
gut. Es ist kalt. Der Mann nahm noch von dem süßen weichen Holz.
Nun hat
sie ihr Kind gekriegt und muss frieren, dachte er. Aber er hatte keinen,
dem er dafür die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte. Als er die Ofentür
aufmachte, fiel wieder
eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht.
Die Frau sagte leise: Kuck, wie ein Heiligenschein, siehst du?
Heiligenschein! dachte er und
er hatte keinen, dem er die Fäuste ins
Gesicht schlagen konnte.
Dann
waren welche an der Tür.
Wir sahen das Licht, sagten sie, vom Fenster.
Wir wollen uns zehn Minuten hinsetzen.
Aber
wir haben ein Kind, sagte der Mann zu ihnen. Da sagten sie nichts
weiter, aber sie kamen doch ins Zimmer,
stießen Nebel aus den Nasen und
hoben die Füße hoch. Wir sind ganz leise,
flüsterten sie und hoben die
Füße hoch. Dann fiel das Licht auf sie.
Drei
waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer
einen Sack. Und der dritte hatte keine Hände. Erfroren, sagte er, und
hielt die Stümpfe hoch. Dann drehte er dem Mann die Manteltasche hin.
Tabak war darin und dünnes Papier. Sie drehten Zigaretten. Aber die Frau
sagte: Nicht, das Kind.
Da
gingen die vier vor die Tür und ihre Zigaretten waren vier Punkte in der
Nacht. Der eine hatte dicke umwickelte Füße. Er nahm ein Stück Holz aus
seinem Sack. Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran
geschnitzt. Für das Kind. Das sagte er und gab es dem Mann. Was ist mit
den Füßen? fragte der Mann. Wasser, sagte der Eselschnitzer, vom Hunger.
Und der andere, der dritte? fragte der Mann und befühlte im Dunkeln den
Esel. Der dritte zitterte in seiner Uniform: Oh, nichts,
wisperte er,
das sind nur die Nerven. Man hat eben zuviel Angst gehabt. Dann traten
sie die Zigaretten aus und gingen wieder hinein.
Sie
hoben die Füße hoch und sahen auf das kleine schlafende Gesicht. Der
Zitternde nahm aus seinem Pappkarton zwei gelbe Bonbons und sagte dazu:
Für die Frau sind die.
Die
Frau machte die blassen blauen Augen weit auf,
als sie die drei Dunklen
über das Kind gebeugt sah. Sie fürchtete sich. Aber da stemmte das Kind
seine Beine gegen ihre Brust und schrie so kräftig, dass
die drei
Dunklen die Füße aufhoben und zur Tür schlichen. Hier nickten sie nochmal, dann
stiegen sie in die Nacht hinein.
Der
Mann sah ihnen nach. Sonderbare Heilige, sagte er zu seiner Frau. Dann
machte er die Tür zu. Schöne Heilige sind das,
brummte er und
sah nach
den Haferflocken. Aber er hatte kein Gesicht für seine Fäuste.
Aber
das Kind hat geschrien, flüsterte die Frau, ganz stark hat es geschrien.
Da sind sie gegangen.
Kuck mal, wie lebendig es ist, sagte sie stolz.
Das Gesicht machte den Mund auf und schrie.
Weint
er? fragte der Mann.
Nein,
ich glaube, er lacht, antwortete die Frau.
Beinahe wie Kuchen, sagte der Mann und roch an dem Holz, wie Kuchen.
Ganz süß.
Heute
ist ja auch Weihnachten, sagte die Frau.
Ja,
Weihnachten, brummte er und
vom Ofen her fiel eine Handvoll Licht hell
auf das kleine schlafende Gesicht.
(aus: Wolfgang
Borchert, Das Gesamtwerk, Hamburg: Rowohlt 1949/2009, S.217-219)
Dieses Werk (Die drei dunklen Könige, von Wolfgang Borchert) das durch
Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.
docx-Download -
pdf-Download
▪
Bausteine