Wolfgang Borchert, Die Kirschen
Nebenan klirrte ein Glas.
Jetzt isst er die Kirschen auf, die für mich sind, dachte er. Dabei habe
ich das Fieber. Sie hat die Kirschen extra vors Fenster gestellt, damit
sie ganz kalt sind. Jetzt hat er das Glas hingeschmissen. Und ich hab
das Fieber.
Der
Kranke stand auf. Er schob sich die Wand entlang. Dann sah er durch die
Tür, dass sein Vater auf der Erde saß. Er hatte die ganze Hand voll
Kirschsaft.
Alles
voll Kirschen, dachte der Kranke, alles voll Kirschen. Dabei sollte ich
sie essen. Ich hab doch das Fieber. Er hat die ganze Hand voll
Kirschsaft. Die waren sicher schön kalt. Sie hat sie doch extra vors
Fenster gestellt für das Fieber. Und er isst mir die ganzen Kirschen
auf. Jetzt sitzt er auf der Erde und hat die ganze Hand davon voll. Und
ich hab das Fieber. Und er hat den kalten Kirschsaft auf der Hand. Den
schönen kalten Kirschsaft. Er war bestimmt ganz kalt. Er stand doch
extra vorm Fenster. Für das Fieber.
Er
hielt sich am Türdrücker. Als der quietschte, sah der Vater auf.
Junge,
du musst doch zu Bett. Mit dem Fieber, Junge. Du musst sofort zu Bett.
Alles
voll Kirschen, flüsterte der Kranke. Er sah auf die Hand. Alles voll
Kirschen.
Du
musst sofort zu Bett, Junge. Der Vater versuchte aufzustehen und verzog
das Gesicht. Es tropfte von seiner Hand.
Alles
Kirschen, flüsterte der Kranke. Alles meine Kirschen. Waren sie kalt?
fragte er laut. Ja? Sie waren doch sicher schön kalt, wie? Sie hat sie
doch extra vors Fenster gestellt, damit sie ganz kalt sind. Damit sie
ganz kalt sind.
Der
Vater sah ihn hilflos von unten an. Er lächelte etwas. Ich komme nicht
wieder hoch, lächelte er und verzog das Gesicht. Das ist doch zu dumm,
ich komme buchstäblich nicht wieder hoch.
Der
Kranke hielt sich an der Tür. Die bewegte sich leise hin und her von
seinem Schwanken. Waren sie schön kalt? flüsterte er, ja?
Ich
bin nämlich hingefallen, sagte der Vater. Aber es ist wohl nur der
Schreck. Ich bin ganz lahm, lächelte er. Das kommt von dem Schreck. Es
geht gleich wieder. Dann bring ich dich zu Bett. Du musst ganz schnell
zu Bett.
Der
Kranke sah auf die Hand.
Ach,
das ist nicht so schlimm. Das ist nur ein kleiner Schnitt. Das hört
gleich auf. Das kommt von der Tasse, winkte der Vater ab. Er sah hoch
und verzog das Gesicht. Hoffentlich schimpft sie nicht. Sie mochte
gerade diese Tasse so gern. Jetzt hab ich sie kaputt gemacht.
Ausgerechnet diese Tasse, die sie so gern mochte. Ich wollte sie
ausspülen, da bin ich ausgerutscht. Ich wollte sie nur ein bisschen kalt
ausspülen und deine Kirschen da hinein tun. Aus dem Glas trinkt es sich
so schlecht im Bett. Das weiß ich noch. Daraus trinkt es sich ganz
schlecht im Bett.
Der
Kranke sah auf die Hand. Die Kirschen, flüsterte er, meine Kirschen?
Der
Vater versuchte noch einmal, hochzukommen. Die bring ich dir gleich,
sagte er. Gleich, Junge. Geh schnell zu Bett mit deinem Fieber. Ich
bring sie dir gleich. Sie stehen noch vorm Fenster, damit sie schön kalt
sind. Ich bring sie dir sofort.
Der
Kranke schob sich an der Wand zurück zu seinem Bett. Als der Vater mit
den Kirschen kam, hatte er den Kopf tief unter die Decke gesteckt.
(aus: Wolfgang
Borchert, Das Gesamtwerk, Hamburg: Rowohlt 1949/2009, S.342-343)
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