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Schreibstrategien

« Schreiben in einem Zug »

Pensée parlée - Nicht-Zerleger


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Einfach sofort drauflosschreiben

Es gibt etliche Schreiberinnen und Schreiber, die legen beim Schreiben einfach spontan drauflos und Schreiben quasi aus dem Bauch. Ihnen liegt ein planendes Vorgehen beim Schreiben oder gar das Schritt-für-Schritt-Schreiben gänzlich fern, weil sie mit dem Zerlegen des Schreibprozesses wenig anfangen können. Sie wähnen sich beim spontanen Loslegen des Schreibens erst einmal auf der sichereren Seite und glauben, wenn sie das Ganze in einem Zug schreiben, die Schreibaufgabe am besten und dazu noch in dem dafür vorgesehenen Zeitrahmen bewältigen zu können.

Für textmusterkonformes Schreiben in der Schule nicht geeignet

Das Schreiben in einem Zug (pensée parlée) ist keine gute Idee beim produktorientierten Schreiben zu den meisten schulischen Schreibformen, z. B. im Rahmen einer Klausur oder Klassenarbeit in der Schule.
Am ehesten in seine Richtung geht dabei noch, wenn man einen Text zu einer Idee schreibt.

Das Problem ist: Das Schreiben in einem Zug bildet letzten Endes ein additives Nebeneinander ab, bei dem sich Produktionslogik und Präsentationslogik decken. Am Ende kommt dabei eine Textstruktur heraus, die sowohl das Ergebnis des Schreibprozesses als auch den Schreibprozess selbst abbildet. Und dieser Text entspricht eben dadurch nicht den normierten Textmustern (Schreibformen), die mit den allermeisten schulischen Schreibformen verbunden sind.

Sofortschreiben als Konzept für die Befreiung aus Schreibzwängen?

Das Schreiben in einem Zug ist nach Ortner (2000, S. 360ff.) von einer Reihe von Merkmalen gekennzeichnet, von denen einige hier aufgegriffen werden. Es ist "eine Strategie und wie alle Strategien eine List, um Zugang zu möglichst großen Wissensräumen und eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung in ihnen zu zu bekommen." (ebd., S.367. Hervorh. der Verf.)

In der Schreibdidaktik erfreut sich das "Einfach-Drauflosschreiben", Ortner (ebd., S.374) nennt es in diesem Zusammenhang auch "Sofortschreiben" (ebd.) "in reiner oder gepanschter Form" großer Beliebtheit.

Es hat wohl wegen seiner "Nutzung der freien - schweifenden - Assoziation als entscheidende Ressource" (ebd.,S.375, Hervorh. d. Verf.)  "einen Appeal von Befreiung und ist daher", wie Ortner (2000, S. 374) ironisch formuliert, "für Befreiungstheologen auf Didaktiklehrstühlen und in Klassenzimmern attraktiv." (ebd.) Doch neben diesen eher ideologischen Begründungen gibt es eben auch andere.

Eine Schreibstrategie mit entwicklungspsychologischem Potential

Für das Schreiben in einem Zug können auch entwicklungspsychologische Gründe vorgebracht werden. Kinder schreiben eben lange nach einem additiven und linearen Prinzip. Erst zwischen dem neunten und dreizehnten Lebensjahr wechseln sie ihre eine Strategie und gehen zu einem analytisch-integrativen Verfahren über (vgl. auch Ludwig 1994, S.20). Bis dahin praktizieren sie so etwas, wie das lange von den Surrealisten propagierte automatische Schreiben.

In der Schule hat das Schreiben in einem Zug dennoch nicht so viele Anhänger. "In ganz reiner Form" reiner Form schon gar nicht, zumal es, wie auch Ortner konzediert, "oft nicht sinnvoll (ist), auf den guten Stern der leitenden Perspektive, auf diese Hauptressource der Strukturierung, zu verzichten."  (ebd., S.378)

Solches findet man dann beim Text-zu-einer-Idee-Schreiben, das immer noch große Ähnlichkeit mit dem Schreiben in einem Zug hat. Allerdings ist es dann eben kein lupenreines Spontanschreiben oder Aus-dem-Bauch-Schreiben mehr.

Im Unterschied zum Einen-Text-zu-einer-Idee-Schreiben richtet sich die Aufmerksamkeit und Aktivität des Schreibers, wenn er in einem Zug schreibt, eigentlich nie auf das (Text-)Ganze, sondern nur auf Textteil, an dem er gerade schreibt. Die eine Gesamtperspektive darstellende Idee wie beim "Einen-Text-zu-einer-Idee-Schreiben" gibt es also nicht.

Schreiben in einem Zug - auch ein Mittel gegen bestimmte Schreibprobleme

Es gibt Schreiber und Schreiberinnen, die gehen immer so vor. Wenn sie schreiben, dann eben in einem Zug. Das und die Tatsache, dass in der Schule das automatische Schreiben nicht sonderlich verbreitet ist, verstellt aber den Blick darauf, dass diese Schreibstrategie auch als Mittel gegen bestimmte Schreibstörungen oder Schreibblockaden eingesetzt werden kann.

Die Motorik der Schreibhandlung rhythmisiert den Schreibprozess

Der Schreibprozess beim Schreiben-in-einem-Zug geht nicht nur schnell, sondern nimmt gewöhnlich auch nicht viel Zeit in Anspruch, da ja, zumindest schriftliche, Vorarbeiten entfallen. Außerdem ist der Umfang der Schreibprodukte, die dabei entstehen, gemessen an anderen meistens wohl eher gering.
Aus diesem Grund wird der ganze Schreiprozess auch von der Motorik der Schreibhandlung rhythmisiert, bei der es ja nicht auf auf ein bestimmtes Ergebnis oder die Gestaltung eines bestimmten Textmusters ankommt. Das Ganze endet einfach in einer Ad hoc-Gestaltung, die auf der kontinuierlichen und schnellen Textproduktion bei dieser Schreibstrategie beruht.

Einfach und nur im Vorwärtsgang schreiben

Die Konzeptbildung, also die Vorstellung darüber, was und wie man schreibt, erfolgt beim Schreiben-in-einem-Zug während des Schreibens selbst und am Ende des Schreibprozesses steht eine Textstruktur, die Ergebnis und Abbildung des Schreibprozesses zugleich ist.

Schreiberinnen und Schreiber, die ohne vorher entwickeltes Konzept loslegen, sind Frühstarter, die den Schreibprozess unter Umständen als "äußerst lustvoll" erleben. (vgl. Keseling 2004, S. 60).
So lange der "Flow" anhält, gerät ein Schreiber daher nicht unbedingt in Schreibschwierigkeiten. Bricht der Ideenfluss allerdings ab, können sich ernsthafte Konzeptbildungsprobleme ergeben, die u. U. den weiteren Fortgang des Schreibens blockieren.

  • Ohne Vorüberlegungen und (Vor-)Strukturierungen geht das "Einfach-Drauflosschreiben" quasi in einem einspurigen Vorwärtsgang ohne Rekursivität voran, d. h. ohne dass es dabei zu Überarbeitungen und Neubearbeitungen kommt.

  • Wer einfach drauflosschreibt, möchte ein Flow-Erlebnis erreichen, will sich "Fort-Tragen-Lassen" von seiner intrinsischen Motivation, den Schreibprozess aufrechtzuerhalten.

  • Beim Schreiben in einem Zug erscheint einem das eigene Tun glatt und flüssig, wenn es ohne Unterbrechungen stattfinden kann.

Wer so schreibt,

  • konzentriert sich wie von selbst

  • vergisst die Zeit

  • geht vollständig im Schreiben auf und macht sich dabei keine weiteren Gedanken über das Schreiben und seinen Schreibprozess

  • erlebt sich in einer Art Bewusstseinsenthobenheit (Flow)

  • hat das Gefühl, in besonderer Weise bei sich zu sein und sich selbst zu verwirklichen

  • wird von dem Gefühl getragen, genug über das Thema zu wissen und allgemein über die erforderliche Schreibkompetenz zu verfügen, die er / sie zur Bewältigung der Schreibaufgabe benötigt.

(vgl. ebd., S.368f.)

Beim Schreiben das eigene Wissen aktivieren

Beim Schreiben-in-einem-Zug sprudelt das, was geschrieben wird, aber nicht nur so einfach aus einem heraus.
Auch bei diesem Schreibverhalten beim Schreiben soll das eigene Wissen aktiviert werden, benötigt man Zugänge zu seinem vorhandenen Wissen, wie es im eigenen Gedächtnis gespeichert ist. Auf irgendeine Art und Weise muss das Gesamtkonzept, nach dem der Schreibprozess abläuft, schließlich organisiert werden.

Allerdings weiß die Forschung heutzutage noch nicht viel darüber, wie die die Bildung des Schreibkonzepts beim Schreiben-in-einem-Zug genau funktioniert.

Man kann aber wohl davon ausgehen, dass auch die Drauflosschreiber, selbst wenn sie sonst keine Vorplanungen oder gar Vorarbeiten durchführen, im Kopf vor dem Schreiben "eine grobe Linie" festlegen.
Vielleicht kann man sich das als eine Art "Suchverfahren" vorstellen, das dem Schreiber ermöglicht, "sich wichtige Informationen erst während des Schreibens zu beschaffen". (Keseling 2004, S.302 unter Verweis auf Wrobel 1995).
Damit diese Suche funktioniert, benutzen die Drauflosschreiber möglicherweise sogenannte  "Konzeptetiketten" (ebd. S.303), die wie Stempel wirken. Sie beziehen sich auf noch zu schreibende Textteile und den abzuhandelnden Gegenstand und "machen," so Keseling weiter, "diesen verfügbar, indem sie wichtige Eigenschaften oder Aspekte desselben festlegen."

In-einem-Zug-Schreiben greift auch auf besondere Wissensbereiche zu

Wer in einem Zug schreibt, nutzt natürlich in erster Linie sein allgemeines Weltwissen. Aber dazu kommt noch eine besondere Art von Wissen, das man synkretistisches Wissen nennt.

Darunter versteht man ein gewissermaßen dumpfes intuitives Wissen, das im Zuge freier Assoziation erschlossen werden kann.

"Das Schreiben im Stil der pensée parlée will eine Expedition ohne Kompass durch die Räume des Wissens sein, d. h. ohne leitende Idee, ohne Arbeitstitel oder Gliederung, ohne Zwischen- oder Vorgestalten. Es soll kein Pingpong geben, nur ein Vorwärtsschreiben ohne Unterbrechung. Das Geschriebene ist keine dialektische Ausarbeitung, sondern nur die Fahrspur dieser Bewegung. Und trotzdem wird die Sprache bei dieser Schreibverhaltensform als Medium für und als Motor 'hinter' dem Schreiben erlebt. Dieser Motor darf nicht ins Stottern kommen." (Ortner 2000, S. 362)

Das Schreiben in einem Zug bevorzugt das laterale gegenüber dem strukturierenden Denken.

  • Es entnimmt "Wissen portionenweise und vorhandenen Strukturierungen folgend aus den Wissensnetzen (...), Portion für Portion nach dem Prinzip der (fast) freien Assoziation vorwärtsstrebend" (ebd., S.363).

  • Dieses laterale Denken und Schreiben ist "linear-vorwärtsstrebend, nicht iterativ und nicht rekursiv, d. h.: 'nicht wiederholend und wieder aufnehmend'. Gesucht werden anschlussfähige Fortsetzungen - wobei vor allem das zuletzt Geschriebene zum Stimulus für die Suche wird. (Ganz anders ist es beim umstrukturierenden Denken. Da steuert nicht ein Element die Suche nach einer anschlussfähigen Einheit, sondern alle in Frage kommenden Elemente müssen verfügbar gemacht und kopräsent gehalten werden, damit eine sie einbeziehende und eine sie überdachende Struktur gefunden werden kann."

Wenn die Assoziationskette reißt

Wer in einem Zug schreibt, empfindet wohl, dass das Schreiben und Denken ähnlich wie beim Sprechen irgendwie eins werden. Wenn aber Schreiben und Denken als identisch empfunden wird, bricht der Schreibprozess auch ab, sobald die Assoziationsprozesse ins Stocken geraten.

Wer also dabei mit dem Schreiben aufhört, tut das "nicht so sehr aus text- oder wissensstrukturellen Notwendigkeiten als vielmehr aus der Erschöpfung der assoziativen Ressourcen." (Ortner 2000, S. 363)


Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 11.01.2024

     
 

 
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