Schreibstrategien sind Pläne zum Vorgehen beim Schreiben
Schreiben ist, so selbstverständlich es uns auch, solange wir dabei nicht
ins Stocken geraten oder auf andere Weise damit in Probleme kommen, eine
sehr komplexe Handlung.
Es beruht auf etlichen Voraussetzungen und der
Fähigkeit des Schreibers, verschiedenen Teilanforderungen im
Schreibprozess selbst, und zwar gleichzeitig, zu entsprechen.
Was dem
einen dabei beim Schreiben leicht fällt, kann dem anderen, der
vielleicht im Umgang mit einer bestimmten Schreibaufgabe nicht so
routiniert ist, große Schwierigkeiten bereiten.
Um das komplexe
Schreibhandeln erfolgreich bewältigen zu können, greifen die Schreiber
gewöhnlich auf Schreibstrategien zurück, die ihnen helfen, eine
Schreibaufgabe zu lösen. Solche ▪ Schreibstrategien
kann man als
"Vorgehenspläne beim Schreiben" (Mrotzek/Böttcher
2011, S. 30) auffassen.
Schreibstrategien sind keine Patenrezepte für das Schreiben
Um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Schreibstrategien sind
keine
Patenrezepte zum Erstellen von Texten.
Nicht jeder, der
versucht, sich eine davon zu eigen zu machen, hat damit Erfolg. Dieser
hängt nämlich weit mehr Faktoren ab wie z. B. der Person, ihren
Schreiberfahrungen und -routinen, ihrer Motivation beim Schreiben, der
Schreibaufgabe, dem Setting, in dem diese angegangen wird, und schließlich dem Texttyp
selbst. (vgl.
Mrotzek/Böttcher
2011, S. 39)
So macht es auch keinen Sinn, "weder im Hinblick auf
einzelne Schreiber noch hinsichtlich der Aufgaben und schreibdidaktisch
sinnvoller Anforderungen (....), einzelne Strategien undifferenziert als
besonders geeignet herauszustellen." (Baurmann
2002/2008, S.79)
Schreibstrategien als Hilfe für die Schreibdidaktik
Solche Einschränkungen ändern indessen nichts an der Tatsache, dass die
idealtypische Betrachtung von Schreibstrategien und Schreibtypen eine
wertvolle Hilfe für die Schreibdidaktik darstellen. So darf man sie
unter pragmatischer Perspektive betrachtet aber auch als Bausteine
ansehen, die immer wieder neu miteinander kombiniert und anlassbezogen
durch eine jeweils andere, besser geeignet erscheinende ersetzt werden
können. (vgl.
ebd., S.37)
Da Schreibstrategien
personengebunden sind, gehen z.B. Schülerinnen und Schüler zur
Bewältigung einer Schreibaufgabe mit unterschiedlichen Schreibstrategien
vor. Dies führt dann, wenn die gestellten Schreibaufgaben der jeweiligen
Vorgehensweise entgegenkommen, im Allgemeinen zum Erfolg. Wo dies
hingegen nicht der Fall ist, resultiert "ein Scheitern beim Schreiben
häufig aus der fehlenden Bindung zwischen Aufgabe und Strategie." (Baurmann
2002/2008, S.78)
Die schreibdidaktische Herausforderung besteht in diesem Fall darin,
"beim Schreiben in der Schule für eine möglichst glatte Passung zu
sorgen" (ebd.) und in einem
schreiber-differenzierten
Unterricht das Repertoire erprobter Vorgehensweisen durch das
Erlernen weiterer, mit bestimmten Schreibaufgaben verbundener
Schreibstrategien zu erweitern.
Es gibt verschiedene Modelle zu den Schreibstrategien
Von der Schreibforschung sind im Hinblick auf die Schreibstrategien
unterschiedliche Modelle entwickelt worden. Nach Ansicht von
Mrotzek/Böttcher
(2011, S.31) sind die wichtigsten Modelle, die von
Bereiter/Scarmalia (1987),
Molitor-Lübbert (1985-2002), Perrin
(2001/2002) und Ortner (2000/2002).
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Knowlege telling und knowlege transforming (Bereiter/Scarmalia
1987)
Bereiter/Scarmalia (1987) unterscheiden zwei verschiedene
Schreibstrategien: knowlege telling und knowlege transforming.
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Beim
knowledge telling, das
ungeübete Schreiber immer wieder zeigen, wird Wissen, das an
bestimmte Schlüsselwörter zu einem Thema gebunden ist,
assoziativ aus dem Gedächtnis abgerufen und in erzählender
oder berichtender Weise ohne weiteren Planungsaufwand
schreibend wiedergegeben.
Der
Schreiprozess ähnelt damit in gewisser Weise dem
"assoziativen" oder expressiven" kreativen Schreiben. Wenn
routiniertere Schreiber zur Schreibstrategie des knowledge
telling greifen, tun sie dies gewöhnlich, wenn es ihnen
aufgrund ihrer Schreiberfahrung, ihrem Vorwissen oder wegen
ihrem Verfügen über adäquate Textmuster möglich ist, den
Text in einem Zug zu schreiben. (vgl.
Mrotzek/Böttcher 2011, S.31)
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Die
Schreibstrategie des
knowledge tranforming, die von geübteren Schreibern
verfolgt werden kann, optimiert den Schreibprozess dadurch,
dass die Reflexion über den jeweils eigenen Schreibprozess
und seine Bedingungen in einem im Vergleich zum knowledge
telling deutlich verzögerten Sprachgestaltungsprozess nicht
bei dem Wissen stehen bleibt, das gerade aus dem Gedächtnis
abgerufen wird. In einem sich während des Schreibens
vollziehenden Denkprozess wird dabei neues Wissen
konstruiert.
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Bottom-up-Schreiber, Top-down-Schreiber und Mischtypen (Molitor-Lübbert 1985-2002)
Molitor-Lübbert (1985-2002) unterscheidet drei verschiedene
Schreibtypen, die jeweils einer unterschiedlichen Schreibstrategie
folgen. Dabei hängt die Anwendung einer bestimmten Strategie von der
persönlichen Schreiberfahrung des jeweiligen Textproduzenten ebenso ab,
wie von dem Schwierigkeitsgrad und der Komplexität der Aufgabe zur
Textproduktion.
Daher lässt sich ihrer Einschätzung nach ohne
Berücksichtigung beider
Aspekte, des personenbezogenen wie
aufgabenbezogenen, keine Aussage darüber treffen, welche der Strategien
zur Bewältigung einer Schreibaufgabe höhere Erfolgsaussichten
verspricht.
Diese Einschätzung hat natürlich in besonderer Weise
Auswirkungen auf den schulischen Aufsatz- bzw. Schreibunterricht, der
noch allzu sehr davon geprägt ist, mit seiner "Favorisierung des textsortenspezifischen Schreibens", bei dem "der Deutschunterricht (...)
dann in erster Linie dazu (dient), die Schüler mit den verschiedenen
Textsorten vertraut zu machen, wobei der abschließend geschriebene
Aufsatz dann einer Reproduktion gleichkommt." (Wildemann
2007, S.41)
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Der Bottom-up-Schreiber
folgt einer textgeleiteten Strategie, bei der Teilprozesse und
Teilhandlungen beim Schreiben aufeinander bezogen werden, so dass
"die Materialstrukturierung erst beim Formulieren" (vgl.
Mrotzek/Böttcher
2011, S.32) stattfindet. Wer dieser Strategie folgt, wird
quasi von dem beim Schreiben selbst entstehenden Text bei der
weiteren Textproduktion geleitet, was eine hohe Aufmerksamkeit für
das jeweils Geschriebene voraussetzt.
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Der
Top-down-Schreiber,
den es im Vergleich zum Bottom-up-Schreiber offenbar seltener gibt
(vgl. ebd.), folgt einer schemageleiteten Strategie. Er hat klare Vorstellungen darüber,
wie der Text, den er schreiben will, inhaltlich, sprachlich und
kommunikativ gestaltet werden muss, verfügt über das dafür nötige
Textmusterwissen und weiß auch, wie er dies bei der Textproduktion
umsetzen will. So muss er im Idealfall eigentlich "nur" noch
sein "auf der abstrakten Planungsebene bereits gut ausgearbeitete(s)
Konzept" (ebd.) in geeigneten Formulierungen verschriftlichen.
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Ein
Mischtyp, der sowohl im
Bottom-up- als auch im Top-down-Verfahren vorgeht, entscheidet je
nach Wissen, Schreiberfahrungen und Aufgabenstellung, ob er bei
einem bestimmten Teil der Textproduktion so oder so verfährt.
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Erworbene, aufgabenabhängige und personenbezogene Ablauf-
und Organisationsschemata (Ortner)
▪ Ortner
(2000/2002), der sich auf die Untersuchung von
Schreibgewohnheiten und Schreibreflexionen bekannter
Schriftsteller anhand von Selbstzeugnissen stützt, betont, dass jeder Schreiber/jede
Schreiberin beim Schreiben eine bestimmte ▪
Schreibstrategie bevorzugt, mit der
er/sie "bestimmte Verfahrensabschnitte und/oder
bestimmte Prozesskomponenten kontrolliert; und zwar im Hinblick auf das
zu schaffende Produkt oder ein zu schaffendes Teilprodukt." (Mrotzek/Böttcher
2011, S. 35)
Dabei sind solche Strategien "erworbene Ablauf- und
Organisationsschemata", sind aufgabenabhängig und "personengebunden,
selbst dann, wenn Institutionen wie die Schule eine Strategie besonders
favorisieren".
Ebenso sind sie Kulturtechniken, mit deren Hilfe
bestimmte Schreibanlässe, anlassbezogen und immer wieder durch andere
ersetzbar, in spezifischen Schreibsituationen bewältigt werden können.
Und je mehr sie sich dabei als erfolgreich verweisen, desto mehr verfestigen sie
sich. (vgl.
ebd. unter Bezugnahme auf
Ortner 2000,
S.351ff.)
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Strategien und Strategietypen bei der Konzeptbildung (Keseling
2004)
▪ Keseling (2004)
stellt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zu den
Schreibstrategien, die er aus seiner (qualititativen) Untersuchung der Schreibgewohnheiten und
Schreibreflexionen von Wissenschaftlern beim Schreiben
wissenschaftlicher Texte gewinnt, die Konzeptbildung, also
Planungsprozesse vor, während und nach dem Schreiben in den Mittelpunkt.
Er unterscheidet ▪ Strategien
und Strategietypen
voneinander und versucht die anhand eines Schemas graduell zu erfassen.
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Planer, Drauflosschreiber, Versionenschreiber und
Patchworkschreiber (Scheuermann 2011, 2013)
Scheuermann
(2011, 2012)
beschäftigt sich auf der Grundlage ihrer schreibdidaktischen Praxis mit vier
Schreibtypen, die ihr nach eigenen Angaben am häufigsten begegnen und
bezeichnet sie "mit selbsterklärenden Namen (...), um das Einprägen zu
erleichtern" als: "Planer, Drauflosschreiber, Versionenschreiber und
Patchworkschreiber" (Scheurmann
2012, S.52, 52-60)
Auch wenn sie an gleicher Stelle betont, dass jeder wohl
"mehr als einen Schreibtyp verkörpert" und dies nicht nur von
den Vorlieben und Fähigkeiten des einzelnen abhänge, sondern
auch von dem jeweiligen Schreibprojekt, vom Kontext, der
Schreibaufgabe und dem verfügbaren Zeitbudget abhänge, entsteht
bei ihr doch der Eindruck als ob es solche Schreibtypen
tatsächlich gäbe, wenn sie mit ein paar willkürlichen Fragen zum
Selbsttest Leserinnen und Leser herausfinden lassen will,
welcher Schreibtyp man sei.
In dieser Form hat dies wenig Wert und erinnert an den lange
Zeit ebenso schematischen Umgang mit den so genannten ▪
Lerntypen. Hier führt die von
Keseling (2004,
S. 170) vorgenommene Unterscheidung in
▪ Strategien und
Strategietypen sicher weiter.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024
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