Schreibkompetenz besteht aus vier Teilkompetenzen
Das Verfassen von Texten erfordert Schreibkompetenz.
Fix (2008, S.
24) spricht sich aus fachdidaktischen Gründen für die Verwendung des
Begriffs Schreibkompetenz statt des Begriffs Textkompetenz aus.
Zur Schreibkompetenz zählen nicht nur allgemeine Fähigkeiten,
sondern auch spezifische Kenntnisse. Denn: "Wer kompetent Briefe
schreiben kann, ist deshalb nicht per se auch im Abfassen
journalistischer Texte kompetent. Andererseits gibt es auch Kompetenzen,
die sich übertragen lassen bzw. die gleichermaßen in allen Texten
benötigt werden, z.B. Strukturierungsfähigkeit." (Kruse/Jakobs
1999, 21).
Fix (2008, S.33)
definiert
die Schreibkompetenz als die Fähigkeit
"Fähigkeit
-
pragmatisches Wissen,
-
inhaltliches (Welt- und bereichsspezifisches) Wissen,
-
Textstrukturwissen,
-
Sprachwissen
in einem Schreibprozess so anzuwenden, dass das Produkt den
Anforderungen einer (selbst- und fremdbestimmten)
Schreibfunktion
(z. B. Anleiten, Erklären, Unterhalten ...) gerecht wird. Dazu gehört die Integration von folgenden Teilkompetenzen:
-
Zielsetzungskompetenz (Setzen eines konkreten Schreibziels
aufgrund der Analyse der Schreibfunktion und -situation
(Leserantizipation: Wissen über die Angemessenheit des
Geschriebenen für die Leser)
-
Inhaltliche Kompetenz (Vorwissen aktivieren, neues Wissen rezipieren, Semantik)
-
Strukturierungskompetenz (eine sinnvolle, kohärente
Textstruktur finden, ein Textmuster realisieren)
-
Formulierungskompetenz (operationales Sachwissen, bis hin
zur motorischen Umsetzung; Syntax, Lexik, Morphologie,
Orthografie), Revisionskompetenz (Problemdiagnosefähigkeit,
Überarbeitungsverfahren)." (im Original kursiv, d. Verf.)
Die Teilkompetenzen hängen voneinander ab
Wer schreibt, stützt sich nicht einfach nacheinander (linear)
oder irgendwie Schritt für Schritt auf die eine und dann die andere
Teilkompetenz. In Wirklichkeit kommt mal die, mal jene zum Zuge oder
mehrere werden sogar miteinander gebraucht. Die Anwendung der
Teilkompetenzen, ihre Integration in das Gesamtkonzept ist beim
Schreiben, wie Fix (ebd.,
S.26)
rekursiv
(zurückverweisend) und interdependent
(voneinander gegenseitig abhängend).
Das leisten die Teilkompetenzen
Dabei geht es
darum, sich auf der Grundlage einer Analyse und Einschätzung
der
Schreibfunktion und -situation ein möglichst konkretes
Schreibziel
zu setzen. Das geht allerdings nur, wenn man sich eine
Vorstellung von seinem Leser macht und bedenkt, ob das
Schreibziel für diesen angemessen ist.
Um sein
Schreibziel mit einem bestimmten Schreibprodukt erreichen zu
können, muss man zunächst einmal, sein Vorwissen
aktivieren (Weltwissen)
und sich Gedanken darüber machen, ob man weiteres Spezialwissen dazu braucht oder nicht. Wenn ja, muss man
sich dieses Wissen beschaffen. Und zur Recherche neuen
Wissens braucht man eben auch
Lesekompetenz.
Texte werden im Allgemeinen nach bestimmten
Textmustern
oder Textschemata
mit einem Bündel von Merkmalen (Textsorten)
geschrieben, denen wir beim Schreiben manchmal intuitiv, manchmal sehr
bewusst folgen. Wer schreibt, strukturiert seinen Text und muss dabei eine sinnvolle,
kohärente
Textstruktur finden. Dabei müssen verschiedene Dinge berücksichtigt
werden, z. B.
-
die Beurteilung und Strukturierung von Informationen
-
die
Entwicklung einer Vorstellung über den Textaufbau und Entfaltung des
Textthemas
-
die
Planung eines entsprechen Textkonzepts
-
die
Bestimmung und Festlegung von Inhalten
-
die
Reflexion über das weitere Vorgehen
Dazu zählt
schlicht alles, was man zum Schreiben als Tun überhaupt
braucht. Das beginnt mit dem Schreibenkönnen als
motorische Tätigkeit und reicht bis zum sprachlich-stilistischen Ausdruck und der
Rechtschreibung. Aber auch die Fähigkeit zur
Überarbeitung eines Textes gehört dazu (Revisionskompetenz),
die auch erst einmal bei unterschiedlichen
Schreiberfahrungen erworben sein will.
Es gibt auch andere Modelle der Schreibkompetenz
Baurmann
(2002/2008, S.13f.) unterscheidet im "Rahmen eines weiten
Kompetenzbegriffs" vier verschiedene Teilkompetenzen, die beim Verfassen
von Texten entfaltet werden. Er zählt dazu die
inhaltlich-fachliche, die
methodisch-strategische, die
sozial-kommunikative und die
personale Kompetenz.
Am Beispiel des
Verfassens von
Briefen und brieflichen Mitteilungen lässt sich das Zusammenspiel
dieser vier Teilkompetenzen besonders gut zeigen. (→Privater
Geschäftsbrief)
Die Denkfigur des schreibenden Experten
Lange Zeit ist die
Denkfigur des schreibenden Experten
in der
Schreibdidaktik vorherrschend gewesen. Und dementsprechend hat diese
Auffassung auch die
Schreibpraxis bzw. die Arbeit am Text in Schule und Unterricht
nachhaltig beeinflusst.
Im Zusammenhang mit der Forderung
nach Bildungsstandards ist diese Denkfigur wieder verstärkt ins Spiel gebracht
worden.
Die Denkfigur des schreibenden Experten mündete
ursprünglich in einem allgemeinen pädagogischen Imperativ,
der inzwischen auch kompetenztheoretisch fundiert wird. Dieser soll
helfen "die Distanz der Lernenden zu den
Experten zu verringern und ihnen den Zugang zu 'reifen' Formen des
Schreibens zu eröffnen" (Portmann
1966, S.158).
Als Konsequenz daraus wird unter pädagogischer wie kompetenztheoretischer Sicht
gefordert, "dass sich die schulische Arbeit am Verhalten von Experten
orientiert: an ihrer Fähigkeit zum Planen und zum Überarbeiten, an ihrem
Engagement für den Text. Die Wege, die zum Text führen, sollen nach
diesem Vorbild gestaltet werden." (ebd.,
S.159)
"Fernziel ist," so pointiert
Portmann (1966,
S.159) seine diesbezüglichen Aussagen, "dass die Schülerinnen und
Schüler so schreiben können wie die Experten."
Im Integrationsmodell zur
Schreibentwicklung, wie es Carl
Bereiter (1980)
vorgelegt hat, wäre dies dann erreicht, wenn ein Lernender das Stadium
des epistemischen bzw.
epistemisch-heuristischen Schreíbens erreicht hat.
Was die Denkfigur des Experten ausmacht, hat
Portmann (1966,
S.158f.) so treffend dargestellt, dass wir es hier in einem etwas
längeren Auszug zitieren:
"Einen Text schreiben können heisst fähig sein,
selbständig Gedanken aufzurufen, zu strukturieren und ihnen einen
angemessen sprachlichen Ausdruck zu geben. Schreiben erfolgt unter
spezifischen Bedingungen; zu ihnen gehören die Abwesenheit des
Adressaten, die relative Langsamkeit des Produktionsprozesses, die
Sichtbarkeit der Ergebnisse, die Kontrollierbarkeit inhaltlicher und
sprachlicher Aspekte am Produkt, die Möglichkeit der Veränderung des
Geschriebenen. Ein Experte (Hervorh.
d. Verf.) auf dem Gebiet des Schreibens ist eine Person, die es
versteht, diese Bedingungen optimal zu nutzen. Sie kennt ihre
Absichten, weiss Bescheid über eine Sache, beherrscht Text- und
Sprachnormen. Aufgrund dessen kann sie den Prozess der
Textproduktion effizient anlegen: Planungs-, Formulierungs- und
Überarbeitungsprozesse werden zielgerichtet eingesetzt, verschiedene
Aspekte des Textes werden notfalls nacheinander abgearbeitet (etwa
Inhaltsplanung, Formulierung, stilistische Feinarbeit), Details des
Textes werden vor dem Hintergrund des präsumptiven Ganzen behandelt,
für auftretende sachliche, textuelle oder sprachliche Probleme
stehen Lösungsstrategien bereit. Experten sind des weiteren in der
Lage, ihre eigenen Produkte mit einer gewissen Distanz wahrzunehmen
und das, was sie auszudrücken versuchen, zu vergleichen mit dem, was
sie als Leser ihren Texten entnehmen. Dies setzt eine gewisse
metakognitive Reife voraus, das heisst die Fähigkeit, die eigenen
geistigen Tätigkeiten und Einstellungen zu erkennen, zu
objektivieren und bewusst damit umzugehen."
In der Schule ist die Zielvorstellung nicht
unumstritten
Gegen dieses Expertentum als Zielvorstellung schulischen
Schreiblernens gibt es allerdings auch gewichtige Einwände. Sie
hinterfragen den Stellenwert des Experten-Modells für
die Vermittlung von Schreibkompetenz und problematisieren ihn.
Auch das kreative Schreiben und andere
Schreibstrategien entwickeln und fördern Schreibkompeten
Es ist
keineswegs ausgemacht, dass sich Schreibkompetenz nur über das "Oberflächenverhalten"
von Schreibexperten vermitteln lässt, die, wie in der Darstellung
zur besagten Denkfigur verdeutlicht, ihren Schreibprozess kontrollieren und
organisieren können.
Eine weitaus größere Rolle könnten auch "tieferliegende
Kompetenzen" haben, die sich auf kein festgelegtes Verhaltensmuster
zurückführen lassen, sondern in hohem Maße vom Kontext abhängig
sind, in dem das Schreiben stattfindet.
Und wenn dies der Fall ist,
dann könnten u. U. auch andere Arten der Arbeit mit Texten ebenso
oder zumindest in bestimmten Teilbereichen ebenso zur Entwicklung
und Förderung von Schreibkompetenz beitragen. (vgl.
Portmann (1966,
S.162)
Das kompetenzfördernde Potential von verschiedenen Formen des
kreativen Schreibens, unterschiedlichen Formen
produktiver Textarbeit (z. B.
Texttransformationen etc.) oder auch von Schreibhandlungen mit
anderen
Schreibstrategien wie z. B. bei
dem nicht-zerlegenden Schreiben in einem Zug
(pensée parlée, écriture automatique,
automatisches Schreiben) rückt in dieser Betrachtung auf jeden
Fall wieder in den Blick.
Nötige Beurteilungskompetenzen können in weitaus vielfältigerer
Weise erworben werden
Beurteilungskompetenzen,
die,
wie Portmann
(ebd.) weiter meint, "zu den
unabdingbaren Momenten der Prozesssteuerung" gehören, können
aus anders erworben werden. So können z. B. "Entscheidungen darüber,
was gesagt wird, wie es gesagt wird und ob es schliesslich gut genug gesagt ist", auch in einem für andere
Formen des Schreibens und andere Auseinandersetzungen mit
Schreibprodukten "offeneren, vielfältigeren Schreibunterricht"
angestrebt werden.
Das
emotional-expressive Schreiben kommt in der Schule zu kurz
Zuguterletzt kann es nach Portmann auch nicht alleiniges Ziel schulischen Schreibunterrichts
sein, eine am Experten-Modell ausgerichtete Schreibkompetenz zu
vermitteln, denn "die Bewusstmachung und der Ausdruck von
Erfahrungen" die ebenso zu seinen Zielen gehörten, ließen sich eben kaum mit der Denkfigur des
Schreibexperten in einen förderlichen Zusammenhang bringen. (vgl.
ebd.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024
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