Kooperatives Schreiben beruht auf unterschiedlichen Interaktionen
Wenn mehrere Personen gemeinsam an einem Text schreiben, kann man diesen
Vorgang ganz allgemein als kooperatives Schreiben bezeichnen.
Dabei stellt das gemeinsame Schreibhandeln einen
Interaktionsprozess
dar, bei dem man drei grundlegende Formen der Kooperation
unterscheiden kann (Reither/Vipond
1989, vgl.
Kruse/Ruhmann 2006, S.22):
Co-Authoring |
Workshopping |
Knowledge making |
Ein Text wird von mehr als
einem verantwortlichen Autor gemeinsam verfasst.
Was jeder / jede zum Schreiben beisteuert, wird
aufeinander abgestimmt und zu einem Textganzen
zusammengefügt. |
Das Schreibteam
schreibt schrittweise kooperativ mit Experten auf seinem
Fachgebiet.
Experten geben in unterschiedlichen Phasen des
Schreibprozesses
Feedback. |
Das Schreibteam nimmt explizit
Bezug auf Wissen anderer Autoren, das im
(wissenschaftlichen)
Diskurs
zu einem Thema veröffentlicht worden ist. |
Es gibt einen engen und einen weiten Begriff des kooperativen Schreibens
Während die obige Unterscheidung wohl eher auf das wissenschaftliche
Schreiben zielt, haben unterschiedliche Auffassungen über Umfang und Inhalte
der
Interaktionsprozesse beim kooperativen Schreiben dazu geführt, dass der
Begriff
in der Schreibdidaktik unter dem Blickwinkel schulischen Lernens in einer weiteren und einer engeren Fassung verwendet wird.
-
Für
Wildemann (2007,
S.47) kann man dann von kooperativem Schreiben sprechen, wenn das
gemeinsame Schreiben im Team Planung und Durchführung eines gemeinsamen
Schreibprozesses
im Team umfasst und am Ende in einer gemeinsamen Überarbeitung mündet.
Selbständig schreiben heißt nicht auf sich
allein gestellt schreiben Es ist eine irrige
Auffassung, wenn ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen selbständigem
und eigenverantwortlichem Lernen und kooperativen Arbeitsformen beim
Schreiben konstruiert wird.
Beim prozessorientierten kooperativen
Schreiben bedeutet selbstständig zu schreiben, eben "nicht, bezogen auf
jeden anfallenden Teilschritt, allein zu arbeiten und niemanden zu Rate
zu ziehen, sondern ausführliche Feedback-Schleifen, innerhalb derer
Textentwürfe von anderen gegengelesen und mit oder ohne Anregungen zur
Überarbeitung kommentiert werden, gehören zum selbständigen Arbeiten im
Rahmen kooperativer Schreibprozesse selbstredend dazu." (vgl.
Kruse/Ruhmann 2006, S.17)
Der Begriff kooperatives Schreiben fungiert
dabei als ein Oberbegriff, der zwei verschiedene Formen umfasst,
die sich hinsichtlich ihres Grads der Integration, in Umfang und
Inhalten der Interaktionen ebenso unterscheiden, wie durch das
am Ende entstehende Textprodukt.
Einmal ist es der gemeinsame Text
des gesamten Teams, das andere Mal ein Text eines individuellen
Schreibers, der mit Hilfe eines Teams im Rahmen einer
förderlichen Begleitung
des Schreibprozesses durch sein Team entstehen soll.
Die von
Becker-Mrotzeck/Böttcher (2006/2011, S. 42) vorgenommene
Unterscheidung sieht die beiden folgenden Formen kooperativen Schreibens
vor, wobei das Group writing wohl in etwa dem entspricht, was Wildemann
(s.o.) unter kooperativem Schreiben versteht:

Kooperatives Schreiben begleiten Schreibprozesse in förderlicher Art und
Weise
Die
Vorzüge kooperativ angelegter Schreibprozesse
sind in verschiedenen
Untersuchungen festgestellt worden. Sie belegen, dass kooperatives
Schreiben eine
förderliche Begleitung von Schreibprozessen
darstellt.
-
So hat man, wenn mehrere Schüler
gemeinsam einen Text schreiben, "eine höhere Effizienz im Ablauf der
Textproduktion, höhere inhaltliche und textliche Qualität und erweiterte
Textproduktionskompetenz festgestellt" (Hartley/Tynjälä
2001, zit. n. Bräuer
2010, S.6).
-
Dies sei vor allem auf die im Vergleich mit
individueller Textproduktion kleinschrittiger angelegte
Aufgabenverteilung bei der Bewältigung der Schreibaufgabe
zurückzuführen.
-
Die konversationelle Aushandlung des Textverständnisses
trage ebenso dazu bei wie die Synergieeffekte, die sich aus der
gegenseitigen Ergänzung von Handlungskompetenzen und Weltwissen ergäben.
-
Zudem scheint es so zu sein, dass vor allem noch nicht so versierte
Schreiber bei der Bewältigung von
Schreibaufgaben größere Fortschritte
erzielen als in einem individuellen Schreibprozess. (vgl.
Lehnen 2000)
Was für kooperative Lernarrangements im Allgemeinen gilt, lässt
sich wohl auch auf das kooperative Schreiben übertragen. Sie
"stellen eine Möglichkeit dar, Hürden bei der Planung zu
überwinden und so den Erwerb von Konzeptionskompetenzen zu
stützen. Der Austausch über Strukturierungs - und
Kategorisierungsoptionen, die Konfrontation mit den
Wissenskonstruktionen anderer kann zur Reflexion und Erweiterung
des eigenen Wissens und der individuellen Konzeptionsstrategien
führen (vgl.
Higgins/Flower/Petraglia 1992,
Lehnen 2000)."
(Lehnen/Schüler
o.J.)
-
Sie verbessern damit ganz allgemein ihre
Schreibkompetenz
in allen
Teilbereichen (Zielsetzungskompetenz,
inhaltliche Kompetenz,
Strukturierungskompetenz,
Formulierungskompetenz)
und stärken dabei vor allem
ihre Lese- und Rezeptionskompetenz sowie ihre
Formulierungskompetenz.
Kollaboratives Schreiben und kollaboratives Lernen sind Formen des
sozialen Wissenserwerbs
Collaborative Writing steht
dabei in der amerikanischen Schreibforschung, die sich schon
vergleichsweise lange mit diesen Verfahren beschäftigt hat, "von Anfang an in
einem engen Zusammenhang zu kooperativen Lernprozessen (Collaborative
Learning)" und "wird als Praktik reflektiert, mit der sich
Prozesse des Erwerbs und der Reflexion von Wissen als Gruppenprozesse
anleiten lassen - als
Prozesse des sozialen Wissenserwerbs." (ebd.,
S.3, Hervorh. d. Verf.)
Kollaborative Schreibprozesse, die sich auf Plattformen und Instrumente
des Web 2.0 (z. B. Wikis) stützen, bleiben an dieser Stelle außen vor.
Hier geht es zunächst um herkömmliche Formen kooperativen Schreibens im
Unterricht, die auf einer überwiegend synchronen
Face-to-Face-Kommunikation beruhen.
Kooperatives Schreiben ist Ergebnis fortlaufender
Verständigung der Teammitglieder
Ob kooperatives Schreiben seine Vorzüge gegenüber einem
individuell angelegten Schreibprozess entfalten kann, ist dabei nicht
allein davon abhängig, wie häufig jemand schon so vorgegangen ist und
welche Erfahrungen er dabei gemacht hat.
Maßgeblichen Einfluss darauf
hat auch die jeweilige Schreibaufgabe, zu der die
Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der gemeinsame
Text entstehen soll, in den Gruppenprozess einbringen. (vgl.
ebd
S. 4)
In der Face-to-face-Kommunikation des kooperativen Schreibens
müssen die Beteiligten , das ist das Grundprinzip, "ihre Verständnis- und
Verständigungsprobleme aktuell thematisieren bzw. verbalisieren und
diese aushandeln." (Becker-Mrotzeck/Böttcher 2006/2011, S. 41 unter Bezugnahme auf
Lehnen/Gülich 1997, S.113)
Solche konversationellen Schreibinteraktionen,
die die Textproduktion zu einem Aushandlungsprozess zwischen den
verschiedenen Beteiligten werden lässt, liegen auch Richtlinien für
schulische Lehr-/Lernprozesse in der Sekundarstufe II zugrunde, wie sie
in Nordrhein-Westfalen zur Standardsicherung beim "»Schreiben
als Teamarbeit" vorgegeben werden.
Dort wird nicht
nur der Prozesscharakter des schulischen Schreibens betont, sondern auch die besondere
Eignung von Schreibkonferenzen für
das kooperative Schreiben in der Sekundarstufe II herausgestrichen:

In der Schule ist das kooperative Schreiben noch nicht weit verbreitet
Trotz Vorgaben wie in NRW dürfte das kooperative Schreiben in der Schule
heute immer noch nicht die Verbreitung gefunden haben, die ihm
eigentlich gebührt.
Wenn dann wird es wohl in Form des schrittweisen kooperative Schreiben (interactive writing)
praktiziert. Im Gegensatz zum Group writing, bei dem der gesamte
Schreibprozess Ergebnis fortwährender und, zugegebenermaßen, nicht nur
zeitraubender, sondern auch störungsanfälliger "Aushandlungsarbeit"
darstellt, lässt sich die Kooperation beim schrittweise kooperativen
Schreiben eben auch punktuell durchführen.
Dessen ungeachtet haben es
sicherlich beide Formen des kooperativen Schreibens in der Schule nicht
unbedingt leicht,
-
weil es
einen höheren Planungsaufwand mit sich bringt, prinzipiell auch
wegen gruppendynamisch bedingter Reibungsverluste prinzipiell
störungsanfälliger und dazu noch mehr Zeit beansprucht
-
weil die
Bewertung der individuellen Leistung im Rahmen eines Group-Writing-Prozesses
äußerst schwierig und beim Interactive
Writing zumindest aufwändiger ist.
Group writing - alle schreiben alles gemeinsam
Die kooperative Textproduktion, wie
Kruse /Ruhmann (2006, S.21) das
Group
writing bezeichnen, besteht darin, dass sich zwei oder mehrere
Personen daran machen, einen Text gemeinsam zu schreiben. Dazu müssen
sie sich über alle Schreibhandlungen in den verschiedenen Phasen des
Schreibprozesses miteinander verständigen.
-
Dies bedeutet, "die
gewöhnlich implizit stillschweigend verlaufenden Schritte der
Textproduktion für die mitschreibende(n) Persone(n) zu explizieren." (ebd.)
-
Dieser Zwang die impliziten Schritte beim Planen, Formulieren und
Überarbeiten im Austausch mit den anderen zu verbalisieren, ist der
Vorzug auch dieser Form des kooperativen Schreibens gegenüber einem nur
individuell gestalteten Schreibprozess.
-
Im Gespräch und in den
Verhandlungen über den Text erreichen alle Teilnehmer der Schreibgruppe
einen höheren Grad der Reflexion und müssen dazu ein hohes Maß an
sozialer Kompetenz zeigen, um zu von allen akzeptierten Lösungen in
allen Phasen des Schreibprozesses zu gelangen.
-
Dass ein solches
Verfahren sehr zeitintensiv ist und den Schreibprozess nicht wirklich
entlastet, ist die Kehrseite einer wohl mehr an der Förderung der
Sozialkompetenz als an der Entwicklung von
Schreibkompetenz ausgerichteten Methode.
Schrittweise kooperatives Schreiben fördert die Schreibentwicklung
Trotz alledem: Für die individuelle Schreibentwicklung stellt das
schrittweise
kooperative Schreiben (interactive writing) eine besonders gute,
weil besonders lernfördernde Gestaltung des Schreibprozesses in einem
System von Schreibberatung dar.
-
Die
Überarbeitung des Textes findet nicht in einer besonderen Phase am
Ende des Schreibprozesses statt.
-
Die
Leser-Perspektive kann schon sehr frühzeitig in den Schreibprozess
hereingeholt werden und wird damit ein ganz wesentlicher Bestandteil
der Textherstellung.
-
Schüler/innen machen, wenn sie auch als (kritische) Leser zur
(kooperativen) Textproduktion beitragen, dabei Erfahrungen, die sie
auch auf ihr eigenes Schreiben anwenden können.
-
Der
ständige
Wechsel zwischen individuellem Produzieren des eigenen Textes und
dem kooperativen Austausch über die jeweiligen Textentwürfe
schaffen die für Überarbeitungsprozesse nötige Distanz zum
eigenen Textprodukt. Dadurch entsteht auch ein Verständnis für
die einen effektiven Schreibprozess in allen Stadien begleitende
Revision. (Überblick Schreibkonferenz)
-
So kann es
am Ende dazu kommen, dass der Überarbeitungsprozess so verinnerlicht
wird, dass er letzten Endes selbständig ausgeführt wird.
-
Für die
Einübung des schrittweisen kooperativen Schreibens eignet sich die
Schreibkonferenz besonders gut,
aber auch andere Formen des kooperativen Schreibens wie z. B. das
Papier-Posting, das
Experten-Team, das
Über-den-Rand-hinaus-Schreiben
oder Schreibzirkel können dies
bei entsprechender Einführung ebenso leisten.
(vgl.
Becker-Mrotzeck/Böttcher 2006/2011, S. 43f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.07.2020
|