Auf welche Mittel
und Methoden zurückzugreifen ist, wenn im Literaturunterricht
erzählende
Texte zu analysieren und zu interpretieren sind, hängt von den
erworbenen oder zu erwerbenden Kompetenzen im Umgang mit solchen
Texten, von den Lehr- und Lernzielen und vor allem von den Aufgaben
ab, die keine oder einzelne bzw. mehrere Vorgaben für die
"Textarbeit" machen. In Lern- und Übungsaufgaben wird man häufig
Vorgaben zur "Textarbeit" finden, die sowohl den Weg als auch
Methoden angeben, wie man bei der Erfassung eines erzählenden Textes
sinnvollerweise vorgehen soll.
Dabei
wird hier, im Kontext des Annotierens, unter Erfassung des Textes
nicht allein die Texterfassung i. e. S. verstanden, wie sie als Teil
des •
Rahmenkonzeptes des untersuchenden Erschließens ausgewiesen
wird, oder als einzelne engmaschig angelegte Aufträge zur
"Textarbeit". Es geht also um mehr als einfach nur um das Markieren
und Hervorheben mit unterschiedlichen grafischen Mitteln.
Hier steht das
Annotieren für eine den gesamten Verstehens- und
Interpretationsprozess bzw. Schreibprozess begleitende textbezogene
Technik, die von einem vorwiegend •
kognitiv-analytischen Zugang ausgeht und diesen, quasi als Folie
(Annotat) über den Text gelegt, dokumentiert.
Das Annotat eines
erzählenden Textes ist dabei das Resultat unterschiedlicher •
Primärstrategien beim •
Lesen eines Textes (•
Wiederholungs-,
• Elaborations-
und •
Organisationsstrategien)
und zugleich auch selbst eine metatextuelle, •
grafische Darstellungsstrategie
für den ▪
hermeneutischen Prozess des Textverstehens
im Allgemeinen und die schulische •
Analyse und die Interpretation eines literarischen, also auch •
erzählenden Textes im Literaturunterricht.
Das Annotieren
eines erzählenden Textes kann dabei auch in
• komplexe Lese- und Rezeptionsstrategien
integriert werden, wie z.B. die ▪ PQ4R-Methode
und deren Ergebnisse dokumentieren sowie, ganz allgemein, den
•
gedanklichen Zirkel- bzw. Spiralbewegung zum eigenen
Textverständnis im ▪
hermeneutischen Prozess des Textverstehens
unterstützen.
Wie bei allen
Texten, die annotiert werden sollen, Markierungen, Hervorhebungen
und Anmerkungen mit Bedacht gewählt und angebracht werden, wie dies
z. B. im nachfolgenden Beispiel der Fall ist.
Bei längeren
Texten, die einem in analoger Form z. B. als Buch vorliegen, kann
man außer Markierungen innerhalb des Textes vor allem auch
Randkommentare mit Abkürzungen verwenden, die bestimmte inhaltliche,
erzähltechnische oder sprachlich-stillistische Merkmale
identifizieren sowie Querverweise anbringen.
Abkürzungen und grafische Zeichen als Symbole verwenden
Außer
Unterstreichungen und Hervorhebungen aller Art kann man bestimmte
grafische Symbole und Abkürzungen verwenden, um am Rand des Textes
Markierungen anzubringen.
Randmarkierungen |
Markierungen
innerhalb des
Textes |
Randkommentare
, z. B. |
/
|
wichtig |
//
|
sehr wichtig |
! |
erstaunlich |
? |
fragwürdig |
+
|
gut |
-
|
schlecht |
|
einkreisen
einkasteln
unterstreichen
mit
durchgezogenen/gestrichelten Linien verbinden
einzelne, für unterschiedliche Aspekte verschieden farbige Markierungen mit Leuchtmarker
anbringen |
Raum
eZ
(erzählte Zeit)
EZ (Erzählzeit)
Ch F1
(Charakteristik Figur 1)
- z. B. Ch
E (Charakteristik Effie)
EP
(Erzählperspektive)
EPa (auktoriale
Erzählperspektive), EPp
(personale E.)
Metapher
Vergleich
|
Wofür man sich
dabei entscheidet, ist natürlich ins Belieben des Einzelnen
gestellt. Wichtig ist nur, dass die angebrachten Annotationen ihren
Zweck erfüllen.
Annotieren im Multilayer-Verfahren
Bei kürzeren
erzählenden Texten wie z. B. Kurzgeschichten, Parabeln oder
Ausschnitten aus einem umfangreicheren Text, kann man sowohl bei der
analogen als auch der digitalen Textbearbeitung die Analyse und
Interpretation des Textes mit einem Multitlayer-Verfahren bei der
Annotation gestalten. Darunter verstehen wir eine Technik, bei der
für sämtliche oder ausgewählte Erschließungs- und Analyseaspekte
eine gesondertes Annotat (Folie, Layer) erstellt wird.
Dies hat den
Vorteil der Konzentration auf den jeweiligen Aspekt und bietet
darüber hinaus auch die Möglichkeit, die Annotationen für den
betreffenden Untersuchungsaspekt mit hinreichend Raum und
Gestaltungsmöglichkeiten vornehmen zu können. Auch können auf diese
Weise bestimmte Untersuchungsaspekte nebeneinander gestellt,
aufeinander bezogen und verglichen werden, so dass auch die
Integration der jeweiligen Ergebnisse im Hinblick auf die
Gesamtanalyse im Zuge der Bewältigung von Schreibaufgaben
gewährleistet sein kann.
Beim
analogen
Annotieren kürzerer Erzähltexte bedeutet dies natürlich
auch, dass der Papieraufwand steigt, was u. U. ökologisch
begründeten Einwände führen könnte. Hier werden diese aber aus
didaktischen Gründen hintangestellt, die aber auch den Schülerinnen
und Schülerinnen gegenüber erläutert und vertreten werden können.
Methodisch kann das
Angebot oder die Vorgabe, einen Text oder bestimmte Textaspekte im
Multilayer-Annotationsverfahren zu analysieren, dadurch umgesetzt
werden, dass den Schülerinnen und Schülern zwei verschiedene
Versionen des Textes zur Verfügung gestellt werden.
-
Die erste Version
enthält den Text mit der Aufgabenstellung. Im besten Fall ist
der literarische Text dabei mit einer Zeilennummerierung
versehen.
-
Die zweite
Version enthält nur den Text, wobei die Seitengestaltung
insgesamt für das Annotieren eingerichtet sein sollte. Dieser
muss in der Regel als Objekt verkleinert werden (so bleibt die
Zeilennummerierung erhalten), um ihn z. B. in der Mitte der
Annotationsvorlage platzieren zu können. Die Verkleinerung kann
dabei fotomechanisch an einem Kopierer mit entsprechender
Verkleinerungsfunktion oder mit Hilfe eines digitalen
Screenshots vorgenommen werden. Die verkleinerte Textvorlage
wird dann auf einem leeren Blatt positioniert (analog "geklebt"
oder digital per copy and paste) an der geeigneten Stelle (in
der Regel mittig) platziert. Unter Umständen empfiehlt sich
auch, das Papierformat von DIN A4 auf DIN A3 zu verändern, um
noch mehr Raum zu schaffen. Ein solches Format eignet sich
insbesondere dann, wenn alle Annotationen am Ende noch einmal
überarbeitet und in ein einziges Annotat integriert werden
sollen, was z. B. in einem
teilweise kooperativ angelegten
Schreibprozess angestrebt werden sollte.
Die
Annotationsvorlage kann dabei für unterschiedliche Zwecke und in
unterschiedlichen Phasen des Schreibprozesses eingesetzt werden. Das
Multilayer-Annotationsverfahren eignet sich vor allem für
Lern- und
Übungsaufgaben. Es spricht allerdings auch nichts dagegen, wenn
Schülerinnen und Schülern bei der Bewältigung von Leistungsaufgaben
zur Analyse und Interpretation kürzerer erzählender Texte entweder
eine zusätzliche Annotationsvorlage des jeweiligen Textes angeboten
wird oder auf einem Stapel solche Vorlagen angeboten werden, von dem
sie sich nach Bedarf bedienen können.
Auch beim
digitalen
Annotieren kürzerer Erzähltexte wird in vergleichbarer Art
und Weise vorgegangen. So kann man z. B. für unterschiedliche
Untersuchungsaspekte unterschiedliche Dateien anlegen und
bearbeiten.
Erzählende Texte im Multilayer-Verfahren annotieren
Für kürzere
erzählende Texte kann man das Multilayer-Verfahren auf die
Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben beziehen, die im Rahmen von
Schreibaufgaben zur Analyse und Interpretation erzählender Texte von
Belang sein können. Die Analyseaspekte können dabei je nach
Schreibaufgabe unterschiedlich ausfallen.
Für eine allgemeine
Analyse, die ohne entsprechende aspektorientierte Vorgaben, von den
Schülerinnen und Schülern selbst vorgenommen werden muss, können z.
B. Layer für folgende Aspekte der Analyse und Interpretation
angelegt werden.
-
Erstleseeeindrücke (▪
Vorverständnis)
-
Was wird erzählt, z. B. wichtige Textstellen,
Handlungselemente, Personen, •
Raumgestaltung,
•
Figurengestaltung)
-
Wie wird erzählt,
z. B. •
Zeitgestaltung
(Erzählgeschwindigkeit), •
Erzählsituationen /
Erzählperspektiven (Stanzel), •
Darstellung von Rede und
mentalen Vorgängen (Darstellungs-/Darbietungsformen),
-
"Sinnbrücken"
(•
Inferenzbildung auf Textebene: allgemein, aspektorientiert)
-
Sprachliche und
stilistische Gestaltung (z. B. Wortebene, Satzebene, Stil)
-
Textexterne
Bezüge zur
Sinnkonstruktion (z. B. biografische,
literaturgeschichtliche, auf das eigene Weltwissen bezogene)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
14.03.2024
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