Der Ödipus-Konflikt
In der
psychosozialen Entwicklung durchläuft ein Kind nach
»Sigmund Freud (1856 -1939)
auch die
phallische psychosexuelle Phase (ca. zwischen dem 3. bis 5.
Lebensjahr, in der sich die Triebenergie (Libido)
erstmals auf soziale Objekte bezieht und mit sozialen
Beziehungen verquickt wird.(vgl.
Fend 32003, S.82)
Freud nahm an, "dass Jungen in der
phallischen Phase die genitale Stimulierung suchen. Unbewusst
richten sie ihre sexuellen Wünsche auf die Mutter und entwickeln
Eifersucht und Hass auf den Vater, den sie als Rivalen betrachten.
Mit solchen Gefühlen entwickeln Jungen vermutlich Schuldgefühle und
eine schleichende Angst vor Bestrafung, vielleicht die Kastration
durch den Vater. Diese Ansammlung von Gefühlen nannte Freud Ödipuskomplex". (Myers 2005,
S.570)
Analog dazu glaubte Freud - ganz sicher ist dies aber nicht
(vgl.
ebd.)
- dass auch ein Mädchen seinen gegengeschlechtlichen
Elternteil, den Vater, begehrt und sich von diesem ein Kind wünscht,
was er als Elektra-Komplex
bezeichnet hat.
Das Konzept des Ödipus-Konflikts in der
Literaturwissenschaft
Auch
wenn das Konzept des Ödipus-Konflikts, wie manch anderes in Freuds
Theorie, mittlerweile umstritten ist, "da es in einer Zeit entstand,
für die eine Tabuisierung der Sexualität charakteristisch war" (Grosses
Wörterbuch Psychologie 2005, S.246), genießt die Theorie vom
Ödipus-Konflikt und dem Ödipus-Konflikt eine große Verbreitung und
wirkt insbesondere in die
Literaturwissenschaft hinein, wo sie immer wieder als Modell zur
Interpretation herangezogen wird (z. B. bei der Interpretation von
Werken
Franz Kafkas).
Auch im Kontext der Diskussion um den sexuellen
Kindesmissbrauch in den Familien hat das Konzept des
Ödipus-Komplexes eine Rolle gespielt. (vgl.
ebd.)
Begriffe: Ödipus-Konflikt und Ödipus-Komplex
Während der Begriff des Ödipus-Konflikts auf eine quasi "normale"
Konfliktlage in der phallischen Phase verweist, zielt der Begriff
des Ödipus-Komplexes darauf, die Wirkungen zu beschreiben, die bei
einem Nichtlösen dieser Konflikte, einer Fixierung auf die auch
"ödipal" genannte psychosexuelle Phase im Erwachsenenalter
auftreten.
Der antike Mythos
Beide Begriffe beziehen sich ihrer Herkunft nach auf die
Figur des »Ödipus
aus der »griechischen
Mythologie. Der antike Mythos ist in zahlreichen Quellen
überliefert, die Tragödienfassung "»König
Ödipus" durch »Sophokles
(griech.
Σοφοκλῆς) (497/496 v. Chr.- 406/405 v. Chr.) wohl aber die
bekannteste Form. "Ödipus hatte – ohne es zu wissen – seinen eigenen
Vater, König »Laios
von »Theben,
in einem Handgemenge getötet. Später, nachdem er erfolgreich das »Rätsel
der Sphinx gelöst hatte, erhielt er als Belohnung seine eigene
Mutter »Iokaste
zur Ehefrau – auch dies ohne sein Wissen. Als er erkennt, dass er
mit seiner Mutter jahrelang im »Inzest
gelebt hat, sticht er sich die Augen aus und geht als blinder Mann
ins Exil. Ödipus’ Geschichte wird bei Sophokles geschildert als von
vornherein vom Schicksal besiegelte und durch ein Orakel
vorhergesagte Tragödie, die Ödipus mehr oder weniger unfreiwillig
widerfährt." (Ödipus-Konflikt,
Wikipedia, 9.12.09)
Der Ödipus-Konflikt bei Freud
Der Mythos von Ödipus brachte für
»Freud (1856 -1939)
auf den Punkt, was er in seiner Arbeit als Psychoanalytiker festzustellen
glaubte: Im Unbewussten entwickelten sie ein sexuelles Begehren gegenüber
ihrer eigenen Mutter.
Da die männlichen Kinder in ihrer Vorstellung dadurch
den Vater als Rivalen haben, dieser in ihren Augen aber viel stärker und
mächtiger ist, fühlen sie sich von diesem bedroht.
Das geht soweit, dass sie
fürchten, von ihm gar entmannt (kastriert) zu werden. Sexuell an die Stelle
des Vaters zu treten, bedeutet letztlich die Bereitschaft und den Wunsch
nach Inzest, dessen realer und imaginativer Vollzug bis in archaische
Gesellschaften mit einem
Inzesttabus verwehrt und von der Bibel als "Blutschande"
gegeißelt wird.
Nur derart festgefügte soziale Normen sind, so nahm Freud
an, in der Lage, den Inzestwunsch in Schach zu halten. Und gerade dies
schien ihm Beweis genug, auf der anderen Seite eine triebenergetische Kraft
am Wirken zu sehen, die eine solche soziale Gegenwehr erforderlich machte,
wenn der "normale" Weg der Verdrängung des Wunsches nicht genug Sicherheit
bieten konnte.
In der Lösung des Konfliktes, den das ödipale Begehren
darstellt, müssen sich die Beteiligten des "ödipalen Dreiecks" (Kind,
Mutter, Vater) bewähren, damit der Ödipus-Konflikt im Idealfall überwunden
wird und nicht in einem Ödipus-Komplex endet.
Ein
günstiger Ausgang des ödipalen Konflikts ist gegeben, wenn das Kind auf den
Inzestwunsch verzichtet und aufhört, den Vater als Rivalen zu bekämpfen.
Gar
nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass das Kind in diesem Konflikt Gefühle
von Eifersucht auf den väterlichen Konkurrenten und Schuldgefühle wegen dem
Wunsch, ihn auszuschalten, ebenso plagen, wie die Vorstellung seine eigene
Männlichkeit durch Kastration zu verlieren.
Deshalb also der "geniale Trick"
der Psyche
(Fend
32003, S.82): Identifikation.
"Es ist, als ob eine Instanz im Inneren des Kindes
sagte: »Wenn du ihn (den gleichgeschlechtlichen Elternteil) nicht ausstechen
kannst, dann verbünde dich mit ihm.«" (Myers 2005,
S.570)
Die Identifikation mit dem Aggressor
In die Rolle des Vaters zu schlüpfen, dabei so tun, als sei sie selbst
der Vater, um dadurch den gegengeschlechtlichen Partner zu "besitzen" ist
es, was Freud, die Identifikation mit dem Aggressor nennt. (vgl.
Fend
32003, S.82)
Was sich hier wie eine abwertende
Äußerung zu einem Verhalten des Kindes anhört, ist dies mitnichten. Denn,
was sich hier, wenn alles mit "normalen Dingen zugeht", durch die
Verquickung der Libido mit sozialen Beziehungen abspielt, ist zwar der
Beginn des "Dramas der Beziehungskonflikte" (ebd.),
ohne aber - bei ihrer Bewältigung - stets die tiefer liegende Ursache
jedweden späteren Beziehungsdramas zu sein.
Strukturbildung der Psyche
Im Ödipus-Konflikt findet die Strukturbildung der Psyche statt, werden die Systeme Es, Ich und
Über-Ich strukturell verankert und für eine (um-)welt- und
innenweltangepasste Triebbefriedigung funktional einander angepasst. (vgl.
ebd.)
Der Prozess der Identifikation, den das Kind in der
phallisch-ödipalen Phase durchmacht, führt jedenfalls dazu, dass "das
Über-Ich des Kindes an Stärke (gewinnt), denn das Kind übernimmt viele
elterliche Wertvorstellungen" (Myers 2005,
S.570), beginnt sich selbst so zu zensieren, als ob es der Vater oder die
Mutter wäre: "Eine perfekte Übertragung" von Normen findet statt. (Fend
32003,
S.82)
Das Kind wächst auf diese Weise auch in seine
Geschlechtsrolle hinein, die ihm im
Falle eines Jungen ermöglichen sollte, den infantilen Wunsch nach dem Besitz
der eigenen Mutter in den reifen Wunsch, jemanden wie die eigene
Mutter zu besitzen und es so dem Vater gleich zu tun – jedoch außerhalb der
eigenen Familie" (Ödipus-Konflikt,
Wikipedia, 9.12.09) zu verwandeln.
-
Sind die sexuellen Wünsche gegenüber
dem gegengeschlechtlichen Elternteil auf diese Weise verdrängt, kann der
Übergang zur psychosexuellen Phase der Latenz vollzogen werden.
-
Gelingt es
dagegen nicht, kommt es zu einer Fixierung auf die phallisch-ödipale Phase,
von der Freud annahm, dass sie bei Jungen häufig auftritt (vgl.
Bourne/Ekstrand 1992,
42005, S.371). In der Folge kann es zu psychischen
Störungen kommen, die bis ins Erwachsenenalter hineinwirken.
Unter Umständen Auswirkungen auf ein ganzes Leben
Bei aller
Vorsicht vor zu schnellen Verallgemeinerungen:
"Ein ganzes Leben kann durch
diesen Komplex verdorben werden. Er kann zur Verweichlichung, Feigheit und
Angst des Mannes, zu einer männlichen Art der Frau führen. Zu den
häufigsten Folgen [Hervorh. d. Verf.]
gehören: gescheitertes Sexualleben, teilweise oder völlige Impotenz,
Frigidität, Schüchternheit, innere Feindseligkeit, ständige Angst,
missverstanden zu werden, Minderwertigkeitsgefühle, anscheinend unbegründete
Schuldgefühle, das Gefühl, überall 'bloß toleriert' zu werden oder für das
Leben nicht gewappnet zu sein, die Aggressivität und schließlich die
Homosexualität." (Darco
82002, S.161)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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