»"Angst
essen Seele auf" lautet der Titel eines filmischen Melodrams von »Rainer
Werner Fassbinder (1945-1982) aus den Jahre 1974 (»IMDB),
in dem er "mit kühler Brillanz die Missachtung von Minderheiten und die
Mechanismen sozialer Unterdrückung" (»Lexikon
des internationalen Films)
zum Thema gemacht hat.
Zugleich zeigt er, "wie subjektive
Befindlichkeit, Unzufriedenheit, Ängste gepaart mit einer erlernten,
anerzogenen (deutschen) Tradition, die sich auf alles 'Fremde', 'Andere‘,
'Andersartige‘ negativ bezieht, Projektionsflächen schafft, um diesem
Negativen in den Projizierenden selbst einen personalen Ausdruck im anderen
zu verschaffen: in der Konstruktion dessen, was man gemeinhin und gemeiner
Weise (in diesem Fall und in dieser Geschichte) !Ausländer‘ nennt.“ (Ulrich
Behrens: Kritik auf Filmzentrale.com →vgl.
Profil von Ulrich Behrens auf
moviepilot.de) )
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Angstabwehr durch das Ich
Für die »Psychoanalyse ist die Untersuchung von Aktivitäten des
▪
Ichs, die der
▪
Abwehr von Ängsten dienen, außerordentlich wichtig.
Sie interessiert sich
dabei vor allem für die unbewussten Anteile der Antworten auf die folgenden
vier Fragen, mit denen sie das Erleben und Handeln einer Person beschreibt:
-
Was wünscht sich die Person?
-
Wovor hat sie Angst?
-
Was unternimmt sie gegen ihre Angst?
-
Welche Befriedigungsmöglichkeiten bleiben ihr?
(vgl.
Haubl u. a. 1986, S.190)
Die Angstabwehr gehört zu den
automatischen Tätigkeiten des Ichs,
mit denen es sich vor der unkontrollierten Dynamik schützt, die das
Fortbestehen eines Angstzustandes für das Erleben und Handeln einer Person
bedeuten könnte. Meist mit einer akzeptablen Ersatzbefriedigung versehen,
verhindert die Abwehr damit eine traumatische Angstentwicklung.
Auch in der modernen psychologischen Forschung, die neue
empirisch fundierte Erkenntnisse gewonnen hat und damit lautstark
verkündet, "dass es Zeit ist, Freuds Ansicht über das Unbewusste aufzugeben"
(Myers 2005, S.610),
hat der Gedanke Freuds, dass wir uns gegen Ängste wehren, durchaus
Unterstützung gefunden.
So wird z.B. in der von
Greenberg u. a. (1997) entwickelten
▪
Terrormanagementtheorie vertreten, "dass der Glaube an die eigene
Weltanschauung und das Streben nach einem hohen Selbstwertgefühl Schutz
bieten gegen eine tief verwurzelte Todesangst." (Myers 2005, S.930)
Verdrängung als Hauptfunktion der Abwehr
Für
»Sigmund Freud (1856 -1939), den Begründer der Psychoanalyse,
stellt die Verdrängung die Hauptfunktion der Abwehr dar.
Mit bestimmten mental-psychischen Mechanismen sollen dabei Vorstellungen
beeinflusst werden,
die wir uns über
ein Objekt unserer Begierde (Libido)
machen, oder, anders gesagt:
Unsere Vorstellungen über ein Objekt, auf das sich
unsere triebhaften
Es-Ansprüche richten (Sachvorstellungen
bzw. Objektbeziehungsvorstellungen), sollen damit beeinflusst werden. Mit
Abwehrmechanismen, die auch im Kontext
psychischer Gesundheit als "Reaktionsbereitschaften" eine große Rolle
spielen, stabilisieren auch "psychisch gesunde" Menschen ein
Handeln und Erleben, das als "normal" gilt. (vgl.
Haubl u. a. 1986, S.198)
Grundsätzlich kann man zwischen sekundären und
primären Abwehrmechanismen unterscheiden. Sie kommen einzeln, aber auch in
Kombination miteinander vor. Sie treten - in den Kategorien der älteren
Persönlichkeitspsychologie ausgedrückt, vor allem im Zusammenhang mit der
Kontrolle von »neurotischer und
»psychotischer Angst
auf.
Dabei ist trotz des vordergründig so einleuchtenden begrifflichen
Unterschieds, nämlich der Schwere der psychischen Störung (neurotisch <
psychotisch!) und der Unterschiede bei ihrer Therapie, zu beachten, dass die
beiden Begriffe in der Psychologie heute nicht mehr sehr gebräuchlich sind:
Man spricht, beide Angstformen umfassend, im Konzept
▪
psychischer Störungen heute von
▪
Angststörungen.
Verdrängungsbegriff in anderen Kontexten
Dessen ungeachtet sind die Begriffe auch
in anderen Wissenschaften, wie z. B. der Literaturwissenschaft sehr
verbreitet, um das innere und äußere Geschehen von fiktionalen Figuren zu
charakterisieren.
Dabei reicht dieser Bogen weit: Von Josef K., der in
▪
Kafkas Roman
▪ "Der
Prozess" oft, als von neurotischer und psychotischer Angst
getrieben, charakterisiert wird, bis hin zur Geschichte von
Alvy Singer in dem vielfach preisgekrönten Film »Annie
Hall, dt. »"Der
Stadtneurotiker" (1977), welcher einst »Woody
Allen (geb. 1935) einem größeren Publikum bekannt machte: Die Geschichte
eines erfolgreichen, intellektuell geprägten jüdischen Komikers, der - wie
in Wikipedia nachzulesen - eben vor allem eines ist: "ein ziemlich
neurotischer Kerl" (Der
Stadtneurotiker, Wikipedia, 11.12.09) ein Charaktertypus übrigens, der sich auch in
Allens neuestem Film »Whatever
Works" (2009) wiederfindet.
Primäre und sekundäre Abwehrmechanismen
Abwehrmechanismen lassen sich wie folgt einteilen:
-
Primäre Abwehrmechanismen
werden wirksam, wenn ein geschwächtes Ich die Abwehr "von 'innen'
nach 'außen' verlagert". Damit greifen sie in die Objektbeziehung ein (Haubl
u. a. 1986, S.196).
-
Sekundäre Abwehrmechanismen
setzen ein starkes
Ich voraus, das zur Abwehr "in das psychische
Repräsentationssystem ( Affekt - Objektbeziehungsvorstellung -
Objektbeziehungssprache)" eingreift. Sekundäre Abwehrmechanismen "nehmen
dadurch in erster Linie 'innere' Veränderungen vor".
Verdrängung als Sprachzerstörung
Verdrängung stellt dabei immer auch eine "Sprachzerstörung"
(Lorenzer 1970) dar, die sich wie folgt darstellen lässt:
"In einem ersten Schritt kann eine Person ihre themenspezifischen
Unlustgefühle nicht mehr benennen und deshalb auch nicht über sie sprechen;
im zweiten Schritt spürt sie nur noch eine affektive Erregung, aber hat
keine Vorstellung mehr davon, was sie bedeutet; im dritten Schritt
schließlich wird der Affektbetrag unterdrückt, so dass in letzter Konsequenz
Apathie entsteht. Genau genommen liegt die Veränderung im Zusammenhang der
Repräsentationsformen nicht in einer völligen Abkoppelung, sondern in einer
Verwirrung der Bezüge. Im ersten Schritt kommt es zur Koppelung
zwischen einem Gefühl und einem unangemessenen Gefühlsausdruck, so dass eine
Person von ihrem Sprachbewusstsein her ihr Gefühl verkennt und dadurch nicht
zu Bewusstsein kommen lässt. Im zweiten Schritt wird der Affekt mit einer
unangemessenen Objektbeziehungsvorstellung gekoppelt, so dass er deplaziert
wirkt und die tatsächlich affizierende Objektbeziehungsvorstellung unbewusst
bleibt; im dritten Schritt schließlich wird die wahre Intensität des
Affektes durch partielle Erregungsbindung gedämpft, so dass sie nicht zu
Bewusstsein kommt." (Haubl
u. a. 1986, S.193).
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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