Die Herausbildung einer eigenen Identität wird in der
Entwicklungspsychologie gemeinhin
als eine der wichtigsten Aufgaben der
sozialen und
emotionalen Entwicklung des Einzelnen in der Jugendphase (Adoleszenz)
angesehen.
Die Arbeit an der eigenen Identität ist dabei als ein
Prozess aufzufassen, der zwar in der
Adoleszenz eine besondere Bedeutung gewinnt, aber grundsätzlich das
ganze Leben anhält. Am Ende der Jugend ist die Identitätsbildung
auch in keiner Weise zu Ende. (vgl.
Keupp u . a. 1999/2008)
Identität hat "von allem Anfang
an Arbeitscharakter, lebt von einem Subjekt, das sich aktiv um sein
Selbst- und Weltverständnis zu kümmern hat. Es entwirft und
konstruiert sich seine Selbstverortung und es bedarf der Zustimmung
der anderen zu seinen Entwürfen und Konstruktionen."
(ebd.,
S.27).
Nicht zuletzt diese identitätstheoeretischen Überlegungen, welche
die Notwendigkeit der sozialen Validierung der verschiedenen
Identitätskonstuktionen im Prozess der konstruktiven Selbstverortung
des einzelnen betonen, berühren sich mit klassischen
entwicklungspsychologischen Konzepten.
Denn die Identitätsarbeit der
Heranwachsenden, ihre "Individuelle Verknüpfungsarbeit", um
"Erfahrungsfragmente in einen für sie sinnhaften Zusammenhang zu
bringen" (ebd.,
S.9)
bzw. ihr Streben nach einem "stimmigen Ganzen" (Fend
2005, S.402) ist der Grund, weshalb Identität in beiden Konzepten
eine zentrale Rolle spielt. In dieser Lebensphase durchlaufen die
Heranwachsenden "wichtige Prozesse der Selbstsuche und
Selbstfindung" (Keupp u . a. 1999/2008,
S.82).
Zugleich erhält ihre "Identitätsarbeit im Alltag die
Erscheinungsform der Bewältigung altersspezifischer
Entwicklungsaufgaben." (Fend
2005, S.414) Keupp u . a.
(1999/2008, S.83) plädieren unter Verweis auf den
Prozesscharakter der Identitätsarbeit dafür, den Begriff der
Entwicklungsaufgabe durch den der Handlungsaufgaben zu ersetzen, die
zu erledigen seien, deren Abarbeitung aber nicht allein auf die
Jugendphase zu beschränken. Ebenso wenig dürften andere
Lösungsformen als ein Scheitern angesehen werden.
Die Jugendlichen folgen in diesem
Prozess im Allgemeinen einem für die abendländische Kultur typischen
Menschenbild, in dessen Mittelpunkt das einzelne Individuum steht.
Dabei strebt jedes Individuum für sich genommen im Rahmen der so
genannten Individuation an, "ein stabiles und in sich stimmiges
Empfinden einer inneren Einheit ihrer Person" (Bourne/Ekstrand
2005, S.343) an, "stimmiges Ganzes" zu werden, ein Wesen,
"das mit sich selber 'identisch' ist." (Fend
2003, S.402)
Und: Der Einzelne tut dies nicht nur aus eigenem
Antrieb, sondern "erhält sogar vom sozialen und kulturellen Kontext
unserer Gesellschaft den 'Auftrag', eine selbstverantwortliche und
eigenständige Persönlichkeit zu werden." (ebd.)
Auch wenn die lebensphasische Einengung der Identitätsbildung auf
die Adoleszenz heute wohl als überwunden gelten kann (vgl.
Keupp u . a. 1999/2008, S.82), wird der genannte Auftrag
"lebensgeschichtlich im Jugendalter erstmals zum Kern der
Entwicklungsaufgaben" (Fend
2003, S.402).
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023