Trotz aller Versicherungen von Gesundheitsbehörden,
Aids-Aufklärungsorganisationen und Betriebsleitungen
werden manche Arbeitnehmer durch ihre erste Begegnung
mit einem Aids-Infizierten oder jemandem, dem eine
Aids-Infektion oder die Möglichkeit, das Virus zu
verbreiten, unterstellt wird, in Schrecken geraten. Das
beste Mittel gegen diese Aids-Angst ist Information.
Geheimhaltung eines Aids-Krankheits- oder Todesfalles
schürt Gerüchte und forciert die völlig unberechtigten
Ansteckungsängste am Arbeitsplatz. Viele
Befürchtungen sind schlicht Furcht vor dem Unbekannten.
Diese Art von Furcht wird üblicherweise dadurch
verringert, dass man die Betroffenen dazu bringt, ihre
Ängste zu äußern, dass man ihre Angst anerkennt und dass
man sie mit sachlichen Informationen versorgt, so dass
das Unbekannte bekannt und deshalb weniger Schrecken
erregend wird. Ein anderer Aspekt der Aids-Angst
hängt mit den tief sitzenden Einstellungen im
Zusammenhang mit Homosexualität, Drogenkonsum oder
promisker Heterosexualität zusammen. Wenn ein
Mensch das Verhalten und den Lebensstil missbilligt, die
er einem anderen unterstellt, dann kann dies bei ihm
leicht zu einem negativen Urteil über die betreffende
Person führen. Wenn diese Person dann Aids hat, können
sich diese negativen Urteile mit erheblicher emotionaler
Aggressivität Luft machen. In dieser Situation muss
man die persönlichen Einstellungen und Überzeugungen in
Bezug auf Verhalten und Lebensstil von der medizinischen
Realität der Aids-Krankheit abgrenzen. Wenn die
Tatsachen immer wieder klar und präzise auf den Tisch
gelegt werden und gleichzeitig die Äußerung von
individuellen Gefühlen gefördert wird, dann können
negative Einstellungen und Überzeugungen klarer als
tatsächlich ganz persönliche Standpunkte identifiziert
und von den sachlichen Informationen über Aids getrennt
werden. Eine andere Ursache für Ängste ist die
Tatsache, dass viele Menschen geglaubt haben, die
medizinische Forschung habe alle Krankheiten unter
Kontrolle gebracht und neue Krankheiten oder Epidemien
seien eine Sache der Vergangenheit. Für diese Menschen
kam die Aids-Epidemie wie ein Schock, und sie sind
verständlicherweise erschreckt. Zu ihnen können andere
stoßen, die der Medizin gegenüber überhaupt Vorbehalte
haben und allen medizinischen Informationen mit
Misstrauen begegnen. Diese Menschen stecken in einer
Zwickmühle. Sie möchten gerne auf die Aids-Epidemie
verantwortungsbewusst reagieren, fühlen sich aber
ausgerechnet von jenem Berufsstand im Stich gelassen und
betrogen, der die Quelle verfügbarer Informationen ist.
Wenn man ein offenes Gespräch über ihr Misstrauen und
ihre Ängste anregt, schafft man damit ein Forum für
Gefühlsäußerungen, das die negative Aufladung dieser
Menschen vermindert. Gleichzeitig ermöglicht ihnen das
Engagement in der Diskussion über Aids, eine Beziehung
zu den Tatsachen zu gewinnen und angemessen auf sie zu
reagieren.
(385
W.)
(aus:
Haeberle, Erwin J. und Axel Bedürftig (Hrsg.)
(1987): AIDS - Beratung, Betreuung, Vorbeugung -
Anleitungen für die Praxis, Berlin: Walter de Gruyter
1987 S.245 f.) |
In dem auszugsweise vorliegenden Sachtext "Ängste vor
Aids“ eines nicht genannten Autors, erschienen in der
von Erwin Haeberle und Axel Bedürftig herausgegebenen
Schrift "Aids - Beratung, Betreuung, Vorbeugung -
Anleitungen für die Praxis“, Berlin 1987, geht es um die
Ursachen der verbreiteten Ängste vor Aids und die
Möglichkeiten ihrer Verminderung bzw. Beseitigung. Dabei
ist die sachgemäße Information über Ansteckungsrisiken
und Krankheitsverlauf besonders wichtig. (63 W.)
Die beste Methode, um übertriebenen Sorgen vor einer
möglichen Ansteckung durch das HIV-Virus
entgegenzuwirken, ist die Information über die möglichen
Übertragungswege und den Verlauf der Krankheit Aids.
Die verbreitete Aids-Angst hat dabei im wesentlichen
drei Ursachen: Furcht vor dem Unbekannten, Einstellungen
zu Homosexualität, Drogenkonsum und dem häufigen Wechsel
von Sexualpartnern und schließlich enttäuschte oder auch
bestätigte Erwartungen über die Leistungsfähigkeit der
modernen Medizin. Den drei verschiedenen Ursachen für
Aids-Angst ist unterschiedlich beizukommen. Die Furcht
vor dem Unbekannten kann am besten dadurch beseitigt
werden, dass die Ängste ernst genommen werden und ihnen
mit sachlicher Information begegnet wird. Da sich
Vorurteile gegenüber Homosexuellen, Drogenabhängigen und
andersartigen heterosexuellen Praktiken mit den Ängsten
bezüglich Aids leicht vermischen können, müssen sie von
den streng medizinischen Aspekten streng getrennt
werden. Dazu ist Aufklärungsarbeit ebenso vonnöten wie
die Bereitschaft, derartige Gefühle und Einstellungen
überhaupt zu äußern bzw. zuzulassen. Ein durch
Aufklärung und Gefühlsäußerung vermitteltes neues
Verhältnis zu den Tatsachen benötigen schließlich alle
jene Menschen, die an die grundsätzliche medizinische
Beherrschbarkeit von Epidemien geglaubt oder - im
umgekehrten Fall - schon seit jeher der Medizin
misstraut haben. (236 W.) |