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Bei der
Suizidpostvention geht es bei einem
überlebten Suizidversuch um die Betreuung des Betroffenen,
bei einem vollendeten Suizid im Rahmen der Nachsorge um die Betreuung von Angehörigen und Freunden
des Suizidanten, manchmal sogar der gesamten Schülerschaft.
Heidrun Bründel (1993, S.
243) gibt Fehler bei der Postvention einer Schule in den USA wieder, die
Hill (1984) beschrieben
hat. Zu einer Veranstaltung mit einem Experten eines Suizid Präventions
Centers wurden dabei sämtliche Schüler der Schule, die sich von dem Suizid
eines Mitschülers irgendwie betroffen fühlten, in der Aula
zusammengerufen. "Die Folge war en Massenandrang von Schülern, ausufernde
Diskussionen, Chaos in der Organisation und Leitung, Anklagen und schwere
Vorwürfe gegenüber der Schule, die teils berechtigt waren, teils
aber
auch in keinem Zusammenhang mit dem Geschehen standen. Die Schüler nutzten
die Gelegenheit, 'alles in einen Topf zu werfen' sowie ihren Frust und
ihre Schulunlust auszudrücken." Solche Fehler sind indessen keine
singulären Erscheinungen und werden auch heute in gleicher oder ähnlicher
Weise immer noch gemacht, wenn wie im Falle eines Schülersuizids in
Konstanz im Jahre 2004 ein "Tatorttourismus" selbst während der Schulzeit
sich recht ungehindert entwickeln durfte, dem die betroffene Schule kaum
mehr Herr werden konnte.
So wundert es nicht, dass man in den USA vornehmlich, wo offenbar die
Sorge wegen möglicher Imitationshandlungen besonders ausgeprägt ist, u. a.
Empfehlungen gegeben werden,
-
die Schüler nicht zur
Teilnahme an Beerdigungen aufzufordern, die während der Schulzeit
stattfinden,
-
dem verstorbenen Schüler
keine besondere Gedenkstätte an der Schule zu errichten (Gedenkstein
etc.)
-
keine Großversammlungen von
Schülern zu diesem Anlass durchzuführen
-
das Ereignis in kleineren
Gruppen zu besprechen (vgl.
Poland 1989, S. 135, zit.
in:
Bründel 1993, S. 243)
Besonderes Gewicht wird auch auf die weitgehend normale Durchführung
des Schulbetriebs gelegt und beachtet wird, dass die Aufmerksamkeit für
das Geschehen und die Beteiligung am Begräbnis sich auch bei einem Suizid
im Rahmen dessen bewegt, was bei einem anderen Todesfall üblich ist.
Streng darauf geachtet wird auch, dass die Dinge, die zum Gedenken von
Schülern gesammelt und aufgestellt werden, nicht wie Aktivitäten der
Schule aussehen oder gar mit Symbolen der Schule versehen werden. (vgl.
ebd.) Mit allen diesen
Maßnahmen soll wohl verhindert werden, dass der Suizid eines Mitschülers
oder einer Mitschülerin im Nachhinein glorifiziert und mystifiziert wird
und das weitere Geschehen eine Dynamik gewinnt, die, wenn sie zuletzt auch
noch mit massenhysterischen Phänomenen einhergeht, außer Kontrolle gerät.
Dass eine sinnvolle Trauerarbeit, die die besonderen Erscheinungen von
Trauer bei Jugendlichen und Kindern berücksichtigen muss, ist trotz dieser
Vorkehrungen natürlich unbestritten.
Der Umgang mit den Medien
Im Rahmen der Postvention spielen Entscheidungen darüber, wie mit den
Medien umgegangen werden soll, eine besonders wichtige Rolle, da diese mit
der Art ihrer Berichterstattung entscheidend dazu beitragen können, ob und
wie Suizidereignisse in der Schule bewältigt werden können. Außerdem ist
die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass die ohnehin vorhandene
Gefahr von Imitationshandlungen
anderer Schülerinnen und Schüler bei einer unsachgemäßen Berichterstattung
durch die Medien noch erhöht wird (= "Werther-Effekt).
In verschiedenen Ländern wie den USA und Österreich sind in den letzten
Jahren Richtlinien erarbeitet worden, die Medienschaffende bei ihrer
Berichterstattung über Suizidereignisse beachten sollten, die gerade auch
für den Suizid von Jugendlichen großes Gewicht haben. Unter keinen
Umständen sollte an der Schule selbst mit einem reißerischen Aushang auf
das Medienecho hingewiesen werden, den das Ereignis gefunden hat.
Wer über solche Ereignisse in den Medien berichtet, sollte wissen, dass
die Aufmerksamkeit für den Bericht und das Risiko nachfolgender suizidaler
Handlungen erhöht wird, wenn
-
der Bericht auf der
Titelseite steht, besonders in der am besten wahrgenommenen oberen
Hälfte
-
die Begriffe "Selbstmord"
oder "Suizid" in der Schlagzeile auftauchen
-
die betroffene Person mit
einem Foto abgebildet wird
-
die Einstellungen des
Suizidanten als irgendwie bewundernswert, heroisch oder pauschal zu
billigen dargestellt wird
Die Gefahr nachfolgender Suizidhandlungen wird noch erheblich
verstärkt, wenn
-
besondere Einzelheiten über
den Ort des Geschehens preisgegeben werden
-
über den gesamten Ablauf des
Suizids mit gleichzeitiger Darstellung der Suizidmethode berichtet wird
-
der Suizid als
"unverständlich" hingestellt wird ("er/sie hatte doch alles, was das
Leben bieten kann...")
-
romantisierende Einstellungen
gegenüber dem Suizid gefördert werden
-
monokausal angelegte
Vereinfachungen zur Erklärung des Suizids herangezogen und "Sündenböcke"
bezeichnet werden ("Selbstmord wegen Nicht-Versetzung" u. ä.)
Die
Schule sollte daher in jedem Fall im Kontakt mit Medienvertretern darauf
hinweisen und, wenn möglich zu einer Vereinbarung mit ihnen gelangen, die
sie auffordert gemeinsam mit ihr, Imitationshandlungen vorzubeugen. Dies
könnte dadurch geschehen, dass
-
deutliche Alternativen zum Suizid aufgezeigt und auf Hilfsangebote
in der Not hingewiesen wird
-
Berichte erscheinen, in denen dargestellt wird, wie das Ereignis von
Eltern, Schülern und Lehrern verarbeitet wird
-
Hintergrundinformationen über den Suizid im Allgemeinen gegeben
werden
-
Möglichkeiten zur Beteiligung einzelner, von Schülern, Lehrern und
der Schule als Ganzes bei der Suizidprävention aufgezeigt werden
(vgl.
Richtlinien für das Verhalten in der
Schule nach einem Suizid Bern 2004)
Zu empfehlen sind dafür schriftlich fixierte Regelungen dafür, an denen
sich das Lehrerkollegium und die Schulleitung in einem solchen Fall
orientieren können, aber an die sie sich auch halten müssen. (vgl. Poland
1989, zit. in:
Bründel 1993, S. 243) Ein
angemessenes Krisenmanagement
durch die Schulleitung oder eines von ihr eingesetzten
Krisenteam muss die Fäden auch in Bezug auf
die Medien in der Hand behalten.
-
Grundsätzlich
sollte nur die Schulleitung oder eine von ihr beauftragte Person
Anfragen von Presse, Rundfunk oder Fernsehen beantworten. In der
Schule, insbesondere aber bei Verlautbarungen gegenüber der Presse,
sollte eine einheitliche Sprachregelung angestrebt werden. Es empfiehlt
sich im Zusammenhang mit solchen Ereignissen am besten von Suizid zu
sprechen, da alle anderen
Begriffe für solches
Handeln einen positiven oder negativen Wertungsakzent tragen. So wird
ein geschlossenes Auftreten ermöglicht.
-
Gegenüber den
Medien heißt es agieren statt
reagieren. Aus diesem Grund sollten die wesentlichen
Informationen in kürzester Zeit, am besten als schriftliche
Presseerklärung, aufbereitet sein, um bei der Berichterstattung nicht
vorzeitig ins Hintertreffen zu geraten. Vor der Information der Medien
über das Geschehen müssen aber in jedem Fall die Eltern des betroffenen
Schülers informiert werden. (vgl.
Fischer 2001)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
01.08.2017 |
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