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Suizidprävention in der Schule

Überblick

 
 
  Wenn sich Schulen mit dem Thema Suizid befassen, die Suizidprophylaxe oder Suizidprävention auf die Tagesordnung setzen, geschieht dies leider häufig erst dann, wenn konkrete Anlässe vorliegen, wenn es also zu Suizidhandlungen oder vollendeten Suiziden von Schülern, Lehrern oder Angehörigen von Schülern gekommen ist, oder wenn die Presse mit entsprechenden Berichten, die die Schüler aufrütteln, an die Öffentlichkeit getreten ist. Häufig stehen Lehrerinnen und Lehrer solchen Situationen ohnmächtig gegenüber und erteilen zum Teil widersprüchliche Ratschläge zu ihrer Bewältigung mit der Folge: die ganze "Schulgemeinde" ist rundum verunsichert

Aber diese Situation kann nicht einseitig Lehrerinnen und Lehrern angelastet werden. Vielmehr muss beklagt werden, dass diese Fragen in der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern nur eine untergeordnete Rolle spielen, sofern sie überhaupt einmal thematisiert werden.
Und natürlich soll den Lehrerinnen und Lehren dabei nicht die Aufgabe zufallen, einen suizidgefährdeten Jugendlichen psychologisch zu betreuen, diese Aufgabe sollte in professionellen Händen liegen. Aber für das rechtzeitige Erkennen von Risikofaktoren und/oder das Vorliegen bestimmter Erkrankungen wie Depressionen, Phobien oder bestimmten belastenden Ereignissen in der Vorgeschichte wie z. B. Missbrauch, können Lehrerinnen und Lehrer, die mit bestimmten Symptomen vertraut sind, eine große Hilfe sein. (vgl. Thomas 1986, S.80f., vgl. Bründel 1993, S. 233ff.) Neben einer adäquaten Ausbildung im Erkennen von Symptomen von Suizidalität wäre aber auch ein Training im Umgang mit Suizidanten anzustreben. (vgl. Colla-Müller 1984, S. 23) Dies ist Aufgabe und Funktion von schulischen Suizid-Präventionsprogrammen, die schon an verschiedenen Stellen in das allgemeine Schulprogramm Eingang gefunden haben.

Aber auch heute schon stehen Lehrer nicht allein auf weiter Flur, wenn es darum geht, suizidgefährdeten Jugendlichen beizustehen. Sie sollten sich unter keinen Umständen scheuen, zumal wenn sich bei ihnen verständliche Gefühle der Ohnmacht, des Missbehagens oder Unmuts gegenüber einem betroffenen Schüler einstellen, Experten als Hilfe für den Suizidgefährdeten, aber auch für sich selbst, heranzuziehen. Das können

  • die schulpsychologischen Dienste sein, die, wenngleich sie im Allgemeinen therapeutisch nicht tätig werden dürfen, den Lehrer beraten und geeignete andere Kontakte vermitteln können

  • die Jugendämter, die kinder- und jugendpsychiatrischen oder auch die sozialpsychiatrischen Dienste sein

  • Familien- oder Erziehungsberatungsstellen in freier Trägerschaft oder der Trägerschaft der Gemeinde sein.

Im Hinblick auf die individuelle und gesellschaftliche Problematik des Suizids hat man gefordert, dass die Schule u. a. folgende Lernziele anstreben sollte (vgl. Colla-Müller 1984, S. 23, Hervorh. d. Vef.),

  • "Informationen über die Ursachen, die zum Suizid führen können
  • Vermittlung von Einfühlungsvermögen in die psychische Situation des Suizidanten
  • Abbau von Vorurteilen gegenüber dem Suizid
  • Sensibilisierung für die Signale des Suizidanten
  • Unterschiedliche Stufen des suizidalen Prozesses auch als Prozess der Vereinsamung und der Verzweiflung wahrnehmen
  • Ermutigung, Personen in psychischen Konfliktsituationen anzusprechen, und
  • Trainieren von Hilferufen. Das Erkennen von Zeichen der Suizidgefährdung sowie von Botschaften der Suizidanten sollte auch zum Inhalt und Gegenstand in den Fächern Kunst, Deutsch, Religion oder Sachkunde gemacht werden. Unter dem Thema 'soziales Leben' könnten durch Diskussion, Textanalysen und (Rollen-)Theaterspielen Formen der Kommunikation eingeübt werden, die zu einer Sensibilisierung der Wahrnehmung von Botschaften Suizidgefährdeter beitragen könnte."

Wer im Falle einer akuten Suizidgefährdung als Lehrer tätig werden will, muss wissen, dass er sich ohne professionelle Hilfe auf ein Terrain wagt, in dem sich "Laienspiel" verbietet. Was Lehrerinnen und Lehrer leisten können, die trotz ihrer Unsicherheiten und Ängste bereit sind, in der Suizidprävention Verantwortung zu übernehmen, sind im Prinzip weder Diagnose noch therapeutische Intervention, denn das Thema Suizid verbietet Experimente von Laien mit einem unsicheren Ausgang. Und doch können sich Lehrer und Lehrerinnen in solchen Fällen als Helfer oder Helferinnen erweisen. Sie müssen allerdings wissen, dass jede Form von Intervention einen belastbaren Bezug zu der suizidgefährdeten Person verlangt, wie ihn im Allgemeinen nur professionelle Helfer herstellen können, die

  • verstehen, dass die suizidale Handlung einen Problemlösungsversuch darstellt, dem man alternative Problemlösungsangebote entgegenstellen kann.
  • die sich solidarisch verhalten, was bedeutet, dass die vom Suizidanten geäußerten Suizidbegründungen weder abgetan noch übernommen werden dürfen, sondern dass sie stattdessen so ernst genommen werden müssen, "dass der andere sich seiner Wahrheit besser nähern kann." (vgl. Colla-Müller 1984, S. 23, Hervorh. d. Verf.).
  • die wissen, dass die Belastbarkeit sonstiger Helfer schnell an ihre Grenzen gelangen kann, weil die suizidale Problematik bei diesen zum Auslöser verschiedener eigener Ängste werden kann wie z.B. Angst vor der eigenen Ohnmacht, Angst vor dem Tod oder vor Aggressionen und Identitätsverlust. (vgl. ebd., S. 23)

Wer sich als Lehrer oder Lehrerin persönlich in den Prozess zur Verhinderung eines Suizids bei einem gefährdeten Schüler einbringt, dem drängen sich schnell eine ganze Reihe von Fragen auf, wie:

  • Soll ich den Schüler direkt auf mögliche Suizidtendenzen (Gedanken, Ideen, Absichten) ansprechen, auch wenn er selbst noch keine direkten Suizidgedanken geäußert hat?
    Besteht in einem solchen Fall nicht die Gefahr, dass ich ihn erst auf den Gedanken bringe, einen Suizidversuch zu unternehmen?
  • Darf ich solche sehr persönlichen und sensiblen Themen überhaupt gegenüber einem Schüler ansprechen, ohne vorher die Eltern darüber informiert zu haben?
  • Kann oder muss ich, wenn sich der Schüler mir anvertraut, die ganze Verantwortung allein übernehmen?
  • Sind meine Vermutungen über die Suizidgefährdung des Schülers überhaupt gerechtfertigt?
  • Soll ich die mir bekannt gewordenen Suizidtendenzen überhaupt ernst nehmen oder sind sie eher so zu verstehen, dass sich der Schüler wichtig machen will?

(vgl. Hermann/Meurer/ Witte, Suizid und Suizidprävention in der Schule, 28.12.05)

Trotzdem: Nicht zuletzt, weil auch Schulprobleme Auslöser einer Suizidhandlung sein können, muss sich Schule besonders ihrer Verantwortung bei der Suizidprävention stellen. Heidrun Bründel (1994, S. 6) betont dazu in ihrer Einleitung zu ihrer Unterrichtseinheit zur Krisenintervention und Prävention für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 und 2 zu Recht: "Lehrerinnen und Lehrer dürfen sich nicht aus de Verantwortung 'stehlen'. Sie sind diejenigen, die die meiste Zeit des Tages mit den Schülerinnen und Schülern verbringen. Sie haben die Gelegenheit, zu beobachten und Veränderungen zu bemerken." Drei Gründe sind es vor allem, die die Schule zu einem Ort der Prävention mit ganz besonderen Merkmalen und daraus resultierenden Chancen bei der Suizidprävention werden lässt.

  • Suizidgefährdete Schülerinnen und Schüler machen in der Regel vor der Ausführung der Tat eine längere Phase der Ambivalenz durch, in der sie sich mit der Entscheidung dafür oder dagegen quälend auseinandersetzen. In dieser Phase kommt es häufig, wenn nicht zu direkten, so doch indirekten Suizidankündigungen, die nicht immer einfach, so doch prinzipiell möglich, als Warnsignale wahrgenommen werden können.
  • Die Schule ist auch häufig der Ort ist, an dem sich die suizidgefährdeten Jugendlichen ihren Freundinnen und Freunden über ihre Suizidtendenzen anvertrauen.
  • In der Schule zeigen sich u. U. frühzeitig Symptome eines veränderten psychischen Erlebens und einer daraus resultierenden Suizidgefährdung, die, sofern sie als mögliche Indikatoren angesehen werden, zur weiteren Klärung der Suizidalität mit weiteren Elementen eines Symptomkatalogs abgeglichen werden können.

 

 
      
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