Sprache des Rechtsextremismus

Überblick


Wenn Neonazis über andere reden, benutzen sie häufig ganz simple Feindbilder, mit denen sie sich selbst gerne als Opfer darstellen. Das hat eine Untersuchung über "die Konstruktion von Feindbildern" ergeben, die der Sprachwissenschaftler Bernhard Pörksen im Jahr 2000 vorgelegt hat.
Die Sprache, die Rechtsradikale verwenden, strotzt, das hat Astrid Lange (1993, S.51f.) schon einige Zeit zuvor herausgefunden, von Kriminalisierungen, Zuschreibungen moralischer und sozialer Minderwertigkeit, Idealisierungen, Verschwörungstheorien, biologistischen und sakralen Kategorien.
Alles zusammen dient immer wieder auch dazu, Gewalttaten, am liebsten in der zur Schau getragenen eigenen Opferrolle, zu legitimieren. Da heißt es, z. B. in einer Veröffentlichung des Holocaust-Leugners Otto Ernst Remer, dass die Regierung "uns den Krieg erklärt", wie Pörksen zu berichten weiß. Und natürlich findet man darin auch die genügsam bekannte Hetze gegen Einwanderer, Mitbürger mit Migrationshintergrund wie wir heute gemeinhin sagen, gegen welche die Deutschen zum Widerstand mit der Parole aufgerufen werden: "
Deutsche wehrt euch, wehrt euch, wehrt euch",
Und was dabei besonders perfide ist, ist die Stilisierung dieser Gewaltaufforderung zur berechtigten Notwehr, wenn es in dem "Remer-Depesche" genannten Dokument weiter heißt: "Es ist Notwehr. Es ist Pflicht. Es ist kein Ausländerhass. Begehrt auf. Sich laut zu Wort zu melden, ist Notwehr."
Pörksen, der diese Aussagen besonders genau unter die Lupe nimmt, betont, dass die Rechtsextremen vor allem mit der Verwendung von Metaphern, deren Bedeutung Astrid Lange (ebd.) für die Überzeugungsstrategien der Rechtsextremen hervorgehoben hat, "den Aggressionscharakter der Feindseite" (Pörksen, zit. n. Frankfurter Rundschau vom 25.8.2000) herausstreichen. Dabei sei der Ausgangspunkt meist der Verweis auf eine angenommene oder einfach behauptete Ausnahmesituation, die einem eigentlich keine andere Wahl lasse als in Notwehr zum Mittel der Gewalt zu greifen. Pörksen sieht in den von den Rechtsextremen verwendeten "Metaphern zur Diskreditierung" (Pörksen, zit n.: ebd.) den Versuch, auf diese Weise "das Eigene zu homogenisieren", das in der Vorstellung des eigenen Volkes verdichtet, gegen den als Feind dargestellten anderen verteidigt werden müsse.

Ins Freund-Feind-Schema - übrigens eines von etlichen Merkmalen, die jede Form des politischen Extremismus kennzeichnen -  passen dann natürlich auch die Vokabeln und rhetorischen Mittel, die von den Rechtsextremen auf dem "Schlachtfeld" im Rahmen "konventioneller Kriegsführung" zum Einsatz kommen. Da werden historisch belastete Formulierungen wie Zigeuner, Jude, Bolschewist, genauso verwendet wie Wörter, die Ressentiments ausdrücken und/oder verstärken (Asylantenflut, Wirtschaftsflüchtlinge, Kinderschänder). Gerne werden auch Legenden und Fakten bunt mit geschichtlichen Ereignissen und altgermanischen Mythen gemischt, werden national-patriotische Dichter, Denker und Politiker im Zuge des Autoritätsbeweises angeführt, präsentiert man  suggestiv eingängige Analogien nach dem Muster "weiß und deutsch = sauber und gut" als Schlussfolgerungen und mit geschickt platzierten Scheinfragen auf angeblich längst noch nicht abschließend Geklärtes (z. B. "Wurde der 2. Weltkrieg durch Verrat entschieden?) versucht man die antizipierten Gegenargumente der anderen durch Verschwörungstheorien unterschiedlicher Art von vornherein zu widerlegen. Und natürlich spielen Metaphern, mit ihrer großen emotionalen Wirksamkeit, die sie ihrer Bildhaftigkeit verdanken, dabei eine besondere Rolle. (vgl. Astrid Lange ebd.) Wenn es z. B. heißt "Das Boot ist voll", dann stehen einem die letzten Tage der Menschheit vor Augen, die mit der sich auftürmenden Sintflut anbrechen. Und so wundert es nicht, dass das Timing des Rechtsextremismus in dieser "Zeit der Gefahr" stets sofortiges und entschlossenes Handeln verlangt, keine " "Nachdenklichkeit und kein Zaudern" (Pörksen, zit. n. FR) mehr zulasse. So kulminiert die "archaische Idee vom Schlachtfeld" nach Pörksen in einem Weltbild, bei dem sich Rechtsextreme immer "in irgendeiner Weise betrogen fühlen und sich einer Welt von Feinden gegenüber wähnen". (ebd.)

Der Rechtsextremismus hat sich damit, darauf weist Kurt Möller (1991, S.283) hin, von den wichtigsten Idealen der Aufklärung verabschiedet. die er in "drei zentralen Postulaten" kondensiert sieht: "der Forderung, dass politische Auseinandersetzung vernunftmäßig zu erfolgen habe und nicht irrationalen Handlungsantrieben folgen dürfe; der Forderung nach dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit; der Grundüberzeugung von der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen und Menschengruppen unabhängig von ihren jeweiligen biologischen oder »quasi-natürlichen" vorgeblichen oder tatsächlichen Eigenschaften." Und im Anschluss an Heitmeyer konkretisiert er daraus zwei Grundelemente rechtsextremistischer Orientierung, nämlich die "Ideologie von der naturbedingten und deshalb als unveränderbar geltenden Ungleichwertigkeit von Menschen und Menschengruppen sowie die Akzeptanz von Gewalt als personaler Handlungsform." Komme beides zusammen, dann könne man von einer rechtsextremistischen Orientierung sprechen.
Dabei liegt Möller auch daran, nicht alles, was rechts steht, in einen Topf zu werfen. So fehle rechten Demokraten einfach die grundsätzliche Überzeugung, auch Gewalt als legitime personale Handlungsform in der politischen Auseinandersetzung einsetzen zu dürfen. (vgl. ebd.) Auch wenn rechte Demokraten und Rechtsextremisten in Denken und, das ist zu ergänzen, auch in ihrer Sprache große Gemeinsamkeiten aufweisen, setzen die rechten Demokraten nach Ansicht Möllers doch lieber "auf jene Gewaltformen, die kein eigenes persönliches Handeln erforderlich machen, sondern auf die Durchsetzungsmächtigkeit von autoritär-institutioneller Repression und ihren Repräsentanten vertrauen." (vgl. ebd.)
 

Elemente rechtsextremistischer Gewaltakzeptanz Das  ideologische Konglomerat von der Ungleichwertigkeit von Menschen und Menschengruppen
  • Ablehnung vernunftmäßiger Formen der Auseinandersetzung; dafür: Interesse an eindeutig strukturierten, klar überschaubaren und vor allem schnellen Lösungen

  • Alltäglicher Kampf ums Dasein als normative Aufforderung an jeden einzelnen ('Der Stärkere setzt sich durch!')"

  • Ablehnung demokratischer Formen der Konfliktregelung im privaten und öffentlichen Bereich

  • Autoritäre und militaristische Umgangsformen und Stile, "die auf Volk, Vaterland, Familie, Zucht, Ordnung und Männlichkeitsstereotype setzen sowie eindeutige Handlungsanweisungen zum Ziel haben, z.B.: »Auch politisch muss es einen geben, der sagt, wo's langgeht«." (Kurt Möller (1991, S.283)

  • (sozio-)biologistisch begründete Hierarchiemodelle

  • sozialdarwinistische Versatzstücke

  • totalitäres Normenverständnis mit einer eindeutigen Wertehierarchie ohne Nuancierungen und Ambivalenzen

  • nationalistisch und/oder völkisch konturierter Chauvinismen

  • rassistische Vorbehalte und Abwertungen gegenüber Minderheiten

  • eugenisch begründete Differenzierungen zwischen »lebenswertem« und »lebensunwertem« Leben

 

Wenn es so etwas gibt, wie eine prototypische rechtsextremistische Identität, dann spielen beide Pole rechtsextremer Orientierung bei der Identitätskonstruktion eine Rolle. Gewalt, die Rechtsextreme so sehr in ihren Bann zieht, liefert ihnen "ein »Bewältigungsversprechen« für eine der größten Lasten der postmodernen Lebensverhältnisse anzubieten: für die unaufhebbare Reflexivität unseres Alltags, in dem alles so, aber auch ganz anders sein könnte", indem man "permanent zwischen Alternativen abzuwägen und mit den damit verbundenen Ambivalenzen und Widersprüchen zu leben" hat. Das Interesse der Rechtsextremisten an einfach gestrickten Lösungen, nach Überschaubarkeit der Verhältnisse, findet so mit der ihnen eigenen Gewaltakzeptanz, "eine stabile Identitätsplattform", die zudem nach das Bedürfnis nach Anerkennung befriedigen kann in der eigenen Gruppe und oft auch "im heimlichen Einverständnis" mit "realen oder imaginierten Bevölkerungskreisen." (Keupp 2009, S.22f.) Und die Sprache, die die Rechtsextremisten pflegen, schlagen oft die dafür nötigen Brücken.

Gert Egle, www.teachsam.de, 19.03.2010, zuletzt bearbeitet am: 29.09.2013

 

  
 
 Arbeitsanregungen
  1. Fassen Sie die wichtigsten Ergebnisse zu den Merkmalen rechtsextremer Orientierung in Form von Thesen zusammen.

  2. Überlegen Sie Beispiele, mit denen die Ideologie der Ungleichwertigkeit in Handlungen und Argumentationsmuster umgesetzt werden.

  3. Erläutern Sie, was Pörksen unter "Metaphern zur Diskreditierung" versteht und zeigen Sie auf, welche Bedeutung ihnen im Rahmen rechtsextremer Überzeugungsstrategien zukommt.

  4. Veranschaulichen Sie mit eigenen Beispielen, was die von Astrid Lange aufgeführten Merkmale rechtsextremer Sprache bedeuten.

  5. Erläutern Sie die Bedeutung von Gewalt als Identitätsplattform für den Rechtsextremismus.?

  6. Legen Sie dar: Wodurch unterscheiden sich nach Möller Rechtsextreme von rechten Demokraten?
     

 
   
      

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