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Sind
die Deutschen auf dem rechten Auge blind? Seit der »Mordserie
der Rechtsterroristen (2000-2006/07) beschäftigt sich nicht nur
das Ausland mit dieser Frage, sondern auch im Internet schlagen die
Wellen hoch.
Irgendwie, wenn auch gewiss zu pauschal, wenn ohne Wenn und Aber mit
Ja beantwortet, entspricht die Antwort eben doch
Wahrnehmungsmustern, die sich in der Öffentlichkeit gebildet haben.
Was Rechtsextreme tun, um ihre Hetzpropaganda unter junge Leute zu
bringen, ist trotz des skandalösen Versagens der Sicherheitsbehörden
im Zusammenhang mit den Morden des so genannten »Nationalsozialistischen
Untergrunds (NSU), der darüber entstandenen Empörung und dem
meist aufrichtigen Mitgefühl mit den Hinterbliebenen der Opfer immer
noch nicht genügend angekommen.
Um so wichtiger ist es, dass »Jugenschutz.net,
die gemeinsame Stelle der Länder für Jugendschutz im Internet, in
ihrem 2012 veröffentlichten »Bericht
zum Rechtsextremismus online wichtige Informationen
bereitgestellt hat, die auf schnellstem Wege auch Schule und
außerschulische Jugendarbeit erreichen sollten.
Rechtsextremistische Propaganda nutzt alle Kanäle, um an Jugendliche
heranzukommen. Tausende von Websites bringen rechtsextremistisches
Gedankengut unter die Leute und mit Facebook und Co. kann alles, was
die Ideologie des Rechtsextremismus bereithält, direkt kommuniziert
werden. (→Elemente
des Rechtsextremismus, →Sprache
des Rechtsextremismus)
Wie das geht, machen z. B. Forumseinträge in der
selbsternannten "Germanischen Weltnetzgemeinschaft" (Thiazi-Forum)
deutlich, die im besagten Monitoringbericht binnen dreier Wochen
nach Beginn der Berichterstattung über die NSU-Morde erfasst worden
sind: In über 1.500 Kommentaren ergossen sich Häme und Hass über die
Opfer, wurden die Gewalttaten offen gutgeheißt und die ganze
rechtsextreme Szene zu Opfern stilisiert.
Um mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, setzen Rechtsextreme mehr
und mehr auf Communities wie Facebook. Die "Like"- und
"Share"-Funktionalitäten des sozialen Netzwerks schaffen Bindungen
zur Szene, die mit Beiträgen zu allem, was in der Öffentlichkeit
irgendwie kontrovers diskutiert wird, aufwartet. Dabei besetzen
Rechtsradikale besonders gerne Themen, bei denen die Emotionen
hochgehen. So ziehen sie gegen vermeintliche "Kinderschänder" alle
Register, hetzen gegen Arbeitslose als soziale Trittbrettfahrer oder
mischen mit nationalistischen Äußerungen in der Diskussion um die
Finanzkrise in Europa mit. Und sie wissen auch: Kampagnen lassen
sich über Videoplattformen wie YouTube besonders leicht in die
Breite bringen. So brachte es ein rechtsextremes Musikvideo zum
Thema Kindesmissbrauch dort auf fast eine Million Klicks, und: der
Link unter dem Video führte natürlich auf Webseiten von Neonazis.
Damit man die jugendliche Zielgruppe erreicht, werden auch
unkonventionelle Aktionen über das Web inszeniert, die mit
subversiven Aktionsformen, griffigen Slogans u. ä. m. die Neugier
von Jugendlichen wecken sollen. Und welche Faszinationskraft davon
ausgehen kann, zeigt ein auf YouTube gepostetes, wie ein Filmtrailer
gemachtes Videos einer solchen subversiven Aktion. Unter dem Motto
"Werde unsterblich“, in dem gegen den "drohenden Volkstod der
Deutschen" agitiert es gegen die multikulturelle Gesellschaft. Mit
dramatischer Musik unterlegt, zeigt das Video dunkle Gestalten, die
ihr Gesicht mit Masken verhüllt haben und brennende Fackeln tragen,
auf ihrem nächtlichen Marsch durch Bautzen. Mit Transparenten wird
aufgerufen, sich "den Unsterblichen" anzuschließen. Insgesamt kann
das Video den Eindruck erwecken, als handele es sich bei den
"Unsterblichen“ um eine wirkliche Massenbewegung, ein Eindruck, der
auch dadurch verstärkt wurde, dass das Video und entsprechende Infos
zur Aktion an vielen Stellen des Webs gleichzeitig veröffentlicht
wurde. Die Folge: Schon bald fanden sich etliche solcher
Aktionsvideos der "Unsterblichen" im Netz, rechtsradikales
Videofeedback in Zeiten des Mitmachwebs.
Manchmal geht es aber auch einfacher: Man biete einen
"Wissenstest" zum 2. Weltkrieg an, indem die Kriegsschuld
Deutschlands und deutsche Kriegsverbrechen einfach geleugnet werden,
und schon hat man eine große Zahl Schülerinnen und Schüler auf
seiner Webseite. Im Handumdrehen sind damit – wahrscheinlich ohne
dass es einer größeren Zahl von Usern auffällt – grundlegende
rechtsextreme Ideologiebestandteile mit einer perfiden Strategie aus
dem Bewusstsein junger Leute verbannt. Gäbe es da nicht den
Geschichtsunterricht an der Schule!
Aber gerade an den Schulen treten Neonazis immer unverhohlener auf.
Mit CDs bzw. DVDs wie der für Schüler produzierten CD/DVD "Jugend in
Bewegung", die im Stil des Guerilla-Marketings beworben und unter
die Zielgruppe gebracht werden soll, verbreiten sie
rechtsextremistische Musik, Videos und anderes Propagandamaterial.
Mit fingierten E-Mail-Absendern seriöser Institute wurden dazu schon
Pressemeldungen versendet oder direkt an Schülerinnen und Schüler
per E-Mail geschickt. Lohn der Agitatoren: Auf zeitweise mehr als
10.000 Fundstellen wurde ein User bei Google verwiesen, die mit der
Webseite scueler-cd.info verlinkt waren.
Hinter der Abkürzung »NSBM
verbirgt sich eine weitere Methode, mit der sich die Rechtsextremen
an Jugendliche über die Musikszene heranmachen. »National
Socialist Black Metal (NSBM) heißt die neonazistische Szene, die
sich unter dem Label des
»Black Metal mit ihren gewaltverherrlichenden, rassistischen und
demokratiefeindlichen Texten seit den 1990er Jahren an bestehende
Jugendkulturen andockt. Einen Silberstreifen am Horizont gibt es
dabei zu vermelden: Auf Initiative von Jugendschutz.net haben die
meisten Dienste, darunter YouTube und Dailymotion, unzulässige
Videos, Audiofiles und Profile der Szene gelöscht.
Grund zur Entwarnung besteht freilich nicht. Auch wenn die
effektivste Strategie im Kampf gegen den Rechtsextremismus im Netz
der direkte Kontakt zu den Providern ist, um rechtsextreme Seiten
vom Netz nehmen, bleibt für Staat und Gesellschaft viel zu tun, um
dem Rechtsextremismus den Nährboden zu entziehen. Wer vor allem
Jugendlichen mehr als eine "Schluckimpfung"
mit zweifelhaftem Wert gegen den Rechtsextremismus verabreichen
will, muss in der schulischen und außerschulischen Arbeit mit
Jugendlichen das gesamte Programm der "Erlebniswelt
Rechtsextremismus" zum Thema machen, wie es die gleichnamige
Fortbildungsreihe des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen und
seiner Kooperationspartner (Jugendschutz.net, Bundeszentrale für
politische Bildung)* fordert und konzeptionell umsetzt. Das ist vor
allem für die Schule eine große Herausforderung. Wenn Jugendliche
den rechtsextremistischen Charakter von Websites, Liedern und Texten
oft nicht erkennen können, dann liegt das eben nicht nur daran, dass
die rechtsextreme Propaganda oftmals wie ein Wolf im Schafspelz
daherkommt, sondern vor allem daran, dass die Medienkompetenz der
Schülerinnen und Schüler eben ohne entsprechende Förderung nicht
ausreicht, um sich der rechtsextremen Propaganda entziehen zu
können.
Und eine Vorstellung sollte auch in den Köpfen von Lehrkräften
keinen Platz mehr finden dürfen: "Wir wollen doch keine schlafenden
Hunde wecken!“ Stattdessen, da ist den Verfassern der
Fortbildungsreihe noch einmal beizupflichten, ist eine Medienbildung
gefordert, die "einen offensiven Umgang mit rechtsextremistischen
Materialien"* voraussetzt. Es geht darum, den Rechtsextremismus
immer wieder zum Thema zu machen, Konzepte für den Unterricht über
verschiedene Alters- und Klassenstufen hinweg zu entwickeln, "um
Jugendliche zu sensibilisieren und für die Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus zu stärken."* Das kann in einer Schule
gelingen, welche die Lebenswelten Jugendlicher ernst nimmt,
Schülerinnen und Schülern Gestaltungsspielräume zu selbstbestimmtem
Lernen gewährt und den Lebensraum Schule entsprechend gestaltet.
Denn: "Kognitive Auseinandersetzung, positive (Gruppen-)Erfahrungen
und praktische Formen der Zivilcourage bilden eine Einheit."*
Am Geschichtslehrer jedenfalls kann das Thema mit einer einmaligen
Unterrichtseinheit Nationalsozialismus nicht länger hängenbleiben.
Schluckimpfung war gestern, Medienbildung ist heute. (1055 Wörter)
Gert Egle,
www.teachsam.de, 24.09.2012, zuletzt bearbeitet am:
12.01.2014 |
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