Unterlassene Hilfeleistung eines Busfahrers -
Strafrechtliche Quittung: Geldstrafe und FahrverbotWer einem
Verunglückten nicht zu Hilfe kommt, obwohl ihm dies möglich und zumutbar
wäre, verstößt nicht nur gegen ein Gebot der Menschlichkeit, sondern macht
sich obendrein strafbar. Weil er sich nicht um einen bewusstlosen und
hilfsbedürftigen Passanten gekümmert hatte, erhielt jetzt ein 34jähriger
Busfahrer die strafrechtliche Quittung: Wegen unterlassener Hilfeleistung
(§ 323 c StGB) verurteilte ihn das Amtsgericht Nürnberg zu einer
Geldstrafe von 2.500 DM (ein Betrag, der dem 50fachen Tageseinkommen des
Angeklagten entspricht). Außerdem verhängte es gegen den Berufskraftfahrer
ein einmonatiges Fahrverbot.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg ist inzwischen
rechtskräftig.
Sachverhalt
Es ging um einen Vorfall im November vergangenen Jahres. Der Angeklagte
stoppte an einer Haltestelle in Nürnberg und ließ zwei Fahrgäste
aussteigen. Kurz darauf kam einer der beiden zum Bus zurück und
verständigte den Fahrer, dass auf dem Gehweg ein bewusstloser Mann liege.
Durch einen Blick in den Seitenspiegel erkannte der Beschuldigte, dass
dieser Hinweis stimmte. Statt sich aber um den offensichtlich
hilfsbedürftigen Mann zu kümmern oder wenigstens die Bus-Leitstelle zu
informieren, fuhr der Busfahrer einfach weiter. Der ausgestiegene Fahrgast
veranlasste schließlich eine Frau, den Notarzt herbeizurufen. Diesem
gelang es zwar noch, den infolge Herzversagens bewusstlosen Mann wieder zu
beleben. Einige Tage später erlag aber der Verletzte seinen massiven
Hirnschädigungen, die er auf Grund seines Herz-Kreislauf-Stillstandes
erlitten hatte.
Folgen der unterlassenen Hilfeleistung
Ob der Bewusstlose noch hätte gerettet werden können, wenn der
Busfahrer sofort gehandelt hätte, ist ungewiss. Nach dem Grundsatz "Im
Zweifel für den Angeklagten" konnte der Fahrer deshalb für den Tod des
Verletzten strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden. Den
Ermittlungen zufolge hätte aber die ärztliche Versorgung fünf Minuten
früher beginnen können, wenn der Fahrer sofort seine Leitstelle vom
Notfall verständigt hätte.
Einige Anmerkungen zur Rechtslage bei Unterlassungsdelikten:
§ 323 c StGB (= Strafgesetzbuch) lautet:
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe
leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten,
insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer
wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem
Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 323 c StGB richtet sich an jeden, gleich ob er zum Hilfsbedürftigen
in einer näheren Beziehung steht oder ob – wie im Fall des Busfahrers –
eine solche engere Beziehung nicht besteht.
Die Pflicht zum eigenen Eingreifen entfällt, wenn die sichere Gewähr
für sofortige anderweitige Hilfe besteht. Beistand braucht auch dann nicht
mehr geleistet zu werden, wenn jegliche Hilfe völlig aussichtslos ist.
Solange das aber nicht feststeht und solange Hilfe sinnvoll erscheint, ist
jeder zur Hilfeleistung gesetzlich verpflichtet.
Noch strenger sind die Anforderungen an Personen, die gegenüber dem
Hilfsbedürftigen eine "Garantenstellung" innehaben. Ihnen obliegt eine
gesteigerte, über die normale Beistandspflicht hinausgehende
Handlungspflicht. "Garanten" im strafrechtlichen Sinne sind zum Beispiel
Eltern gegenüber ihren Kindern, Erzieher gegenüber den ihnen anvertrauten
Schülern, Ärzte und Pflegekräfte gegenüber ihren Patienten oder
Unfallverursacher gegenüber einem durch den Unfall Verletzten.
Wer trotz einer solchen Garantenpflicht dem Hilfsbedürftigen nicht
beisteht, setzt sich nicht allein dem Vorwurf der unterlassenen
Hilfeleistung nach § 323 c StGB aus. Er läuft vielmehr Gefahr, wegen
Körperverletzung oder – wenn der Verletzte stirbt – sogar wegen eines
Tötungsdeliktes belangt zu werden. Die Juristen sprechen hier von einem
"Begehen durch Unterlassen" (unechtes Unterlassungsdelikt). Hierfür sieht
das Gesetz weit härtere Strafen vor als für die unterlassene Hilfeleistung
eines Unbeteiligten ohne eine solche Garantenstellung. Für das
Unterlassungsdelikt eines "Garanten" gilt im Grundsatz der gleiche
Strafrahmen wie für ein Begehungsdelikt (wenn auch mit der Möglichkeit
einer gewissen Strafmilderung). Wer somit als "Garant" einem Verletzten
schuldhaft keine Hilfe leistet, geht ein besonders hohes strafrechtliches
Risiko ein.
Rechtsgrundlage für die weitgehende Gleichstellung des schuldhaften
Untätigbleibens mit aktivem Tun ist § 13 StGB. Nach dieser Vorschrift
macht sich strafbar,
"wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines
Strafgesetzes gehört, ... wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass
der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung
des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht".
Die Wendung "rechtlich dafür einzustehen hat" meint dasselbe wie die
oben erwähnte "Garantenpflicht".
Weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit nach dieser strengen Vorschrift
ist, dass durch das Eingreifen des "Garanten" der Schaden nachweislich
hätte abgewendet werden können.
(Verfasser der Presseinformation: Ewald Behrschmidt,
Richter am Oberlandesgericht - Leiter der Justizpressestelle -)
Oberlandesgericht Nürnberg Justizpressestelle
http://www.justiz.bayern.de/olgn/prs072.htm , 15.9.02)
|