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Unfallgaffer

Gerichtsurteil zu unterlassener Hilfeleistung

Rechtsprechung des Amtsgerichts Nürnberg in Strafsachen, 27.6.1999

 
 
  Unterlassene Hilfeleistung eines Busfahrers -
Strafrechtliche Quittung: Geldstrafe und Fahrverbot

Wer einem Verunglückten nicht zu Hilfe kommt, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre, verstößt nicht nur gegen ein Gebot der Menschlichkeit, sondern macht sich obendrein strafbar. Weil er sich nicht um einen bewusstlosen und hilfsbedürftigen Passanten gekümmert hatte, erhielt jetzt ein 34jähriger Busfahrer die strafrechtliche Quittung: Wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) verurteilte ihn das Amtsgericht Nürnberg zu einer Geldstrafe von 2.500 DM (ein Betrag, der dem 50fachen Tageseinkommen des Angeklagten entspricht). Außerdem verhängte es gegen den Berufskraftfahrer ein einmonatiges Fahrverbot.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg ist inzwischen rechtskräftig.

Sachverhalt

Es ging um einen Vorfall im November vergangenen Jahres. Der Angeklagte stoppte an einer Haltestelle in Nürnberg und ließ zwei Fahrgäste aussteigen. Kurz darauf kam einer der beiden zum Bus zurück und verständigte den Fahrer, dass auf dem Gehweg ein bewusstloser Mann liege. Durch einen Blick in den Seitenspiegel erkannte der Beschuldigte, dass dieser Hinweis stimmte. Statt sich aber um den offensichtlich hilfsbedürftigen Mann zu kümmern oder wenigstens die Bus-Leitstelle zu informieren, fuhr der Busfahrer einfach weiter. Der ausgestiegene Fahrgast veranlasste schließlich eine Frau, den Notarzt herbeizurufen. Diesem gelang es zwar noch, den infolge Herzversagens bewusstlosen Mann wieder zu beleben. Einige Tage später erlag aber der Verletzte seinen massiven Hirnschädigungen, die er auf Grund seines Herz-Kreislauf-Stillstandes erlitten hatte.

Folgen der unterlassenen Hilfeleistung

Ob der Bewusstlose noch hätte gerettet werden können, wenn der Busfahrer sofort gehandelt hätte, ist ungewiss. Nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" konnte der Fahrer deshalb für den Tod des Verletzten strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden. Den Ermittlungen zufolge hätte aber die ärztliche Versorgung fünf Minuten früher beginnen können, wenn der Fahrer sofort seine Leitstelle vom Notfall verständigt hätte.

Einige Anmerkungen zur Rechtslage bei Unterlassungsdelikten:

§ 323 c StGB (= Strafgesetzbuch) lautet:
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 323 c StGB richtet sich an jeden, gleich ob er zum Hilfsbedürftigen in einer näheren Beziehung steht oder ob – wie im Fall des Busfahrers – eine solche engere Beziehung nicht besteht.

Die Pflicht zum eigenen Eingreifen entfällt, wenn die sichere Gewähr für sofortige anderweitige Hilfe besteht. Beistand braucht auch dann nicht mehr geleistet zu werden, wenn jegliche Hilfe völlig aussichtslos ist. Solange das aber nicht feststeht und solange Hilfe sinnvoll erscheint, ist jeder zur Hilfeleistung gesetzlich verpflichtet.
Noch strenger sind die Anforderungen an Personen, die gegenüber dem Hilfsbedürftigen eine "Garantenstellung" innehaben. Ihnen obliegt eine gesteigerte, über die normale Beistandspflicht hinausgehende Handlungspflicht. "Garanten" im strafrechtlichen Sinne sind zum Beispiel Eltern gegenüber ihren Kindern, Erzieher gegenüber den ihnen anvertrauten Schülern, Ärzte und Pflegekräfte gegenüber ihren Patienten oder Unfallverursacher gegenüber einem durch den Unfall Verletzten.
Wer trotz einer solchen Garantenpflicht dem Hilfsbedürftigen nicht beisteht, setzt sich nicht allein dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB aus. Er läuft vielmehr Gefahr, wegen Körperverletzung oder – wenn der Verletzte stirbt – sogar wegen eines Tötungsdeliktes belangt zu werden. Die Juristen sprechen hier von einem "Begehen durch Unterlassen" (unechtes Unterlassungsdelikt). Hierfür sieht das Gesetz weit härtere Strafen vor als für die unterlassene Hilfeleistung eines Unbeteiligten ohne eine solche Garantenstellung. Für das Unterlassungsdelikt eines "Garanten" gilt im Grundsatz der gleiche Strafrahmen wie für ein Begehungsdelikt (wenn auch mit der Möglichkeit einer gewissen Strafmilderung). Wer somit als "Garant" einem Verletzten schuldhaft keine Hilfe leistet, geht ein besonders hohes strafrechtliches Risiko ein.

Rechtsgrundlage für die weitgehende Gleichstellung des schuldhaften Untätigbleibens mit aktivem Tun ist § 13 StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar,

"wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ... wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht".

Die Wendung "rechtlich dafür einzustehen hat" meint dasselbe wie die oben erwähnte "Garantenpflicht".
Weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit nach dieser strengen Vorschrift ist, dass durch das Eingreifen des "Garanten" der Schaden nachweislich hätte abgewendet werden können.
 

(Verfasser der Presseinformation: Ewald Behrschmidt, Richter am Oberlandesgericht - Leiter der Justizpressestelle -) Oberlandesgericht Nürnberg Justizpressestelle http://www.justiz.bayern.de/olgn/prs072.htm , 15.9.02)
 

 
   
   Arbeitsanregungen:

Erläutern Sie in einem Kurzvortrag das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg aus dem Jahr 1999.
 

 
      
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