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Der
Soziologe »Ulrich
Beck (geb. 1944) hat mit seinem Werk "Risikogesellschaft. Auf dem Weg in
eine andere Moderne" im Jahr 1986 eine bahnbrechende Arbeit vorgelegt, die sich
u. a. mit den Prozessen der Enttraditionalisierung, Individualisierung und
Globalisierung befasst. Das Werk wurde wurde als eines der zwanzig
soziologischen Werke des Jahrhunderts durch die International Sociological
Association (ISA) ausgezeichnet. (vgl.
Wikipedia,
30.5.2012)
Im Jahr 1995 hat er zusammen mit Ulf Erdmann Ziegler und Timm Rautert das Buch
"Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben"
herausgegeben und darin u. a. den einleitenden Aufsatz unter dem Titel: "Eigenes
Leben. Skizzen zu einer biographischen Gesellschaftsanalyse" verfasst. (»Online-Version
des Textes auf der Webpräsenz von Ulrich Beck) Die theoretischen
Ausführungen Becks werden in dem Buch mit beispielhaften Lebensverläufen
einzelner Personen und Fotos dazu verknüpft und dokumentiert.Die wesentlichen
Aussagen seiner in 15 Thesen vorgestellten Theorie des eigenen Lebens werden
nachfolgend unter Hinzuziehung von Aussagen aus einem Werk "Risikogesellschaft"
tabellarisch dargestellt.
Für die dabei aufgeführten "Bedingungen und Bestimmungen des eigenen Lebens",
betont Ulrich
Beck (Eigenes Leben 1995, S.
15,
"-
funktional differenzierte Gesellschaft, Zwangsleere, Institutionenabhängigkeit,
aktive und individualistische Erzählform der Biographie, Selbstzurechnung auch
im Scheitern, Globalität im Sinne von Handlungen über Distanzen hinweg,
Individualisierung, enttraditionalisierte, experimentelle, reflexive Lebensform
- herrscht in der historischen Typologie des Sozialen das Etikett »postmodern«
vor. Diese Wortbildung ist nicht nur leer -Vergangenheit plus »post«: Das ist
die Formel für die herrschende Begriffs- und Ratlosigkeit. Sie ist auch falsch.
Dies kann man sich in der Gegenüberstellung vergegenwärtigen, welche die
öffentlichen und sozialwissenschaftlichen Kontroversen bestimmt: entweder
Industriegesellschaft (Industriekapitalismus, postindustrielle Gesellschaft im
Sinne von Dienstleistungsgesellschaft usw.) oder Postmoderne." (aus: Ulrich
Beck, Eigenes Leben 1995, S.
15)
(Sofern nichts anderes angeben, vgl. ebd.)
Die Theorie des eigenen Lebens
(Ulrich
Beck Eigenes Leben 1995, S.9-15) |
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In der hochdifferenzierten Gesellschaft
entsteht der Zwang
und die Möglichkeit, ein eigenes Leben zu führen.
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Gesellschaft
-
zerfällt
zusehends in einzelne Funktionsbereiche
-
integriert die
Menschen nicht als ganze Person in ihre verschiedenen
Funktionssysteme, sondern nur teil- und zeitweise
-
Die einzelnen
Menschen
-
sind jeweils nur
unter Teilaspekten eingebunden (als Steuerzahler,
Autofahrer, Studentin, Konsument, Wähler, Patientin,
Produzent, Vater, Mutter, Schwester, Fußgängerin usw.)
-
müssen mit dem
andauernden Wechsel zwischen verschiedenartigen, zum Teil
unvereinbaren Verhaltenslogiken selbständig zurechtkommen
und ihr eigenes Leben selbst in die Hand nehmen
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-
Das eigene Leben ist
kein selbstbestimmtes
Leben, das nur dem eigenen Ich und seinen Vorlieben
verpflichtet ist.
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-
Die einzelnen Menschen führen ihr
"eigenes Leben" unter Vorgaben, die sich ihrer Kontrolle
entziehen (Kindergartenöffnungszeiten, Verkehrsanbindungen,
Stauzeiten, örtlichen Einkaufsmöglichkeiten usw., aktuelle
Ausbildungs- und Arbeitsmarktbedingungen, Regelungen des
Arbeitsrechts, sozialstaatlichen Voraussetzungen;
Wirtschaftskrisen, Zerstörung der Natur)
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- Das eigene Leben ist
durch und durch abhängig
von Institutionen, die an die Stelle bindender
Traditionen getreten sind und fordern, das eigene Leben selbst
zu organisieren.
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- Die einzelnen Menschen
- sind "im Bürokratie- und Institutionendickicht der
Moderne (...) in Netzwerke von Vorgaben und (bürokratischen)
Regeln fest eingebunden" (Beck 1995)
- gezwungen, "die Selbstorganisation des
Lebenslaufes und die Selbstthematisierung der
Biographie" in die eigenen Hände zu nehmen.
- müssen "selbst etwas tun, aktiv, findig und pfiffig
werden, Ideen entwickeln, schneller, wendiger, kreativer
sein, um sich in der Konkurrenz durchzusetzen - und dies
nicht nur einmal, sondern dauernd, tagtäglich." (ebd.)
- "werden zu Akteuren, Konstrukteuren, Jongleuren,
Inszenatoren ihrer Biographie, ihrer Identität, aber auch
ihrer sozialen Bindungen und Netzwerke" (ebd.)
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- Die "normale" Biografie
eines Menschen wird zu einer
Wahlbiografie,
Bastelbiografie Risikobiographie, Bruch-oder Zusammenbruchsbiographie.
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- Zur "Normalbiographie" des einzelnen gehören "Wahlmöglichkeiten
und Wahlzwänge" (Beck
1986, S.190).
- Die Zunahme der Wahlentscheidungen führt auch zu einer
neuen Art der
sozialen Einbindung, einer
neuen Form der Re-Integration in die Gesellschaft. (ebd.,
S.206ff.)
- Die Zunahme der von der Entscheidung des einzelnen
abhängigen Anteile an den individuellen Lebensverläufen macht
die vorhandenen institutionellen und lebensgeschichtlichen
Vorgaben zu "Bausätze(n) biographischer
Kombinationsmöglichkeiten" (ebd.,
S.217).
- Daraus entsteht "der konfliktvolle und historisch
uneingeübte Typus der »Bastelbiographie«
(Gross, 1985)." (ebd.,).
(vgl. auch
Keupp (1989,
S.63ff.), der in diesem Zusammenhang von dem Entstehen einer "Patchwork-Identität"
spricht).
- Durch die auch von den einzelnen selbst getroffenen
biografischen Entscheidungen "entstehen auch qualitativ neue
Formen des persönlichen Risikos" mit neuen Formen der
Schuldzuweisung (Beck
1986, S.218). (vgl. These 6)
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- Das eigene Leben ist ein Leben mit der
Verpflichtung zur
Aktivität.
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- Die einzelnen Menschen
- müssen ihr "Schicksal" durch aktives Tun zu einem
eigenen Leben machen
- scheitern persönlich, wenn ihnen das misslingt und
können ihr Versagen nicht auf ein gemeinsames Schicksal, z.
B. einer Klasse zurückführen, das sie auffängt.
- Grundlage dafür ist "ein aktives Handlungsmodell des
Alltags, das das Ich zum Zentrum hat, ihm Handlungschancen
zuweist und eröffnet und es auf diese Weise erlaubt, die
aufbrechenden Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in
bezug auf den eigenen Lebenslauf sinnvoll kleinzuarbeiten." (ebd.,
S.217)
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- Gesellschaftliche Krisen werden auf das eigene Leben
bezogen und von den einzelnen
als individuelle Krisen
erfahren.
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- Gesellschaftliche Krisen
wie z. B. die Massenarbeitslosigkeit
- werden nicht mehr
oder nur noch in einem sehr vermittelten Sinn als
gesellschaftliche Probleme wahrgenommen
- können direkt in
persönliche Schuldgefühle, Ängste, Konflikte und Neurosen
umschlagen, die das gesellschaftlich bedingte Scheitern auf
der Folie des eigenen Lebens als persönliches Versagen sehen
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- Das eigene Leben ist heute zugleich
globales Leben.
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Das Ringen um das
eigene Leben findet unter den Bedingungen der Globalisierung
statt, bei der alles global mit einander zusammenhängt und
vernetzt ist und deren Entwicklung sich der Kontrolle der
Menschen immer mehr entzieht.
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Die "Globalisierung
des eigenen Lebens"
-
ist nicht nur ein
ökonomisches Phänomen
-
bedeutet auch
"Handlungen über Distanzen hinweg", das Handeln in globalen
Netzwerken, die über die üblichen lokalen und personalen
Erwartungshorizonte hinausgehen. (Beck 1995)
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- Das
eigene Leben ist enttraditionalisiertes Leben.
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Ob Traditionen weiter
gepflegt werden oder nicht, hängt letzten Endes allein von der
Entscheidung des einzelnen Menschen ab.
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Herkömmliche
gruppenspezifische oder kollektive Identitätsvorstellungen und
Sinngebungen der Industriegesellschaft wie z. B. das
Klassenbewusstsein, ethnische Identität oder ein allgemeiner
Fortschrittsglaube werden entzaubert, lösen sich auf und können
somit das politische und ökonomische System der westlichen
Industriegesellschaften nicht mehr wie früher stützen.
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"Die Folge ist: Alle
Definitionsleistungen werden den
Individuen selbst auferlegt." (ebd.)
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Da, wo traditionale
religiöse Deutungssysteme aufeinander prallen und sich dies in
religiös motiviertem Fundamentalismus innerhalb und außerhalb
Europas niederschlägt, ist das als eine Reaktion auf
Individualisierung und Globalisierung zu verstehen.
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- Das
eigene Leben ist ein experimentelles Leben.
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- Unter den Bedingungen von Globalisierung,
Enttraditionalisierung und Individualisierung versagen
überlieferte Lebensrezepte und festgeschriebene
Rollenstereotypen.
- Für die Lebensführung in der Zukunft stehen keine
historischen Vorbilder parat.
- Die Folge davon ist, dass alle Elemente des eigenen und
sozialen Lebens, die Lebensformen ebenso wie Politik, Ökonomie
und Öffentlichkeit neu aufeinander abgestimmt werden müssen.
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- Das eigene Leben ist ein reflexives Leben
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Jeder einzelne muss
sein soziales Leben "managen" und dabei widersprüchliche
Informationen verarbeiten und Kompromisse eingehen.
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Er muss seinen Weg
trotz einer Vielzahl sich widersprechender Erwartungen aktiv
suchen und gehen, auch wenn die Bedingungen, unter denen er dies
tun muss, in seinem engeren Umfeld als auch im globalen Maßstab
insgesamt sehr unsicher sind.
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- Die von den Entscheidungen des einzelnen abhängige Sozialstruktur des eigenen Lebens entsteht mit
fortlaufender Differenzierung und Individualisierung,
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Die sozialen Strukturen, welche im Prozess der Realisierung des eigenen
Lebens entstehen, werden bei fortlaufender Individualisierung immer
vielfältiger.
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Lebensverhältnisse und -formen, die früher einfach tradiert wurden
(Kleinfamilie, Klasse, (herkömmliche) Frauenrolle), existieren kaum mehr und
müssen, selbst wenn sie ganz traditionell sind, von den einzelnen "gewählt,
gegen andere mögliche Optionen verteidigt und gerechtfertigt und als
persönliches Risiko gelebt werden." (ebd.)
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- Das eigene Leben ist eine
spätmoderne Lebensform, welche hoch bewertet wird.
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Die herausragende
Stellung des Individuums in der Gesellschaft und das hohe
Ansehen, in dem es steht, ist das Ergebnis einer Entwicklung der
Spätmoderne.
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Aber auch die
positive Sicht auf das Individuum bleibt nicht unwidersprochen
und findet in Formulierungen wie "Ego"- oder
"Ellenbogengesellschaft" seinen Ausdruck.
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- Eigenes Leben ist
das radikal
nichtidentische Leben.
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Das eigene Leben ist stets das
eigene Leben eines einzigen Individuums unter den Bedingungen von
Enttraditionalisierung, Individualisierung und Globalisierung.
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Um es auch wissenschaftlich zu
erfassen, ist ein multidisziplinärer Ansatz "ohne Patentrezept oder
Drehbuch" nötig, "mit dem Ziel, aus allen diesen Himmelsrichtungen Licht auf
die Rätsel des eigenen Lebens zu werfen." (ebd.)
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- Das eigene Leben
ist durchaus ein moralisches Leben.
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Die Menschen suchen auch bei
ihren Aktivitäten des eigenen Lebens eine Moral, die ihnen Orientierung
geben kann.
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Dies ist als eine
Moral der Selbstbestimmung zu
verstehen, die statt von oben, als eine Moral von unten
aufgefasst werden kann.
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Die Moral der Selbstbestimmung
besteht nicht aus "den eingeschliffenen, abgegriffenen, widerspruchsvoll
gewordenen Pflichtformen und -formeln", (ebd.)
sondern entsteht in einem politisch-gesellschaftlichen
Aushandlungsprozesses, der "die veralteten Bilder des Sozialen in den
Institutionen mit den Anforderungen und Paradoxien des »eigenen«, global
vernetzten Lebens" (ebd.)
neu aufeinander abstimmt.
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- Das eigene Leben
ist das Diesseits-leben,
dem der Tod das endgültige Ende setzt.
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Das eigene Leben ist das einzige
Leben.
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Von daher erklären sich auch
Tendenzen, diesem Faktum durch Flucht ins scheinbare Gegenteil (Esoterik und
neue Religionsbewegungen aller Art) zu entkommen.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
09.12.2015
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