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Auf die Fragen, was den »Populismus
ausmacht und auf welche Ursachen er im einzelnen zurückgeführt werden
kann, gibt es keine einheitlichen Antworten. (vgl. u. a.
Beyme 2000,
S.84ff.) Schwieriger als die Bestimmung von Ursachen scheint dabei die
Frage zu sein, wo der Populismus beginnt und wo er aufhört. Der
Populismus ist eine "dünne" Ideologie,
die ohne Wirtsideologien nicht auskommt.
(→Projekt
Rechtspopulismus)
In ihrem auf Polarisierung
setzenden Politikstil appellieren Populisten immer wieder an
den »"gesunden
Menschenverstand" (common sense), der das
"Grundaxiom" (Priester
2012, S.4) seines Denkens darstellt: "Aus populistischer Sicht ist
der 'gesunde Menschenverstand' dem Reflexionswissen von Intellektuellen
nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter,
lebensweltlicher Erfahrung beruhe, noch nicht vom Virus des modernen
Skeptizismus infiziert sei und daher noch einen unverfälschten,
'gesunden' Zugang zu Recht und Wahrheit habe." (ebd.)
Außer der Berufung auf den so genannten gesunden Menschenverstand
zeichnet sich der Populismus durch "Anti-Elitarismus,
Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie
Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik" aus. (ebd.)
Dabei ist für ihn der Antagonismus zwischen den Eliten "da oben" und dem
Volk "da unten", zu dessen Stimme sie sich erklären, eine der
grundlegenden Orientierungen. (vgl.
Jaschke
1994/2001, S.31)
Im "»Wir« gegen »Die-da-oben«" kommt dabei die "vertikale Dimension als
allgemeines Merkmal des Populismus" (Hartleb
2012, S.24) zum Ausdruck, das sich in seiner "Abgrenzung gegen
die politische Klasse (Institutionen, Altparteien)" (ebd.)
zeigt. Im "»Wir« gegen »Die-da-draußen«" (ebd.),
das sich gegen Immigranten ebenso richtet wie gegen Fremde, zeigt sich
das besondere Gesicht des Rechtspopulismus.
Grundsätzlich kann man zwischen rechtem und linkem Populismus
unterscheiden.
- Rechter Populismus zielt
darauf, andere Menschen auszugrenzen (z. B. als
"Sozialstaatsschmarotzer", Immigranten, Asylbewerber oder ethnische
Minderheiten, Homosexuelle) und will, dass nur die genuin deutsche
Bevölkerung politische und soziale Teilhaberechte besitzt.
- Linker Populismus will
durch mehr Partizipation und durch die Umverteilung des materiellen
Wohlstands der Gesellschaft die unterprivilegierten
Bevölkerungsschichten in ein neues politisches System, ohne
parlamentarische Kontrolle integrieren. (vgl.
Priester 2012,
S.3)
Der scheinemanzipatorische Kampf des Rechtspopulismus gegen das
politische Establishment richtet sich "an das 'Volk' im Gegensatz zu den
Eliten, insbesondere an die 'einfachen Leute' und nicht an bestimmte
Schichten, Klassen, Berufsgruppen oder Interessen" (Jaschke
1994/2001, S.31), vor allem aber an "bildungsferne, unpolitische
Teile der Bevölkerung, die Politik schlechthin für ein 'schmutziges
Geschäft' halten. (Priester
2012, S.5). Selbst ihre intellektuellen Führer
geben sich vielfach anti-intellektuell und - in missionarischer
Fixierung auf das Glück der 'kleinen Leute' - auch liberal und
antiurban." (Dubiele 1986, S.13 zit. n.
Jaschke
1994/2001, S.31)
Die Institutionenfeindlichkeit des Populismus zeigt sich in seiner
Aversion gegen die politische Willensbildung, insbesondere in der
repräsentativen Demokratie und im Parteienstaat. Sie machen sich
allerorten zum Fürsprecher von Plebisziten und Referenden, um dem common
sense eine Bühne zur ungefilterten politischen Artikulation zu
verschaffen.
Während
protestpopulistische Bewegungen schon seit Mitte des 19.
Jahrhunderts als "Ein-Thema-Bewegungen" ihren Protest gegen bestimmte
Modernisierungen in außerparlamentarischen Aktionen (Demonstrationen,
Blockaden, Hausbesetzungen etc.) deshalb zum Ausdruck bringen, weil sich
keiner sonst des Themas annimmt, besteht der Grundzug des heute
vorherrschenden Identitätspopulismus
darin, die eigene Kulturzugehörigkeit als das Wichtigste zu nehmen und
das "Andere" oder die "Anderen" abzuwerten. (vgl.
Priester 2012,
S.6) Dabei ist die mal mehr, mal weniger aggressiv in Erscheinung
tretende Ausländerfeindlichkeit "das auffälligste Symptom der Sorge um
den Verlust der Identität. Sie muss in Abgrenzung zum Anderen gesichert
und neu hergestellt werden", weil ihr ansonsten "durch Vermischung die
Zerstörung droht." (Drobinski
2016)
Antimodernisten jedenfalls sind diese Art von Populisten nicht: "Ihr
Ziel ist vielmehr ein anderer, organisch von 'unten' gewachsener, nicht
von 'oben' oktroyierter, technokratischer Weg in die Moderne." (Priester
2012, S.6) Ebenso ist zumindest der Rechtspopulismus "keine
konservative Bewegung. Er setzt im Gegenteil auf die Veränderung der
Gesellschaft", da es die von ihm anvisierte "harmonische wie homogene,
von gleichen Werten getragene Gesellschaft, die da gezeichnet wird,"
(Drobinski
2016), nie gegeben habe. Insofern wolle, so
Drobinski
(2016) weiter, der Rechtspopulismus "nach vorne" und wolle Antworten
auf die Herausforderungen der Globalisierung geben, indem er "dem
Untergangsszenario eines Westens", der in populistischer Perspektive
betrachtet, "an der eigenen Schwäche und missverstandenen Humanität
verrottet, die Utopie einer reinen, in sich
gemeinschaftsverantwortlichen und stabilen Ordnung" entgegensetzt. Und:
"Damit sie entsteht, muss sich etwas ändern. Der Islam muss aus der
Öffentlichkeit verschwinden, die Ausländer müssen sich assimilieren, die
Sozialsysteme angepasst werden." (ebd.)
Das Schüren von Ängsten gegen die aberwitzige Zukunftsvision einer auf
Überfremdung zurückzuführende "Islamisierung des Abendlandes"
scheint dabei nicht nur eine besonders zugkräftige Strategie zu sein. Es ist zugleich eines
seiner Markenzeichen, das sich aber auch mit anderen Elementen aus
dem
Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) effektvoll
verknüpfen lässt.
Die
Islamophobie ist dabei die Formel und
das alles übergreifende Thema, die auch die heterogenen Wähler
rechtspopulistischer Parteien zusammenhält, für die innere Sicherheit,
Migration bzw. Immigration und EU die Hauptthemen ihrer gefühlten
Bedrohung darstellen. (vgl.
Priester
2012, S.9)
In der Bundesrepublik Deutschland spielte der organisierte →Rechtspopulismus
lange Zeit nur eine sehr bescheidene Rolle. Zwar trat er nicht erst seit
der Gründung der »Alternative
für Deutschland (AfD) im Jahr 2013 in Deutschland als Partei auf,
aber was vorher etwa ab Mitte der 1980er-Jahre dazu zählte, die »Republikaner
(seit 1983), die »Schill-Partei
(2000-2007, oder vielleicht auch die »NPD,
die aber oft als rechtsextremistisch eingeschätzt wird, erlangte
über die regionale Ebene hinaus keine dauerhafte Präsenz in den
Landtagen, in welche die Rechtspopulisten zeitweise einzogen. Ebenso wenig konnte sich der
Rechtspopulismus bundesweit wirklich so positionieren, dass er für das
Parteiensystem unmittelbar relevant wurde. Mit der
→Alternative für Deutschland (AfD)
änderte sich das Ganze. Dass sich die Partei nach ihrer Spaltung im
Juli 2015 und ihrer mit einem Rechtsruck verbundenen Trennung von den
wichtigsten Vertretern des wirtschafsliberalen Flügels in der Partei
(darunter »Bernd
Lucke, geb. 1962; der frühere
BDI-Chef »Hans-Olaf
Henkel (geb. 1940)) unter der Parteivorsitzenden »Frauke
Petry (geb. 1975, Bundessprecherin seit 2015) ein stärkeres rechts-
und nationalkonservatives Profil gab, das stärker an
identitätspopulistischen Themen
orientiert ist und dies mit einer aggressiven populistischen
Wähleransprache verbindet (vgl.
Decker 2015,
S.115), haben vor allem die Auseinandersetzungen um Aufnahme von
Flüchtlingen während der »Flüchtlingskrise
in Deutschland ab 2015 gezeigt und die Anti-Islam-Politik der
letzten Jahre.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.11.2017
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