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In dem Verfahren über die
Verfassungsbeschwerde von
Ferestha Ludin wegen vorangegangener Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts (2002), des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg (2001), des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom (2000) und
verschiedener Bescheide des Oberschulamts Stuttgart aus den Jahren 1998 und
1999 erging am 24.09.2003 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im so
genannten
Kopftuchstreit, hier kurz das »Kopftuch-Urteil« genannt. In
seinem Urteil hebt das
Bundesverfassungsgericht die Urteile der anderen Gerichte und die
entsprechenden Bescheide auf, die der muslimischen Beschwerdeführerin das
Tragen eines Kopftuchs im Schuldienst untersagt und die Übernahme in den
Schuldienst verweigert hatten. Das BVerfG verlangt eine rasche gesetzliche
Regelung in den Ländern, um in dieser Frage eine Rechtsgrundlage zu
schaffen. Das Urteil erging mit einer
Mehrheit von fünf gegen drei Stimmen. Die dem Urteil der Mehrheit nicht
zustimmenden Richter gaben ein ausführliches
Sondervotum ab.
Hier werden Auszüge aus dem
Urteil und seiner Begründung wiedergegeben:
L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003
- 2 BvR 1436/02 -
- Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein
Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg
keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.
- Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene
gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer
Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule
sein.
[...]
1.
Art. 33 Abs. 2 GG eröffnet jedem Deutschen nach Maßgabe seiner Eignung,
Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen
Amt.
a) Das grundrechtsgleiche Recht des
Art. 33 Abs. 2 GG gewährleistet das Maß an Freiheit der Berufswahl (Art. 12
Abs. 1 GG), das angesichts der von der jeweils zuständigen
öffentlich-rechtlichen Körperschaft zulässigerweise begrenzten Zahl von
Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst möglich ist (vgl. BVerfGE 7, 377
<397 f.>;39, 334 <369>).
Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt keinen Anspruch auf Übernahme in ein
öffentliches Amt (vgl. BVerfGE 39, 334 <354>; BVerwGE 68, 109 <110>). Der
Zugang zu einer Tätigkeit in einem öffentlichen Amt (die Zulassung zum
Beruf, die gleichzeitig die freie Berufswahl betrifft) darf insbesondere
durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen beschränkt werden (vgl. BVerfGE
39, 334 <370>). Dies geschieht nach Maßgabe des § 7 des
Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) vom 31. März 1999 (BGBl I S. 654) in den
Beamtengesetzen der Länder durch Regelungen über die für die Berufung in ein
Beamtenverhältnis erforderlichen persönlichen Voraussetzungen. § 11 Abs. 1
des hier maßgeblichen Landesbeamtengesetzes Baden-Württemberg (LBG) in der
Fassung vom 19. März 1996 (GBl S. 286) bestimmt, dass Ernennungen nach
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht,
Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft
oder Beziehungen vorzunehmen sind.
b) Der Gesetzgeber hat bei der Aufstellung von Eignungskriterien für das
jeweilige Amt und bei der Ausgestaltung von Dienstpflichten, nach denen die
Eignung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst zu beurteilen ist,
grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit. Grenzen dieser
Gestaltungsfreiheit ergeben sich aus den Wertentscheidungen in anderen
Verfassungsnormen; insbesondere die Grundrechte setzen der
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Schranken. Auch im Beamtenverhältnis
beanspruchen die Grundrechte Geltung, wobei der Pflichtenkreis des Beamten
gemäß
Art. 33 Abs. 5 GG dessen rechtliche Möglichkeit begrenzt, von
Grundrechten Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 39, 334 <366 f.>): Der
Grundrechtsausübung des Beamten im Dienst können Grenzen gesetzt werden, die
sich aus allgemeinen Anforderungen an den öffentlichen Dienst oder aus
besonderen Erfordernissen des jeweiligen öffentlichen Amtes ergeben (vgl.
etwa BVerwGE 56, 227 <228 f.>). Wird indessen schon der Zugang zu einem
öffentlichen Amt im Hinblick auf ein künftiges Verhalten des Bewerbers
verweigert, das unter grundrechtlichem Schutz steht, muss sich die Annahme
eines hierauf gestützten Eignungsmangels ihrerseits vor dem betroffenen
Grundrecht rechtfertigen lassen.
c) Die Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das von ihm
angestrebte öffentliche Amt durch den Dienstherrn bezieht sich auf die
künftige Amtstätigkeit des Betroffenen und enthält zugleich eine Prognose,
die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten
Persönlichkeit des Bewerbers verlangt (vgl. BVerfGE 39, 334 <353>; 92, 140
<155>). Sie umfasst auch eine vorausschauende Aussage darüber, ob der
Betreffende die ihm in dem angestrebten Amt obliegenden beamtenrechtlichen
Pflichten erfüllen wird. Bei diesem prognostischen Urteil steht dem
Dienstherrn ein weiter Beurteilungsspielraum zu; die Nachprüfung durch die
Fachgerichte beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ob der Dienstherr von
einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den beamten- und
verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht
beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. BVerfGE 39, 334
<354>; BVerwGE 61, 176 <186>; 68, 109 <110>; 86, 244 <246>). Die Prognose
des Dienstherrn über die Eignung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt hat
sich an den dem Beamten obliegenden Pflichten (§§ 35 ff. BRRG; §§ 70 ff. LBG)
zu orientieren. Dienstpflichten, deren Erfüllung vom Bewerber erwartet wird,
müssen gesetzlich hinreichend bestimmt sein und die durch seine Grundrechte
gesetzten Grenzen beachten.
2. Eine dem Beamten auferlegte Pflicht, als Lehrer die eigene
Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in Schule und Unterricht nicht
durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar
werden zu lassen, greift in die von
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle
Glaubensfreiheit ein. Sie stellt den Betroffenen vor die Wahl, entweder
das angestrebte öffentliche Amt auszuüben oder dem von ihm als verpflichtend
angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten.
Art. 4 GG garantiert in
Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses, in
Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des
Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches
Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83,
341 <354>). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben
oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu
bekunden und zu verbreiten (vgl. BVerfGE 24, 236 <245>). Dazu gehört auch
das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines
Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu
handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch
solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung
einer Lebenslage richtige bestimmen (vgl. BVerfGE 32, 98 <106 f.>; 33, 23
<28>; 41, 29 <49>).
Die in
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos
gewährleistet. Einschränkungen müssen sich daher aus der Verfassung selbst
ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von
Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88
<107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>). Die Einschränkung der
vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit bedarf überdies einer
hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 83, 130 <142>).
3. Auch Art. 33
Abs. 3 GG ist berührt. Danach ist die Zulassung zu öffentlichen Ämtern
unabhängig von dem religiösen Bekenntnis (Satz 1); niemandem darf aus der
Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder zu einer
Weltanschauung ein Nachteil erwachsen (Satz 2). Mithin ist ein Zusammenhang
zwischen der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis
ausgeschlossen.
Art. 33 Abs. 3 GG richtet sich in erster Linie gegen eine
Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Religion anknüpft. Darüber hinaus verbietet die Vorschrift jedenfalls auch,
die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu verwehren, die mit der
in
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Glaubensfreiheit unvereinbar sind
(vgl. BVerfGE 79, 69 <75>). Dies schließt die Begründung von
Dienstpflichten, die in die Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern
um öffentliche Ämter eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den
Zugang zum öffentlichen Dienst erschweren oder ausschließen, nicht aus,
unterwirft sie aber den strengen Rechtfertigungsanforderungen, die für
Einschränkungen der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit gelten;
außerdem ist das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen
Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der
Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten.
4. a) Das Tragen eines Kopftuchs durch die Beschwerdeführerin auch in der
Schule fällt unter den Schutz der in
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Glaubensfreiheit. Die
Beschwerdeführerin betrachtet nach den von den Fachgerichten getroffenen und
im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde nicht angezweifelten
tatsächlichen Feststellungen das Tragen eines Kopftuchs als für sich
verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgegeben; das Befolgen dieser
Bekleidungsregel ist für sie Ausdruck ihres religiösen Bekenntnisses. Auf
die umstrittene Frage, ob und inwieweit die Verschleierung für Frauen von
Regeln des islamischen Glaubens vorgeschrieben ist, kommt es nicht an. Zwar
kann nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver
Bestimmung als Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen
werden; vielmehr darf bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck
seiner Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens das Selbstverständnis der
jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE
24, 236 <247 f.>). Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs
in der Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinung als
islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art. 4
Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen (vgl. dazu auch BVerfGE 83,
341 <353>); dies haben die Fachgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise getan.
b) Die Annahme, der Beschwerdeführerin fehle für die Wahrnehmung der
Aufgaben einer Lehrerin an Grund- und Hauptschulen die erforderliche
Eignung, weil sie in Widerspruch zu einer bestehenden Dienstpflicht in
Schule und Unterricht ein Kopftuch tragen wolle, das ihre Zugehörigkeit zur
islamischen Religionsgemeinschaft deutlich mache, und die darauf gegründete
Verweigerung des Zugangs zu einem öffentlichen Amt wären mit
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vereinbar, wenn der beabsichtigten Ausübung der
Glaubensfreiheit Rechtsgüter von Verfassungsrang entgegenstünden und sich
diese Begrenzung der freien Religionsausübung auf eine hinreichend bestimmte
gesetzliche Grundlage stützen könnte. Als mit der Glaubensfreiheit in
Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen
Erziehungsauftrag (Art. 7
Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser
Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6
Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schulkinder (Art. 4
Abs. 1 GG) in Betracht.
aa) Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller
Staatsbürger in
Art. 4 Abs. 1 GG,
Art. 3 Abs. 3 Satz 1,
Art. 33 Abs. 3 sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV
in Verbindung mit
Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es
verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die
Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung
Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93,
1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung
der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten
(vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>) und darf
sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl.
BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>). Der freiheitliche Staat des
Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt
weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein
Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der
Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl.
BVerfGE 41, 29 <50>).
Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes
nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und
Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für
alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art. 4
Abs. 1 und 2 GG gebietet auch in positivem Sinn, den Raum für die aktive
Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen
Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl.
BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte
Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder
weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder
ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem
bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und
dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden
(vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>). Auch verwehrt es der Grundsatz
religiös-weltanschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer
Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>).
Dies gilt nach dem bisherigen Verständnis des Verhältnisses von Staat und
Religion, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinen
Niederschlag gefunden hat, insbesondere auch für den vom Staat in Vorsorge
genommenen Bereich der Pflichtschule, für den seiner Natur nach religiöse
und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE
41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Danach sind christliche Bezüge bei der
Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule
muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte
offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>).[...]
bb) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und
Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4
Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und
weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren
Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu
vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52,
223 <236>; 93, 1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von
Glaubensüberzeugungen fern zu halten, die den Eltern als falsch oder
schädlich erscheinen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2
GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und
in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach
Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in
der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. BVerfGE 34, 165 <183>;
41, 29 <44>). Wie dieser im Einzelnen zu erfüllen ist und insbesondere in
welchem Umfang religiöse Bezüge in der Schule ihren Platz haben sollen,
unterliegt innerhalb der vom Grundgesetz, vor allem in Art. 4 Abs. 1 und 2
GG, abgesteckten Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Länder (vgl. BVerfGE
41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <242 f.>; vgl. näher unten dd>).
cc) Schließlich trifft die von der Beschwerdeführerin in Anspruch
genommene Freiheit der Betätigung ihrer Glaubensüberzeugung durch das Tragen
des Kopftuchs in Schule und Unterricht auf die negative Glaubensfreiheit der
Schülerinnen und Schüler.
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die negative wie die positive Äußerungsform
der Glaubensfreiheit gleichermaßen schützt, gewährleistet auch die Freiheit,
kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fern zu bleiben; das
bezieht sich auch auf Kulte und Symbole, in denen ein Glaube oder eine
Religion sich darstellt.
Art. 4 GG überlässt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen
Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer
Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein
Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und
religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber
eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne
Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen,
in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich
darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>). Insofern entfaltet
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in
Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation
überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind (vgl. BVerfGE
41, 29 <49>); dies bekräftigt
Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV, wonach es verboten
ist, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen.
dd) Das Grundgesetz lässt den Ländern im Schulwesen umfassende
Gestaltungsfreiheit; auch in Bezug auf die weltanschaulich-religiöse
Ausprägung der öffentlichen Schulen hat
Art. 7 GG die weit gehende Selbständigkeit der Länder und im Rahmen von
deren Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im
Auge (vgl. BVerfGE 41, 29 <44 f.>; 52, 223 <242 f.>). Das unvermeidliche
Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit eines Lehrers
einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser
Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen
Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter Berücksichtigung des
Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der
im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss
zu suchen hat. Er muss sich bei seiner Regelung daran orientieren, dass
einerseits im Bereich des Schulwesens
Art. 7 GG weltanschaulich-religiöse Einflüsse unter Wahrung des
Erziehungsrechts der Eltern zulässt und dass andererseits Art. 4 GG
gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform
weltanschaulich-religiöse Zwänge so weit wie irgend möglich auszuschalten.
Die Vorschriften sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr
Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen. Dies schließt ein, dass die
einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen können, weil bei dem zu
findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle
Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse
Verwurzelung berücksichtigt werden dürfen (vgl. BVerfGE 41, 29 <50 f.>; 93,
1 <22 f.>).
Diese Grundsätze gelten auch für die Beantwortung der Frage, in welchem
Umfang Lehrern unter Beschränkung ihres individuellen Grundrechts der
Glaubensfreiheit für ihr Auftreten und Verhalten in der Schule Pflichten in
Bezug auf die Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates
auferlegt werden dürfen.
5. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und
Unterricht durch Lehrkräfte kann den in Neutralität zu erfüllenden
staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die
negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es
eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie
von Konflikten mit Eltern, die zu einer Störung des Schulfriedens führen und
die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden können. Auch die
religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu
interpretierende Bekleidung von Lehrern kann diese Wirkungen haben. Dabei
handelt es sich aber lediglich um abstrakte Gefahren. Sollen bereits
derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts aufgrund
des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst ein konkretes Verhalten, das
sich als Versuch einer Beeinflussung oder gar Missionierung der anvertrauten
Schulkinder darstellt, als Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten oder als
die Berufung in das Beamtenverhältnis hindernder Mangel der Eignung bewertet
werden, so setzt dies, weil damit die Einschränkung des vorbehaltlos
gewährten Grundrechts aus
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einhergeht, eine hinreichend bestimmte
gesetzliche Grundlage voraus, die dies erlaubt. Daran fehlt es hier.
a) Bei der Beurteilung der Frage, ob einer bestimmten Bekleidung oder
anderen äußeren Zeichen ein religiöser oder weltanschaulicher Aussagegehalt
nach Art eines Symbols zukommt, ist die Wirkung des verwendeten
Ausdrucksmittels ebenso zu berücksichtigen wie alle dafür in Betracht
kommenden Deutungsmöglichkeiten. Das Kopftuch ist - anders als das
christliche Kreuz (vgl. dazu BVerfGE 93, 1 <19 f.>) - nicht aus sich heraus
ein religiöses Symbol. Erst im Zusammenhang mit der Person, die es trägt,
und mit deren sonstigem Verhalten kann es eine vergleichbare Wirkung
entfalten. Das von Musliminnen getragene
Kopftuch wird als Kürzel für höchst unterschiedliche
Aussagen und Wertvorstellungen wahrgenommen:
Neben dem Wunsch, als verpflichtend empfundene, religiös fundierte
Bekleidungsregeln einzuhalten, kann es auch als ein Zeichen für das
Festhalten an Traditionen der Herkunftsgesellschaft gedeutet werden. In
jüngster Zeit wird in ihm verstärkt ein politisches Symbol des islamischen
Fundamentalismus gesehen, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen
Gesellschaft, wie individuelle Selbstbestimmung und insbesondere
Emanzipation der Frau, ausdrückt. Nach den auch in der mündlichen
Verhandlung bestätigten tatsächlichen Feststellungen im fachgerichtlichen
Verfahren ist das jedoch nicht die Botschaft, welche die Beschwerdeführerin
mit dem Tragen des Kopftuchs vermitteln will.
Die in der mündlichen Verhandlung gehörte Sachverständige Frau Dr. Karakasoglu
hat auf der Grundlage einer von ihr durchgeführten Befragung von etwa 25
muslimischen Pädagogikstudentinnen - davon zwölf Kopftuchträgerinnen -
dargelegt, dass das Kopftuch von jungen Frauen auch getragen werde, um in
einer Diasporasituation die eigene Identität zu bewahren und zugleich auf
die Traditionen der Eltern Rücksicht zu nehmen; als Grund für das Tragen des
Kopftuchs sei darüber hinaus der Wunsch genannt worden, durch ein Zeichen
für sexuelle Nichtverfügbarkeit mehr eigenständigen Schutz zu erlangen und
sich selbstbestimmt zu integrieren. Das Tragen des Kopftuchs solle zwar in
der Öffentlichkeit den Stellenwert religiöser Orientierung im eigenen
Lebensentwurf dokumentieren, werde aber als Ausdruck individueller
Entscheidung begriffen und stehe nicht im Widerspruch zu einer modernen
Lebensführung. Die Bewahrung ihrer Differenz ist nach dem Verständnis der
befragten Frauen Voraussetzung ihrer Integration. Auf der Grundlage der von
der Sachverständigen geführten und ausgewerteten qualitativen Interviews
lassen sich zwar keine repräsentativen Aussagen für alle in Deutschland
lebenden Musliminnen treffen; die Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass
angesichts der Vielfalt der Motive die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein
Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden darf.
Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein frei
gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein
selbstbestimmtes Leben zu führen. Auf
diesem Hintergrund ist nicht belegt, dass die Beschwerdeführerin allein
dadurch, dass sie ein Kopftuch trägt, etwa muslimischen Schülerinnen die
Entwicklung eines den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden
Frauenbildes oder dessen Umsetzung im eigenen Leben erschweren würde.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Absicht einer Lehrerin, in Schule
und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einen Eignungsmangel begründet, kommt
es darauf an, wie ein Kopftuch auf einen Betrachter wirken kann (objektiver
Empfängerhorizont); deshalb sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das
Tragen eines Kopftuchs verstanden werden kann, bei der Beurteilung zu
berücksichtigen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin,
die für ihre Entscheidung, in der Öffentlichkeit stets ein Kopftuch zu
tragen, in plausibler Weise religiös motivierte Gründe angegeben hat, sich
für dieses Verhalten auf den Schutz des
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen kann, der in enger Beziehung zum obersten
Verfassungswert der Menschenwürde (Art. 1
Abs. 1 GG) steht (vgl. BVerfGE 52, 223 <247>).
b) Im Hinblick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist danach zu
unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der
Schulbehörde oder aufgrund eigener Entscheidung von einer einzelnen
Lehrkraft verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen kann. Duldet der Staat in der
Schule eine Bekleidung von Lehrern, die diese aufgrund individueller
Entscheidung tragen und die als religiös motiviert zu deuten ist, so kann
dies mit einer staatlichen Anordnung, religiöse Symbole in der Schule
anzubringen, nicht gleichgesetzt werden (zu letzterem vgl. BVerfGE 93, 1
<18>). Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene
religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin hinnimmt, macht diese Aussage
nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von
ihm beabsichtigt zurechnen lassen. Die Wirkung eines von der Lehrerin aus
religiösen Gründen getragenen Kopftuchs kann allerdings deshalb besondere
Intensität erreichen, weil die Schüler für die gesamte Dauer des
Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden
Lehrerin ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert sind. Andererseits kann der
religiöse Aussagegehalt eines Kleidungsstücks von der Lehrkraft den
Schulkindern differenzierend erläutert und damit in seiner Wirkung auch
abgeschwächt werden.
c) Die Annahme einer Dienstpflichtverletzung wegen befürchteter
bestimmender Einflüsse des Kopftuchs der Beschwerdeführerin auf die
religiöse Orientierung der Schulkinder kann sich
nicht auf gesicherte
empirische Grundlagen stützen.
Der in der mündlichen Verhandlung dazu angehörte Sachverständige
Professor Dr. Bliesener hat ausgeführt, dass es aus
entwicklungspsychologischer Sicht derzeit noch keine gesicherten
Erkenntnisse gebe, die eine Beeinflussung von Kindern allein durch die
tägliche Begegnung mit einer Lehrerin belegen könnten, die in Schule und
Unterricht ein Kopftuch trägt. Erst bei Hinzutreten von Konflikten zwischen
Eltern und Lehrern, die im Zusammenhang mit dem Kopftuch der Lehrerin
entstehen können, seien belastende Auswirkungen insbesondere auf jüngere
Schülerinnen und Schüler zu erwarten. Die beiden anderen vom Senat
angehörten Sachverständigen, Frau Psychologiedirektorin Leinenbach sowie
Professor Dr. Riedesser, haben keine hiervon abweichenden Erkenntnisse
vorgetragen. Eine derart ungesicherte Erkenntnislage reicht als Grundlage
einer behördlichen Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Eignung,
die erheblich in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingreift, nicht aus.
d) Für die Ablehnung der Beschwerdeführerin wegen mangelnder Eignung
infolge ihrer Weigerung, das Kopftuch in Schule und Unterricht abzulegen,
fehlt es jedenfalls an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.
Der von der Schulbehörde und den Fachgerichten angeführte Gesichtspunkt,
die Absicht der Beschwerdeführerin, im Schuldienst ein Kopftuch tragen zu
wollen, begründe deshalb einen Eignungsmangel, weil schon vorbeugend
möglichen Beeinflussungen der Schülerinnen und Schüler entgegengewirkt und
nicht auszuschließende Konflikte zwischen Lehrer und Schülern sowie deren
Eltern von vornherein vermieden werden sollten, rechtfertigt gegenwärtig den
Eingriff in das grundsrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin aus
Art. 33 Abs. 2 GG und die damit einhergehende Einschränkung ihrer
Glaubensfreiheit nicht. [...]
6. Dem zuständigen Landesgesetzgeber steht es jedoch frei, die bislang
fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen, etwa indem er im Rahmen der
verfassungsrechtlichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der
Schule neu bestimmt. Dabei hat er der Glaubensfreiheit der Lehrer wie auch
der betroffenen Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der Pflicht
des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener Weise
Rechnung zu tragen. [...]
Eine Regelung, die Lehrern untersagt, äußerlich dauernd sichtbar ihre
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder
Glaubensrichtung erkennen zu lassen, ist Teil der Bestimmung des
Verhältnisses von Staat und Religion im Bereich der Schule. Die gewachsene
religiöse Vielfalt in der Gesellschaft spiegelt sich hier besonders deutlich
wider. Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse
Auffassungen unausweichlich aufeinander treffen und wo sich dieses
Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Ein tolerantes
Miteinander mit Andersgesinnten könnte hier am nachhaltigsten durch
Erziehung geübt werden. Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen
Überzeugung bedeuten, sondern böte die Chance zur Erkenntnis und Festigung
des eigenen Standpunkts und zu einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht
als nivellierender Ausgleich versteht (vgl. BVerfGE 41, 29 <64>). Es ließen
sich deshalb Gründe dafür anführen, die zunehmende religiöse Vielfalt in der
Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger
Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu
leisten. Andererseits ist die beschriebene Entwicklung auch mit einem
größeren Potenzial möglicher Konflikte in der Schule verbunden. Es mag
deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht im
schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende
Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild
einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich
fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften
von vornherein zu vermeiden.
b) Wie auf die gewandelten Verhältnisse zu antworten ist, insbesondere,
welche Verhaltensregeln in Bezug auf Kleidung und sonstiges Auftreten
gegenüber den Schulkindern für Lehrerinnen und Lehrer zur näheren
Konkretisierung ihrer allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten und zur
Wahrung des religiösen Friedens in der Schule aufgestellt werden sollen und
welche Anforderungen demgemäß zur Eignung für ein Lehramt gehören, hat nicht
die Exekutive zu entscheiden. Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung
durch den demokratisch legitimierten Landesgesetzgeber. Für die Beurteilung
der tatsächlichen Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige
Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern oder andere Werte von
Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Lehrkräfte aller
Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen
mit religiösem Bezug verpflichten, verfügt nur der Gesetzgeber über eine
Einschätzungsprärogative, die Behörden und Gerichte nicht für sich in
Anspruch nehmen können (vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>; 99, 367 <389 f.>).
[...]
aa) Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
folgt aus dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts. Rechtsstaatsprinzip und
Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die
Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl.
BVerfGE 49, 89 <126>; 61, 260 <275>; 83, 130 <142>). Wie weit der
Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien
selbst bestimmen muss, richtet sich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine
Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche
Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und
nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen
Grundrechte - wie hier die positive und negative Glaubensfreiheit sowie das
elterliche Erziehungsrecht - nach dem Wortlaut der Verfassung ohne
Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen
Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten
Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Hier ist der Gesetzgeber
verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien
jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie eine solche Festlegung für die
Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich ist (vgl. BVerfGE 83, 130 <142>).
[..]
Insbesondere im Schulwesen verpflichten Rechtsstaatsgebot und
Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber, die wesentlichen
Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen
(vgl. BVerfGE 40, 237 <249>; 58, 257 <268 f.>). Das gilt auch und gerade
dann, wenn und soweit auf gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse und
zunehmende weltanschaulich-religiöse Vielfalt in der Schule mit einer
strikteren Zurückdrängung jeglicher religiöser Bezüge geantwortet und damit
die staatliche Neutralitätspflicht innerhalb der von der Verfassung
gezogenen Grenzen neu abgesteckt werden soll. Eine solche Entscheidung hat
erhebliche Bedeutung für die Verwirklichung von Grundrechten im Verhältnis
zwischen Lehrern, Eltern und Kindern sowie dem Staat.
bb) Eine Regelung, nach der es zu den Dienstpflichten einer Lehrerin
gehört, im Unterricht auf das Tragen eines Kopftuchs oder anderer
Erkennungsmerkmale der religiösen Überzeugung zu verzichten, ist eine im
Sinne der Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt wesentliche. Sie greift in
erheblichem Maße in die Glaubensfreiheit der Betroffenen ein. Sie betrifft
außerdem Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit unterschiedlich
intensiv, je nachdem, ob sie die Befolgung bestimmter Bekleidungssitten als
zur Ausübung ihrer Religion gehörig ansehen oder nicht. Dementsprechend hat
sie besondere Ausschlusswirkungen für bestimmte Gruppen. Wegen dieses
Gruppenbezuges kommt der Begründung einer solchen Dienstpflicht für
Lehrkräfte über ihre Bedeutung für die individuelle Grundrechtsausübung
hinaus auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnungsfunktion der
Glaubensfreiheit wesentliche Bedeutung zu.
Schließlich bedarf die Einführung einer Dienstpflicht, die es Lehrern
verbietet, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit
erkennbar zu machen, auch deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung, weil eine solche Dienstpflicht in verfassungsmäßiger - unter
anderem mit
Art. 33 Abs. 3 GG vereinbarer - Weise nur begründet und durchgesetzt
werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei
gleich behandelt werden. Dies ist nicht in gleichem Maße gewährleistet, wenn
es den Behörden und Gerichten überlassen bleibt, über das Bestehen und die
Reichweite einer solchen Dienstpflicht von Fall zu Fall nach Maßgabe ihrer
Prognosen über das Einfluss- und Konfliktpotenzial von Erkennungsmerkmalen
der Religionszugehörigkeit im Erscheinungsbild der jeweiligen Lehrkraft zu
entscheiden.
III.
Solange keine gesetzliche Grundlage besteht, aus der sich mit
hinreichender Bestimmtheit ablesen lässt, dass für Lehrer an Grund- und
Hauptschulen eine Dienstpflicht besteht, auf Erkennungsmerkmale ihrer
Religionszugehörigkeit in Schule und Unterricht zu verzichten, ist auf der
Grundlage des geltenden Rechts die Annahme fehlender Eignung der
Beschwerdeführerin mit Art. 33
Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und
Art. 33 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Die mit der Verfassungsbeschwerde
angegriffenen Entscheidungen verletzen deshalb die in diesen Vorschriften
gewährleistete Rechtsposition der Beschwerdeführerin. [...]
C.
Diese Entscheidung ist mit fünf
gegen drei Stimmen ergangen.
Abweichende Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff
zum Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 -
Die Senatsmehrheit nimmt an, bestimmte Dienstpflichten eines Beamten
dürften nur durch parlamentarisches Gesetz begründet werden, wenn sie in
Zusammenhang mit dessen Religions- oder Weltanschauungsfreiheit stehen. Dies
wurde bislang weder in Rechtsprechung und Literatur noch von der
Beschwerdeführerin selbst vertreten. Mit dieser Auffassung bleibt nicht nur
die dem Gericht unterbreitete grundsätzliche Verfassungsfrage nach der
staatlichen Neutralität im Bildungs- und Erziehungsraum der Schule
unentschieden, sie führt auch zu einer im Grundgesetz nicht angelegten
Fehlgewichtung im System der Gewaltenteilung sowie im Verständnis der
Geltungskraft der Grundrechte beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Die
Entscheidung geht über den ausdrücklich bekundeten Willen des
baden-württembergischen Landtages hinweg, aus Anlass des Falles der
Beschwerdeführerin kein formelles Gesetz zu erlassen; sie lässt zudem die
Volksvertretung im Unklaren darüber, wie eine verfassungsgemäße Regelung
getroffen werden kann. Schließlich gibt die Senatsmehrheit dem
Landesgesetzgeber keine Möglichkeit, sich auf die von ihr angenommene neue
Verfassungsrechtslage einzustellen und versäumt es, Rechtsprechung und
Verwaltung zu sagen, wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzes verfahren
sollen.
I.
Die Senatsmehrheit nimmt zu Unrecht einen schwerwiegenden Eingriff in die
Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Beschwerdeführerin an, um einen
Gesetzesvorbehalt zu rechtfertigen. Damit verkennt sie die funktionelle
Begrenzung des Grundrechtsschutzes für Beamte. Im Fall des Zugangs zu einem
öffentlichen Amt gibt es keine offene Abwägungssituation gleichwertiger
Rechtsgüter; das für die Grundrechtsverwirklichung wesentliche
Rechtsverhältnis in der Schule wird in erster Linie durch den
Grundrechtsschutz von Schülern und Eltern geprägt.
1. Wer Beamter wird, stellt sich in freier Willensentschließung auf die
Seite des Staates. Der Beamte kann sich deshalb nicht in gleicher Weise auf
die freiheitssichernde Wirkung der Grundrechte berufen wie jemand, der nicht
in die Staatsorganisation eingegliedert ist. In Ausübung seines öffentlichen
Amtes kommt ihm deshalb das durch die Grundrechte verbürgte
Freiheitsversprechen gegen den Staat nur insoweit zu, als sich aus dem
besonderen Funktionsvorbehalt des öffentlichen Dienstes keine
Einschränkungen ergeben. Der beamtete Lehrer unterrichtet auch im Rahmen
seiner persönlichen pädagogischen Verantwortung nicht in Wahrnehmung eigener
Freiheit, sondern im Auftrag der Allgemeinheit und in Verantwortung des
Staates. Beamtete Lehrer genießen deshalb bereits vom Ansatz her nicht
denselben Grundrechtsschutz wie Eltern und Schüler: Die Lehrer sind vielmehr
an Grundrechte gebunden, weil sie teilhaben an der Ausübung öffentlicher
Gewalt.
Mit der Formulierung von Dienstpflichten für die Beamten genügt die
staatliche Verwaltung auch ihrer Bindung aus
Art. 1 Abs. 3 GG; die Dienstpflicht des Beamten ist die Kehrseite der
Freiheit desjenigen Bürgers, dem die öffentliche Gewalt in der Person des
Beamten gegenübertritt. Werden dem Lehrer Dienstpflichten für die Ausübung
seines Amts auferlegt, geht es daher nicht um Eingriffe in die staatsfreie
Gesellschaft und die dadurch begründete Forderung nach dem parlamentarischen
Gesetz zum Schutz des Bürgers. Mit Dienstpflichten sichert der Staat in
seiner Binnensphäre die gleichmäßige, gesetzes- und verfassungstreue
Verwaltung.
Die Senatsmehrheit hat diesen Strukturunterschied nicht ausreichend
berücksichtigt. Dadurch wird die grundrechtlich unterschiedliche Lage des
Lehrers einerseits sowie der Schüler und Eltern andererseits nicht
zutreffend erfasst. Insbesondere die Rechtsstellung des Bewerbers, dem es an
einem Rechtsanspruch auf den begehrten Eintritt in die Organisationswelt des
Staates fehlt, darf nicht aus der Abwehrperspektive eines Grundrechtsträgers
gegen den Staat gesehen werden. Der freiwillige Eintritt in das
Beamtenverhältnis ist eine vom Bewerber in Freiheit getroffene Entscheidung
für die Bindung an das Gemeinwohl und die Treue zu einem Dienstherren, der
in der Demokratie für das Volk und kontrolliert durch das Volk handelt. Wer
Beamter werden will, darf deshalb das Gebot der Mäßigung und der beruflichen
Neutralität nicht ablehnen, weder generell noch in Bezug auf bestimmte,
vorweg erkennbare dienstliche oder außerdienstliche Konstellationen. Mit
diesen Pflichten ist jedenfalls nicht zu vereinbaren, dass der Beamte den
Dienst im Innenverhältnis prononciert als Aktionsraum für Bekenntnisse,
gleichsam als Bühne grundrechtlicher Entfaltung nutzt. Die ihm übertragene
Aufgabe besteht darin, dem demokratischen Willen, d.h. dem Gesetzeswillen
und dem der verantwortlichen Regierung fachlich, sachlich, nüchtern und
neutral zur Wirksamkeit zu verhelfen und als Individuum dort zurückzustehen,
wo seine Ansprüche auf Verwirklichung der Persönlichkeit geeignet sein
können, Konflikte im Dienstverhältnis und damit Hindernisse für die
Verwirklichung demokratisch gebildeten Willens zu erzeugen.
2. Beamte unterscheiden sich grundsätzlich von denjenigen Bürgern, die
durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt einem Sonderstatusverhältnis
unterworfen werden, dabei aber nicht etwa in die Sphäre des Staates
wechseln, sondern nur in eine rechtliche Sonderbeziehung treten, wie Schüler
und deren erziehungsberechtigte Eltern in der staatlichen Pflichtschule (BVerfGE
34, 165 <192 f.>; 41, 251 <259 f.>; 45, 400 <417 f.>; 47, 46 <78 ff.>) oder
Strafgefangene im Vollzug (BVerfGE 33, 1 <11>). Es ist deshalb ein Irrtum zu
glauben, mit der Betonung grundrechtlicher Positionen im innerdienstlichen
Bereich könne ein weiteres Mal - nach dem Kampf gegen das Institut des
besonderen Gewaltverhältnisses - eine Schlacht für die Freiheitsidee des
Grundgesetzes geschlagen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Wer den
grundrechtsverpflichteten Lehrer primär als Grundrechtsträger begreift und
seine Freiheitsansprüche damit gegen Schüler und Eltern richtet, verkürzt
die Freiheit derer, um derentwillen mit der Wesentlichkeitstheorie der
Gesetzesvorbehalt im Schulrecht ausgedehnt wurde.
Das Verhältnis des Beamten zum Staat ist eine besondere Nähebeziehung,
die von der Verfassung anerkannte und als bewahrenswert angesehene
Sachgesetzlichkeiten aufweist. Beamte sollen nach der ausgewogenen
Konzeption des Grundgesetzes durchaus freiheitsbewusste Staatsbürger sein
- anders wäre die Treue zur freiheitlichen Verfassung nur ein
Lippenbekenntnis -, sie sollen zugleich aber den grundsätzlichen Vorrang der
Dienstpflichten und den darin verkörperten Willen der demokratischen Organe
achten. [...]
Verbietet der Staat jemandem das zumindest auch religiös motivierte
Tragen des Kopftuches auf einem öffentlichen Platz, greift er zweifellos in
das Grundrecht der Religionsfreiheit ein. Möchte der Beamte dagegen in einem
bereits von der Verfassung als neutral bestimmten Bereich - hier im
Unterricht einer staatlichen Pflichtschule - und als Repräsentant der
Allgemeinheit religiös begriffene Zeichen setzen, so übt er nicht eine ihm
als Individuum zustehende Freiheit im gesellschaftlichen Raum aus. Die
Freiheitsentfaltung des Beamten im Dienst ist von vornherein durch die
Sachnotwendigkeiten und vor allem die verfassungsrechtliche Ausgestaltung
des Amtes begrenzt - anders würde die Verwirklichung des Volkswillens an
einem Übermaß an Freiheitsansprüchen der Repräsentanten des Staates
scheitern. Bei der Wahrnehmung des Schuldienstes hat der Lehrer die
Grundrechte der Schüler und ihrer Eltern zu achten, er steht nicht nur auf
der Seite des Staates, der Staat handelt durch ihn. Wer den Beamten,
abgesehen von Statusfragen, als uneingeschränkt grundrechtsberechtigt
gegenüber seinem Dienstherren sieht, löst die um der Freiheit von Kindern
und Eltern willen gezogene Grenze zwischen Staat und Gesellschaft auf. Er
nimmt damit in Kauf, dass die Durchsetzung demokratischer Willensbildung
erschwert wird und ebnet stattdessen einer schwer kontrollierbaren
juristischen Abwägung zwischen Grundrechtspositionen von Lehrern, Eltern und
Schülern den Weg.
4. Eines Gesetzes bedarf es schließlich auch nicht deshalb, weil die
Eignungsbeurteilung eines Beamten mittelbare Wirkungen in einem für die
Grundrechte wesentlichen Rechtsverhältnis entfaltet. Zwar ist die Geltung
des Gesetzesvorbehalts im Schulrecht in der Vergangenheit um der Eltern und
Schüler willen ausgeweitet worden, nicht jedoch zum Schutze der beamteten
Lehrer. Das Beamtenverhältnis als eine besondere Nähebeziehung zwischen
Bürger und Staat wurde im Gegensatz zum Schulrecht mit seinem nach außen
gerichteten und in das Elternrecht einwirkenden Leistungscharakter gerade
nicht als Rechtsbeziehung verstanden, die vom Grundrechtsanspruch des
Beamten geprägt wird (vgl. Oppermann, Verhandlungen des 51. Deutschen
Juristentages, 1976, Band I, Teil C Gutachten, Nach welchen rechtlichen
Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm
Beteiligten zu ordnen?, C 46 f.).
II.
Die Neutralitätspflicht des Beamten ergibt sich aus der Verfassung
selbst, sie bedarf keiner zusätzlichen landesgesetzlichen Grundlegung. Der
Beamte, der keine Gewähr für eine in seinem Gesamtverhalten neutrale, den
jeweiligen dienstlichen Anforderungen angemessene Amtsführung bietet, ist
ungeeignet im Sinne des
Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 92, 140 <151>; 96, 189 <197>).
Die Begründung der Senatsmehrheit schiebt den grundrechtlichen
Freiheitsanspruch weit in das öffentliche Dienstrecht, ohne die vom
Grundgesetz in
Art. 33 GG getroffene Strukturentscheidung angemessen zu gewichten. Sie
ist deshalb mit grundlegenden Aussagen der Verfassung zum Verhältnis von
Gesellschaft und Staat nicht in Einklang zu bringen. Verkannt wird
insbesondere die Stellung des öffentlichen Dienstes bei der Verwirklichung
des demokratischen Willens.
1. Wer ein öffentliches Amt erstrebt, sucht im status activus die Nähe
zur öffentlichen Gewalt und begehrt - wie die Beschwerdeführerin - die
Begründung eines besonderen Dienst- und Treueverhältnisses zum Staat. [...]
Die allgemeine Neutralitätspflicht gilt in besonderem Maße für Beamte,
die das Amt des Lehrers an öffentlichen Schulen ausüben. Lehrer erfüllen den
Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates (Art. 7
Abs. 1 GG). Sie haben dabei die unmittelbare pädagogische Verantwortung
für den Unterricht und die Erziehung der Schüler. Auf Grund ihrer Funktion
werden sie in die Lage versetzt, in einer den Eltern vergleichbaren Weise
Einfluss auf die Entwicklung der anvertrauten Schüler zu nehmen. Damit
verbunden ist eine Einschränkung des grundrechtlich garantierten
Erziehungsrechts der Eltern (Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG), die nur hingenommen werden kann, wenn sich die Schule
um größtmögliche Objektivität und Neutralität nicht nur im politischen,
sondern auch im religiösen und weltanschaulichen Bereich bemüht. Dies gilt
auch deshalb, weil den Eltern nach
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das Recht zur Kindererziehung auch in religiöser
und weltanschaulicher Hinsicht zusteht und diese für falsch empfundene
Glaubensüberzeugungen grundsätzlich von ihren Kindern fern halten können
(vgl. BVerfGE 41, 29 <48>; 41, 88 <107>). Die Beachtung dieser Rechte gehört
zu den wesentlichen bereits vom Grundgesetz geforderten Aufgaben der Schule;
sie bestimmen zugleich spiegelbildlich die von den Lehrern zu beachtenden
Dienstpflichten.
III.
Eine Lehrerin an einer Grund- oder Hauptschule verstößt gegen
Dienstpflichten, wenn sie im Unterricht mit ihrer Kleidung Symbole
verwendet, die objektiv geeignet sind, Hindernisse im Schulbetrieb oder gar
grundrechtlich bedeutsame Konflikte im Schulverhältnis hervorzurufen. Das
von der Beschwerdeführerin begehrte kompromisslose Tragen des Kopftuchs im
Schulunterricht ist mit dem Mäßigungs- und Neutralitätsgebot eines Beamten
nicht zu vereinbaren. [...]
Auch die Senatsmehrheit räumt ein, dass religiös motivierte Bekleidung
von Lehrern Schulkinder beeinflussen, Konflikte mit Eltern hervorrufen und
so die Störung des Schulfriedens bewirken kann. Insbesondere im Konfliktfall
müsse dabei auch mit belastenden Auswirkungen auf jüngere Schülerinnen und
Schüler gerechnet werden. Diese potenzielle Gefährdungslage könne einem
Lehramtsanwärter aber nicht im Stadium der "abstrakten Gefahr"
entgegengehalten werden, sondern erst, wenn greifbare Anhaltspunkte für die
Gefährdung des Schulfriedens manifest geworden sind. Ohne handfest gewordene
Konflikte kann danach ein Eignungsmangel von der Einstellungsbehörde nicht
mehr konstatiert werden. [...]
Das von der Beschwerdeführerin getragene Kopftuch ist dabei nicht
abstrakt oder aus der Sicht der Beschwerdeführerin zu beurteilen, sondern im
konkreten Schulverhältnis. Zu den Anforderungen des Amtes einer Grund- und
Hauptschullehrerin zählt die Pflicht, objektiv ausdrucksstarke politische,
weltanschauliche oder religiöse Symbole für ihre Person zu vermeiden. Im
Schuldienst hat der Lehrer die Verwendung solcher signifikanter Symbole zu
unterlassen, die geeignet sind, Zweifel an seiner Neutralität und
professionellen Distanz in politisch, religiös oder kulturell umstrittenen
Themen zu wecken. Dabei kann es nicht darauf ankommen, welchen subjektiven
Sinn der beamtete Lehrer mit dem von ihm verwendeten Symbol verbindet.
Entscheidend ist vielmehr die objektive Wirkung des Symbols. [...]
4. Die Annahme der Senatsmehrheit, das Schulkreuz an der Eingangstür
einer Klasse und das Kopftuch der Lehrerin im Schulunterricht seien - zu
Gunsten der Beschwerdeführerin - nicht zu vergleichen, verkennt die
Grundrechtslage der betroffenen Schüler und Eltern. Maßgeblich ist hierfür,
welchem Einfluss der einzelne Schüler in einer staatlichen Pflichtschule und
unter staatlicher Verantwortung unterworfen wird. Hängt in einem christlich
geprägten Umfeld ein Kreuz über der Schultür - kein großes Kruzifix im
Rücken des Lehrers (vgl. BVerfGE 93, 1 <18>) - kann dies kaum mehr als
Eingriff in die negative Religionsfreiheit oder in das Erziehungsrecht der
Eltern betrachtet werden. Zu wenig verbinden Kinder mit einem bloßen und
alltäglichen Gegenstand an der Wand, der keine unmittelbare Beziehung zu
einem konkreten Menschen oder Lebenssachverhalt aufweist. Zu sehr ist das
Kreuz - über seine religiöse Bedeutung hinaus - ein allgemeines
Kulturzeichen für eine aus jüdischen und christlichen Quellen gespeiste
wertgebundene, aber offene und durch reiche, auch leidvolle historische
Erfahrung tolerant gewordene Kultur.
Lehrerinnen und Lehrer prägen demgegenüber als Person und als
Persönlichkeit - gerade in der Grundschule und in der Funktion des
Klassenleiters - die Kinder maßgeblich. Trägt eine Lehrerin auffällige
Kleidung, ruft dies Eindrücke hervor, gibt zu Fragen Anlass und spornt zur
Nachahmung an. Der Sachverständige Professor Bliesener hat in der mündlichen
Verhandlung dazu ausgeführt, dass das Lehrerverhalten die Kinder zur
Nachahmung anregt: dies geschähe auf Grund der oft engen emotionalen Bindung
der Grundschülerinnen und Grundschüler, die von der Lehrkraft aus
pädagogischen Gründen auch angestrebt werden soll, sowie der eindeutigen
Ausrichtung der kindlichen Aufmerksamkeit auf die Lehrkraft und der
ebenfalls wahrgenommenen Autorität der Lehrkraft im Kontext der Schule.
Die Erklärung der Beschwerdeführerin, sie würde durch das Kopftuch
ausgelöste Fragen wahrheitswidrig beantworten und wider ihrer
Glaubensüberzeugung behaupten, es handele sich nur um ein Modeaccessoire,
ist nicht geeignet, einen Grundrechtskonflikt zu vermeiden. Denn auch Kinder
wissen um die religiöse Bedeutung eines ständig, also auch in geschlossenen
Räumen getragenen Kopftuchs. Überdies interagieren Schulkinder nicht nur mit
der Lehrerin, sondern auch mit ihren Eltern und einem weiteren sozialen
Umfeld. Eltern, die im Rahmen ihrer Erziehungsvorstellung Fragen ihrer
Kinder wahrheitsgemäß beantworten, werden nicht umhin können zu erläutern,
die Lehrerin trage das Kopftuch, weil sie anders ihre Würde als Frau in der
Öffentlichkeit nicht wahren könne. Damit ist aber bei Schülern mit
nichtislamischen, möglicherweise auch bei islamischen Eltern, die nicht von
einem Verhüllungsgebot der Frau in der Öffentlichkeit ausgehen, ein Konflikt
mit ihren Wertvorstellungen angelegt. Die objektive Reizwirkung eines auch
politisch-kulturellen Symbols kann sich über Reaktionen im sozialen Umfeld
leicht auf das Kind übertragen und es zu der Frage führen, ob es sich in
einem Wertedisput, den es nicht beurteilen kann, auf die Seite der Lehrerin
oder auf die Seite eines das Kopftuch dezidiert ablehnenden sozialen
Umfeldes schlägt, zu dem auch die Eltern rechnen können. [...]
5. Damit eine Dienstpflicht, gerichtet auf Mäßigung in der Bekleidung des
Beamten, vom Dienstherren in rechtmäßiger Weise konkretisiert werden kann,
bedarf es keines empirischen Nachweises von "Gefahrenlagen", erst recht ist
nicht gefordert, dass der Landesgesetzgeber durch wissenschaftliche
Erhebungen die "Gefährdung" ermittelt. Ein Gesetzesvorbehalt mit
Nachweispflichten des Gesetzgebers für die bloße Konkretisierung und
Anordnung dienstlicher Pflichten ist nicht nur systemfremd, sondern führt
den freiheitlichen Verfassungsstaat auch weiter in eine seine Wirksamkeit
blockierende Unbeweglichkeit. Es reicht für die Eignungsbeurteilung völlig
aus, dass durch die Verwendung signifikanter Bekleidungssymbole ein Konflikt
in nachvollziehbarer Weise als möglich oder sogar naheliegend erscheint.
[...]
Das Kopftuch, getragen als kompromisslose Erfüllung eines von der
Beschwerdeführerin angenommenen islamischen Verhüllungsgebotes der Frau,
steht gegenwärtig für viele Menschen innerhalb und außerhalb der islamischen
Religionsgemeinschaft für eine religiös begründete kulturpolitische Aussage,
insbesondere das Verhältnis der Geschlechter zueinander betreffend (vgl.
z.B. Nilüfer Göle, Republik und Schleier, 1995, S. 104 ff.; Erdmute Heller/Hassouna
Mosbahi, Hinter den Schleiern des Islam, 1993, S. 108 ff.; Rita Breuer,
Familienleben im Islam, 2. Aufl. 1998, S. 81 ff.; Tariq Ali,
Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung, 2002, S. 97 ff.). Die
Senatsmehrheit hat diesem Umstand keine ausreichende Bedeutung zugemessen.
Sie hat sich deshalb auch nicht damit auseinander gesetzt, ob innerhalb der
Anhänger islamischen Glaubens in Deutschland eine womöglich nicht
unmaßgebliche oder gar wachsende Zahl von Menschen das Kopftuch und die
Verschleierung als kulturelle Herausforderung einer von ihnen in ihrem
Wertesystem abgelehnten Gesellschaft verstehen und vor allem, ob und mit
welchen abwehrenden Reaktionen unter der Mehrheit der andersgläubigen Bürger
zu rechnen ist. Immerhin wurzelt auch nach Meinung wichtiger Kommentatoren
des Korans das Gebot der Verhüllung der Frau - unabhängig von der Frage, ob
es überhaupt ein striktes Gebot in diese Richtung gibt - in der
Notwendigkeit, die Frau in ihrer dem Mann dienenden Rolle zu halten. Diese
Unterscheidung zwischen Mann und Frau steht dem Wertebild des
Art. 3 Abs. 2 GG fern.
Es kommt insofern nicht darauf an, ob eine solche Meinung innerhalb der
islamischen Glaubensgemeinschaft allein gültig oder auch nur vorherrschend
ist oder ob die im Verfahren vorgetragene Auffassung der Beschwerdeführerin,
das Kopftuch sei eher ein Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein und
die Emanzipation islamisch gläubiger Frauen, zahlenmäßig stark vertreten
wird. Es ist ausreichend, dass die Auffassung, eine Verhüllung der Frauen
gewährleiste ihre Unterordnung unter den Mann, offenbar von einer nicht
unbedeutenden Zahl der Anhänger islamischen Glaubens vertreten wird und
deshalb geeignet ist, Konflikte mit der auch im Grundgesetz deutlich
akzentuierten Gleichberechtigung von Mann und Frau hervorzurufen.
7. Die Beschwerdeführerin bewegt sich mit dem von ihr geltend gemachten
Anspruch, Schuldienst mit dem Kopftuch ableisten zu dürfen, in einem
kulturell und rechtlich schwierigen und spannungsgeladenen Grenzraum. Schon
ein weiterer Schritt hin zur gänzlichen Verhüllung des Gesichts, der
ebenfalls in der islamischen Glaubensgemeinschaft praktiziert wird, könnte
aus deutschem Verfassungsverständnis heraus als unvereinbar mit der Würde
des Menschen angesehen werden: Der freie Mensch zeigt dem anderen sein
Antlitz.
Dabei achtet das Grundgesetz - in der Sphäre der Gesellschaft - auch
solche religiösen und weltanschaulichen Auffassungen, die ein mit der
grundgesetzlichen Wertordnung schwer zu vereinbarendes Verhältnis der
Geschlechterbeziehungen dokumentieren, solange sie nicht die Grenzen der
staatlichen Friedens- und Rechtsordnung überschreiten. Das Wertesystem des
Grundgesetzes einschließlich seines Verständnisses der Gleichheit von Mann
und Frau schließt sich nicht vor allen Veränderungen ab, es stellt sich
Herausforderungen, reagiert und bewahrt die Identität im Wandel.
Diese Offenheit und Toleranz geht aber nicht soweit, solchen Symbolen
Eingang in den Staatsdienst zu eröffnen, die herrschende Wertmaßstäbe
herausfordern und deshalb geeignet sind, Konflikte zu verursachen. Die
grundsätzliche Offenheit und Toleranz in der Gesellschaft darf nicht auf das
staatliche Binnenverhältnis übertragen werden. Es ist vielmehr von
Verfassungs wegen geboten, die innere Organisation der staatlichen
Verwaltung von der ersichtlichen Möglichkeit solch schwerwiegender Konflikte
frei zu halten, damit - im konkreten Fall - Schulunterricht und schulische
Erziehung störungsfrei erfolgen können und allgemein, weil der Staat
handlungsfähig bleiben und mit einem Minimum an Einheitlichkeit auftreten
können muss.
IV. [...]
2. Die Senatsmehrheit gibt dem Landesgesetzgeber auf,
verfassungsimmanente Schranken der Bundesverfassung zu konkretisieren,
obwohl diese hinreichend konkret aus dem Grundgesetz zu ermitteln sind. Es
ist deshalb bereits zweifelhaft, ob der Landesgesetzgeber überhaupt - über
eine deklaratorische Bekräftigung oder Verdeutlichung hinausreichend -
befugt ist, diese immanenten Schranken zu konkretisieren.
Letztverbindlich hat das Bundesverfassungsgericht über Umfang und
Reichweite immanenter Grundrechtsschranken zu entscheiden. Es ist nicht die
Aufgabe eines Landesgesetzgebers, die sich unmittelbar aus Verfassungsrecht
ergebenden Beschränkungen deklaratorisch nachzuzeichnen. Dem Landesparlament
wird auch nicht der angemessene Respekt erwiesen, wenn es zu einer
Gesetzesformulierung gezwungen wird, die es einerseits ausdrücklich und
wohlerwogen nicht wollte und die andererseits - nach Auffassung der
Senatsmehrheit - verfassungsunmittelbare Schranken konkretisiert, die in
späteren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erneut auf den Prüfstand
gestellt werden. Ein zuständiges Gericht, das in einer so umstrittenen
verfassungsrechtlichen Grundsatzfrage auf den Gesetzgeber verweist, muss
diesem wenigstens sagen, wie er die ihm angesonnene Aufgabe der
Konkretisierung verfassungsunmittelbarer Schranken bewältigen soll.
Im konkreten Fall bleiben aber alle Fragen offen, wie denn der
Gesetzgeber seinen im Landtag schon deutlich bekundeten politischen Willen
in Gesetzesform gießen soll. [...]
3. Der Aufgabe, eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage zu beantworten,
ist der Senat nicht gerecht geworden, obwohl der Fall entscheidungsreif ist.
Im Ergebnis muss der Landesgesetzgeber nunmehr ein - nach Ansicht der
abweichenden Meinung gar nicht erforderliches - Gesetz erlassen, und dies,
ohne eine Übergangsfrist für diese überraschende Notwendigkeit eingeräumt zu
bekommen. Es wäre zudem mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren,
eine gesetzliche Grundlage für ein allgemeines Verbot signifikanter
religiöser oder weltanschaulicher Symbole im Dienst - wie von der
Senatsmehrheit vorgeschlagen - nur in das Schulgesetz und nicht allgemein in
das Landesbeamtengesetz aufzunehmen; entsprechende Konfliktlagen können auch
in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes auftreten, etwa im Rahmen der
Jugendhilfe, der Sozialarbeit, der öffentlichen Sicherheit oder der
Rechtspflege. [...]
Die Senatsmehrheit berücksichtigt das auch dem Staat als
Verfahrensbeteiligtem zustehende Prozessrecht auf rechtliches Gehör nicht
hinreichend, wenn sie einen parlamentarischen Gesetzesvorbehalt für die
Begründung von Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Religions- und
Weltanschauungsfreiheit des Beamten einführt, der bislang weder in
Rechtsprechung und Literatur noch von der Beschwerdeführerin selbst
gefordert und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht zum
ernsthaften Gegenstand des Rechtsgesprächs gemacht wurde. Das Land
Baden-Württemberg hatte weder Anlass noch Gelegenheit sich zu dieser für
alle Verfahrensbeteiligten überraschenden und entscheidungstragenden
Rechtsauffassung zu äußern. Zu diesem Gesichtspunkt hätte dem Land
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. [...]
Zitierung: BVerfG, 2 BvR 1436/02 vom 3.6.2003, Absatz-Nr. (1 - 140),
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20030603_2bvr143602.html |
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