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Artikel 48 WRV
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Artikel 148 WRV
Die • Verfassung der
Weimarer Republik (WRV) aus dem Jahre 1920 steht Ihnen hier als
Gesamtext zur Verfügung. Zur schnelleren Orientierung führen Links zu
den einzelnen Hauptteilen, Abschnitten und Artikeln. Bei einigen
Artikeln sind Verweise (Links) angebracht. Diese Links sind jeweils in
eckige Klammern gesetzt.
Artikel 1
Das Deutsche Reich ist eine Republik.
Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Artikel 2
Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder. Andere
Gebiete können durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden, wenn
es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechts begehrt.
Artikel 3
Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist
schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.
Artikel 4
Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende
Bestandteile des deutschen Reichsrechts.
Artikel 5
Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs
auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe
der Länder auf Grund der Landesverfassungen ausgeübt.
Artikel 6
Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
1. die Beziehungen zum Ausland;
2. das Kolonialwesen;
3. die Staatsangehörigkeit, die Freizügigkeit, die Ein- und Auswanderung
und die Auslieferung;
4. die Wehrverfassung;
5. das Münzwesen;
6. das Zollwesen sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die
Freizügigkeit des Warenverkehrs;
7. das Post- und Telegraphenwesen einschließlich des Fernsprechwesens.
Artikel 7
Das Reich hat die Gesetzgebung über:
1. das bürgerliche Recht;
2. das Strafrecht;
3. das gerichtliche Verfahren einschließlich des Strafvollzugs sowie die
Amtshilfe zwischen Behörden;
4. das Passwesen und die Fremdenpolizei;
5. das Armenwesen und die Wandererfürsorge;
6. das Presse-, Vereins- und Versammlungswesen;
7. die Bevölkerungspolitik, die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinder- und
Jugendfürsorge;
8. das Gesundheitswesen, das Veterinärwesen und den Schutz der Pflanzen
gegen Krankheiten und Schädlinge;
9. das Arbeitsrecht, die Versicherung und den Schutz der Arbeiter und
Angestellten sowie den Arbeitsnachweis;
10. die Einrichtung beruflicher Vertretungen für das Reichsgebiet;
11. die Fürsorge für Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen;
12. das Enteignungsrecht;
13. die Vergesellschaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen
Unternehmungen sowie die Erzeugung, Herstellung, Verteilung und
Preisgestaltung wirtschaftlicher Güter für die Gemeinwirtschaft;
14. den Handel, das Maß- und Gewichtswesen, die Ausgabe von Papiergeld,
das Bauwesen sowie das Börsenwesen;
15. den Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln sowie mit Gegenständen
des täglichen Bedarfs;
16. das Gewerbe und den Bergbau;
17. das Versicherungswesen;
18. die Seeschifffahrt, die Hochsee- und die Küstenfischerei;
19. die Eisenbahnen, die Binnenschifffahrt, den Verkehr mit
Kraftfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie den Bau von
Landstraßen, soweit es sich um den allgemeinen Verkehr und die
Landesverteidigung handelt;
20. das Theater- und Lichtspielwesen.
Artikel 8
Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen
Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch
genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in
Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung
der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen.
Artikel 9
Soweit ein Bedürfnis für den Erlass einheitlicher Vorschriften vorhanden
ist, hat das Reich die Gesetzgebung über:
1. die Wohlfahrtspflege;
2. den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.
Artikel 10
Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für:
1. die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften;
2. das Schulwesen einschließlich des Hochschulwesens und das
wissenschaftliche Büchereiwesen;
3. das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften;
4. das Bodenrecht, die Bodenverteilung, das Ansiedlungs- und
Heimstättenwesen, die Bindung des Grundbesitzes, das Wohnungswesen und
die Bevölkerungsverteilung;
5. das Bestattungswesen.
Artikel 11
Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die
Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie
erforderlich sind, um
1. Schädigung der Einnahmen oder der Handelsbeziehungen des Reichs,
2. Doppelbesteuerungen,
3. übermäßige oder verkehrshindernde Belastung der Benutzung
öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren,
4. steuerliche Benachteiligungen eingeführter Waren gegenüber den
eigenen Erzeugnissen im Verkehre zwischen den einzelnen Ländern und
Landesteilen oder
5. Ausfuhrprämien
auszuschließen oder wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren.
Artikel 12
Solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch
macht, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung. Dies gilt nicht
für die ausschließliche Gesetzgebung des Reichs.
Gegen Landesgesetze, die sich auf Gegenstände des Artikels 7 Ziffer 13
beziehen, steht der Reichsregierung, sofern dadurch das Wohl der
Gesamtheit im Reiche berührt wird, ein Einspruchsrecht zu.
Artikel 13
Reichsrecht bricht Landrecht.
Bestehen Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine
landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar ist, so kann die
zuständige Reichs- oder Landeszentralbehörde nach näherer Vorschrift
eines Reichsgesetzes die Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des
Reichs anrufen.
Artikel 14
Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit
nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.
Artikel 15
Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen
dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht.
Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszufahren sind, kann
die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist ermächtigt,
zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den
Landeszentralbehörden und mit ihrer Zustimmung zu den unteren Behörden
Beauftragte zu entsenden.
Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Reichsregierung
Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu
beseitigen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann sowohl die Reichsregierung
als die Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anrufen,
soweit nicht durch Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt ist.
Artikel 16
Die mit der unmittelbaren Reichsverwaltung in den Ländern betrauten
Beamten sollen in der Regel Landesangehörige sein. Die Beamten,
Angestellten und Arbeiter der Reichsverwaltung sind auf ihren Wunsch in
ihren Heimatgebieten zu verwenden, soweit dies möglich ist und nicht
Rücksichten auf ihre Ausbildung oder Erfordernisse des Dienstes
entgegenstehen.
Artikel 17
Jedes Land muss eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung
muss in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen
reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der
Verhältniswahl gewählt werden. Die Landesregierung bedarf des Vertrauens
der Volksvertretung.
Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die
Gemeindewahlen. Jedoch kann durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von
der Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde bis zu einem Jahre abhängig
gemacht werden.
Artikel 18
Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster
Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung der
wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die
Änderung des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern
innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz.
Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, so bedarf es nur eines
einfachen Reichsgesetzes.
Ein einfaches Reichsgesetz genügt ferner, wenn eines der beteiligten
Länder nicht zustimmt, die Gebietsänderung oder Neubildung aber durch
den Willen der Bevölkerung gefordert wird und ein überwiegendes
Reichsinteresse sie erheischt.
Der Wille der Bevölkerung ist durch Abstimmung festzustellen. Die
Reichsregierung ordnet die Abstimmung an, wenn ein Drittel der zum
Reichstag wahlberechtigten Einwohner des abzutrennenden Gebiets es
verlangt.
Zum Beschluss einer Gebietsänderung oder Neubildung sind drei Fünftel
der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit der
Wahlberechtigten erforderlich. Auch wenn es sich nur um Abtrennung eines
Teiles eines preußischen Regierungsbezirks, eines bayerischen Kreises
oder in anderen Ländern eines entsprechenden Verwaltungsbezirkes handelt,
ist der Wille der Bevölkerung des ganzen in Betracht kommenden Bezirkes
festzustellen. Wenn ein räumlicher Zusammenhang des abzutrennenden
Gebiets mit dem Gesamtbezirke nicht besteht, kann auf Grund eines
besonderen Reichsgesetzes der Wille der Bevölkerung des abzutrennenden
Gebiets als ausreichend erklärt werden.
Nach Feststellung der Zustimmung der Bevölkerung hat die Reichsregierung
dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz zur Beschlussfassung vorzulegen.
Entsteht bei der Vereinigung oder Abtrennung Streit über die
Vermögensauseinandersetzung, so entscheidet hierüber auf Antrag einer
Partei der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich.
Artikel 19
Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein
Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten
nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen
dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden
Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein
anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.
Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.
Artikel 20
Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
Artikel 21
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem
Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
Artikel 22
Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und
geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach
den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Der Wahltag muss ein
Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein.
Das Nähere bestimmt das Reichswahlgesetz.
Artikel 23
Der Reichstag wird auf vier Jahre gewählt. Spätestens am sechzigsten
Tage nach ihrem Ablauf muss die Neuwahl stattfinden.
Der Reichstag tritt zum ersten Male spätestens am dreißigsten Tage nach
der Wahl zusammen.
Artikel 24
Der Reichstag tritt in jedem Jahre am ersten Mittwoch des November am Sitz
der Reichsregierung zusammen. Der Präsident des Reichstags muss ihn
früher berufen, wenn es der Reichspräsident oder mindestens ein Drittel
der Reichstagsmitglieder verlangt.
Der Reichstag bestimmt den Schluss der Tagung und den Tag des
Wiederzusammentritts.
Artikel 25
Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus
dem gleichen Anlass.
Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung
statt.
Artikel 26
Der Reichstag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine
Schriftführer. Er gibt sich seine Geschäftsordnung.
Artikel 27
Zwischen zwei Tagungen oder Wahlperioden führen Präsident und
Stellvertreter der letzten Tagung ihre Geschäfte fort.
Artikel 28
Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im
Reichstagsgebäude aus. Ihm untersteht die Hausverwaltung; er verfügt
über die Einnahmen und Ausgaben des Hauses nach Maßgabe des
Reichshaushalts und vertritt das Reich in allen Rechtsgeschäften und
Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung.
Artikel 29
Der Reichstag verhandelt öffentlich. Auf Antrag von fünfzig Mitgliedern
kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Artikel 30
Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen
Sitzungen des Reichstags, eines Landtags oder ihrer Ausschüsse bleiben
von jeder Verantwortlichkeit frei.
Artikel 31
Bei dem Reichstag wird ein Wahlprüfungsgericht gebildet. Es entscheidet
auch über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft verloren hat.
Das Wahlprüfungsgericht besteht aus Mitgliedern des Reichstags, die
dieser für die Wahlperiode wählt, und aus Mitgliedern des
Reichsverwaltungsgerichts, die der Reichspräsident auf Vorschlag des
Präsidiums dieses Gerichts bestellt.
Das Wahlprüfungsgericht erkennt auf Grund öffentlicher mündlicher
Verhandlung durch drei Mitglieder des Reichstags und zwei ritterliche
Mitglieder.
Außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgericht wird das
Verfahren von einem Reichsbeauftragten geführt, den der Reichspräsident
ernennt. Im übrigen wird das Verfahren von dem Wahlprüfungsgerichte
geregelt.
Artikel 32
Zu einem Beschlusse des Reichstags ist einfache Stimmenmehrheit
erforderlich, sofern die Verfassung kein anderes Stimmenverhältnis
vorschreibt. Für die vom Reichstag vorzunehmenden Wahlen kann die
Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.
Die Beschlussfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt.
Artikel 33
Der Reichstag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit des
Reichskanzlers und jedes Reichsministers verlangen.
Der Reichskanzler, die Reichsminister und die von ihnen bestellten
Beauftragten haben zu den Sitzungen des Reichstags und seiner Ausschüsse
Zutritt. Die Länder sind berechtigt, in diese Sitzungen Bevollmächtigte
zu entsenden, die den Standpunkt ihrer Regierung zu dem Gegenstande der
Verhandlung darlegen.
Auf ihr Verlangen müssen die Regierungsvertreter während der Beratung,
die Vertreter der Reichsregierung auch außerhalb der Tagesordnung gehört
werden.
Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden.
Artikel 34
Der Reichstag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner
Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese
Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder
die Antragsteller für erforderlich erachten. Die Öffentlichkeit kann vom
Untersuchungsausschuss mit Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen werden. Die
Geschäftsordnung regelt das Verfahren des Ausschusses und bestimmt die
Zahl seiner Mitglieder.
Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen
dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; die Akten der
Behörden sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.
Auf die Erhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden
finden die Vorschriften der Strafprozessordnung sinngemäße Anwendung,
doch bleibt das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis
unberührt.
Artikel 35
Der Reichstag bestellt einen ständigen Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten, der auch außerhalb der Tagung des Reichstags und nach
der Beendigung der Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis zum
Zusammentritte des neuen Reichstags tätig werden kann. Die Sitzungen
dieses Ausschusses sind nicht öffentlich, wenn nicht der Ausschuss mit
Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit beschließt.
Der Reichstag bestellt ferner zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung
gegenüber der Reichsregierung für die Zeit außerhalb der Tagungen und
nach Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis
zum Zusammentritt des neuen Reichstags einen ständigen Ausschuss.
Diese Ausschüsse haben die Rechte von Untersuchungsausschüssen.
Absatz 2. Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 1923.
Artikel 36
Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf zu irgendeiner Zeit
wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen
Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb
der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 37
Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags kann ohne Genehmigung des
Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen
einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder
verhaftet werden, es sei denn, dass das Mitglied bei Ausübung der Tat
oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen ist.
Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der
persönlichen Freiheit erforderlich, die die Ausübung des
Abgeordnetenberufs beeinträchtigt.
Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags
und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit
wird auf Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die
Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
Artikel 38
Die Mitglieder des Reichstags und der Landtage sind berechtigt, über
Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete Tatsachen
anvertrauen, oder denen sie in Ausübung ihres Abgeordnetenberufs solche
anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu
verweigern. Auch in Beziehung auf Beschlagnahme von Schriftstücken stehen
sie den Personen gleich, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht
haben.
Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des Reichstags
oder eines Landtags nur mit Zustimmung des Präsidenten vorgenommen
werden.
Artikel 39
Beamte und Angehörige der Wehrmacht bedürfen zur Ausübung ihres Amtes
als Mitglieder des Reichstags oder eines Landtags keines Urlaubs.
Bewerben sie sich um einen Sitz in diesen Körperschaften, so ist ihnen
der zur Vorbereitung ihrer Wahl erforderliche Urlaub zu gewähren.
Artikel 40
Die Mitglieder des Reichstags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf
allen deutschen Eisenbahnen sowie Entschädigung nach Maßgabe eines
Reichsgesetzes.
Artikel 40 a
Die Vorschriften der Artikel 36, 37, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 gelten für
den Präsidenten des Reichstags, seine Stellvertreter und die ständigen
und ersten stellvertretenden Mitglieder der im Artikel 35 bezeichneten
Ausschüsse auch für die Zeit zwischen zwei Tagungen (Sitzungsperioden)
oder Wahlperioden des Reichstags.
Das gleiche gilt für den Präsidenten eines Landtags, seine
Stellvertreter und die ständigen und ersten stellvertretenden Mitglieder
von Ausschüssen eines Landtags, wenn sie nach der Landesverfassung
außerhalb der Tagung (Sitzungsperiode) oder Wahlperiode tätig werden
können.
Soweit Artikel 37 eine Mitwirkung des Reichstags oder eines Landtags
vorsieht, tritt der Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung
an die Stelle des Reichstags und, falls Ausschüsse des Landtags
fortbestehen, der vom Landtag bestimmte Ausschuss an die Stelle des
Landtags.
Die im Abs. 1 bezeichneten Personen haben zwischen zwei Wahlperioden die
im Artikel 40 bezeichneten Rechte.
Gesetz zur Ergänzung der Reichsverfassung vom 22. Mai 1926, in Kraft
getreten am 11. Juni 1926.
Artikel 41
Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt.
Wählbar ist jeder Deutsche, der das fünfunddreißigste Lebensjahr
vollendet hat.
Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Artikel 42
Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem
Reichstag folgenden Eid:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen,
seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die
Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und
Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.
Artikel 43
Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist
zulässig.
Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstags
durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluss des Reichstags
erfordert Zweidrittelmehrheit. Durch den Beschluss ist der
Reichspräsident an der ferneren Ausübung des Amtes verhindert. Die
Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl und
hat die Auflösung des Reichstags zur Folge.
Der Reichspräsident kann ohne Zustimmung des Reichstags nicht
strafrechtlich verfolgt werden.
Artikel 44
Der Reichspräsident kann nicht zugleich Mitglied des Reichstags sein.
Artikel 45
Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im
Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen
Mächten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.
Kriegserklärung und Friedensschluss erfolgen durch Reichsgesetz.
Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände
der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags.
Artikel 46
Der Reichspräsident ernennt und entlässt die Reichsbeamten und die
Offiziere, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Er kann
das Ernennungs- und Entlassungsrecht durch andere Behörden ausüben
lassen.
Artikel 47
Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des
Reichs.
Artikel 48
Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen
obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu
mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.
Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche
Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur
Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen
Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht
einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln
114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder
zum Teil außer Kraft setzen.
Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen
Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis
zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu
setzen.
Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet
einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die
Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags
außer Kraft zu setzen.
Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Artikel 49
Der Reichspräsident übt für das Reich das Begnadigungsrecht aus.
Reichsamnestien bedürfen eines Reichsgesetzes.
Artikel 50
Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf
dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der
Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen
Reichsminister. Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung
übernommen.
Artikel 51
Der Reichspräsident wird im Falle seiner Verhinderung zunächst durch den
Reichskanzler vertreten. Dauert die Verhinderung voraussichtlich längere
Zeit, so ist die Vertretung durch ein Reichsgesetz zu regeln.
Das gleiche gilt für den Fall einer vorzeitigen Erledigung der
Präsidentschaft bis zur Durchführung der neuen Wahl.
Artikel 52
Die Reichsregierung besteht aus dem Kanzler und den Reichsministern.
Artikel 53
Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom
Reichspräsidenten ernannt und entlassen.
Artikel 54
Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung
des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muss zurücktreten, wenn
ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzieht.
Artikel 55
Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet
ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Reichsregierung
beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.
Artikel 56
Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür
gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien
leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig
selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.
Artikel 57
Die Reichsminister haben der Reichsregierung alle Gesetzentwürfe, ferner
Angelegenheiten, für welche Verfassung oder Gesetz dieses vorschreiben,
sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich
mehrerer Reichsminister berühren, zur Beratung und Beschlussfassung zu
unterbreiten.
Artikel 58
Die Reichsregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
Artikel 59
Der Reichstag ist berechtigt, den Reichspräsidenten, den Reichskanzler
und die Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich
anzuklagen, dass sie schuldhafter Weise die Reichsverfassung oder ein
Reichsgesetz verletzt haben. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss von
mindestens hundert Mitgliedern des Reichstags unterzeichnet sein und
bedarf der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen
Mehrheit. Das Nähere regelt das Reichsgesetz über den Staatsgerichtshof.
Artikel 60
Zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung
des Reichs wird ein Reichsrat gebildet.
Artikel 61
Im Reichsrat hat jedes Land mindestens eine Stimme. Bei den größeren
Ländern entfällt auf 700.000 Einwohner eine Stimme. Ein Überschuss von
mindestens 350.000 Einwohnern wird 700.000 gleichgerechnet. Kein Land darf
durch mehr als zwei Fünftel aller Stimmen vertreten sein.
Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluss an das Deutsche Reich das
Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner Bevölkerung
entsprechenden Stimmenzahl. Bis dahin haben die Vertreter
Deutschösterreichs beratende Stimme.
Die Stimmenzahl wird durch den Reichsrat nach jeder allgemeinen
Volkszählung neu festgesetzt.
Absatz 1. Fassung des Gesetzes über die Vertretung der Länder im
Reichsrat vom 24. März 1921.
Absatz 2 ist durch Nichtigkeitsprotokoll d. Versailles 23. September 1919
für unwirksam erklärt.
Artikel 62
In den Ausschüssen, die der Reichsrat aus seiner Mitte bildet, führt
kein Land mehr als eine Stimme.
Artikel 63
Die Länder werden im Reichsrat durch Mitglieder ihrer Regierungen
vertreten. Jedoch wird die Hälfte der preußischen Stimmen nach Maßgabe
eines Landesgesetzes von den preußischen Provinzialverwaltungen bestellt.
Die Länder sind berechtigt, so viele Vertreter in den Reichsrat zu
entsenden, wie sie Stimmen führen.
Artikel 64
Die Reichsregierung muss den Reichsrat auf Verlangen von einem Drittel
seiner Mitglieder einberufen.
Artikel 65
Den Vorsitz im Reichsrat und in seinen Ausschüssen führt ein Mitglied
der Reichsregierung. Die Mitglieder der Reichsregierung haben das Recht
und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Reichsrats und
seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung auf
Verlangen jederzeit gehört werden.
Artikel 66
Die Reichsregierung sowie jedes Mitglied des Reichsrats sind befugt, im
Reichsrat Anträge zu stellen.
Der Reichsrat regelt seinen Geschäftsgang durch eine Geschäftsordnung.
Die Vollsitzungen des Reichsrats sind öffentlich. Nach Maßgabe der
Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne
Beratungsgegenstände ausgeschlossen werden.
Bei der Abstimmung entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden.
Artikel 67
Der Reichsrat ist von den Reichsministerien über die Führung der
Reichsgeschäfte auf dem Laufenden zu halten. Zu Beratungen über wichtige
Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse
des Reichsrats zugezogen werden.
Artikel 68
Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des
Reichstags eingebracht.
Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.
Artikel 69
Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung bedarf der
Zustimmung des Reichsrats. Kommt eine Übereinstimmung zwischen der
Reichsregierung und dem Reichsrat nicht zustande, so kann die
Reichsregierung die Vorlage gleichwohl einbringen, hat aber hierbei die
abweichende Auffassung des Reichsrats darzulegen.
Beschließt der Reichsrat eine Gesetzesvorlage, welcher die
Reichsregierung nicht zustimmt, so hat diese die Vorlage unter Darlegung
ihres Standpunkts beim Reichstag einzubringen.
Artikel 70
Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen
Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichs-Gesetzblatt zu
verkünden.
Artikel 71
Reichsgesetze treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem
vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das
Reichs-Gesetzblatt in der Reichshauptstadt ausgegeben worden ist.
Artikel 72
Die Verkündigung eines Reichsgesetzes ist um zwei Monate auszusetzen,
wenn es ein Drittel des Reichstags verlangt. Gesetze, die der Reichstag
und der Reichsrat für dringlich erklären, kann der Reichspräsident
ungeachtet dieses Verlangens verkünden.
Artikel 73
Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum
Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats
es bestimmt.
Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem Drittel des
Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterbreiten, wenn
ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.
Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der
Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt.
Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen.
Er ist von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag
zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte
Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist.
Über den Haushaltplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann
nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.
Das Verfahren beim Volksentscheid und beim Volksbegehren regelt ein
Reichsgesetz.
Artikel 74
Gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze steht dem Reichsrat der
Einspruch zu.
Der Einspruch muss innerhalb zweier Wochen nach der Schlussabstimmung im
Reichstag bei der Reichsregierung eingebracht und spätestens binnen zwei
weiteren Wochen mit Gründen versehen werden.
Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen
Beschlussfassung vorgelegt. Kommt hierbei keine Übereinstimmung zwischen
Reichstag und Reichsrat zustande, so kann der Reichspräsident binnen drei
Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen
Volksentscheid anordnen. Macht der Präsident von diesem Rechte keinen
Gebrauch, so gilt das Gesetz als nicht zustande gekommen. Hat der
Reichstag mit Zweidrittelmehrheit entgegen dem Einspruch des Reichsrats
beschlossen, so hat der Präsident das Gesetz binnen drei Monaten in der
vom Reichstag beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen
Volksentscheid anzuordnen.
Artikel 75
Durch den Volksentscheid kann ein Beschluss des Reichstags nur dann außer
Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der
Abstimmung beteiligt.
Artikel 76
Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch
kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur
zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind
und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des
Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von
zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch
Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die
Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.
Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine
Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses
Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den
Volksentscheid verlangt.
Artikel 77
Die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen
Verwaltungsvorschriften erlässt, soweit die Gesetze nichts anderes
bestimmen, die Reichsregierung. Sie bedarf dazu der Zustimmung des
Reichsrats, wenn die Ausführung der Reichsgesetze den Landesbehörden
zusteht.
Artikel 78
Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich
Sache des Reichs.
In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können
die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge
bedürfen der Zustimmung des Reichs.
Vereinbarungen mit fremden Staaten über Veränderung der Reichsgrenzen
werden nach Zustimmung des beteiligten Landes durch das Reich
abgeschlossen. Die Grenzveränderungen dürfen nur auf Grund eines
Reichsgesetzes erfolgen, soweit es sich nicht um bloße Berichtigung der
Grenzen unbewohnter Gebietsteile handelt.
Um die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich für einzelne
Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer
benachbarten Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, trifft das Reich im
Einvernehmen mit den beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen
und Maßnahmen.
Artikel 79
Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache. Die Wehrverfassung des
deutschen Volkes wird unter Berücksichtigung der besonderen
landsmannschaftlichen Eigenarten durch ein Reichsgesetz einheitlich
geregelt.
Artikel 80
Das Kolonialwesen ist ausschließlich Sache des Reichs.
Artikel 81
Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte.
Artikel 82
Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von einer
gemeinschaftlichen Zollgrenze.
Die Zollgrenze fällt mit der Grenze gegen das Ausland zusammen. An der
See bildet das Gestade des Festlands und der zum Reichsgebiet gehörigen
Inseln die Zollgrenze. Für den Lauf der Zollgrenze an der See und an
anderen Gewässern können Abweichungen bestimmt werden.
Fremde Staatsgebiete oder Gebietsteile können durch Staatsverträge oder
Übereinkommen dem Zollgebiete angeschlossen werden.
Aus dem Zollgebiet können nach besonderem Erfordernis Teile
ausgeschlossen werden. Für Freihäfen kann der Ausschluss nur durch ein
verfassungsänderndes Gesetz aufgehoben werden.
Zollausschlüsse können durch Staatsverträge oder Übereinkommen einem
fremden Zollgebiet angeschlossen werden.
Alle Erzeugnisse der Natur, sowie des Gewerbe- und Kunstfleißes, die sich
im freien Verkehr des Reichs befinden, dürfen über die Grenzen der
Länder und Gemeinden ein-, aus- oder durchgeführt werden. Ausnahmen sind
auf Grund eines Reichsgesetzes zulässig.
Artikel 83
Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden verwaltet.
Bei der Verwaltung von Reichsabgaben durch Reichsbehörden sind
Einrichtungen vorzusehen, die den Ländern die Wahrung besonderer
Landesinteressen auf dem Gebiete der Landwirtschaft, des Handels, des
Gewerbes und der Industrie ermöglichen.
Artikel 84
Das Reich trifft durch Gesetz die Vorschriften über:
1. die Einrichtung der Abgabenverwaltung der Länder, soweit es die
einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Reichsabgabengesetze
erfordert;
2. die Einrichtung und Befugnisse der mit der Beaufsichtigung der
Ausführung der Reichsabgabengesetze betrauten Behörden;
3. die Abrechnung mit den Ländern;
4. die Vergütung der Verwaltungskosten bei Ausführung der
Reichsabgabengesetze.
Artikel 85
Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Rechnungsjahr
veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.
Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahrs durch ein Gesetz
festgestellt.
Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in
besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im
übrigen sind Vorschriften im Reichshaushaltsgesetz unzulässig, die über
das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und
Ausgaben des Reichs oder ihre Verwaltung beziehen.
Der Reichstag kann im Entwurfe des Haushaltsplans ohne Zustimmung des
Reichsrats Ausgaben nicht erhöhen oder neu einsetzen.
Die Zustimmung des Reichsrats kann gemäß den Vorschriften des Artikels
74 ersetzt werden.
Artikel 86
Über die Verwendung aller Reichseinnahmen legt der Reichsfinanzminister
in dem folgenden Rechnungsjahre zur Entlastung der Reichsregierung dem
Reichsrat und dem Reichstag Rechnung. Die Rechnungsprüfung wird durch
Reichsgesetz geregelt.
Artikel 87
Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf
und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden.
Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu
Lasten des Reichs dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.
Artikel 88
Das Post- und Telegraphenwesen samt dem Fernsprechwesen ist
ausschließlich Sache des Reichs.
Die Postwertzeichen sind für das ganze Reich einheitlich.
Die Reichsregierung erlässt mit Zustimmung des Reichsrats die
Verordnungen, welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der
Verkehrseinrichtungen festsetzen. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung
des Reichsrats auf den Reichspostminister übertragen.
Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Post-, Telegraphen- und
Fernsprechverkehrs und der Tarife errichtet die Reichsregierung mit
Zustimmung des Reichsrats einen Beirat.
Verträge über den Verkehr mit dem Ausland schließt allein das Reich.
Artikel 89
Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden
Eisenbahnen in sein Eigentum zu übernehmen und als einheitliche
Verkehrsanstalt zu verwalten.
Die Rechte der Länder, Privateisenbahnen zu erwerben, sind auf Verlangen
dem Reiche zu übertragen.
Artikel 90
Mit dem Übergang der Eisenbahnen übernimmt das Reich die
Enteignungsbefugnis und die staatlichen Hoheitsrechte, die sich auf das
Eisenbahnwesen beziehen. Über den Umfang dieser Rechte entscheidet im
Streitfall der Staatsgerichtshof.
Artikel 91
Die Reichsregierung erlässt mit Zustimmung des Reichsrats die
Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen
regeln. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den
zuständigen Reichsminister übertragen.
Artikel 92
Die Reichseisenbahnen sind, ungeachtet der Eingliederung ihres Haushalts
und ihrer Rechnung in den allgemeinen Haushalt und die allgemeine Rechnung
des Reichs, als ein selbständiges wirtschaftliches Unternehmen zu
verwalten, das seine Ausgaben einschließlich Verzinsung und Tilgung der
Eisenbahnschuld selbst zu bestreiten und eine Eisenbahnrücklage
anzusammeln hat. Die Höhe der Tilgung und der Rücklage sowie die
Verwendungszwecke der Rücklage sind durch besonderes Gesetz zu regeln.
Artikel 93
Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs und der
Tarife errichtet die Reichsregierung für die Reichseisenbahnen mit
Zustimmung des Reichsrats Beiräte.
Artikel 94
Hat das Reich die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen eines
bestimmten Gebiets in seine Verwaltung übernommen, so können innerhalb
dieses Gebiets neue, dem allgemeinen Verkehre dienende Eisenbahnen nur vom
Reiche oder mit seiner Zustimmung gebaut werden. Berührt der Bau neuer
oder die Veränderung bestehender Reichseisenbahnanlagen den
Geschäftsbereich der Landespolizei, so hat die Reichseisenbahnverwaltung
vor der Entscheidung die Landesbehörden anzuhören.
Wo das Reich die Eisenbahn noch nicht in seine Verwaltung genommen hat,
kann es für den allgemeinen Verkehr oder die Landesverteidigung als
notwendig erachtete Eisenbahnen kraft Reichsgesetzes auch gegen den
Widerspruch der Länder, deren Gebiet durchschnitten wird, jedoch
unbeschadet der Landeshoheitsrechte, für eigene Rechnung anlegen oder den
Bau einem anderen zur Ausführung überlassen, nötigenfalls unter
Verleihung des Enteignungsrechts.
Jede Eisenbahnverwaltung muss sich den Anschluss anderer Bahnen auf deren
Kosten gefallen lassen.
Artikel 95
Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs, die nicht vom Reiche verwaltet
werden, unterliegen der Beaufsichtigung durch das Reich.
Die der Reichsaufsicht unterliegenden Eisenbahnen sind nach den gleichen,
vom Reiche festgesetzten Grundsätzen anzulegen und auszurüsten. Sie sind
in betriebssicherem Zustand zu erhalten und entsprechend den Anforderungen
des Verkehrs auszubauen. Personen- und Güterverkehr sind in
Übereinstimmung mit dem Bedürfnis zu bedienen und auszugestalten.
Bei der Beaufsichtigung des Tarifwesens ist auf gleichmäßige und
niedrige Eisenbahntarife hinzuwirken.
Artikel 96
Alle Eisenbahnen, auch die nicht dem allgemeinen Verkehre dienenden, haben
den Anforderungen des Reichs auf Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der
Landesverteidigung Folge zu leisten.
Artikel 97
Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden
Wasserstraßen in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen.
Nach der Übernahme können dem allgemeinen Verkehre dienende
Wasserstraßen nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung angelegt
oder ausgebaut werden.
Bei der Verwaltung, dem Ausbau oder dem Neubau von Wasserstraßen sind die
Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit
den Ländern zu wahren. Auch ist auf deren Förderung Rücksicht zu
nehmen.
Jede Wasserstraßenverwaltung hat sich den Anschluss anderer
Binnenwasserstraßen auf Kosten der Unternehmer gefallen zu lassen. Die
gleiche Verpflichtung besteht für die Herstellung einer Verbindung
zwischen Binnenwasserstraßen und Eisenbahnen.
Mit dem Übergänge der Wasserstraßen erhält das Reich die
Enteignungsbefugnis, die Tarifhoheit sowie die Strom- und Schifffahrtspolizei.
Die Aufgaben der Strombauverbände in bezug auf den Ausbau natürlicher
Wasserstraßen im Rhein-, Weser- und Elbgebiet sind auf das Reich zu
übernehmen.
Artikel 98
Zur Mitwirkung in Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den
Reichswasserstraßen nach näherer Anordnung der Reichsregierung unter
Zustimmung des Reichsrats Beiräte gebildet.
Artikel 99
Auf natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für solche Werke,
Einrichtungen und sonstige Anstalten erhoben werden, die zur Erleichterung
des Verkehrs bestimmt sind. Sie dürfen bei staatlichen und kommunalen
Anstalten die zur Herstellung und Unterhaltung erforderlichen Kosten nicht
übersteigen. Die Herstellungs- und Unterhaltungskosten für Anstalten,
die nicht ausschließlich zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur
Förderung anderer Zwecke bestimmt sind, dürfen nur zu einem
verhältnismäßigen Anteil durch Schifffahrtsabgaben aufgebracht werden.
Als Herstellungskosten gelten die Zinsen und Tilgungsbeträge für die
aufgewandten Mittel.
Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes finden Anwendung auf die
Abgaben, die für künstliche Wasserstraßen sowie für Anstalten an
solchen und in Häfen erhoben werden.
Im Bereiche der Binnenschifffahrt können für die Bemessung der
Befahrungsabgaben die Gesamtkosten einer Wasserstraße, eines Stromgebiets
oder eines Wasserstraßennetzes zugrunde gelegt werden.
Diese Bestimmungen gelten auch für die Flößerei auf schiffbaren
Wasserstraßen.
Auf fremde Schiffe und deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu
legen, als auf deutsche Schiffe und deren Ladungen, steht nur dem Reiche
zu.
Zur Beschaffung von Mitteln für die Unterhaltung und den Ausbau des
deutschen Wasserstraßennetzes kann das Reich die Schifffahrtsbeteiligten
auch auf andere Weise durch Gesetz zu Beiträgen heranziehen.
Artikel 100
Zur Deckung der Kosten für Unterhaltung und Bau von Binnenschifffahrtswegen kann durch ein Reichsgesetz auch herangezogen
werden, wer aus dem Bau von Talsperren in anderer Weise als durch
Befahrung Nutzen zieht, sofern mehrere Länder beteiligt sind oder das
Reich die Kosten der Anlage trägt.
Artikel 101
Aufgabe des Reichs ist es, alle Seezeichen, insbesondere Leuchtfeuer,
Feuerschiffe, Bojen, Tonnen und Baken in sein Eigentum und seine
Verwaltung zu übernehmen. Nach der Übernahme können Seezeichen nur noch
vom Reiche oder mit seiner Zustimmung hergestellt oder ausgebaut werden.
Artikel 102
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Artikel 103
Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht und durch die
Gerichte der Länder ausgeübt.
Artikel 104
Die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden auf Lebenszeit
ernannt. Sie können wider ihren Willen nur kraft richterlicher
Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die
Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an
eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung
kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung Richter in den
Ruhestand treten.
Die vorläufige Amtsenthebung, die kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch
nicht berührt.
Bei einer Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke
kann die Landesjustizverwaltung unfreiwillige Versetzungen an ein anderes
Gericht oder Entfernungen vom Amte, jedoch nur unter Belassung des vollen
Gehalts, verfügen.
Auf Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden diese Bestimmungen
keine Anwendung.
Artikel 105
Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über
Kriegsgerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt. Die
militärischen Ehrengerichte sind aufgehoben.
Artikel 106
Die Militärgerichtsbarkeit ist aufzuheben, außer für Kriegszeiten und
an Bord der Kriegsschiffe. Das Nähere regelt ein Reichsgesetz.
Artikel 107
Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze
Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und
Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen.
Artikel 108
Nach Maßgabe eines Reichsgesetzes wird ein Staatsgerichtshof für das
Deutsche Reich errichtet.
Artikel 109
Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen
Rechte und Pflichten.
Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des
Standes sind aufzuheben.
Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr
verliehen werden.
Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf
bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.
Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht mehr verliehen werden.
Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden
annehmen.
Artikel 110
Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den
Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren. Jeder Angehörige
eines Landes ist zugleich Reichsangehöriger.
Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und
Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst.
Artikel
111
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das
Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen,
Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben.
Einschränkungen bedürfen eines Reichsgesetzes.
Artikel
112
Jeder Deutsche ist berechtigt, nach außerdeutschen Ländern auszuwandern.
Die Auswanderung kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden.
Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb
des Reichsgebiets Anspruch auf den Schutz des Reichs.
Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder
Bestrafung überliefert werden.
Artikel 113
Die fremdsprachigen Volksteile des Reichs dürfen durch die Gesetzgebung
und Verwaltung nicht in ihrer freien, volkstümlicher Entwicklung,
besonders im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht, sowie bei der
inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden.
Artikel
114
Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder
Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist
nur auf Grund von Gesetzen zulässig.
Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am
darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus
welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist;
unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen
ihre Freiheitsentziehung vorzubringen.
Artikel
115
Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und
unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.
Artikel
116
Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.
Artikel
117
Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis
sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen
werden.
Artikel 118
Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen
Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger
Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder
Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn
er von diesem Rechte Gebrauch macht.
Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz
abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der
Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei
öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen
zulässig.
Artikel
119
Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und
Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Diese
beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.
Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist
Aufgabe der Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch
auf ausgleichende Fürsorge.
Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.
Artikel
120
Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und
gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht
der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.
Artikel
121
Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen
Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche
Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Artikel
122
Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige oder
körperliche Verwahrlosung zu schützen. Staat und Gemeinde haben die
erforderlichen Einrichtungen zu treffen.
Fürsorgemaßregeln im Wege des Zwanges können nur auf Grund des Gesetzes
angeordnet werden.
Artikel 123
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere
Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.
Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz
anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die
öffentliche Sicherheit verboten werden.
Artikel
124
Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann
nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse
Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen.
Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den
Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht
aus dem Grunde versagt werden, dass er einen politischen,
sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt.
Artikel
125
Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das Nähere bestimmen
die Wahlgesetze.
Artikel 126
Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden
an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses
Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam ausgeübt
werden.
Artikel 127
Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung
innerhalb der Schranken der Gesetze.
Artikel
128
Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und
entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen
Ämtern zuzulassen.
Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.
Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetz zu
regeln.
Artikel 129
Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch
Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und
Hinterbliebenenversorgung werden gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen
Rechte der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen
Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen.
Die Beamten können nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen
und Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilen oder endgültig in
den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt
werden.
Gegen jedes dienstliche Straferkenntnis muss ein Beschwerdeweg und die
Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die
Nachweise über die Person des Beamten sind Eintragungen von ihm
ungünstigen Tatsachen erst vorzunehmen, wenn dem Beamten Gelegenheit
gegeben war, sich über sie zu äußern. Dem Beamten ist Einsicht in seine
Personalnachweise zu gewähren.
Die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des
Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche werden besonders auch
den Berufssoldaten gewährleistet. Im übrigen wird ihre Stellung durch
Reichsgesetz geregelt.
Artikel 130
Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.
Allen Beamten wird die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und die
Vereinigungsfreiheit gewährleistet.
Die Beamten erhalten nach näherer reichsgesetzlicher Bestimmung besondere
Beamtenvertretungen.
Artikel 131
Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen
Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft
die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in
deren Dienste der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt
vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.
Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.
Artikel
132
Jeder Deutsche hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme
ehrenamtlicher Tätigkeiten.
Artikel 133
Alle Staatsbürger sind verpflichtet, nach Maßgabe der Gesetze
persönliche Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten.
Die Wehrpflicht richtet sich nach den Bestimmungen des Reichswehrgesetzes.
Dieses bestimmt auch, wieweit für Angehörige der Wehrmacht zur
Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Erhaltung der Mannszucht einzelne
Grundrechte einzuschränken sind.
Artikel 134
Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu
allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei.
Artikel 135
Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet
und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben
hiervon unberührt.
Artikel 136
Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden
durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die
Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen
Bekenntnis.
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die
Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer
Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen
oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur
Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen
Eidesform gezwungen werden.
Artikel 137
Es besteht keine Staatskirche.
Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird
gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb
des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie
verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen
Gemeinde.
Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen
Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen
Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften
sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre
Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche
Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser
Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen
Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten
nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die
sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung
erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
Artikel 138
Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden
Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die
Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich
auf.
Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen
Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohlfahrtszwecke
bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden
gewährleistet.
Artikel 139
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der
Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
Artikel 140
Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung
ihrer religiösen Pflichten zu gewähren.
Artikel 141
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in
Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten
besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser
Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.
Artikel 142
Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt
ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.
Artikel 143
Für die Bildung der Jugend ist durch öffentliche Anstalten zu sorgen.
Bei ihrer Einrichtung wirken Reich, Länder und Gemeinden zusammen.
Die Lehrerbildung ist nach den Grundsätzen, die für die höhere Bildung
allgemein gelten, für das Reich einheitlich zu regeln.
Die Lehrer an öffentlichen Schulen haben die Rechte und Pflichtteil der
Staatsbeamten.
Artikel 144
Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates; er kann die
Gemeinden daran beteiligen. Die Schulaufsicht wird durch hauptamtlich
tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt.
Artikel 145
Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich
die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende
Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der
Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen
sind unentgeltlich.
Artikel 146
Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für
alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen
auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für
die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und
Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das
Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.
Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten
Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten,
soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb, auch im Sinne des Abs. 1,
nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist
möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die
Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes.
Für den Zugang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schulen
sind durch Reich, Länder und Gemeinden öffentliche Mittel
bereitzustellen, insbesondere Erziehungsbeihilfen für die Eltern von
Kindern, die zur Ausbildung auf mittleren und höheren Schulen für
geeignet erachtet werden, bis zur Beendigung der Ausbildung.
Artikel 147
Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der
Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die
Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Privatschulen in ihren Lehrzielen
und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer
Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine
Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht
gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche
und restliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von
Erziehungsberechtigten, deren Wille nach Artikel 146 Abs. 2 zu
berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses
oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht oder die
Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt.
Private Vorschulen sind aufzuheben.
Für private Schulen, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen
dienen, verbleibt es bei dem geltenden Recht.
Artikel 148
In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung,
persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums
und der Völkerversöhnung zu erstreben.
Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, dass die
Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.
Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schulen.
Jeder Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der
Verfassung.
Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von
Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.
Artikel 149
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme
der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen
der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden
Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.
Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher
Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an
religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen
der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse
Erziehung des Kindes zu bestimmen hat.
Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.
Artikel 150
Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die
Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.
Es ist Sache des Reichs, die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes in das
Ausland zu verhüten.
Artikel 151
Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit
mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für
alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des
Einzelnen zu sichern.
Gesetzlicher Zwang ist nur zulässig zur Verwirklichung bedrohter Rechte
oder im Dienst überragender Forderungen des Gemeinwohls.
Die Freiheit des Handels und Gewerbes wird nach Maßgabe der Reichsgesetze
gewährleistet.
Artikel 152
Im Wirtschaftsverkehr gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze
Wucher ist verboten. Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten
verstoßen, sind nichtig.
Artikel 153
Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine
Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.
Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher
Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene
Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt.
Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei
den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts
anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern,
Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung
erfolgen.
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das
Gemeine Beste.
Artikel 154
Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes gewährleistet.
Der Anteil des Staates am Erbgut bestimmt sich nach den Gesetzen.
Artikel 155
Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise
überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem
Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den
kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und
Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu
schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen.
Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedung des Wohnungsbedürfnisses, zur
Förderung der Siedlung und Urbarmachung und zur Hebung der Landwirtschaft
nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen.
Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des
Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens,
die ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück
entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen.
Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen
unter Aufsicht des Staates. Private Regale sind im Wege der Gesetzgebung
auf den Staat zu überführen.
Artikel 156
Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in
sinngemäßer Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für
die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in
Gemeineigentum überführen. Es kann sich selbst, die Länder oder die
Gemeinden an der Verwaltung wirtschaftlicher Unternehmungen und Verbände
beteiligen oder sich daran in anderer Weise einen bestimmenden Einfluss
sichern.
Das Reich kann ferner im Falle dringenden Bedürfnisses zum Zwecke der
Gemeinwirtschaft durch Gesetz wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände
auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen mit dem Ziele,
die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeitgeber und
Arbeitnehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung,
Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der
Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.
Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und deren Vereinigungen sind
auf ihr Verlangen unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und Eigenart in
die Gemeinwirtschaft einzugliedern.
Artikel 157
Die Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutz des Reichs.
Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht.
Artikel 158
Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler
genießt den Schutz und die Fürsorge des Reichs.
Den Schöpfungen deutscher Wissenschaft, Kunst und Technik ist durch
zwischenstaatliche Vereinbarung auch im Ausland Geltung und Schutz zu
verschaffen.
Artikel 159
Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe
gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit
einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.
Artikel 160
Wer in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis als Angestellter oder
Arbeiter steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher
Rechte und, soweit dadurch der Betrieb nicht erheblich geschädigt wird,
zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie
Zeit.
Wieweit ihm der Anspruch auf Vergütung erhalten bleibt, bestimmt das
Gesetz.
Artikel 161
Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der
Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter,
Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein umfassendes
Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.
Artikel 162
Das Reich tritt für eine zwischenstaatliche Regelung der
Rechtsverhältnisse der Arbeiter ein, die für die gesamte arbeitende
Klasse der Menschheit ein allgemeines Mindestmaß der sozialen Rechte
erstrebt.
Artikel 163
Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche
Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie
es das Wohl der Gesamtheit erfordert.
Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch
wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm
angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für
seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. Das Nähere wird durch besondere
Reichsgesetze bestimmt.
Artikel 164
Der selbständige Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ist in
Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und
Aufsaugung zu schützen.
Artikel 165
Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in
Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und
Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der
produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und
ihre Vereinbarungen werden anerkannt.
Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und
wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in
Betriebsarbeiterräten sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten
Bezirksarbeiterräten und in einem Reichsarbeiterrat.
Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung
der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der
Ausführung der Sozialisierungsgesetze mit den Vertretungen der
Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten
und zu einem Reichswirtschaftsrat zusammen. Die Bezirkswirtschaftsräte
und der Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, dass alle wichtigen
Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung
darin vertreten sind.
Sozialpolitische und wirtschaftliche Gesetzentwürfe von grundlegender
Bedeutung sollen von der Reichsregierung vor ihrer Einbringung dem
Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt werden. Der
Reichswirtschaftsrat hat das Recht, selbst solche Gesetzesvorlagen zu
beantragen. Stimmt ihnen die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem
die Vorlage unter Darlegung ihres Standpunkts beim Reichstag einzubringen.
Der Reichswirtschaftsrat kann die Vorlage durch eines seiner Mitglieder
vor dem Reichstag vertreten lassen.
Den Arbeiter- und Wirtschaftsräten können auf den ihnen überwiesenen
Gebieten Kontroll- und Verwaltungsbefugnisse übertragen werden.
Aufbau und Aufgabe der Arbeiter- und Wirtschaftsräte sowie ihr
Verhältnis zu anderen sozialen Selbstverwaltungskörpern zu regeln, ist
ausschließlich Sache des Reichs.
Artikel 166
Bis zur Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts tritt an seine Stelle
für die Bildung des Wahlprüfungsgerichts das Reichsgericht.
Artikel 167
Die Bestimmungen des Artikels 18 Abs. 3 bis 6 treten erst zwei Jahre nach
Verkündung der Reichsverfassung in Kraft.
In der preußischen Provinz Oberschlesien findet innerhalb zweier Monate,
nachdem die deutschen Behörden die Verwaltung des zurzeit besetzten
Gebiets wieder übernommen haben, eine Abstimmung nach Artikel 18 Abs. 4
Satz 1 und Abs. 5 darüber statt, ob ein Land Oberschlesien gebildet
werden soll.
Wird die Frage bejaht, so ist das Land unverzüglich einzurichten, ohne dass es eines weiteren Reichsgesetzes bedarf. Dabei gelten folgende
Bestimmungen:
1. Es ist eine Landesversammlung zu wählen, die binnen drei Monaten nach
der amtlichen Feststellung des Abstimmungsergebnisses zur Einsetzung der
Landesregierung und zur Beschlussfassung über die Landesverfassung
einzuberufen ist. Der Reichspräsident erlässt die Wahlordnung nach den
Grundsätzen des Reichswahlgesetzes und bestimmt den Wahltag.
2. Der Reichspräsident bestimmt im Benehmen mit der oberschlesischen
Landesversammlung, wann das Land als eingerichtet gilt.
3. Die oberschlesische Staatsangehörigkeit erwerben:
a) die volljährigen Reichsangehörigen, die am Tage der Einrichtung des
Landes Oberschlesien (Nr. 2) in seinem Gebiete Wohnsitz oder ständigen
Aufenthalt haben, mit diesem Tage;
b) sonstige volljährige preußische Staatsangehörige, die im Gebiete der
Provinz Oberschlesien geboren sind und innerhalb eines Jahres nach
Einrichtung des Landes (Nr. 2) der Landesregierung erklären, dass sie die
oberschlesische Staatsangehörigkeit erwerben wollen, am Tage des Eingangs
dieser Erklärung;
c) alle Reichsangehörigen, die durch Geburt, Legitimation oder
Eheschließung der Staatsangehörigkeit einer der unter a und b
bezeichneten Personen folgen.
Absatz 2 und 3. Zusatz des Gesetzes vom 27. November 1920.
Artikel 168
Bis zum Erlass des im Artikel 63 vorgesehenen Landesgesetzes, aber
höchstens bis zum 1. Juli 1921, können die sämtlichen preußischen
Stimmen im Reichsrat von Mitgliedern der Regierung abgegeben werden.
Fassung des Gesetzes vom 6. August 1920.
Artikel 169
Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung im Artikel 83 Abs. 1 wird
durch die Reichsregierung festgesetzt.
Für eine angemessene Übergangszeit kann die Erhebung und Verwaltung der
Zölle und Verbrauchssteuern den Ländern auf ihren Wunsch belassen
werden.
Artikel 170
Die Post- und Telegraphenverwaltungen Bayerns und Württembergs gehen
spätestens am 1. April 1921 auf das Reich über.
Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die
Bedingungen der Übernahme erzielt ist, entscheidet der Staatsgerichtshof.
Bis zur Übernahme bleiben die bisherigen Rechte und Pflichten Bayerns und
Württembergs in Kraft. Der Post- und Telegraphenverkehr mit den
Nachbarstaaten des Auslandes wird jedoch ausschließlich vom Reiche
geregelt.
Artikel 171
Die Staatseisenbahnen, Wasserstraßen und Seezeichen gehen spätestens am
1. April 1921 auf das Reich über.
Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die
Bedingungen der Übernahme erzielt ist, entscheidet der Staatsgerichtshof.
Artikel 172
Bis zum Inkrafttreten des Reichsgesetzes über den Staatsgerichtshof übt
seine Befugnisse ein Senat von sieben Mitgliedern aus, wovon der Reichstag
vier und das Reichsgericht aus seiner Mitte drei wählt. Sein Verfahren
regelt er selbst.
Artikel 173
Bis zum Erlass eines Reichsgesetzes gemäß Artikel 138 bleiben die
bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden
Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.
Artikel 174
Bis zum Erlass des in Artikel 146 Abs. 2 vorgesehenen Reichsgesetzes
bleibt es bei der bestehenden Rechtslage. Das Gesetz hat Gebiete des
Reichs, in denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich
besteht, besonders zu berücksichtigen.
Artikel 175
Die Bestimmung des Artikels 109 findet keine Anwendung auf Orden und
Ehrenzeichen, die für Verdienste in den Kriegsjahren 1914-1919 verliehen
werden sollen.
Artikel 176
Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind auf diese
Verfassung zu vereidigen. Das Nähere wird durch Verordnung des
Reichspräsidenten bestimmt.
Artikel 177
Wo in den bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer
religiösen Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam
auch in der Weise erfolgen, dass der Schwörende unter Weglassung der
religiösen Eidesform erklärt: "ich schwöre". Im übrigen
bleibt der in den Gesetzen vorgesehene Inhalt des Eides unberührt.
Artikel 178
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 und das Gesetz
über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 sind aufgehoben.
Die übrigen Gesetze und Verordnungen des Reichs bleiben in Kraft, soweit
ihnen diese Verfassung nicht entgegensteht. Die Bestimmungen des am 28.
Juni 1919 in Versailles unterzeichneten Friedensvertrages werden durch die
Verfassung nicht berührt. Mit Rücksicht auf die Verhandlungen bei dem
Erwerbe der Insel Helgoland kann zugunsten ihrer einheimischen
Bevölkerung eine von Artikel 17 Abs. 2 abweichende Regelung getroffen
werden.
Anordnungen der Behörden, die auf Grund bisheriger Gesetze in
rechtsgültiger Weise getroffen waren, behalten ihre Gültigkeit bis zur
Aufhebung im Wege anderweiter Anordnung oder Gesetzgebung.
Der Schlusssatz von Abs. 2 ist durch Gesetz vorn 6. August 1920 eingelegt.
Artikel 179
Soweit in Gesetzen oder Verordnungen auf Vorschriften und Einrichtungen
verwiesen ist, die durch diese Verfassung aufgehoben sind, treten an ihre
Stelle die entsprechenden Vorschriften und Einrichtungen dieser
Verfassung. Insbesondere treten an die Stelle der Nationalversammlung der
Reichstag, an die Stelle des Staatenausschusses der Reichsrat, an die
Stelle des auf Grund des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt
gewählten Reichspräsidenten der auf Grund dieser Verfassung gewählte
Reichspräsident.
Die nach den bisherigen Vorschriften dem Staatenausschuss zustehende
Befugnis zum Erlass von Verordnungen geht auf die Reichsregierung über;
sie bedarf zum Erlass der Verordnungen der Zustimmung des Reichsrats nach
Maßgabe dieser Verfassung.
Artikel 180
Bis zum Zusammentritt des ersten Reichstags gilt die Nationalversammlung
als Reichstag. Der von der Nationalversammlung gewählte Reichspräsident
führt sein Amt bis zum 30. Juni 1925.Satz 2. Fassung des Gesetzes vom 27. Oktober 1922.
Artikel 181
Das deutsche Volk hat durch seine Nationalversammlung diese Verfassung
beschlossen und verabschiedet. Sie tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in
Kraft.
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Artikel 48 WRV
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Artikel 148 WRV
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.09.2023