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Der Reichstag wolle beschließen, den Herrn Reichskanzler zu ersuchen:
a) schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Einholung
der Zustimmung des Reichstages bei der Einleitung und beim Abschluss von
Bündnissen, sowie bei Kriegserklärungen und Friedensverträgen
sichergestellt und die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers durch die Bestimmung präzisiert wird, dass der
Reichskanzler zu entlassen ist, wenn der Reichstag es fordert;
b) auf den schleunigen Abschluss eines Friedens auf der Grundlage des
Verzichts auf Annexionen durch die kriegführenden Staaten hinzuwirken;
c) dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten,
durch den bestimmt wird, dass:
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die Reichstagwahlen künftig nicht innerhalb abgegrenzter
Wahlkreise für je einen Abgeordneten, sondern nach dem
Verhältniswahlsystem stattfinden,
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das Recht zu wählen oder gewählt zu werden, mit dem vollendeten
20. Lebensjahre eintritt,
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den Frauen unter den gleichen Bedingungen das aktive und passive
Wahlrecht gewährt wird wie den Männern,
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der Wahltag entweder ein Sonntag oder ein Feiertag sein muss;
d) dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch
den Artikel 3 der Verfassung des Deutschen Reiches einen Zusatz
folgenden Inhalts erhält:
In jedem Bundesstaat muss eine auf Grund des allgemeinen,
gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts nach dem
Verhältniswahlsystem gewählte Vertretung bestehen. Das Recht, zu
wählen und gewählt zu werden, haben alle über zwanzig Jahre alten
Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem
Bundesstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben.
Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur
Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich. Noch bestehende
Erste Kammern (Herrenhäuser) werden aufgehoben;
e) dafür Sorge zu tragen, dass schleunigst alle zur Zeit bestehenden,
gegen einzelne Parteien, Schichten oder Klassen der Bevölkerung
gerichteten Ausnahmebestimmungen aufgehoben werden, insbesondere:
alle aus einem bestimmten religiösen oder religionslosen
Bekenntnis abgeleiteten, tatsächlich bestehenden Beschränkungen der
Gleichberechtigung,
das Gesetz betreffen den Orden der Gesellschaft Jesu, die gegen den
Gebrauch einer nichtdeutschen Muttersprache gerichteten
Ausnahmegesetze und -vorschriften,
die preußischen, gegen die polnisch sprechenden Teile der
preußischen Bevölkerung gerichteten Enteignungs- und
Ansiedlungsgesetze,
die gegen ländliche Arbeiter und das Gesinde in Einzelstaaten
gerichteten Strafvorschriften sowie die Gesindeordnungen
die gegen die Arbeiter gerichteten Beschränkungen in der Verwertung
ihrer Arbeitskraft, insbesondere gegen die Ausübung ihres
Koalitionsrechtes gerichteten Strafvorschriften des § 153 der
Gewerbeordnung und die Anwendung der Strafvorschriften der Nötigung,
der Erpressung und des groben Unfugs gegen die Ausübung des
Koalitionsrechts der Arbeiter;
f) dafür Sorge zu tragen, dass schleunigst eine Sicherstellung des
Vereinsrechts, des Versammlungsrechts, des Rechts der freien
Meinungsäußerung in Wort und Schrift, des Briefgeheimnisses und der
Wahlfreiheit gegenmilitärische und polizeiliche Eingriffe unter dem
Belagerungszustande erfolgt; g) dafür Sorge zu tragen, dass schleunigst
die sämtlichen wegen politischer Delikte ergangenen Strafen aufgehoben
werden.
(aus:
Michaelis/Schraepler, Ursachen und Folgen, Bd. 1, S.298ff.)
*Die
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft war ein Zusammenschluss
oppositioneller SPD-Abgeordneter, die sich frühzeitig gegen die
Burgfriedenspolitik der Mehrheitspartei aussprechen. Sie bildet den Keim
der 1918 gegründeten
Unabhängigen Sozialistischen Partei Deutschlands (USPD). |
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