Grundsätzlich war
die Ehe und ihre Vorformen bis ins 20. Jahrhundert hinein der
einzige legitime Ort für Sexualität und das Ehebett allein war der
"anerkannte Altar für die Zeremonie der Sexualität" (Perrot
1992, S. 121, zit. n.
Gestrich 2003,
S.513) Ging es um vorehelichen und außerehelichen
Geschlechtsverkehr, ging es um die sogenannte "Unzucht".
Nach
Auffassung der katholischen Kirche
diente Sexualität, wenn sie schon als ▪
Notlösung gegen das sexuelle Begehren an sich nicht zu vermeiden war, schon seit
der Spätantike nur dazu, Nachkommen zu zeugen.
Damit stand auch die
Sexualität in der Ehe unter Lustverbot. Wurde der Sexualakt
vollzogen, hatte er allein mit der Absicht zu erfolgen, Nachkommen
zu zeugen. Was dem nicht entsprach, waren »Sünden des Fleisches«,
die schon bei dem »Apostels
Paulus "an prominenter Stelle, direkt
hinter den Formen des Mordes und vor Sünden gegen das Eigentum" (Aries
1992, S.53), rangierten. Da es in der ▪
Tradition der mönchischen Askese mit ihren Idealen der
Keuschheit und Schamhaftigkeit darum ging, dem "sündigen Begehren"
an sich einen Riegel vorzuschieben, wurde auch die innereheliche
Sexualität nicht davon ausgenommen. So scheute sich der Kirchenvater
»Hieronymus
(347-420 n. Chr.) im Anschluss an ein Traktat des römischen
Philosophen und »Stoikers
Seneca (1-65. n. Chr.) nicht, die ▪ "allzu
brennende Liebe für die eigene Frau" als "ehebrecherisch" zu
verurteilen und damit der Unzucht gleichzustellen. Dabei zählten zu den Unzüchtigen
gemeinhin die "Hurer":
fornicarii (griechisch: pornӧi), die Ehebrecher und
Ehebrecherinnen (adulteratio) und die Personen, die bestimmte
entwürdigende, ehrlose und damit verdammenswerte sexuelle Praktiken
ausführten.
Die
Protestanten der Reformationszeit
koppelten die
innereheliche Sexualität nicht an die Zeugungsabsicht und sahen in
ihr "eine
Grundtatsache des menschlichen Lebens" (ebd.,
S.515), die ein Teil der Schöpfung darstellte. Und selbst die »calvinistischen
»Puritaner,
denen ja immer wieder eine besonders ausgeprägte, durch und durch
verklemmte und repressive "puritanische Moral" nachgesagt wird,
hatten gegen die innereheliche Sexualität ohne Zeugungsintention
nichts einzuwenden. Wenn ein puritanischer Geistlicher aus
Massachusetts im 17. Jahrhundert schrieb: "Das Besteigen des
Ehebetts gründet in der menschlichen Natur" (zit. n.
ebd.,
S.516), darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gerade auch
sie waren, die bei Ehebruch keinen Pardon kannten.
Für »Martin
Luther (1483-1546) war die
Entkoppelung von innerehelicher Sexualität und Zeugungsabsicht auch
der Grund, weshalb er den ▪ Ehebruch
unter bestimmten Umständen akzeptierte, wenn z. B. einer
der Partner seinen "ehelichen Pflichten" aus asketischen oder aus
anderen Gründen (z. B. Impotenz) nicht nachkam oder nachkommen
konnte. Besser "freien als zu brennen" war Luthers Devise, wenn es
darum ging zu begründen, weshalb Geschlechtsverkehr auch ohne
Zeugungsabsicht in Ordnung war. Trotzdem war Sexualität auch für die
protestantische Lehre eine Handlung, die im Prinzip nur von
Eheleuten vollzogen werden durfte. Ehe und Sexualität ließen sich
auch bei ihr nicht voneinander entkoppeln, sondern unter dem
Blickwinkel der "Intimisierung und Emotionalisierung des
Gattenverhältnisses" (ebd.)
konnten sie so zur einer Grundlage einer veränderten Beziehung der
Ehepartner beitragen.
Die Kriminalisierung des Konkubinats
Neben dem ▪
Ehebruch wurde im Bereich des
Sexualverhaltens der Bevölkerung vor allem der voreheliche »Geschlechtsverkehr
und der uneheliche
von
Männer und Frauen, die im »Konkubinat,
der sogenannten Kebsehe,
lebten (wir würden heute von einer "nichtehelichen
Lebensgemeinschaft" sprechen), vom Sexualstrafrecht und den
Sittengesetzen der Policey-Ordnungen unter besondere Beobachtung der
Behörden und der Gesellschaft gestellt und mit Strafen bedroht.
Das Konkubinat, das
im römischen Recht noch weitgehend neutral "jede erbrechtlich nicht
anerkannte Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Frau" (Gestrich
2003, S.509) bezeichnete und in manchen Gegenden Europas wie z.
B. in Stadtstaaten Italiens durchaus zulässig war, wurde schon seit
dem 13. Jahrhundert von der Kirche, die nur noch die ihr
geschlossenen Verbindungen als Vollehen anerkannte, entschieden
bekämpft. Nach und nach übernahmen auch weltliche Instanzen diese
Position ein. 1530 erklärte die Reichspolizeiordnung das Konkubinat
zu einem strafbaren Vergehen und setzte damit in Reichsrecht um, was
in einzelnen Landesordnung schon vor der Reformation festgeschrieben
worden war. So galten z. B. in Württemberg in der Landesordnung von
1521 die "»Konkubianer Gott dem Allmächtigen besonders verhasst und
auch dem Christenvolk ärgerlich«", weil sich ihretwegen "»viel
Plagen und Strafen« entzündeten." (ebd.)
Weil dem so sei, müsse es auch von jedermann bei der Obrigkeit
angezeigt und unmittelbar geahndet werden.
Das Konkubinat
blieb trotz seiner Ablehnung durch Rechtsphilosophen der Aufklärung
wie
»Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) bis zum neuen
Reichsstrafgesetzbuch von 1872, in dem es nicht mehr auftauchte, in
Kraft. Trotzdem konnte, wer als Paar unverheiratet zusammenlebte,
wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Kuppelei auch weiterhin
strafrechtlich belangt werden. Der 1876 eingeführte so genannte
Kuppelei-Paragraph, der erst 1974 aufgehoben wurde, bot dabei immer
wieder die rechtliche Handhabe gegen sogenannte "wilde Ehen" von
Staats wegen vorzugehen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Vermieter
und Eltern, die in ihrer Wohnung einem unverheirateten Paar das
Zusammenleben erlaubten, zu Geld- und in schweren Fällen mit
mehrjährigen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt.
Dafür konnte es reichen, wenn man einem unverheirateten Paar
gestattete, nur für eine Nacht zusammen zu sein. (vgl.
ebd.,
S.510f.)
Die Kriminalisierung des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und die
sozio-sexuelle Realität
Im Allgemeinen
galten sexuelle Handlungen, die vor der Ehe und als "Seitensprüngen"
während einer bestehenden Ehe vorgenommen wurden als illegitim.
Wie mit dieser
Illegitimität umgegangen wurde, hing allerdings von etlichen
Faktoren ab. Dazu zählten u. a.
-
die
unterschiedliche Akzeptanz religiöser Sexualnormen als Ganzes,
die in unterschiedlichen Regionen aufgrund bestimmter
Unterschiede wie z. B. dem üblichen Heiratsalter sehr
verschieden ausgeprägt sein konnte.
-
die Tatsache, ob
man auf dem Land oder in der Stadt wohnte, ob man der
bäuerlichen oder der städtischen Bevölkerung angehörte.
-
die Schicht- bzw.
Standeszugehörigkeit
Die
unterschiedliche Akzeptanz der Sexualnormen hat die Forschung mit
der regional sehr unterschiedlich starken Zunahme unehelich
geborener Kinder in der frühen Neuzeit begründet. Diese
Zunahmen, die sich in ganz Europa sich zwischen 10 und 20 Prozent
bewegte, erreichte nämlich in manchen Regionen sogar einen Wert von
über 50 Prozent aller Geburten erreichte (vgl.
Gestrich 2003,
S.505).
Neben den großen regionalen Unterschieden, die auch mit dem
Heiratsalter zusammenhingen - wo früher geheiratet wurde, gab es
weniger uneheliche Geburten - spielte dabei die unterschiedliche
Akzeptanz religiöser Sexualnormen in verschiedenen Regionen eine
Rolle. In Gegenden, in denen sie besonders hochgehalten wurden, wie
z. B. im katholischen Irland, Tirol, den Niederlanden, aber auch in
deutschen Regionen, die vom »Pietismus geprägt waren
(z. B.
»Westfalen oder
Gebiet des einstigen Herzogtums bzw. Königreichs
Württemberg) , waren also
geringe Illegitimitätsquoten, also uneheliche Geburten zu verzeichnen.
Aber auch die
Stadt- und Landbevölkerung zeigte im Umgang mit vorehelichem
Geschlechtsverkehr und seinen möglichen Folgen deutliche
Unterschiede. In den Städten, dort vor allem unter den Bürgern, gewannen "Gedanken über religiöse Entsagung oder die Züchtigung von
Gelüsten und Konsum" (Muchembled
2008, S.39) viel leichter und schneller die Oberhand als auf dem
Land.
Allerdings war auch "das voreheliche Soziosexual-System des
Dorfs [...] durch eine breite Palette von Sitten und Gebräuchen für
präsumptive Ehepartner bestimmt. Am bekanntesten ist die Institution
des «Kiltgangs» (auch «Gasslgehen», «Nachtfreien», «Fensterln»), die
in Österreich und in Teilen Deutschlands verbreitet war. Diese meist
nächtlichen Aktionen männlicher Peer-Gruppen reichten vom
Vorsprechen am Fenster eines Mädchens bis zum gemeinsamen Besuch in
deren Schlafkammer. Je nach dem Alter der Beteiligten führten die
meist nach strengen Regeln ablaufenden und von der Gruppe
überwachten Gebräuche zu verbalen Annäherungen oder sogar zu einem
ersten Austausch von Zärtlichkeiten." (Eder 2002,
S.36) Wurden diese Grenzen von einem Paar aber überschritten, und
kam es dabei auch zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, ohne dass dem
ein Eheversprechen vorausgegangen war, hatte die Frau, wie
eigentlich immer, "das primäre Risiko vorehelicher Beziehungen zu
tragen" (ebd.,
S.37) und musste nach dem Verlust ihrer "Ehre" gewöhnlich ein Leben
am "Rand des von der Familie, der Gemeinde und der Herrschaft
regulierten sozialen Feldes" (ebd.)
fristen.
Sehr oft wurden
Frauen, die wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs ihre "Ehre"
verloren hatten, Opfer von Sanktionen, die die weltlichen und
sozialen Obrigkeiten gegen sie verhängten und die "über die internen
familialen und von einzelnen gesellschaftlichen Gruppen festgelegten
Restriktionen" (Barth
1994, S.55) So gab es den Brauch, wonach eine als "entehrt"
geltende junge Frau bei der Hochzeit als sichtliches Zeichen ihrer
Schande einen Strohkranz zu tragen hatte oder überhaupt keinen. Sah
man der Braut ihre Schwangerschaft schon an, wurde ihr von einer
Hebamme beim Hochzeitszug ein Kissen nachgetragen. Und auch die
Obrigkeiten legten nach: In einer Braunschweigischen Stadtordnung,
das Beispiel steht für viele, war niedergelegt, "dass ein
schwangeres Mädchen die Haare zu bedecken und bei Sichtbarwerden
ihres Zustandes die Stadt zu verlassen habe." (ebd.,
S.56)
Als Konsequenz der
allmählichen Durchsetzung der christlichen Ehedoktrin mit ihrem
sakramentalen Charakter und der davon abgeleiteten Unauflöslichkeit
entstanden also seit Mitte des 16. Jahrhunderts immer mehr
rechtliche Regelungen, die den vorehelichen Geschlechtsverkehr unter
Strafe stellten. Dabei trug man wohl der Tatsache Rechnung, dass
"der gute Ruf eines jungen Mädchens, der auf das Ansehen der Familie
und mithin auf die Heiratsaussichten des Mädchens selbst nicht
unbeträchtlichen Einfluss hatte, [...] mit Blick auf die Wahrung der
öffentlicher Ordnung von Interesse für die Kirche und die weltliche
Obrigkeit "(ebd.,
S.55) geworden war.
-
So sah z. B.
die
niederösterreichische Policey-Ordnung 1641 in "unehelicher
leichtvertiger beywohnung und vermischung" (zit. n.
ebd., S.65)
nicht so schwerwiegendes Problem für die Gesellschaft, das dem
nur mit strengsten Strafen - und zwar für alle Stände -
beizukommen sei. In der Regel wurde dabei auf die aus dem
kanonischen Recht bekannten Straftatbestände Bezug genommen, die
den vorehelichen Verkehr mit einer Jungfrau und die "Unzucht" (fornicatio)
mit einer ledigen Person im Visier hatten. (vgl.
Eder 2002,
S.65)
-
Die
Preußische Landordnung
von 1577 befasste sich sehr detailreich mit dem Delikt des
sogenannten "Jungfrauenschwechen" und erörterte, ob eine Frau,
die an «iren Ehren (die weiblichen Geschlechts größter Schatz
ist, geschwecht» (zit. n.
ebd.)
wurde, nachdem ihr zuvor ein Eheversprechen gemacht worden war
oder nicht. Lag ein solches Versprechen vor, hatte er die Frau
zu heiraten, wenn nicht, musste er eine Strafe in Höhe ihrer
Mitgift an ihren Vormund bezahlen. Die Schwere der Tat hing
natürlich auch davon ab, ob der Mann als der einzige Verführer
zweifelsfrei feststand. War dies nicht der Fall, hatte er zwar
für sein unehelich gezeugtes Kind auch aufzukommen, wurde aber
aber ansonsten nicht weiter bestraft. Dazu wurde auch in anderer
Weise mit zweierlei Maß gemessen, denn der soziale Rang und
Status bestimmte auch den Strafrahmen. So musste ein höher
gestellter Mann nur zur Zahlung einer Mitgift in Höhe der
Morgengabe seines Standes bezahlen, während ein sozial
Untergebener, z. B. ein Dienstbote, der einer höhergestellte
Frau geschwängert hatte, mit körperlichen Strafen, im Extremfall
sogar mit der Todesstrafe zu rechnen hatte. (vgl..
ebd., S.66)
Im
Adel war der voreheliche Verkehr für Frauen
eigentlich undenkbar, auch wenn dies nicht heißt, dass es nicht dazu
gekommen ist. In dieser gesellschaftlichen Gruppe ging es doch auch immer
in besonderen Maße um die Zeugung
legitimer Nachkommen, bei der an der Vaterschaft des Erzeugers kein
Zweifel bestehen durfte. Die Jungfräulichkeit der Braut war bei den
für die Eheschließung beim Adel geltenden Regeln der
arrangierten Ehe, die ja meistens eine "politische
Angelegenheit" (Gestrich 2003,
S.463) war, unerlässlich, zumal davon auch die Thronfolge bzw. die
dynastische Zukunft des Adelsgeschlechts abhing. Aber auch in
bürgerlichen Kreisen war sie ein so hohes Gut, dass sich der Ehemann
vor der Heirat die Jungfräulichkeit seiner Braut vertraglich
zusichern konnte. Stellte sich in der Hochzeitsnacht das Gegenteil
heraus, konnte die Braut wieder zurückgegeben werden. (vgl. Barth
1994, S.55)
Was den
außerehelichen Verkehr der männlichen Adeligen anbelangte, schrieb
die höfische Gesellschaft ihre eigenen Gesetze. Was bei bürgerlichen
Personen, wenn es herauskam, bestraft wurde, war in Adelskreisen
kein Problem. Hochadeligen Männern war es so ohne weiteres möglich,
innerhalb ihres adeligen Haushalts Geliebte als Mätressen zu »halten«." (Gestrich 2003,
S.458) Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, berief
man sich in zeitgenössischen Rechtsgutachten darauf, dass diese Form
adeligen ▪ Ehebruchs nicht
unter die irdische, staatliche Gerichtsbarkeit falle, sondern nur
vor Gott verantwortet werden müsse.
So konnten die
hohen Adeligen zu ihren Mätressen oft "ein engeres und
vertraulicheres Verhältnis" (ebd.)
aufbauen als zu ihren Ehefrauen. Dem französischen König
Ludwig XIV. (1638-1725) wird zum Beispiel nachgesagt, er habe in
den Privaträumen seiner Mätresse, der »Madame
des Maitenon (1635-1719), die als »heimliche
Ehefrau des Königs galt, ein fast häusliches Eheglück" (ebd.)
genossen. Und auch sein Nachfolger
Ludwig XV. (1710-1774) "ließ sich im Versailler Schloss eine
Dachstockwohnung ausbauen, schuf sich dort ein häuslich-bürgerliches
Ambiente mit Bibliothek und Katze, um sich mit Mätresse und Freunden
dorthin zurückzuziehen." (ebd.)
Im Herzogtum Württemberg machte Herzog ▪
Carl Eugen (1726-1793) »Franziska
von Hohenheim (1748-1811), die er später heiratete, zu seiner
offiziellen Mätresse.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.01.2024
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