▪
Vorehelicher
und außerehelicher Geschlechtsverkehr
▪
Die Entwicklung sozial konstruierter Scham
in der frühen Neuzeit und im Barock
▪
(Literaturgeschichte:) Die höfische Form der Erotik im Barock
Unter dem Ehebruch,
unter dem man den vorsätzlichen »Geschlechtsverkehr
eines Ehepartners mit einer dritten Person versteht, zählte in
der Geschichte der abendländischen Zivilisation stets zu
Sittlichkeitsdelikten, die mit Strafen sanktioniert wurden.
Im antiken Athen,
wo der Ehezweck darauf ausgerichtet war, legitime Nachkommen zu
zeugen, war der Ehebruch ein Kapitalverbrechen. Wurde ein Ehebrecher
in flagranti dabei ertappt, durfte er straflos getötet werden. Eine
ehebrecherische Frau, die das ihr als Ehepartnerin auferlegte
Keuschheitsgebot missachtete, wurde aus ihrem Haushalt verstoßen,
durfte fortan an keinen religiösen Zeremonien der Gemeinde mehr
teilnehmen und wurde auf diese Weise wie eine Prostituierte (Hetäre)
oder Fremde behandelt. Verzeihen oder darüber hinweggehen durfte
auch der Ehemann nicht, denn er war verpflichtet sich von der
ehebrecherischen Frau zu trennen. Die Gemeinschaft hatte offenkundig
ein Interesse daran und betrachtete es auch als "ein öffentliches
Anliegen" auf diese Weise "die Reinheit der Familien zu bewahren." (Krause
2003, S.65) Da nur die möglichen Folgen eines Ehebruchs der Frau
Zweifel an der Legitimität möglicher Nachkommen mit sich brachte,
war der sexuelle Verkehr eines Ehemannes mit einer unverheirateten
Frau im strengen Sinne kein Ehebruch und so konnten die athenischen
Männer ihre sexuellen Bedürfnisse mit ihren Sklavinnen ausleben oder
gingen wie selbstverständlich in die zahlreichen Bordelle Athens.
(vgl. ebd.)
Und in dieser männlich dominierten Welt durften auch junge Männer,
die in Athen meistens vergleichsweise spät heirateten zu
Prostituierten gehen, zumal "die jungen Mädchen ein sehr
zurückhaltendes Lebens führten." (ebd.,
S.74)
Für größere Ansicht an*tippen*klicken!
Auch in
Rom waren
nur die Frauen zu ehelicher Treue verpflichtet. Ging ein Mann, wie
auch hier üblich, mit Sklavinnen fremd, galt dies nicht als
Ehebruch. Lange überließ man in Rom die Ahndung des Ehebruchs der
Privatrache des "gehörnten" Ehemannes, dem man im Extremfall sogar
zugestand, den Ehebrecher und seine ehebrecherische Frau zu töten.
Mit einem Gesetz von Kaiser »Augustus
(63 v. Chr. -14 n. Chr.), dem »lex
Iulia de adulteriis, wurde die Feststellung des Ehebruchs
und die Bestrafung der Ehebrecher zu einem wesentlichen Teil der
hausväterlichen Rechtsprechung entzogen und staatlich geregelt.
Dabei blieb der Mann gegenüber der Frau aber immer in einer
stärkeren Rechtsposition. Wurden ein eine Ehefrau und ein Ehebrecher
auf frischer Tat beim Geschlechtsverkehr ertappt, durfte der
Ehemann, den Ehebrecher dann töten, wenn "er einer Reihe von
Kategorien übel beleumdeter Personen angehörte, nicht aber seine
Ehefrau, die er lediglich verstoßen durfte." (ebd.,
S.119) Der Vater einer ehebrecherischen Tochter durfte diese und den
Ehebrecher im Rahmen seiner Privatrache töten. In jedem Fall wurde
von dem Ehemann verlangt, seine ehebrecherische Partnerin und den
Ehebrecher binnen einer Frist von 60 Tagen anzuklagen, wollte er
sich nicht selbst der Anklage wegen »Kuppelei (lenocinium) aussetzen.
Brachte er den Ehebruch in dieser Frist nicht zur Anklage, konnten
auch Unbeteiligte die Missetäter vor Gericht ziehen lassen. Zunächst
traf eine verurteilte Ehebrecherin die Verbannung, in der Spätantike
oft auch die Todesstrafe. (vgl.
ebd.)
Im christlichen
Europa des Mittelalters lagen die Verhältnisse anders, auch wenn es
mit seiner uneingeschränkten Verurteilung des Ehebruchs an die
Antike anschloss. Als eine "ausgeprägte Gemeindereligion" (Mitterauer
2003, S.309) ist die Stellung des Hausvaters eine ganz andere
als in der Antike und auch die Verkündigung Jesu enthält recht
wenige "direkte Anweisungen über das Familienleben, die Rechte und
Pflichten der Mitglieder einer Hausgemeinschaft, der Eltern, Kinder
oder Sklaven" (ebd.)
Die kategorische Verurteilung des Ehebruchs mit dem sechsten Gebot
"Du sollst nicht ehebrechen", das vor allem in der
römisch-katholischen »Moraltheologie üblicherweise
alle Verstöße gegen die »Sexualmoral,
also auch
die sogenannte »"Unzucht“
und andere sexuelle Regelverletzungen innerhalb und außerhalb der
Ehe, umfasste, ließ keinen Zweifel, worum es hier ging, nämlich den
Schutz des christlichen Ehebundes. Dieser war, spätestens seit dem
»Konzil
von Trient (1545-1563) (Tridentinum) mit den kanonischen
Gesetzen vom 11.November 1563 als ein von Gott gestiftetes,
monogames
»Sakrament
unauflöslich. Wurde dagegen verstoßen, war dies in
der katholischen Kirche eine schwere Sünde, die den Ehebrecher oder
die Ehebrecherin vom Abendmahl, den Empfang des Sakraments der »Eucharistie
so lange untersagte, wie die Versöhnung mit Gott mit dem
Empfang der
»Absolution
im dafür vorgesehenen
»Bußsakrament
mit der Beichte des gläubigen Sünders oder der Sünderin
wiederhergestellt war. Die Absolution war allerdings an die
Verpflichtung gebunden, die ehebrecherische Beziehung einzustellen
und den geschlossenen Bund der Ehe fortzuführen.
»Martin
Luther (1483-1546) konnte mit dieser religiösen Überhöhung der
Ehe und ihrer postulierten Heilsnotwendigkeit nichts anfangen. Mit
seiner protestantischen Ehelehre plädierte er für die
Entsakramentalisierung der Ehe und gab zahlreiche der von der
römisch-katholischen Kirche aufgebaute Ehehindernisse auf. Gelten
sollte fortan nur, was sich auf die Bibel stützen ließ. Das waren
bestimmte, allernächste Verwandtschaftsverhältnisse, die einer
Heirat entgegenstanden. Zugleich sprach er sich aber auch für
"Heiraten zwischen geistlichen Verwandten (Paten und deren Kindern)
sowie zwischen Adoptiverwandten, aber auch zwischen Vettern und
Cousinen" (Mitterauer
2003, S.371) aus. Von besonderer Bedeutung war aber auch, dass bei Ehebruch, »böslichem
Verhalten« oder Misshandlung des Ehepartners unter bestimmten
Voraussetzungen auch die Ehescheidung und eine nachfolgende
Wiederverheiratung grundsätzlich möglich war. Dennoch hielten auch
die Protestanten die Ehe als solche stets hoch und betrachteten sie
als Form einer unauflöslichen Beziehung zwischen den Partnern.
Ehebrecher durften
also in protestantischen Ländern in der Regel wieder heiraten, der
Ehebruch selbst aber, besonders im Wiederholungsfall streng
bestraft. So wurde im reformierten Zürich »Zwinglis
(1484-1531) der Ehebrecher nach erstmaligem Ehebruch zu einer
dreitägigen Turmstrafe bei Wasser und Brot, zeitweiligem Kirchenbann
bestraft und musste zudem hinnehmen, dass er für eine gewisse
öffentliche Ämter nicht mehr ausüben und aus Gilden und Zünften
ausgeschlossen wurde. Bei zwei oder drei Ehebrüchen wurden die
Strafen entsprechend erhöht. Ab vier kam die Verbannung in Betracht
und bei fünf aktenkundigen Seitensprüngen bedrohte das
Gerichtsurteil den/die Ehebrecherin* mit der Todesstrafe durch
Ertränken in dem mitten durch die Stadt fließenden Limmat. (vgl.
Gestrich 2003,
S.545)
Aber nicht nur die
Religion und ihre Morallehren verurteilten unter dem Blickwinkel des
Schutzes des christlichen Ehebundes den Ehebruch, auch der Staat
legte immer genauer fest, wie mit Ehebrechern umzugehen war.
Ehebruch in der "Peinlichen Gerichtsordnung" (Carolina) 1532
Ehebruch galt
seit der sogenannten "Peinlichen
Gerichtsordnung" des
»Heiligen Römischen Reiches, der »Constitutio
Criminalis Carolina« (kurz: Carolina), einem Gesetzeswerk, das
1532 auf dem Reichstag von Regensburg verabschiedet wurde, als ein
»Kapitalverbrechen,
also ein besonders schweres Verbrechen, das mit dem Tode bestraft
werden sollte.
Die so genannte
Carolina stellte mit der von ihr auf Reichsebene geschaffenen
"Konzentration und Vereinheitlichung" (Schilling
1994, S.246) eine wichtige "Klammer für den Zusammenhalt des
Reiches" (ebd.,
S.250) dar, welche das Reich nach dem Scheitern der beiden
"Extremkonzepte" (ebd.,
S.243) für eine »Reichsreform"
im 16. Jahrhundert zusammenhielt. Die Auseinandersetzungen, Kriege
und Kämpfe während der Reformationszeit, hatten dafür gesorgt,
dass weder der absolutistisch zentralistisch-monarchische
kaiserlichen Reichsstaat, wie ihn der habsburgische Kaiser
Karl V. (1500-1558) im Rahmen "seines »imperial-unversalistischen
Konzepts vom Reich" (ebd.,
S.240, Verlinkung d. Verf.) angestrebt hatte, noch "das Modell eines
ständisch dirigierten Reiches" (ebd.,
S.243) durchzusetzen waren.
Die Einigung von
Kaiser und Reich (Ständen: Inhaber der staatlichen Gewalt in den
Territorien) auf ein »
materielles Strafrecht, das bestimmte schwere »Straftatsbestände
aufnahm, und eine Strafprozessordnung, die sich am Römischen Recht
orientierte und, auch wenn sie der Folter eine zentrale Rolle
beimaß, deshalb zur "Humanisierung des Strafverfahrens" (ebd.,
S.248) beitrug, weil sie die seit dem Mittelalter ausufernde Willkür
bei Verhaftungen und Hinrichtungen eingrenzen sollte. Dass Folter
dabei zur Erzwingung von Geständnissen bei schwerwiegenden
Verdachtsmomenten in einem normalen Strafprozess eingesetzt werden
durfte, hat erst »die
Aufklärung im 18. Jahrhundert beseitigt, für die die Besserung
des Straftäters im Zentrum des »Strafverfahren
stand und mit der Einführung von Freiheitsstrafen diesem Gedanken
Rechnung trug.
Grundsätzlich egal,
ob von dem Mann oder der Frau begangen, sollte der Ehebruch in der
Carolina mit dem Tode bestraft werden. (vgl.
Eder 2002,
S.55; "peinlich" bezieht sich hierbei auf das lateinische poena
für "Strafe" und bezeichnet Leibes- und Lebensstrafen.)
Dass sie in der
Praxis allerdings nur selten verhängt wurde, lag vor allem daran,
dass es zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert bei Sexualdelikten oft
gravierende Unterschiede zwischen den Reichsgesetzen und der
territorialen und lokalen Rechtssprechung gegeben hat. Hintergrund
dafür war die von den "Hardlinern" wegen der vermeintlichen zu
großen Milde der Carolina bei der Verbrechensbekämpfung
durchgesetzte "salvatorische Klausel", die dem Gesetz in den
Territorien nur eine »subsidiäre
Geltung zusprach, der Rechtsfriede nach erfolgter Straftat dort
also nicht auf andere Weise wiederhergestellt werden konnte.
So kam es oft
einfach auch darauf an, auf Grundlage welcher Gesetze Recht
gesprochen wurde. Im Allgemeinen wurde die Todesstrafe bei Ehebruch jwie auch andere
Verstümmelungsstrafen aber mehr und mehr durch Gefängnis-, Ehren-
und Geldstrafen ersetzt. (vgl.
ebd., S.60).
Wenn es dazu kam, dann
wurde die Todesstrafe auch nur in Verbindung mit weiteren schweren Straftaten
vollzogen. Insofern gilt wohl, dass diese
Kriminalisierung der
Sexualmoral vergleichsweise geringe lebensweltliche Auswirkungen für
die Mehrheit der Bevölkerung hatte. (vgl.
ebd., S.53).
Aber: "Regulierung und Sanktionierung des Sexuellen" diente immer "der Inszenierung der kirchlichen und weltlichen Herrschaft
und der Stabilisierung der Sozial- und Geschlechterhierarchien." (ebd.)
Auch wenn die Todesstrafe für mehrfachen Ehebruch – sie konnte im Übrigen auch, wahrscheinlich jedoch nur in Einzelfällen, Männer
treffen, wie das Beispiel eines hohenloheschen Amtmanns im 17.
Jahrhundert zeigt (vgl.
Lahnstein 1974,
S.39f.) – offenbar selten angewendet wurde, gab es ja noch andere
Mittel, mit denen man gegen die vermeintlichen Missetäterinnen*
vorgehen konnte.
Unzählige Männer und Frauen wurden Opfer eines
Systems von Schandstrafen, sogenannter
schimpflicher Strafen wie Prangerstehen oder
Karrenziehen, die zu öffentlichen Schauspielen für Gassenjungen und Pöbel aller Stände
wurden. Solche Strafen wurden oft schon wegen des verschwiegenen Beieinandersein zweier
Menschen unterschiedlichen Geschlechts verhängt, weil man darin, "wenn die Sache herauskam, ein skandalöses Vergnügen niederster
Sorte" (ebd.)
sah.
Was die Carolina zu
den »strafbaren Delikten zählte: "Unkeuschheit wider die Natur,
Blutschande, gewaltsame Entführung, Notzucht, Ehebruch, zweifache
Ehe, Kuppelei und die «Straff der jhenen so jre eheweiber oder
kinder durch böses genieß willen williglich zu vnkeuschen wercken
verkauffen» (Art. 122)",(Eder 2002,
S.55) dazu noch Kindsmord oder Kindesweglegung, hielt sich
nicht nur in den Gesetzeswerken bis ins 18. Jahrhundert, sondern
verankerte sich auch im moralischen Bewusstsein der Menschen.
Ehebruch in den frühneuzeitlichen Policey-Ordnungen
Mehr noch als die
Reichsgesetze sorgte wohl die im Rahmen der ▪
Sozialdisziplinierung immer
größer werdende Flut von »Policey-Ordnungen
und die Verlautbarungen der »Kirchenzucht
auf Landes- und kommunaler Ebene für die sexuelle Ordnung, die nach
Ansicht der Inhaber staatlicher Gewalt (z. B. Fürsten, Magistrate
der Reichsstädte etc.) und der jeweiligen Landeskirche "zur
Stabilisierung der sozialen Ordnung beitragen und solcherart auch
die ökonomische Wohlfahrt des Landes fördern" sollte. (ebd,
S.58) Sie ergänzten die strafrechtlichen Regelungen und sollten
"Missstände" im Sexualverhalten der Bevölkerung zurückdrängen, wo
ihnen mit den Strafen des Sexualstrafrechts nicht so ohne weiteres
beizukommen war.
Mit ihren
Sittlichkeitsgesetze, das macht die »Polizeiordnung
für das Herzogtum Westfalen aus dem Jahr 1723 deutlich, griff
der Landesherr tief in das Alltagsleben seiner Untertanen ein und
sanktionierte, wenn gegen die aufgestellten gesellschaftlichen
Normen verstoßen wurde. Solche Normen dienten dabei unter Bezugnahme
auf eine religiös fundierte Sexualmoral dazu zur sozialen
Disziplinierung der Untertanengesellschaft, deren "massive sexuelle
Repression" (Muchembled
2008, S. 39) damit installiert wurde, die "neben dem Körper auch
die Seelen" bzw. die Psyche der Untertanen kontrollieren sollte.
Nicht zuletzt daran wird daher auch deutlich, welche bedeutende
Rolle die territorialen Konfessionskirchen bei der sozialen
Disziplinierung der alltäglichen Lebensführung der Untertanen
gespielt haben. (vgl.
Schilling 1987,
S.155) Wenn es in der Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen
gesellschaftliche Normen geht, wie beim »Verbot
des leichtfertigen Beischlafs, des Ehebruchs oder auch
übermäßigen Alkoholkonsums ging, war also stets der christliche Gott
und die christliche Religion im Spiel. Für Ehebruch war dabei im
Falle
eines Erstvergehens als Strafmaß eine hohe Geldstrafe
vorgesehen, die im Wiederholungsfall erhöht oder mit einer
öffentlichen Schadstrafe bestraft werden konnte.
"Unordnung im
Geschlechtsleben", das war wohl der gemeinsame Tenor bei beiden
Konfessionen, denen sich die Policey-Ordnungen verpflichtet sahen,
"würde auf jeden Fall zu gesellschaftlichem Chaos führen und müsse
aus diesem Grund verhindert werden" (Eder 2002,
S.58). Dafür wurde vor allem jede Form von "Unkeuschheit"
verantwortlich gemacht, ein Begriff, der "als Sammelbegriff für
unterschiedliche sexuelle Delikte (fungierte)" (ebd.,
S.59) Wurde die Keuschheit damit zum Gradmesser für den
gesellschaftlichen und moralischen Zustand des Gemeinwesens,
richtete sich der Bannstrahl der staatlichen und kirchlichen
Sittenwächter besonders auf den ▪ vorehelichen Geschlechtsverkehr und
den Ehebruch, deren Sozialunverträglichkeit mit einer Reihe von
Argumenten begründet wurde. Dabei war die Verschränkung der
christlichen Sexualmoral mit den Interessen der an der Schaffung
eines einheitlichen Untertanenverbandes interessierten Landesherren
besonders deutlich.
So wurde damit
argumentiert, dass diese diskriminierten Formen sexuellen Verhaltens
nicht nur die christliche Ehe bedrohten, sondern auch das ganze
politische, ökonomische und soziale System der frühneuzeitlichen
Ständegesellschaft. "Nicht-eheliche Kinder und Nachkommen ohne
eindeutig geklärte Vaterschaft" so hieß es, "würden zu instabilen
Beziehungen in Familie, Peer Group und Sozialverband führen, die
Kommunen hätten mit Folgekosten für die Armenversorgung zu rechnen
und die Erbrechtsangelegenheiten würden ebenfalls verkompliziert." (ebd.)
Insgesamt haben
sich die Policey-Ordnungen ein Stück weit darum bemüht, mit ihren
Sittengesetzen Frauen und Männer nicht mehr grundsätzlich
anders zu behandeln, auch wenn es immer geschlechtsspezifische
Differenzierungen gegeben hat. Tiefer und für die Internalisierung
der vorgegebenen Sexualmoral im Sinne der Sozialdisziplinierung
wichtiger wurde indessen die sozialpsychologische Deutung des
unterschiedlichen »Sozialkapitals von Männer und Frauen.
Brach eine
verheiratete Frau die Ehe, verlor sie nicht nur ihre "Keuschheit"
als ihr vermeintlich höchstes Gut sondern auch ihre "Ehre" und wurde
damit der gesellschaftlichen Ächtung ausgeliefert. Das soziale
Konstrukt der männlichen "Ehre" war hingegen nicht an "Keuschheit"
gebunden, sondern wurde auf der Basis von Besitz, Autorität, Status
etc. definiert. Und zu diesem männlichen Besitzdenken gehörte eben
auch die patriarchalische, in zahlreichen Vorschriften sich
niederschlagende Herrschaft über die Ehefrau.
Literarisch hat dies
»Nathanel
Hawthorne (1804-1864) mit seinem Roman »"Der
scharlachrote Buchstabe" (1850) angeklagt, der das
Schicksal der Ehebrecherin
Hester Prynne schildert, die, weil sie trotz ihrer öffentlichen »Anprangerung den
Vater ihres unehelichen Kindes
nicht nennen will, neben anderen Sanktionen dafür, dazu verurteilt
ist, ein scharlachrotes "A" als Zeichen ihrer Ächtung auf der Brust
zu tragen. Der Roman, dessen Geschichte etwa 200 Jahre früher im
gerade erst von englischen Puritanern gegründeten Boston im 17.
Jahrhundert spielt, ist zugleich ein herausragendes Beispiel dafür,
wie Literatur als eine Art "Archiv" (Greiner
22014, S.21) fungieren kann, "das die Wandlungen der
Gefühlskultur sammelt und aufbewahrt" (ebd.)
und uns mit der gebotenen kritischen Distanz zur Fiktionalität des
jeweiligen Werkes – Literatur ist schließlich keine Quelle im
geschichtswissenschaftlichen Sinne –, bei der Überwindung der
historischen Distanz zu einer, insbesondere auch in diesem Bereich
fremden Zeit unterstützen kann.
In den Territorien
war die geschlechtsspezifische Differenzierung bei der Verfolgung
des Ehebruchs im Gegensatz zu den Reichsgesetzen aber noch lange
Zeit üblich. So hing das Strafmaß oft neben dem Familienstand und
dem Stand auch vom Geschlecht der ehebrechenden Person ab. Zur
Begründung dafür, "warum verheiratete Frauen gegenüber ledigen
schlechter abschnitten", hatte schon die Halsgerichtsordnung »Josephs
I. (1678-1711) im Jahr 1707 festgehalten, dass ihr Verhalten
Unklarheiten über die väterliche Abstimmung der Nachkommen und in
der Folge Chaos in den Familien und in der Gesellschaft erzeuge.
Grundsätzlich
konnte und wurde Ehebruch in der frühen Neuzeit mit vergleichsweise
strengen Strafen geahndet. Zugleich aber zielten die Sanktionen bzw.
Sanktionsandrohungen aber auch darauf, zerrüttete Ehen zu retten.
Die Behandlung von Ehebrechern und das Strafmaß für den Ehebruch
verlangte also auch ein gewisses soziales Augenmaß, dass vor allem
verhindern sollte, dass bis dahin untadelige Personen zu streng
bestraft wurden und insbesondere auch dessen Kindern damit Schaden
erlitten und es zu schnell zur Trennung bzw. Scheidung der Eheleute
kam. (vgl. Eder 2002,
S.64f.)
Eine "moralische Welt für sich": Der legitime Seitensprung mit der
Mätresse im Adel
In der sozialen
Welt des Adels, für den im Grunde die gleichen christlichen Normen
Geltung beanspruchten wie anderswo, galten allerdings andere Gesetze
zugunsten der adeligen Männer, die schon beim ▪
vorehelichen Verkehr von den
Risiken weitgehend befreit waren, denen sich die Frauen immer
ausgesetzt sahen. Lange hatten sie gegen die Klerikalisierung der
Ehe mit ihren Verwandtschaftsverboten und dem Konzept der
Unauflöslichkeit der Ehe, das ihnen untersagte, unter bestimmten
Umständen ihre Ehefrau zu verstoßen. zur Wehr gesetzt, letzten Endes
aber in einem lang anhaltenden Prozess eingelenkt.
So erscheint es
fast wie eine Kompensation für den Verlust dieser "Freiheiten", die
ihnen die traditionelle Laienehe gewährt hatte, dass sich die
adelige Männerwelt, was den Ehebruch und den außerehelichen
Geschlechtsverkehr anbelangte, eigene "Gesetze" gab, denn was bei bürgerlichen
Personen, wenn es herauskam, bestraft wurde, war in Adelskreisen
kein Problem.
Hochadeligen Männern war es so ohne weiteres möglich,
innerhalb ihres adeligen Haushalts Geliebte als
Mätressen zu »halten«." (Gestrich 2003,
S.458) Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, berief
man sich in zeitgenössischen Rechtsgutachten darauf, dass diese Form
adeligen ▪ Ehebruchs nicht
unter die irdische, staatliche Gerichtsbarkeit falle, sondern nur
vor Gott verantwortet werden müsse.
So konnten die
hohen Adeligen zu ihren Mätressen oft "ein engeres und
vertraulicheres Verhältnis" (ebd.)
aufbauen als zu ihren Ehefrauen. Dem französischen König
Ludwig XIV. (1638-1725) wird zum Beispiel nachgesagt, er habe in
den Privaträumen seiner Mätresse, der »Madame
des Maitenon (1635-1719), die als »heimliche
Ehefrau des Königs galt, ein fast häusliches Eheglück" (ebd.)
genossen. Und auch sein Nachfolger
Ludwig XV. (1710-1774) "ließ sich im Versailler Schloss eine
Dachstockwohnung ausbauen, schuf sich dort ein häuslich-bürgerliches
Ambiente mit Bibliothek und Katze, um sich mit Mätresse und Freunden
dorthin zurückzuziehen." (ebd.)
Im Herzogtum Württemberg machte Herzog ▪
Carl Eugen (1726-1793) »Franziska
von Hohenheim (1748-1811), die er später heiratete, zu seiner
offiziellen Mätresse.
▪
Vorehelicher
und außerehelicher Geschlechtsverkehr
▪
Die Entwicklung sozial konstruierter Scham
in der frühen Neuzeit und im Barock
▪
(Literaturgeschichte:) Die höfische Form der Erotik im Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.01.2024
|