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Ehebruch
▪
Vorehelicher
und außerehelicher Geschlechtsverkehr
▪
Die Entwicklung sozial konstruierter Scham
in der frühen Neuzeit und im Barock
▪
(Literaturgeschichte:) Die höfische Form der Erotik im Barock
»Sexualität
ist in der Triebstruktur des Menschen fest verankert. Sie ist, wie
die »Weltgesundheitsorganisation (WHO)
definiert, "ein
zentraler Aspekt des Menschseins über die gesamte Lebensspanne
hinweg, der das biologische Geschlecht, die Geschlechtsidentität,
die Geschlechterrolle, sexuelle Orientierung, Lust, Erotik,
Intimität und Fortpflanzung einschließt. Sie wird erfahren und
drückt sich aus in Gedanken, Fantasien, Wünschen, Überzeugungen,
Einstellungen, Werten, Verhaltensmustern, Praktiken, Rollen und
Beziehungen. Während Sexualität all diese Aspekte beinhaltet, werden
nicht alle ihre Dimensionen jederzeit erfahren oder ausgedrückt.
Sexualität wird beeinflusst durch das Zusammenwirken biologischer,
psychologischer, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, ethischer,
rechtlicher, religiöser und spiritueller Faktoren.“– WHO: Defining
sexual health. Report of a technical consultation on sexual health,
28–31 January 2002, zit. n.
Wikipedia)
Sexualität trägt
evolutionsbiologisch betrachtet, zur bestmöglichen Fortpflanzung auch
unserer Spezies bei und ist Teil unserer "biologischen
Verhaltenssoftware". Wie sie im Laufe der Menschheitsgeschichte in
menschlichen Gesellschaften wirksam wurde und ist, hängt dabei von
vielen Faktoren ab. Ob und inwieweit ihr im Zuge der Evolution bis in
unsere Gene hinein sexuelles Verhalten eingeschrieben wurde, ist in der
Forschung bis heute ein umstrittenes Thema.
Hier genügt es
festzustellen, dass es
kein allgemeingültiges Konzept einer
"natürlichen" Sexualität des Menschen gibt, auf das sich ohne
weiteres zurückgreifen ließe, um die geschichtlichen Formen der
Sexualität an ihrem vermeintlich "natürlichen Original" zu messen.
Sexualität ist
stets kulturell überformt. Sie wird von den meisten Menschen in den
von ihr vorgegebenen Formen praktiziert, und ist insofern, sieht man
von den rein biologischen Vorgängen ab, wenngleich anders
akzentuiert, auch ein soziales Konstrukt wie das »gesellschaftliche
Geschlecht (Gender), die gesellschaftliche Festlegung von
unterschiedlichen »Geschlechterrollen und
die »soziokulturelle
»Geschlechterordnung.
Sexualität ist aber auch gerade deshalb ein Terrain, auf dem in der
Geschichte immer wieder Schlachten geschlagen wurden, die eine
eigene Geschichte sexueller Repression schreiben lassen, die unter
dem Mantel "normaler" bzw. angeblich "natürlicher" Formen von
Sexualität abweichendem sexuellen Verhalten über viele Jahrhunderte
hinweg, und zum Teil noch bis heute, mit religiöser und sozialer
Ächtung und drakonischen Strafen begegnete.
Sexualität ist, wie
der französische Philosoph und Historiker »Michel
Foucault (1926-1984) formulierte, insofern stets auch ein
"pathologisches Gebiet" (Foucault
1995) geblieben. Sie bot sozialen Gemeinschaften, und darin
besonders den jeweils Mächtigen, immer wieder Gelegenheit, Vorgaben zum
sexuellen Verhalten der Menschen zu machen. Diese stützten sich vor allem auf die
Unterscheidung von "natürlicher" Sexualität und "Sexualität wider
der Natur", abweichendem (deviantem) und "normalem" Sex
und erlaubten, eine bis in die Intimsphäre des Einzelnen reichende
Kontrolle aufzubauen, die insgesamt die bestehenden
Herrschaftsverhältnisse stabilisierte. Zugleich machten sie ihre
folgsamen Untertanen zu Gefolgsleuten, die in einem System der
sozialen Kontrolle, der Bespitzelung und Überwachung, dafür sorgten,
dass die moralisch und sittlich sowie sozial immer wieder
begründeten und bestätigten Gebote und Verbote prinzipiell auch den
letzten Winkel der Gesellschaft erreichen konnten.
Diese
Regulierung und
Sanktionierung des Sexuellen und seine offene Kriminalisierung ist
auch ein wichtiger Teil der von den weltlichen und kirchlichen
Obrigkeiten im Gefolge von Reformation und Gegenreformation von oben
durchgesetzten ▪
Sozialdisziplinierung und
zugleich auch ein viele Jahrhunderte andauernder zivilisatorischer
Prozess, der
darauf beruhte, dass "der Sexualtrieb, wie viele andere Triebe,
einer immer strengeren Regelung und Umformung unterworfen" wurde
(Elias
1997, Bd. 1, S.342). Er gehört damit auch zu den sozialen
Dynamiken, die die ▪
frühneuzeitliche Staatsbildung und die Schaffung eines mehr oder
weniger einheitlichen Untertanenverbandes in den Territorien
vorangetrieben haben.
Von der mönchischen Askese zur allgemeinen christlichen Sexualmoral
Sexuelle Repression, Unterdrückung, Kanalisierung und
Sublimierung sexueller Bedürfnisse beginnen schon vor der frühen Neuzeit
und haben eine ihre eigene
Geschichte. Schon im frühen Christentum forderten Mönche dazu auf,
in sexueller Enthaltsamkeit zölibatär zu leben, aber erst nach dem »Konzil
von Trient (1563) konnte der schon 400 Jahre zuvor auf dem
»Zweiten
Laterankonzil (1139) für
höhere geistliche Würdenträger und Priester geforderte Zölibat
durchgesetzt werden.
Die Vorstellungen der mönchischen Askese
waren
darauf ausgerichtet, einen als Einsiedler lebenden Mönch vom
"Geist der Begehrlichkeit" (Foucault
1992, S.26) zu befreien. Über verschiedene Stufen sollte er mit
Hilfe bestimmter Selbstbeeinflussungstechniken zur
Keuschheit und »Schamhaftigkeit« gelangen, die am Ende weder im
Schlaf noch im Wachzustand unzüchtigen Gedanken und den daraus
folgenden körperlichen Erregungszuständen (z. B. eine nächtliche,
sonst kaum steuerbare »Pollution
(Samenerguss)) Raum lässt:
"Das wird das
untrügliche Kennzeichen und der vollständige Beweis dieser
Keuschheit sein," formulierte der Abt »Johannes Cassianus (etwa 360-435 n. Chr.), "wenn uns während der
Ruhe und des Schlafes kein Trugbild vor die Seele tritt" oder "wenn
uns während der Ruhe kein Reiz der Wollust berührt und die durch die
Gesetze der Natur bedingten Ausscheidungen unreiner Stoffe ohne
unser Wissen vor sich gehen." (zit. n.
Foucault 1992,
S.33).
Der Katalog von acht »Lastern, mit denen Cassian an noch ältere Lasterkataloge und an antike
Auffassungen des »Stoizismus
und »spätantike
des »Neuplatonismus
anschloss, zählte neben der Unkeuschheit weitere sieben Hauptlaster
(Unmäßigkeit, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Überdruss, Ruhmsucht,
Hochmut) auf, die später in der christlichen Morallehre als
Kapitalsünden fungierten.
Aber auch andere Regeln klösterlicher Moral
wie die Aufforderung zur sexuellen Enthaltsamkeit an den
zahlreichen christlichen Feiertagen und in den langen Fastenzeiten vor Ostern
und im Advent wurden Elemente der offiziellen katholischen Ehedoktrin und sollten dafür sorgen, dass die christliche Ehe, die
neben ihrer Funktion zur Zeugung legitimer Nachkommenschaft ohnehin
nur als
Notlösung gegen die Wollust betrachtet wurde, sexuell nicht aus dem
Ruder lief.
Folgt man den
zeitgenössischen Abhandlungen namhafter christlicher Moraltheologen,
den Sammlungen von Gewissensfällen in solchen Fragen und den
einschlägigen Beichtbüchern der frühen Neuzeit, stellt sich die
christliche Sexualmoral, auch wenn sie sich von der vorausgegangenen nicht
so massiv unterscheidet, wie allgemein angenommen wird (vgl.
Foucault 1992, S.38), nach
Flandrin
(1992, S.147f.) wie folgt dar:
"Im Mittelpunkt der
christlichen Moral steht
ein tiefes Misstrauen gegen alle sinnlichen
Freuden, weil sie den Geist zum Gefangenen des Körpers machten und
ihn daran hinderten, sich zu Gott zu erheben. Man muss essen, um zu
leben, doch vor den Freuden des Gaumens gilt es sich zu hüten.
Ebenso sind wir verpflichtet, uns mit dem anderen Geschlecht zu
vereinigen, um Kinder zu zeugen; aber wir dürfen uns nicht dem
sexuellen Vergnügen hingeben. Die Sexualität hat zum alleinigen
Zweck die Fortpflanzung; wer sie mit anderen Interessen
verknüpft, etwa dem Genuss, der treibt Missbrauch mit ihr."
Die innereheliche Sexualität als Notlösung gegen das sexuelle
Begehren
Als soziale
Konsequenz der christlichen Morallehre ergab sich zwingend, dass die Familie
als die beste und einzige soziale Einheit angesehen werden konnte, in
deren Rahmen die Erziehung von legitimen, d. h. aus aus einer Ehe
hervorgehenden, Kinder möglich war.
Da ▪
außerehelicher
Geschlechtsverkehr diesen Zielen per se nicht dienen konnte,
war jede außereheliche sexuelle Betätigung Sünde.
Das hieß indessen im
Umkehrschluss nicht, dass sich die Sexualität von Eheleuten, die
nicht dem Ziel der Fortpflanzung diente, frei entfalten durfte. Das
war übereinstimmende Meinung, auch
wenn nach Auffassung des »Apostels
Paulus die Ehe wie möglich machte, das
sündige Begehren von der außerehelichen Unzucht, Ehebruch oder der
Onanie abzulenken und in die geordneten ehelichen Bahnen zu kanalisieren.
Trotzdem: Stand die Lust und das
sexuelle Vergnügen der Ehepartner beim Vollzug des Geschlechtsaktes
im Vordergrund, galt dies bis ins 16. und 17. Jahrhundert hinein als
Todsünde.
Erst der spanische Jesuit und Kasuistiker »Thomas
Sanchez (1550-1610) brachte in der katholischen Kirche neue Töne
ein, indem er betonte, dass der sexuelle Verkehr von Ehegatten,
solange sie keine Maßnahmen zur Empfängnisverhütung ( z. B. »Coitus
interruptus, »Coitus
reservatus ) trafen, die Möglichkeit der Empfängnis also
prinzipiell erhalten blieb, keine Sünde begingen. Abtreibung und
Empfängnisverhütung blieben aber weiterhin Teufelswerk. (vgl.
Flandrin
1992, S,149)
Sexuelle Lust in der Ehe als "Ehebruch"
Viele fromme
Katholiken übertrugen die mönchischen
Postulate der Keuschheit und Enthaltsamkeit auch auf die eheliche
Paarbeziehung. Oft beriefen sie dabei auf den
Kirchenvater »Hieronymus
(347-420 n. Chr.). Dieser hatte im Anschluss an ein Traktat
des römischen Philosophen und »Stoikers
Seneca (1-65. n. Chr.) betont:
"Ehebrecherisch ist auch
die
allzu brennende Liebe für die eigene Frau. Die Liebe zur Frau eines
anderen ist immer schändlich, zur eigenen Frau ist es die übermäßige
Liebe. Ein vernünftiger Mann soll seine Frau mit Besonnenheit lieben
und nicht mit Leidenschaft; er soll seine Leidenschaft zügeln und
sich nicht zum Beischlaf hinreißen lassen. Nicht ist schändlicher,
als seine Frau wie eine Mätresse zu lieben. [...]
Der Mann soll sich
seiner Frau nicht als Geliebter, sondern als Gatte nähern." (Adversus
Jovinianum, I, 49) (zit. n.
ebd.
1992, S.155)
Man fürchtete dabei
nicht nur eine übermäßiges an sexuellem Genuss orientiertes
Verhalten der Eheleute, sondern schlichtweg auch, das "eine
leidenschaftliche eheliche Liebe (...) sich nachteilig auf die
sozialen Beziehungen und auf die Pflichten gegen Gott auswirken
(könnte)." (ebd.)
Diese und ähnliche asketische
Betrachtungen der Ehe als "eine minderwertige, fragwürdige
Institution" (Ariès
1992b, S.181) hatten bis ins 12. Jahrhundert hinein zur Folge,
dass die meisten Geistlichen nicht wünschten, dass sich die Kirche
in derart vulgäre Angelegenheiten einmischen sollte. Am Ende aber
setzte sich die noch unseren heutigen Maßstäben weniger
"fundamentalistische" Position, die sich eher an Auffassungen des
Apostels Paulus und des
»Kirchenvaters Augustinus (354-430 n. Chr.) orientierten.
Sakramentalisierung und Klerikalisierung der Ehe
Seit dem 11. und
12. Jahrhundert begann die Kirche ihr
sakramentales Modell der Ehe
zu entwickeln, das neben bestimmten Verwandtschaftsverboten auch die
Unauflöslichkeit der Ehe beinhaltete.
Dieses Modell ließ sich
indessen nicht so einfach gegen die bis dahin in allen
Gesellschaftsschichten geschlossene Laienehe durchsetzen.
Sie kam wie
ein Vertrag zwischen Familien als gewissermaßen "häuslicher Akt" (ebd.,
S.192,) zustande und war m Grunde genommen eine private Angelegenheit,
auch wenn sie mit verschiedenen symbolischen Akten in
unterschiedlichen Öffentlichkeiten
geschlossen wurde.
Vor allem der Adel wollte sich von der Kirche mit
ihren Verwandtschaftsverboten nicht in seine althergebrachten
dynastisch orientierten Heiratsstrategien hereinreden lassen,
bei der man sehr enge Verwandtschaftsbeziehungen der Brautleute
nicht als Hindernis ansah. Und
auch das mit der kirchlichen Sakramentalisierung geforderte Gebot
der Unauflöslichkeit der Ehe drohte der gerne ausgeübten Praxis
adeliger Herren, ihre Frauen unter gewissen Umständen wieder
verstoßen zu können, einen Strich durch die Rechnung zu machen.
So
dauerte es auch, von den Anfängen an gesehen, mehrere Jahrhunderte,
bis sich das sakramentale kirchliche Modell gegen die kulturell
verankerte Laienehe durchgesetzt hatte. (vgl.
ebd.,
S.181ff.) Im 12. Jahrhundert jedenfalls scheint die Entscheidung
gefallen: Die Unauflöslichkeit der Ehe war selbst vom Adel
akzeptiert und als Norm verinnerlicht.
Nach dem
Konzil von Trient (1545-1563) ging es der katholischen Kirche
vor allem darum ihre kirchlichen Heiratsrituale, mit der
"Verlagerung des Akts der Eheschließung aus dem Haus, seinem
traditionellen Ort, vor die Kirchentüren" (ebd.,
S.192) und die
schriftliche Registrierung der öffentlich zu
vollziehenden Heiratszeremonie, die alleinige Kontrolle über die
christliche Ehe und die sittliche Ordnung der Gesellschaft zu erlangen.
Diese
Klerikalisierung der Ehe war in gewisser Hinsicht die logische
Konsequenz der vorangegangenen Sakramentalisierung, hatte damit aber
auch weitreichende Folgen. Mit ihrer Registrierung der Ehe trug sie
ebenso zu Modernisierung bei wie zur Sozialdisziplinierung der
Menschen, denn die Unterschrift im kirchlichen Heiratsregister mit
Angabe des genauen Zeitpunkts der Heirat änderte so manches: Kinder,
die vor diesem Heiratstermin geboren waren, wurden so von einer
Minute zur anderen zu unehelichen Kindern. Und wenn Paare
allem religiösen und gesellschaftlichen Druck zum Trotz weiterhin
nach den Riten der Laienehe oder im »Konkubinat, als unverheiratet
zusammenlebten, ihre Kinder im Taufbuch der Pfarrei registrieren
ließen, bekamen diese auch den Stempel eines amtlich-registrierten
"Bastards" aufgedrückt. (vgl.
ebd., S.191)
Martin Luther und die protestantische Auffassung zur innerehelichen
Sexualität
»Martin
Luther (1483-1546) und die meisten Protestanten waren gegen die
katholische sakramentale Überhöhung der Ehe und sahen auch die innereheliche Sexualität fundamental
anders.
Auch wenn wohl auch für sie die "in recht unterschiedlichen
Schichten der alten Gesellschaft" herrschende Abneigung dagegen
bestand, "allzu frei mit seiner Frau zu verkehren" und "man sich die
eigene Frau eher keusch als verliebt wünschte" (Flandrin
1992, S.162), war Sexualität für sie eine ▪
anthropologische Grundtatsache, die nicht per se sündhaft war,
solange sie sich in ehelichen Bahnen und damit in den Schranken bestimmter
ehelicher Normen bewegte.
Bei allen
Unterschieden zwischen beiden Konfessionen zielte die
protestantischen und katholische Ehepolitik (Sexualmoral, Ehedoktrin,
Kirchenzucht usw.) bis ins 18. Jahrhundert hinein zunächst einmal
auf den Schutz der christlichen Ehe auch in ihren Krisenzeiten.
Diesem Ziel war auch die überaus strenge Verfolgung von ▪
Ehebrechern
und Ehebrecherinnen geschuldet, bei der die Protestanten die
Katholiken oft übertrafen.
Kirche und Staat ziehen im Bereich der Sexualmoral zusehend an einem
Strick
Mit der
sogenannten "Peinlichen Gerichtsordnung" des »Heiligen
Römischen Reiches, der »Constitutio
Criminalis Carolina« (kurz: Carolina),
einem Gesetzeswerk, das 1532 auf dem Reichstag von Regensburg
verabschiedet wurde, wurden christliche Moralvorstellungen Teil des
reichsstaatlichen Strafrechts, auch
wenn ansonsten das römische Recht auch in diesem Bereich noch
überwog. (vgl. Eder 2002,
S.54)
Was in der Carolina
als Sexualdelikte angesehen wurde, hatte mit den Bereichen sexuellen
Handelns zu tun, die nach Ansicht ihrer Verfasser, eine Gefahr für
die christliche Ehe, die Fortpflanzung und die männliche Autorität
und Ehre darstellen konnten. Dementsprechend stellte sie diese unter
einen besonderen Schutz, während sie zugleich "die »heißen« Themen
vorehelicher Geschlechtsverkehr und Prostitution [...] schon allen
wegen der großen Differenz zwischen dem Recht und der
sozio-sexuellen Praxis" (ebd. 2002,
S.54) außen vor ließ und nicht sanktionierte.
Hochgehalten wurden
allerdings die Rechtsprinzipien der Blutsverwandtschaft, der
Jungfräulichkeit und die Vorstellung einer "natürlichen" sexuellen
Ordnung und einer ebenso "natürlichen" sexuellen Praxis, die im Zuge
der Zeit und der weiteren Sozialdisziplinierung (Oestreich) und dem
fortschreitenden, aber keineswegs geradlinig verlaufenden
Zivilisationsprozesses (Elias) mit Gesetzen und
Policey-Ordnungen von oben durchgesetzt und von den Menschen
internalisiert wurden.
Der ▪
Ehebruch geriet damit, auch
wenn er regional sehr unterschiedlich geahndet wurde, endgültig ins
Fadenkreuz der staatlichen Justiz und die in der Gesellschaft schon
vorhandenen Vorstellungen über andere Formen der "Unzucht", wie z.
B. der ▪ voreheliche und
außereheliche Geschlechtsverkehr, wurden nicht nur stärker von
der christlichen Ehedoktrin gerahmt, sondern auch bis ins Detail
bestimmt.
Weil sich der Staat
die Prinzipien der christlichen Sexualmoral zu eigen machte, wurden
auch jetzt die ▪ Scham- und Peinlichkeitsschwellen deutlich enger und
strenger gezogen und die ▪
Nacktheit in der Öffentlichkeit
(Badehäuser), der Kirche schon seit jeher ein Dorn im Auge,
zusehends zurückgedrängt.
Mehr und mehr wurde damit das, was Kirchen
und der entstehende Fürstenstaat bei der Schaffung des neuen
Untertanenverbands wollten, damit auch in Vorstellungen von »Keuschheit,
»Scham,
Schuld und »Prüderie
"übersetzt" und am Ende wurden sie als soziale Konstrukte Ausdruck der jeweils
herrschenden Gefühlskultur und Moral ihrer Zeit und der damit verbundenen sozialen Kontrolle.
Was die Carolina zu
den strafbaren Delikten zählte: "Unkeuschheit wider die Natur,
Blutschande, gewaltsame Entführung, Notzucht, Ehebruch, zweifache
Ehe, Kuppelei und die «Straff der jhenen so jre eheweiber oder
kinder durch böses genieß willen williglich zu vnkeuschen wercken
verkauffen» (Art. 122)" (ebd. 2002,
S.55) dazu noch Kindsmord oder Kindesweglegung, hielten sich
so nicht nur in den Gesetzeswerken bis ins 18. Jahrhundert, sondern
verankerten sich auch im moralischen Bewusstsein der Menschen.
▪
Ehebruch
▪
Vorehelicher
und außerehelicher Geschlechtsverkehr
▪
Die Entwicklung sozial konstruierter Scham
in der frühen Neuzeit und im Barock
▪
(Literaturgeschichte:) Die höfische Form der Erotik im Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.01.2024
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