▪
Dreißigjähriger Krieg (1618-1648)
▪
Überblick
▪
Zeittafel
▪
Bevölkerungsverluste
▪
Alltag zwischen Krieg und
Frieden
▪
Der
Westfälische Friede 1648
▪
Quellenauswahl
Die ▪´Entwicklung einer Staatlichkeit, wie wir sie heute kennen, ist ein
langwieriger politischer, gesellschaftlicher und kultureller
Transformationsprozess, der sich über mehrere hundert Jahre hingezogen hat
und in sich dabei auch in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten
unterschiedlich vollzogen hat.
Eine besonders wichtige Rolle fiel dabei den territorialen
Konfessionskirchen in den katholischen und den protestantischen Gebieten zu.
Sie mussten sich nach der langen Zeit militärischer Auseinandersetzungen im
▪
Dreißigjähren Krieg (1618-48) mit dem »Augsburger
Religionsfrieden (1555) den neuen Territorialfürsten bzw. Landesherren
beugen, die bei ihrem Streben nach Monopolisierung der Macht auch die
Aufsicht und Kontrolle Kirche bzw. Konfession als ▪
Schlüsselmonopol in ihre Hand bringen wollten. Die Angliederung und
Aufsicht über die Kirchenverwaltung führte auch zur
Übernahme von Aufgaben, für die bis
dahin die da noch autonomen Kirchen zuständig waren.
Dazu zählten z. B. die "so wichtigen Aufsicht über Ehe- und Familie, der
Übernahme des Schul- und Erziehungswesens sowie der Armen- und
Sozialfürsorge." (Schilling
1987, S.154) Zugleich erschloss die direkte oder indirekte Aufsicht über
das Vermögen der Kirche den Landesherren auch neue Finanzquellen, die sie
dringend für den personellen und in institutionellen Aufbau staatlicher
Behörden benötigten.
Wie bei allen einzelnen
Prozessen, die damit zu tun hatten, vollzog sich diese Entwicklung
allerdings nicht überall gleich. So erlangten die ▪
Herzöge von Württemberg zum Beispiel ▪
aus verschiedenen Gründen die Kirchenhoheit nicht und blieben damit in
ihrem Streben nach unumschränkter fürstlich-absolutistischer Macht ohne
Erfolg.
Konfessionalisierung und Territorialisierung
Der Wandel, der über die
Monopolisierung der staatlichen Gewalt die innere Konsolidierung der neuen
gesellschaftlichen Formierung ermöglichte, wurde durch die gleichzeitig
stattfindende Konfessionalisierung und die seit dem »Augsburger
Religionsfrieden (1555) geltende Territorialisierung von Kirche und
religiösem Bekenntnis forciert. Viele Landesherren, sie z. B. die
bayerischen Herzöge, setzten dabei die Konfessionalionisierung gezielt ein,
um ihre Beamtenschaft und den Untertanenverband ideologisch zu
vereinheitlichen und damit zugleich in weiten Bereichen des Alltags die
Verordnungs- und Kontrollbefugnis zu etablieren". (Schilling 1994,
S.348)
Seit dem »Augsburger
Religionsfrieden (1555) waren die rechtlichen Voraussetzungen für das
Kirchenmonopol der Landesherren geschaffen. Seitdem konnten sie nämlich
bestimmen, welches konfessionellen Bekenntnis in ihrem Territorium gelten
sollte (»Cuius regio, eius religio
= "Wessen das Land, dessen der Glaube").
Die Instrumentalisierung der Konfessionalisierung durch Landesfürsten zum
Zwecke des Ausbaus ihrer souveränen Herrschaft über den neuartigen
Untertanenverband bedeutete hingegen nicht, "die persönliche innere
Betroffenheit der Gläubigen in Zweifel zu ziehen, bei den Untertanen nicht
und ebenso wenig bei den Fürsten und ihrer Beamtenschaft." (ebd.)
Ihre Frömmigkeit, die sie mit Wallfahrten, Prozessionen und
Heiligenfeiertagen öffentlich zelebrierten und barock inszenierten, waren
stets auch "Inszenierungen einer inneren, privaten Religiosität". (ebd.)
Für die jeweilige Territorialkirche bedeuteten die Regelungen des Augsburger
Religionsfriedens, dass sie sich der Aufsicht des jeweiligen Landesherren unterstellen musste. Darüber
hinaus musste sie auch eine ganze Reihe traditionell von den Kirchen
wahrgenommenen Aufgaben an die neue Staatsmacht abgeben, die daraus
hoheitliche, d. h. staatliche Aufgaben machte.
Auch wenn dieser Prozess nicht immer reibungslos vonstatten ging, fügten
sich die konfessionellen Territorialkirchen und profitierten durch die
Ausschaltung der konfessionellen Konkurrenz (wer sich nicht zu der Konfession
seines Territoriums bekannt, musste in der Regel auswandern)
Die Kirchen als Motor
der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung
Die Kirchen übernahmen
eine herausragende Rolle bei der sogenannten ▪
Sozialdisziplinierung der Untertanengesellschaft und lieferten dafür
nicht nur weltanschaulich-religiöse Argumente, sondern beteiligten sich auch
ganz konkret an der Kontrolle von Sitte und Moral der Untertanen.
Schließlich waren sie ja auch bis dahin schon mit ihren
kirchlichen »Zuchtordnungen
in Erscheinung getreten und mit ihrem Streben "Policey
und guter Ordnung" seit der Renaissance in den frühneuzeitlichen
Policeyordnungen ihre christlichen Wertvorstellungen zu Sitte und Moral, der
Sozialregulierung und Sozialdisziplinierung der Menschen, eingebracht, auch
wenn diese, insbesondere im Bereich der ▪
Sexualmoral, nicht überall so durchgedrungen sind (z. B. bei der ▪
Zurückdrängung der Nacktheit aus dem öffentlichen Leben), wie es die
christlichen Moralisten gerne gesehen hätten.
Solange es sich allerdings allein um Maßnahmen der Kirchendisziplin gegen
sittliche und moralische Missstände handelte, waren es rein disziplinarische
Sanktionen, die die Kirche bzw. die in ihrem Auftrag handelnden
protestantischen Konsistorien verhängen konnten wie z. B. der Ausschluss vom
Abendmahl oder bestimmte Kirchenbußen. Es waren also lediglich "geistliche
Zuchtmittel, in keiner Weise kriminelle Strafen mit rechtlichen Folgen für
die Bürger." (Schulze
1987, S.280)
Damit soll die soziale
Kontrolle, die kirchliche Institutionen über ihre Gläubigen ausübten,
indessen nicht kleingeredet werden. Es waren nämlich ihre Priester und Pfarrer,
"deren alltägliche Tätigkeit das letzte Haus im entlegendsten Weiler
erreichte" (Schilling
1987, S.155) die mit ihren Hausbesuchen
und Visitationen neben den Amtmännern, die die Policeyordnungen
exekutierten, ein mehr oder weniger strenges Auge auf Leben und Moral der
Menschen hatten. Dabei hatten sie auch allem das ▪
sexuelle Verhalten der
Bevölkerung im Visier, das im Zuge der ▪
Sakramentalisierung und Klerikalisierung der Ehe streng am Ideal der
Keuschheit vor und in der Ehe ausgerichtet war. (vgl.
Schilling 1994,
S.368f.)
Die Konfessionskirchen
griffen disziplinierend in alle Bereiche des zivilen Alltagslebens ein, die den komplizierten und
vielgestaltigen ▪
Transformationsprozess der Sozialdisziplinierung ausmachten. Sie
"(betrieben) mit gleicher Energie die Erziehung zu Ordnung, Pünktlichkeit,
Sauberkeit, Fleiß, Verträglichkeit, Pflichterfüllung in Ehe und Beruf sowie
zu Achtung und Gehorsam gegenüber Eltern und Ranghöheren, vor allem
gegenüber der Obrigkeit und ihren Amtsträgern – Tugenden also, auf denen die
Lebenshaltung der Neuzeit ganz allgemein beruhen sollten." (Schilling
1987,
S.156) Dazu "bekämpften (sie) das Fluchen, Raufen, Trinken und verlangten,
dass jeder sich in Wort und Tat zügele. Sie predigten und kontrollierten die
Pflichterfüllung in der Familie, also bei der Betreuung und Beaufsichtigung
von Kindern und Gesinde, ebenso im Beruf, sei einer nun Staatsdiener,
Arbeiter, Handwerker, Unternehmer oder Kaufmann. Und sie achteten auf
Gehorsam und Ehrerbietung gegenüber Vater und Mutter, Hausvater und Meister,
Amtmann und Pfarrer und nicht zuletzt gegenüber dem Fürsten und jeder Art
von Obrigkeit." (vgl.
Schilling 1994, S.370)
Alles dies waren Elemente des Ensembles kultureller, sozialer und mentaler
Voraussetzungen ohne deren Ordnung ein gesellschaftliches Miteinander im
aufziehenden Untertanenstaat nicht möglich gewesen wäre. Auch wenn es Tugenden des Untertans
waren, zu deren rationaler Begründung auch auf antike Lehren wie z. B.
die römische ▪
disciplina militaris den ▪
Stoizismus zurückgegriffen wurde, waren es doch "Tugenden, auf denen die
Lebenshaltung der nächsten Jahrhunderte sowie die Dynamik und Effektivität
der Neuzeit ganz allgemein beruhen sollten." (ebd.)
Auch wenn es immer wieder
zu Spannungen mit der Staatsmacht kam, hatten die territorialen
Konfessionskirchen ein großes eigenes Interesse daran, den
politisch-gesellschaftlichen Transformationsprozess nach Kräften zu stützen
und, wo es ging, eigene Akzente zu setzen. Die erforderliche
Sozialdisziplinierung der neuen "Untertanengesellschaft" war neben den
staatlichen Institutionen vor allem ihr ureigenes Geschäft und wurde ganz
entscheidend von ihr mit religiösen Konzepten mitgestaltet.
Die ideologische Integration und Stabilisierung der
Fürstenherrschaft durch das Gottesgnadentum
Die von den Kirchen
vertretenen Tugenden wurden auch in anderen europäischen Gesellschaften im
Zuge der Modernisierung wichtig. Insofern stellt dies keine Besonderheit in
der deutschen Mentalitätsgeschichte dar. Was aber die Geschichte der
Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit in Deutschland von den der
Entwicklung in anderen Gebieten unterscheidet, ist die enge Verknüpfung von
Sozialdisziplinierung und Territorialisierung. Es ging um "die Einfügung des
einzelnen und gesellschaftlicher Gruppen in den homogenen Untertanenverband"
sowie um "das Abschleifen von regionalen und partikularen Interessen
zugunsten eines territorialstaatlich definierten »gemeinen Besten«." (ebd.)
Dass das »gemeine Beste«
"nicht von unten, im »staatsfreien« Spiel gesellschaftlicher Kräfte
bestimmt, sondern von oben verordnet wurde" (ebd.),
verlieh der Fürsten- bzw. Staatsgewalt eine übermächtige Rolle. Während in
Staaten wie England, Holland oder in der Adelsrepublik Polen, das »gemeine
Beste« von mehr oder weniger breiten Gesellschaftsgruppen immer wieder neu
ausgehandelt, mit- und aufeinander abgestimmt werden musste und sich
bestimmte Vorstellungen oft in einem Interessenkampf durchzusetzen hatten
(vgl. ebd.), war es
im deutschen fürstlichen Territorialstaat die Obrigkeit, mitunter auch in
einem Dualismus von Fürst und Land, die das »gemeine Beste« vorgaben.
Das dem so war, war auch
Folge kirchlicher Politik, die über ihre allgemeinen Beiträge zur
Sozialdisziplinierung auch auf andere Weise zur Stabilisierung und Konsolidierung der
Fürstenherrschaft beigetragen haben. Diese hatten sich nämlich auf der Grundlage ihrer neuen und herausragenden Stellung im
religiösen System eine neue, gegenüber dem Personenverband und seiner
personenrechtlichen Beziehungen (Treuverhältnis) grundlegend andere
Legitimation ihrer Gewalt gegeben, um das von ihnen errungene neue
Gewaltmonopol ideologisch legitimieren.
Als "Retter des Glaubens (praecipua fidei)" wurde ihnen
fortan eine "sakrosankte Dignität" zugesprochen, "was den Untertanen durch
den Gottesgnadentitel, den nun jeder Fürst trug, sowie durch die
allsonntägliche Fürbitte für den Landesherrn und seine Familie stets aufs
neue vergegenwärtigt wurde." (Schilling
1987, S.154)
Das sogenannte Gottesgnadentum führte mit seiner religiösen Übersteigerung
dabei auch zur "Entpersonalisierung des Staatsprinzips" (ebd.).
Die Stärkung der äußeren Souveränität der Territorialherren
Nach außen hin trug die
Konfessionalisierung ebenfalls zur Stabilisierung der Landesherrschaft bei.
Sie förderte nämlich die Abgrenzung von anderen Territorien, die eine andere Konfession
hatten und bewirkten die Entwicklung von distinktiven
sozial-kulturellen Mentalitäten und Verhaltensformen, die sich in
manchen Dingen zwischen katholisch oder protestantisch geprägten Regionen,
aller Modernisierungsprozesse zum Trotz, sogar noch bis heute beobachten
lassen.
Noch gerade 70 Jahre ist es her, dass etliche protestantische
Flüchtlinge aus dem Osten, die man in erzkatholischen Gebieten Bayerns auf
Anweisung der Behörden unterbrachte, sozial in einer Weise ausgegrenzt
wurden, wie man sich das heute kaum mehr vorzustellen vermag.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.01.2024
|